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Transformationsprozesse in den staatlichen Wohnsiedlungsgebieten

Im Dokument Stadtentwicklung von Hanoi (Seite 155-161)

3. Stadtentwicklung Hanois seit 1954

3.2 Hanoi nach Einsetzen von Doi Moi

3.2.3 Transformationsprozesse in den staatlichen Wohnsiedlungsgebieten

Die Reformen im Zuge von Doi Moi führten auch in den staatlichen Wohnsiedlungen zu Transformationsprozessen. Ähnlich wie im französischen Kolonialviertel wurden An-bauten an die existierenden Baukörper errichtet, die dadurch stark überformt wurden (vgl.: PHE 1997: 6/EVERTZ 1998: 56/KILGOUR/SMITH 1998: 4). Höfe, Frei- und Grün-flächen wurden besetzt, überbaut und in geeigneten Lagen gewerblich genutzt (HERRLE

1998: 5). Die informellen Anbauten verdoppelten in manchen Fällen die bebaute Grund-fläche, was zu einem Prozess des Zusammenwachsens der ehemals freistehenden Gebäudekörper führte und zur Folge hatte, dass die Wohnsiedlungen in ihrer ursprüng-lichen Form heute kaum mehr zu erkennen sind (vgl.: Abb. Nr. 36) (vgl.: HERRLE 1998:

31/EVERTSZ 1998: 56).

Abb. Nr. 36: Zunahme der Bebauungsdichte durch informelle Anbauten in der staatlichen Wohnsiedlung Thanh Xuan

Schematische Darstellung der baulichen Entwicklung in der Wohnsiedlung Thanh Xuan nach 1986

Quelle: verändert nach: Herrle 1998: 48.

Phase 1

Ausgangssituation Phase 2

Öffentliche Straße

Parzelle Wohnhaus

Am Ende des beschriebenen Transformationsprozesses ähnelt die Typologie der Be-bauung und die Art der wirtschaftsräumlichen Nutzung mehr der des 36-Gassen-Gebiets als dem klassischen sozialistischen Mietwohnungsbau (vgl.: HERRLE 1998: 5).

Eine Erweiterung der Wohnfläche erreichten die Bewohner in den höheren Etagen durch das Anhängen oder Vergrößern von Balkonen oder erkerartigen, rundum vergitterten Freiplätzen (sogenannte birdcages oder vietnamesisch: long treo) (o.V.: 1997D/o.V.:

1997H). Die birdcages an den Außenfassaden dienen als zusätzlicher Wohn-, Wirtschafts- oder Lagerraum (v.a. als Küchenfläche) und sind heute für fast alle in sozialistischer Zeit errichteten Wohnblöcke merkmalsprägend (vgl.: Abb. Nr. 37) (vgl.:

PÉDELAHORE 1997: 4). Auf Straßenniveau erfolgte die Errichtung eingeschossiger - oder in Absprache mit den Nachbarn mehrgeschossiger - Anbauten, die in höheren Etagen

der Wohnungserweiterung und ebenerdig häufig der gewerblichen Nutzung als Geschäfts- oder Lagerfläche dienen. Die Nutzung und Überbauung der ehemaligen Grün- und Freiflächen zur Geschäftstätigkeit setzte unmittelbar nach dem Beginn der Öffnungspolitik ein: Zunächst wurden einfache improvisierte Verkaufsstände errichtet, später erhöhte sich der Formalisierungsgrad durch die Errichtung von festeren Laden-konstruktionen, z.B. garagenartigen Verkaufsbauten, die nun zum großen Teil keinen temporären Charakter mehr aufweisen86 (vgl.: HERRLE 1998: 48/LUAN/VINH 1997: 51).

Insgesamt weist der Markthandel in den Großwohnsiedlungen gegenüber dem Einzel-handel in Ladenlokalen eine höhere Bedeutung auf als in den Innenstadtgebieten. In den vom Staat errichteten Wohnsiedlungen wird die privatwirtschaftliche Überformung in erster Linie von Bewohnern der Häuser selbst und teilweise auch von Zugezogenen getragen (vgl.: HERRLE 1998: 25). Die Triebfeder für die Ausübung von Geschäftstätig-keiten durch die Bewohner liegt in der Notwendigkeit begründet, zusätzliches Ein-kommen zu erlangen.

Abb. Nr. 37: Birdcages einer staatlichen Großwohnsiedlung

Birdcages einer staatlichen Wohnsiedlung im Dong Da Distrikt

Quelle: Eigene Aufnahme, September 1997.

86 PÜTZ (1998: 213) weist für Großwohnanlagen in Polen eine ähnliche Entwicklung nach. Auch dort konnten keine leerstehenden Ladenlokale revitalisiert werden, so dass in der frühen Phase des

Transformationsprozesses viele Ladenlokale in umfunktionierten Garagen oder umgebauten Wohnungen eröffnet wurden.

3.2.4 Die Planungsebene: Der Masterplan von 1990

Spätestens nach Einsetzen von Doi Moi wurde von der Regierung erkannt, dass der Leningrad-Plan von 1984 nicht zu realisieren war, da er zuviel Fläche beanspruchte und in keiner Weise an die wirtschaftlichen Gegebenheiten und Lebensgewohnheiten in Vietnam angepasst war. Mit der Erstellung eines neuen Plans wurde im Jahre 1990 ein sehr erfahrenes Team beauftragt, das vom stellvertretenden Premierminister TRAN DUC

LUONG, dem Bauminister NGO XUAN LOC sowiedem Bürgermeister von Hanoi LE AT

HOI angeführt wurde (FORBES/KE 1996: 85). Der neue Master- oder Landnutzungsplan sollte in Abstimmung mit den jeweiligen sozioökonomischen Entwicklungsplänen für Vietnam und Hanoi die Entwicklung der Hauptstadt bis zum Jahr 2010 vorzeichnen.

Die konkrete Ausarbeitung wurde als gemeinschaftliches Planungsvorhaben von dem innerhalb des Bauministeriums angesiedelten NIURP sowie vom Stadtplanungsamt Hanois vorgenommen, die bei der Erstellung des Plans die von speziell gebildeten Ar-beitsgruppen der verschiedenen Ämter der Stadtverwaltung gemachten Eingaben be-rücksichtigen mussten (vgl.: FORBES/KE 1996: 85). Nach Fertigstellung des recht all-gemein gehaltenen Plans durchlief dieser eine Vielzahl von Instanzen, bis er schluss-endlich im Dezember 1993 von der Regierung verabschiedet wurde (LOGAN 1995A: 336). Im September 1994 wurde der Plan erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt (vgl.:

REES 1997: 9).

Die wichtigsten Ziele des Masterplans sind (vgl.: FORBES/KE 1996: 87f.):

· Die Beschränkung der Bevölkerungszahl in den Innenstadtbezirken Hanois auf 1,5 bis maximal 2 Millionen Personen bis zum Jahr 2010;

· Die Ausweitung des Stadtgebiets um 9.000 bis 12.000 ha in Richtung Nordwesten ent-lang des Westsees, wo ein neu zu errichtendendes Geschäftszentrum mit Hochhausbauten entstehen soll. Die Uferrandzonen des Westsees sollen dabei vor allem der Naherholung und dem Tourismus dienen;

· Die Entwicklung der Innenstadtbezirke entlang von Ausfallstraßen;

· Die Anerkennung der Wichtigkeit des Schutzes der historischen Bausubstanz im 36-Gas-sen-Gebiet und im französischen Kolonialviertel;

· Die Heraushebung des Umweltschutzes, insbesondere der Reinhaltung der Seen und Flüsse;

· Die Ausweisung von neuem Bauland;

· Die Verbesserung und der Ausbau der Infrastruktur, die dem Wiederaufbau von existie-renden Industriegebieten und der Entwicklung von neuen industriellen Zonen dienen soll;

· Die Verbesserung der Infrastruktur im Bereich des Strassen- und Brückenbaus, des Ver-kehrs und der Wasserversorgung;

· Die Aufwertung des internationalen Flughafens Noi Bai sowie des inländischen Flugha-fens Gia Lam;

· Die Sicherung der Finanzierung und Einhaltung des Plans durch verschiedene Geldgeber;

neben der Regierung sollen u.a. auch private Unternehmen sowie ausländische Investoren beteiligt werden.

Karte Nr. 6: Masterplan von Hanoi, Stand 1996

Masterplan für die Stadt Hanoi, 1996

Quelle: verändert nach: NIURP 1997.

Der inzwischen mehrfach aktualisierte Plan weist dem 36-Gassen-Gebiet eine Rolle als Handels- und Touristenzentrum zu, das erhalten und renoviert werden muss, beinhaltet aber keine konkreten Einzelmaßnahmen, die den Schutz dieses Gebiets betreffen.

Im April 1996 wurde der Regierung ein ergänzter Masterplan zur Verabschiedung vor-gelegt, der aufbauend auf dem Plan von 1990 mit Unterstützung von mehr als zehn aus-ländischen Organisationen und Unternehmen entwickelt wurde (EVERTSZ 1997: 20). Im August 1998 wurde von der Regierung die jüngste Version des Masterplans verab-schiedet, der die Entwicklung der Stadt bis zum Jahr 2020 vorzeichnen soll und erstmals die Hanoi umgebenden Provinzen in die Planung mit einschließt. Nach diesem Plan sollen in einem Radius von 30 bis 50 km von Hanoi entfernt neu zu errichtende Satellitenstädte den Bevölkerungsdruck auf die Innenstadt verringern (vgl.: HO/BINH

1996: 36f./UNDP 2000A: 6f.). Alle dieser geplanten Satellitenstädte liegen außerhalb der als städtisch klassifizierten Distrikte und einige sogar außerhalb der Municipality-Grenzen, ohne das allerdings bislang eine dafür notwendige zwischen Municipality- und Staatsebene angesiedelte Raumordnungskommission existiert (vgl.: UNDP 2000A: 34).

Während in der eigentlichen Kernstadt die Bevölkerungszahl 800.000 nicht überschreiten soll, geht der Plan für die gesamte Agglomeration von einer Einwohner-zahl von 5 Mio. Einwohnern im Jahr 2020 aus (NGOC 1998/DUC 1998).

Die Realisierung dieses mit sehr hohen Kosten verbundenen Vorhabens erscheint ange-sichts mangelnder qualifizierter personeller und finanzieller Ressourcen der staatlichen Stellen und der anhaltenden Zurückhaltung ausländischer Investoren - zumindest zum jetzigen Zeitpunkt – äußerst fragwürdig.

Im Dokument Stadtentwicklung von Hanoi (Seite 155-161)