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Bautätigkeiten

Im Dokument Stadtentwicklung von Hanoi (Seite 142-146)

3. Stadtentwicklung Hanois seit 1954

3.2 Hanoi nach Einsetzen von Doi Moi

3.2.1 Transformationsprozesse im 36-Gassen-Gebiet

3.2.1.3 Bautätigkeiten

Als Reaktion auf die schlechte Wohnqualität und gestiegene Einkommen kam es bald nach Einsetzen der Doi-Moi Reformen zu einem baulichen Modernisierungs- und Reno-vierungsboom im 36-Gassen-Gebiet. Diese Erneuerungsprozesse erfolgen überwiegend ungesteuert und werden in der Regel von den in diesem Areal ansässigen Transformationsgewinnern getragen72. LOGAN (1995A: 335; nach NGO QUANG NAM

1993) bezeichnet die zumeist illegalen, nicht genehmigten und rasch errichteten Um-bauten, Anbauten oder Aufstockungen an den Gebäuden als ‚overnight renovations’.

Bereits 1993 galten etwa die Hälfte aller alten Tunnelhäuser im 36-Gassen-Gebiet als zerstört bzw. neu- oder umgebaut (WAIBEL 2000: 15). Obwohl zahlreiche Denkmal-schützer und Stadtplaner aus dem In- und Ausland bereits Ende der achtziger Jahre das Potenzial des 36-Gassen-Gebiets erkannten und in der Folgezeit eine Vielzahl von Plänen und Studien zum Schutz des Gebiets entwarfen73, ging die bauliche Entwicklung bis in jüngste Zeit relativ unkontrolliert vonstatten.

72 Bereits im Zeitraum von 1986 bis 1989 wurden im 36-Gassen-Gebiet etwa 75 % aller Neubauten durch Privatpersonen errichtet (vgl.: REES 1997: 8f.; nach FAHEY 1995: 21)

73 Den meisten Planern ging es dabei weniger um den Erhalt einzelner Tunnelhäuser. Diese sind einer Studie zufolge, in der über 2.300 Häuser in 33 Straßen im 36-Gassen-Gebiet untersucht wurden, nur scheinbar alt: 7 % der Gebäude sind vor 1900, 9 % zwischen 1900 und 1930, aber 84 % erst nach 1930 errichtet worden. Die einzelnen Häuser als solche stellen für sich noch keinen besonderen zu erhaltenden Wert dar, sondern gewinnen ihre Bedeutung als Ensemble: Sie – so die zugegebenermaßen idealtypische Vorstellung einiger westlichen Planer – sollten als Basis eines ‚einzigartigen’ kombinierten Lebens-, Wohnungs- und Arbeitsraumes erhalten bleiben, um den Bewohnern die Möglichkeit zu geben, ihre

‚traditionelle Lebens- und Arbeitsweise’, ihren ‚way of life’, fortzuführen (vgl.: LOGAN 1995A:

338/WATKINS 1997: 72/WAIBEL 2000: 15). Konsequenterweise würde dies bedeuten, dass im Zuge von Sanierungsmaßnahmen die ansässige Bevölkerung nicht verdrängt wird, damit die ungebrochene Vitalität dieses traditionellen Handels- und Gewerbegebietes erhalten bleibt (vgl.: o.V. 2000A: 18). Diese

Auffassung steht allerdings im Widerspruch zu konkreten Plänen des Volkskomitees des Hoan-Kiem-Distrikts, das vorhat, in den nächsten fünf Jahren 17.500 Haushalte aus dem Gebiet der 36 Gassen auszusiedeln (vgl.: AUSAID 1997B: 10/THUY 2000: 26).

Folgende Faktoren erschweren die Umsetzung großräumiger74 Schutzmaßnahmen (vgl.:

PÜTZ 1998: 91f./o.V. 2000A: 17/WAIBEL 2000: 15):

1) Das gesamte Gebiet weist eine kleinteilig-zersplitterte Parzellenstruktur auf, die ein großes Hindernis für die Umsetzung von großräumigen Planungs- und

Sanierungsvorhaben darstellt.

2) Es fehlt der Stadtverwaltung an finanziellen Mitteln für großräumige Sanierungs- oder Umsiedlungsmaßnahmen. Internationale Organisationen finanzierten zwar eine Vielzahl von Plänen, nicht aber konkrete Umsetzungsmaßnahmen.

3) Die Bewohner selbst wollten sich - etwa im Zuge von Entkernungsmaßnahmen – nicht aus dem zentralen 36-Gassen-Gebiet in periphere Stadtgebiete umsiedeln lassen.

4) Für die Umsetzung von solchen Projekten fehlte es an ausreichenden institutionellen Voraussetzungen und adäquat ausgebildetem Fachpersonal aus dem Bereich der Stadtar-chitektur und Stadtplanung. Bis 1995 existierten zudem fast keine konkreten baurecht-lichen Richtlinien zum Schutz des 36-Gassen-Gebiets (transformationstypische Phänome der institutionellen Lücke und der sog. time lags75).

5) Baurechtliche Bestimmungen werden ignoriert, per Bestechung außer Kraft gesetzt oder die eventuell folgende Zahlung von Bußgeldern in Kauf genommen.

Neubauten werden in der Regel auf den Parzellen der alten Tunnelhäuser errichtet, weisen im Gegensatz zu früher jedoch deutlich höhere Geschosszahlen auf, um mehr Wohnfläche zu schaffen (vgl.: Abb. Nr. 30 u. Abb. Nr. 31). Aus dem gleichen Grund werden die meisten neuen Gebäude auch mit (teilweise geschwungenen) Balkonen ver-sehen. Die typische Geschosszahl der Neubauten bewegt sich zwischen drei und fünf Stockwerken, wobei einige Mini-Hotels76 sogar eine Geschosshöhe von bis zu 7 Stockwerken aufweisen können.

74 Im kleinräumigen Maßstab sind in jüngster Zeit hingegen erste Erfolge erzielt worden: Im Jahre 1999 konnten mit finanzieller Unterstützung der französischen Stadt Toulouse, der Europäischen Union und anderen Trägern erstmals zwei Einzelgebäude im 36-Gassen-Gebiet fachgerecht restauriert werden. Dabei handelt es sich zum einen um ein in der Hang Dao Str. 38 gelegenes Versammlungshaus, das ursprünglich aus dem 17. Jahrhundert stammt (vgl.: HOA/HUONG 9.10.2000). In dieses Haus ist die Verwaltung einer 1998 neu geschaffenen Behörde (dem Ancient Quarter Management Board) angesiedelt worden, die ausschließlich für den Schutz des Baubestands des 36-Gassen-Gebiets verantwortlich ist (Information aus einem Gespräch mit Herrn TON ANH TUAN, Deputy Municipal Planner in Chief of Hanoi [Büro des Chefarchitekten], am 27.02.1999). Zum anderen handelt es sich um ein von Chinesen erbautes Tunnelhaus in der Ma May Str. 87, welches nach der Renovierung in ein Gebäudemuseum (show house) umgewandelt wurde (o.V. 2000A: 17/THUY 2000: 26).

75 Darunter versteht man in der Transformationsforschung das Fehlen von an das neue Wirtschafts- und Gesellschaftssystem angepasster Verwaltungsorganisationen und Gesetze sowie Zeitverzögerungen, die sich durch die Dauer des entsprechenden institutionellen Umbaus ergeben (vgl.: PÜTZ 1998: 91f.)

76 Allein in den Jahren 1991/92 wurden in Hanoi ca. 1.000 Mini-Hotels für in- und ausländische Touristen errichtet, viele davon im 36-Gassen-Gebiet (vgl.: TANA 1996: 16).

Abb. Nr. 30: Beispiele für Neubautätigkeiten im 36-Gassen-Gebiet Neubaubautätigkeiten im 36-Gassen-Gebiet Nutzung als Ladeneinzelhandelsgeschäfte

und als Wohnraum (Erdgeschoss)) (sonstige Geschosse

Quelle: Eigene Aufnahmen, April 1998.

Standort: Hang Ma Str. Standort: Hang Can Str.

Die Flachdächer der Neubauten dienen den Bewohnern häufig als Dachterrasse, die als Ruhe- und Rückzugszone genutzt wird. Die Erdgeschossflächen der neuen Häuser wer-den nahezu ausschließlich für kommerzielle Zwecke genutzt, sei es als Lawer-denlokal, als Foyer eines Minihotels, als Backpackercafé für internationale Touristen – oder in eini-gen Fällen auch als Restaurant. Da die Neubauten in der Regel mit modernen Klima-Kastengeräten versehen und nicht mehr auf natürliche Ventilation angewiesen sind, finden, insbesondere in den zentralen Geschäftsstraßen des 36-Gassen-Gebiets, Schau-fenster und Glastüren zunehmende Verwendung.

Abb. Nr. 31: Neu errichtete Hausfassaden im 36-Gassen-Gebiet von 1987 bis heute Typische Hausfassaden im

36-Gassen-Gebiet seit Einsetzen von Doi Moi

Quelle: SIDA/SWECO 1995. S. 35.

Allgemein lässt sich ein Zusammenhang zwischen Intensität des Handels, Ausmaß der baulichen Überformung, Besitzverhältnissen und räumlicher Lage innerhalb des 36-Gas-sen-Gebiets feststellen: In den für den Handel bedeutendsten Geschäftsstraßen im zent-rumsnäheren südlichen Teil des Areals, etwa der Hang Dao Str., der Hang Gai Str., der Hang Bac Str. oder Cau Go Str. setzten baulich-physiognomische Umgestaltungen im Verlaufe des Transformationsprozesses früher und insgesamt in größerem Maße ein als in den peripherer gelegenen Gassen. Die Häuser in Privatbesitz erfahren dabei in der Regel stärkere baulichen Umformungen als die Häuser in Staats-, Misch- oder Kol-lektivbesitz77.

Während im 36-Gassen-Gebiet die ansässigen Bewohner die wichtigsten Akteure der räumlichen Transformationsprozesse darstellen, spielen im französischen Kolonial-viertel neben den lokalen Bewohnern ausländische und inländische Großinvestoren eine tragende Rolle.

77 An den Besitzverhältnissen der Häuser im 36-Gassengebiet änderte sich hingegen zwischen 1986 und 1997 fast nichts. Im Subdistrikt Hang Dao etwa erfuhren in diesem Zeitraum nur 4 von 436 Häusern eine Veränderung der Besitzform und wurden von Staats- in Privatbesitz überführt (Information aus einem Gespräch mit Herrn VU TU NGUYEN, Leiter des Volkskomitees des Subdistrikts Hang Dao ,am 12.09.1997).

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