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2 Wissenschaftstheoretische Einordnung

2.3 Hejls konstruktivistische Sozialtheorie

Meine Untersuchung bewegt sich in der von Frindte entwickelten wissenschaftstheoretischen Verknüpfung: Dabei handelt es sich um die Ebene der Systemtheorie, wenn es um die Ein-ordnung von Unternehmen geht. Unternehmen betrachte ich, entlang der systemtheoreti-schen Definition, als soziale Systeme.124 Diese Ebene bezeichnet Frindte als Deuteschaften. Mit Deutegemeinschaften sind Gruppen von Individuen gemeint, die über gemein-same Ziele verfügen. Die Individuen einer Gruppe gestalten über Kommunikation einen ge-meinsamen Bedeutungsraum und agieren innerhalb des Systems, also als Systemmitglieder, in Bezug auf diesen Bedeutungsraum, das heißt, in Bezug auf diese Ziele. Mit der Definition eines sozialen Systems im Rahmen der Systemtheorie wird es mir möglich, Unternehmen einzugrenzen. Das heißt, die Annahme des sozialen Systems impliziert das Vorhandensein von Umwelten und damit eine Differenzierung zwischen dem System und seiner Umwelt.125

Im Rahmen des sozialen Systems „Unternehmen“ gibt es unterschiedliche Gruppen, wie beispielsweise Abteilungen, Bereiche, Projektteams oder ähnliche, die ihrerseits als Systeme innerhalb des Systems zu betrachten sind. Sie konstituieren sich, nach Frindte über „einzel-ne Menschen.“ Ähnlich dem übergeord„einzel-neten Sozialsystem schaffen sie sich über Kommuni-kation Räume. Diesmal allerdings handelt es sich nicht um Bedeutungsräume, sondern um sogenannte Interaktionsräume. Mit Interaktionsräumen sind, wie oben bereits erwähnt, zeit-lich und räumzeit-lich koordinierte Handlungen gemeint. Diese Interaktionsräume in Gruppen sind bei Frindte definiert über Rollen-126 und Kommunikationsstrukturen.

124 Vgl. dazu die Ausführungen in Kapitel 4.

125 Dies ist vor allem für den in Kapitel 7 zu untersuchenden Identitätsbegriff eine wichtige Festlegung.

126 Der Rollenbegriff steht in der sozialwissenschaftlichen Forschung u.a. in Verbindung mit der Rollentheorie von Talcott Parsons, dem symbolisch-interaktionistischen Theorieansatz von George H. Mead und der Handlungsthe-orie von Jürgen Habermas. Die RollentheHandlungsthe-orie kann an dieser Stelle unberücksichtigt bleiben, weil die Bedeutung des Individuums mit all seiner Erfahrung, seinen Kenntnissen und Denkstrukturen über die Kommunikation in das Unternehmen einfließt.

Unter Kommunikation verstehe ich die Voraussetzung zur Bildung sozialer Systeme. Das heißt, Kommunikation ist für mich nicht die Übertragung oder der Austausch bestimmter In-formationen, sondern ein „über Sprache vermittelter Prozess“, der die Grundlage für die Wirklichkeitskonstruktion in und zwischen personalen und sozialen Systemen bildet.127

Damit komme ich zur zweiten wissenschaftstheoretischen Ebene meiner Arbeit: dem gemä-ßigten Radikalen Konstruktivismus nach Peter Hejl. Mittels dieser Perspektive eröffnet sich mir die Möglichkeit, das Individuum als Mitglied des Sozialsystems in meine Untersuchung einzubeziehen: Denn aufgrund der spezifischen, konstruktivistischen Perspektive Hejls, ist mir eine umfassende Betrachtung möglich, welche die Aspekte des Sozialen sowie die Er-kenntnisse aus der Neurobiologie einbezieht.128 (Vgl. dazu Kapitel 4)

Mir ist die Berücksichtigung des Individuums innerhalb des Unternehmens sehr wichtig, weil ich untersuchen möchte, ob und inwiefern die Wirklichkeitskonstruktion des Individuums auf die Identitätsbildung von Unternehmen wirkt. Diese Frage bleibt in bisherigen Veröffentli-chungen zum Corporate-Identity-Ansatz unberücksichtigt. Die Ausführungen und Definitio-nen Hejls scheinen mir für den ausgewählten Untersuchungsgegenstand in zweierlei Hin-sicht sinnvoll:

a) Der Corporate-Identity-Ansatz, als Ausgangsbasis meiner Untersuchung, geht von hierar-chischen Kommunikationswegen (VorgabeàUmsetzung) aus. Die CI-Ansätze werden von Individuen entwickelt, formuliert und in der Organisation kommuniziert. Im CI-Ansatz wird davon ausgegangen, dass sich „eine“ Identität steuern und bilden lässt. Um den Ansatz kommunikationswissenschaftlich beurteilen und einordnen zu können, bedarf es folglich ei-ner Berücksichtigung des Individuums inei-nerhalb des Sozialsystems.

b) Die Kommunikationen, Handlungen und Entscheidungen innerhalb eines Unternehmens werden von Individuen getätigt und/oder getragen. Ihre Präsenz zu negieren und auf der rein abstrakten Ebene der Kommunikationen zu untersuchen, würde bedeuten, den unternehme-rischen Alltag nicht abbilden und untersuchen zu können. Doch gerade in Bezug auf die Identitätsbildung leisten die Individuen als „kommunikative Schnittstellen“ einen wichtigen Beitrag im unternehmerischen Kommunikations- und Handlungsnetzwerk. Denn sie wirken entlang des systemtheoretischen und auch konstruktivistischen Ansatzes nach Hejl nicht nur an der Wirklichkeitskonstruktion des Unternehmens mit, sondern sind auch Teil der System-umwelt und agieren in verschiedenen Sozialsystemen.

Vgl.: Habermas, Jürgen: Theorie des kommunikativen Handelns. Frankfurt 1981. Mead, George H.: Geist, Identi-tät und Gesellschaft. Frankfurt 1968. Parsons , Talcott: Aktor, Situation und normative Muster. Frankfurt 1994.

Ders.: Sozialstruktur und Persönlichkeit. Frankfurt 1999.

127 Vgl. dazu Kapitel 6, wo ich mich ausführlich mit dem Kommunikationsbegriff beschäftige.

128 Vgl. dazu die Kapitel 4 und 5 dieser Arbeit.

Aus den genannten Gründen bildet Hejls Definition sozialer Systeme129 die Grundlage für die vorliegende Arbeit. Die Luhmannsche Systemtheorie fließt als wichtiger Eckpfeiler in die Hejlsche Konstruktivismustheorie ein, vor allem in Bezug auf die Definition von System und Umwelt sowie in Bezug auf den Kommunikationsbegriff. Hejl hat aber nicht nur aus radikal-konstruktivistischer Perspekte an die Systemtheorie angeknüpft, sondern hat über die Defini-tion einer konstruktivistischen Sozialtheorie, wichtige Aspekte des sozialen KonstrukDefini-tionis- Konstruktionis-mus aufgenommen: „Genau in diesem Sinne kann man denn auch eine konstruktivistische Sozial-theorie als „nützlich“ verstehen. Sie gibt nicht vor, ein Abbild „der“ sozialen Wirklichkeit anzustreben oder gar anzubieten. Was sie vielmehr intendiert, ist der Vorschlag spezifischer Beiträge zum sozialen Prozeß der Erzeugung von Realitätskonstrukten.“130

Aufgrund dieser Verknüpfungen habe ich mich entschieden, auf der konstruktivistischen So-zialtheorie Hejls aufzubauen. Sie ermöglicht es mir, auf allen Systemebenen (Unternehmen, Abteilungen, Bereiche, Gruppen, Individuen) zu agieren und den empirischen Teil meiner Arbeit auf die Individuen innerhalb des Sozialsystems Unternehmen zu konzentrieren.

129 Vgl. dazu Kapitel 3.

130 Hejl, Peter M.: Konstruktion der s ozialen Konstruktion – Grundlinien einer konstruktivistischen Sozialtheorie.

A.a.O., S. 110f.