• Keine Ergebnisse gefunden

Städtebauliche Transformationen, 1920-1945

Im Dokument Stadtentwicklung von Hanoi (Seite 93-96)

2. Geschichtliche Entwicklung Hanois von den Anfängen bis 1954

2.3 Französische Kolonialherrschaft

2.3.6 Städtebauliche Transformationen, 1920-1945

Anfang der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts wurde unter dem Generalgouverneur MAURICE LONG in Hanoi eine zentrale Behörde geschaffen, die Stadtplanung und Städ-tebau für ganz Indochina koordinieren sollte (PÉDELAHORE 1992: 32). Dies wurde aus verschiedenen Gründen notwendig: Zum einen hatten die Franzosen erkannt, dass in der Vergangenheit die Bautätigkeit zu unkontrolliert verlaufen war (insb. in Saigon), zum anderen hatten die Stadtverwaltungen ihre Prioritäten zu häufig falsch gesetzt (vgl.:

WRIGHT/RABINOW 1982: 36): Repräsentative Großprojekte (z.B. der Bau des Stadt-theaters von Hanoi) waren oft weniger prestigeträchtigen, aber dafür dringlicheren Auf-gaben vorgezogen worden, wie etwa dem aus hygienischen Gründen40 notwendigen Ausbau eines Kanalisationssystems (bspw. in Hanoi), eine Politik, die WRIGHT (1991:

183f.f.) als „superficial urbanism“ bezeichnet. Außerdem hatte man erkannt, dass für die Umsetzung von Stadtentwicklungsplänen die gesetzlichen Grundlagen und finan-ziellen Mittel fehlten, wie an dem Scheitern des ersten Stadtentwicklungsplans für Hanoi, dem sogenannten Ebra-Plan 1920 deutlich geworden war (vgl.: MACLAREN

1995: 44). Darüber hinaus erfuhr Anfang der zwanziger Jahre die traditionelle vor-koloniale Architektur Vietnams eine zunehmende Wertschätzung, die mit einer Kritik an der Missachtung und Zerstörung vieler historischer Bauwerke unter französischer Herrschaft einherging und die man besser zu schützen versuchte (vgl.: KOPERDRAAT

1998: 36).

Mit der Schaffung des Posten eines „Urbaniste pour la Colonie“ (mit angegliederter Behörde) sollte eine mittel- und langfristige Stadtplanung erreicht werden (WRIGHT/RABINOW 1982: 32/35). Der erste Leiter dieser zentralen Verwaltungsstelle wurde 1923 der Städtebauer PAUL HÉBRARD. Dieserkonzipierte in der Folgezeit Stadt-entwicklungspläne für die zukünftige Sommerresidenz im Höhenkurort Dalat (1923), für Hanoi (1924) sowie für Saigon, Phnom Penh u.a. (PÉDELAHORE 1992: 33). Das

39 Diese ist auch heute noch erhalten und wird nach zwischenzeitlicher Konvertierung in einen

öffentlichen Kindergarten während der Zeit der staatlichen Plan- und Verwaltungswirtschaft seit Ende der achtziger Jahre wieder als Gebetshaus genutzt (vgl.: o.V.: 1999F).

Hauptmerkmal seiner Pläne waren Zonierungen, die Stadtvierteln bestimmte dominante Funktionen zuweisen sollten. Er unterschied - der Charta von Athen vorgreifend - vier voneinander räumlich zu trennende Hauptfunktionen einer Stadt: Wohnen, Freizeit, Industrie und Verwaltung (vgl.: WRIGHT/RABINOW 1982: 38).

2.3.6.1 Der Plan HÉBRARDs von 1924

HÉBRARDs sogenannter Masterplan für Hanoi sah Stadterweiterungen in Richtung Wes-ten, Süden und Osten vor: Die größte Expansion sollte das Stadtgebiet westlich der Zi-tadelle erfahren, wo er, an den Palast des Generalgouverneurs anschließend, das neue Verwaltungszentrum der Indochinesischen Union schaffen wollte. Ein großer Park, der sich weit über die Fläche des Westsees hinaus nach Norden erstrecken sollte, war für die Naherholung und die Ausübung sportlicher Aktivitäten vorgesehen. Alle Industriean-lagen wollte er, um die Umweltverschmutzung möglichst gering zu halten, auf einem Areal von 10 qkm in dem Stadtteil Gia Lam östlich des Roten Flusses zentrieren und damit isolieren (PÉDELAHORE 1992: 34). Für den Süden Hanois sah der Masterplan aus-gedehnte Wohnviertel vor, deren Anlage von der Gartenstadtidee inspiriert worden war (WRIGHT/RABINOW 1982: 40). Franzosen und Vietnamesen sollten weiterhin segregierte Wohnviertel zugewiesen bekommen (vgl.: WRIGHT 1991: 221f.). Aufgrund der finan-ziellen Engpässe, in die die Union nach Einsetzen der Weltwirtschaftskrise Anfang der dreißiger Jahre geriet, wurde nur sehr wenig von HÉBRARDs ehrgeizigem Flächen-nutzungsplan realisiert, er blieb jedoch bis 1943, als PINEAU und CERUTTI einen neuen, bescheideneren Masterplan vorstellten, offizielle Richtlinie der Stadtplanung (vgl.:

PÉDELAHORE 1998: 5).

2.3.6.2 Das Wirken HÉBRARDsin Hanoi

Als Architekt war PAUL HÉBRARD ungleichbesser in der Lage, seine Ideen zu verwirk-lichen. Seine engen Kontakte zu Forschern der EFEO und seine zahlreichen Reisen ver-schafften ihm profunde Kenntnisse der traditionellen Architektur Chinas, Vietnams und der Khmer, deren Ästhetik und Angepasstheit an die lokalen klimatischen Bedingungen er bewunderte (vgl.: PÉDELAHORE 1992: 35). Er setzte sich dafür ein, dass die 1913 er-lassenen, recht allgemein gehaltenen Gesetze zum Schutz der vorkolonialen Architektur 1924 näher spezifiziert wurden (WRIGHT 1991: 194). Bei seinen Bauwerken wandte er

40 Noch im Jahre 1902 starben in Hanoi 326 Einwohner an einer Choleraepidemie, 213 an der Pest, 79 an der Ruhr und 239 an Malaria, unten ihnen auch 51 Franzosen (vgl.: KY 1995: 81).

sich von der „banalen Nachahmung der französischen Stile“ (v.a. von dem bislang dominierenden monumentalen neoklassizistischen Stil) ab und schuf einen neuen Archi-tekturstil, der traditionelle asiatische und modern-westliche Elemente miteinander ver-band (vgl.: TUAN 1997: 31). Er bezeichnete diese hybride Architektur, die lokale Beson-derheiten wie Kultur und Klima berücksichtigte, als „Style Indochinois“ (PÉDELAHORE

1992: 35). Seine bekanntesten Bauwerke in Hanoi sind das LOUIS FINOT Museum der EFEO (1926 begonnen, 1931 fertiggestellt; heute beherbergt es das Nationalmuseum für vietnamesische Geschichte), das Hauptgebäude der Universität von Hanoi (1926 fertig-gestellt) und das Finanzministerium (fertiggestellt 1931; heute dient es als Sitz des viet-namesischen Außenministeriums). Das letztere Gebäude ist nach SIDEL (1998: 23) viel-leicht das schönste Beispiel für die Verwendung von indochinesischen Architektur-merkmalen.

In den dreißiger und vierziger Jahren wurde der Style Indochinois aufgrund seiner bes-seren Angepasstheit an die lokalen Klimagegebenheiten auch zunehmend von anderen Architekten für die Errichtung von neuen Wohngebäuden im französischen Kolonial-viertel südlich des Hoan Kiem Sees verwandt (vgl.: PÉDELAHORE 1993: 45ff.).

2.3.6.3 Der Plan von PINEAU/CERRUTI 1943

Der starke Bevölkerungsanstieg Hanois veranlasste LOUIS-GEORGES PINEAU und CERRUTI 1943 zur Erstellung eines neuen Masterplans, der jedoch angesichts der an-haltend prekären Finanzlage der Union weitaus bescheidener ausfiel als derjenige HÉBRARDs. Zwar hielten PINEAU/CERRUTI an der Ausweisung eines neuen Verwaltungs-zentrums westlich der ehemaligen Zitadelle fest, die von HÉBRARD geplanten weit-läufigen Parkanlagen im Norden oder die Schaffung einer Industriezone in Gia Lam spielten in ihrem Plan aber keine Rolle mehr (PÉDELAHORE 1992: 43). Für das vor-koloniale Handelsgebiet der 36 Gassen, dessen Existenz und traditionelle Heterogenität der Plan ausdrücklich anerkannte, sahen PINEAU/CERRUTI eine Verbesserung der Straßeninfrastruktur vor. Als Reaktion auf den großen Wohnungsmangel, insbesondere ab 1930 infolge der Zuwanderung von verarmter ländlicher Bevölkerung, erfolgte eine Abkehr von der bisherigen Politik der Errichtung von Einfamilienhäusern: Im Süden der Stadt sollten erstmalig Wohnblocks v.a. für die ärmeren Bevölkerungsschichten zwischen Universitätshotel und Bay Mau See errichtet werden (TUAN 1997: 35/

PÉDELAHORE 1992: 44).

Auch von dem PINEAU/CERRUTI-PLAN wurde aufgrund des 2. Weltkrieges und des nachfolgenden Unabhängigkeitskrieges nur wenig realisiert. Beide Masterpläne dienten jedoch nach der Unabhängigkeit von 1954 einer neuen Generation von vietnamesischen Stadtplanern als Inspiration und Planungshilfe.

2.3.7 Sozioökonomische Entwicklung in Indochina und Hanoi,

Im Dokument Stadtentwicklung von Hanoi (Seite 93-96)