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Bevölkerung und Verstädterung

Im Dokument Stadtentwicklung von Hanoi (Seite 107-113)

3. Stadtentwicklung Hanois seit 1954

3.1 Hanoi in der Phase der staatlichen Plan- und Verwaltungswirtschaft

3.1.1 Bevölkerung und Verstädterung

Nach dem Zensus von 1960 betrug der Verstädterungsgrad in Nordvietnam 9,6 % (TURLEY 1975: 377). Fast die Hälfte (42 %) der städtischen Bevölkerung Nordvietnams lebte in der Hauptstadt Hanoi, für die eine Gesamteinwohnerzahl von 634.576 gezählt wurde48 (NIURP 1994A: 7/TURLEY 1975: 377). Auf der 12 qkm großen innerstädtischen Fläche Hanois konzentrierten sich zu diesem Zeitpunkt bereits 458.000 Menschen, so dass die Stadt insgesamt an die Grenzen ihrer Aufnahmefähigkeit stiess. Folglich wurde 1961 die administrative Stadtfläche Hanois von 152 auf 586 qkm stark vergrößert, womit über 250.000 Personen neu in das Stadtgebiet mitaufgenommen wurden, so dass die Einwohnerzahl jetzt ca. 900.000 Einwohner betrug (NIURP 1994A: 8). Mit der Ver-größerung der Stadtfläche wurde zudem das Ziel erreicht, die Hauptursprungsgebiete für

48 Zur Entwicklung der Einwohnerzahl Hanois von 1943-1989 vgl.: Abb. Nr. 20 im gleichen Abschnitt.

die Versorgung mit landwirtschaftlich erzeugten Produkten in den Zuständigkeitsbereich der Stadt einzugliedern (vgl.: THRIFT/FORBES 1986: 145).

1965 wohnten bereits mehr als 4 % der gesamten Bevölkerung Nordvietnams in Hanoi, 1945 hatte dieser Anteil noch bei 1,2 % gelegen (TURLEY 1975: 380). Die Stadt Hanoi baute damit in dieser Periode ihre Primatstellung innerhalb des Städtesystems Nord-vietnams aus. Die Stadtentwicklungsphase in Nordvietnam von 1954-1965 bezeichnen THRIFT/FORBES (1986: 88f.) nach dem von MURRAY/SZELENYI (1984) für Russland entwickelten Modell über sozialistische Stadtentwicklung als Phase des ‚langsamen städtischen Wachstums’ (slow urban growth49). Diese ist durch ein deutlich höheres Wachstum des Anteils der landesweit in der Industrie Beschäftigen gegenüber der Zahl der in den Städten lebenden Bevölkerung gekennzeichnet (vgl.: Tab. Nr. 4).

Tab. Nr. 4: Industrialisierungs- und Verstädterungsgrad in Nordvietnam, 1955-1965

1955 1960 1965

Verstädterungsgrad in v.H. 7,4 9,6 9,8

Anteil der Industriebeschäftigten an der Gesamtzahl der

Erwerbs-tätigen in v.H. 18,2 25,7 27,6

Quelle: Thrift/Forbes 1986: 92; nach Nguyen Thy 1974.

Nach Beginn der amerikanischen Luftangriffe und Bombardierungen auf das nordviet-namesische Gebiet im Jahre 1965 setzte nach THRIFT/FORBES (1986: 91/96) die Phase des ‚zero-urbgrowth’ ein, die bis zum Ende der Bombenangriffe im Jahre 1973 an-dauerte. Während dieser Phase sank die Stadtbevölkerung Nordvietnams sowohl in ab-soluten als auch in relativen Zahlen.

Die Stadtverwaltung Hanois reagierte auf die amerikanischen Luftangriffe mit Massen-evakuierungen der Bevölkerung und der Verlagerung von Industriebetrieben sowie Ver-waltungsstellen in ländliche Gebiete. Während eine erste Evakuierungswelle im Februar 1965 nur ca. 50.000 Einwohner Hanois (v.a. Kinder und Rentner) erfasste, mussten nach Anlaufen der amerikanischen Operation ‚Rolling Thunder’ im April 1966 zwischen einem Drittel und der Hälfte der Bevölkerung Hanois die Stadt verlassen und fortan in den 40 bis 60 km von Hanoi neu angesiedelten Fabriken und Behörden arbeiten bzw.

dort Schulen besuchen (TURLEY 1975: 380). Anfang 1968 erreichte die Einwohnerzahl

49 Diese Phase wurde von MURRAY/SZELENYI ursprünglich als underurbanisation-Phase bezeichnet (vgl.:

THRIFT/FORBES 1986: 38f.). Zur weiteren Diskussion der Anwendbarkeit dieses Modells für Vietnam während der Phase der staatlichen Plan- und Verwaltungswirtschaft siehe ANDERSON/SJÖBERG (1996:

238ff.).

Hanois mit ca. 400.000 Personen einen absoluten Tiefstand (vgl.: Abb. Nr. 20) (THRIFT/FORBES 1986: 146). Nachdem die US-Führung im April 1968 beschloss, nur noch Gebiete südlich des 20. Breitengrads zu bombardieren, kehrte die Stadtbevölkerung (zunächst nur an Wochenenden) allmählich nach Hanoi zurück. Da die staatlichen Behörden und Fabriken jedoch weiterhin in die ländlichen Gebiete verlagert blieben und die Regierung weitere Luftangriffe befürchtete, ging der Wieder-anstieg der Bevölkerung Hanois zunächst vergleichsweise langsam vonstatten. Noch 1970 war die Einwohnerzahl Hanois um ca. 200.000 niedriger als 1961 (TURLEY 1975:

381). Als die Stadt in der Folgezeit von weiteren Bombenangriffen verschont blieb, stieg die Einwohnerzahl bis 1972 wieder stark auf insgesamt 1,2 Mio. Personen an.

Nachdem die Amerikaner im April 1972 die Bombardierungen auf Hanoi wiederauf-nahmen, kam es zu einer neuerlichen, rasch durchgeführten Massenevakuierung, die insgesamt 720.000 Personen, also 60 % der Gesamtbevölkerung Hanois erfasste. Aus den Innenstadtbezirken wurden sogar 75 % der Einwohner evakuiert (TURLEY 1975:

384f.). Der Erfolg der Evakuierungsmaßnahmen zeigte sich während der massiven Bombenangriffe im Dezember 1972. Diese führten zwar zu großen Zerstörungen der noch vorhandenen Industrieanlagen, der technischen Infrastruktur (Hafenanlagen, Telekommunikationseinrichtungen, Eisenbahnlinien, etc.) sowie der Vernichtung von Wohnraum für ca. 90.000 Personen50; die Zahl der menschlichen Opfer ist aber ange-sichts der schweren Bombardements mit ca. 2.000 als vergleichsweise gering einzu-schätzen (TURLEY 1975: 387f.f.). Während in den Außenbezirken Hanois die Zerstö-rungen sehr groß waren, nahmen in der Innenstadt nur wenige Bauwerke durch die Bombardements der Amerikaner Schaden (THRIFT/FORBES 1986: 97). Die beiden be-deutendsten waren die Long Bien Eisenbahnbrücke über den Roten Fluss und das Hauptgebäude des Bahnhofs (vgl.: LOGAN 1994: 46).

Nach der endgültigen Einstellung der Luftangriffe 1973 strömten sehr schnell nicht nur die ehemaligen Bewohner Hanois in die Hauptstadt zurück, sondern auch viele Flücht-linge aus dem gesamten Gebiet Nordvietnams, deren Behausungen durch die Bomben-angriffe der Amerikaner zerstört worden waren (TURLEY 1975: 389). Die Stadt war überfüllt, die Verwaltung chaotisch und die Korruption nahm große Ausmaße an (THRIFT/FORBES 1986: 148). Da die staatlichen Handelsunternehmen nicht in der Lage

50 Die Einschätzung eines sowjetischen Korrespondenten vom Mai 1973, dass die Amerikaner durch ihre Bombenangriffe ein Viertel des in Hanoi vorhandenen Wohnraumes vernichtet hätten, ist wohl

übertrieben und eher der Propaganda zuzuordnen (vgl.: TURLEY 1975/76: 388f.).

waren, die Stadtbevölkerung ausreichend mit Nahrungsmitteln zu versorgen, nahm der Privathandel wieder zu, und auch der Schwarzmarkt wurde als Versorgungsquelle für landwirtschaftliche Produkte und andere lebenswichtige Produkte von den staatlichen Behörden toleriert (vgl.: MACLAREN 1995: 55). Insbesondere der Handwerkssektor spielte in diesen Krisenjahren eine wichtige Rolle als Arbeitgeber und beschäftigte 1974 in Hanoi zwischen 50.000 und 60.000 Personen (vgl.: THRIFT/FORBES 1986: 148).

Bereits 1974 erreichte der Verstädterungsgrad in Nordvietnam ein höheres Niveau als vor 1965 und die Stadtentwicklung war im Folgenden wieder durch die Phase des slow urban growth charakterisiert (vgl.: THRIFT/FORBES 1986: 97). Der im April 1974 durch-geführte Zensus ergab eine Einwohnerzahl für die Gesamtstadt Hanoi von 1.378.335 Personen, wovon sich 736.211 in den Innenstadtbezirken aufhielten (TURLEY 1975:

390). Gegenüber der administrativen Neugliederung von 1961 hatte die Bevölkerung Hanois um 53,1 % und damit etwas stärker als im nationalen Durchschnitt (49,4 %) zu-genommen (TURLEY 1975: 390). Der Anstieg während dieser Periode ist je zur Hälfte auf natürliche Bevölkerungszunahme sowie auf Migration zurückzuführen (TURLEY

1975: 390).

Der Wiederaufbau in Hanoi ging nach 1974 jedoch nur schleppend voran: Der neu ge-schaffene Wohnraum konnte trotz starker finanzieller und personeller Unterstützung durch die Sowjet-Union (und durch andere sozialistische „Bruderstaaten“) die Nach-frage bei weitem nicht decken und Wohnungsmangel war während der gesamten Phase der staatlichen Plan- und Verwaltungswirtschaft ein bleibendes Charakteristikum in Hanoi. Die durch die Luftangriffe zerstörte Infrastruktur konnte erst nach und nach instand gesetzt werden und ist bis in jüngte Zeit insgesamt in einem maroden Zustand (vgl.: SOCIALIST REPUBLIC OF VIETNAM/REPUBLIC OF FINLAND 1994: 5).

Nach einer weiteren administrativen Vergrößerung der Stadtfläche Hanois im Jahre 1978 von 568 auf 2.123 qkm erreichte die Einwohnerzahl Hanois beim Zensus 1979 2.579.905 Einwohner, wovon knapp 800.000 Personen in den kernstädtischen Gebieten lebten (NIURP 1994A: 7).

Zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung 1976 schätzt FORBES (1996: 27) den Verstäd-terungsgrad auf dem Gebiet Nordvietnams auf ca. 12 %. Die Phase des slow urban growth setzte sich in Nordvietnam auch nach 1976 bis Mitte der achtziger Jahre fort51.

51 Im ehemaligen Südvietnam kam es hingegen zu einer Phase der massiven ‚Deurbanisierung’, in der allein aus Ho Chi Minh Stadt zwischen 1976 und 1980 ca. 840.000 Personen in sogenannte ‚Neue Ökonomische Zonen’ umgesiedelt wurden; etwa 200.000 Stadtbewohner Südvietnams wurden von 1976 -1978 in

Der langsame Anstieg der in den Städten lebenden Bevölkerung ist auf verschiedene Ur-sachen zurückzuführen (vgl.: THRIFT 1987A: 343/THRIFT/FORBES 1986: 126-129): Ein wichtiger Faktor war das auch in anderen sozialistischen Staaten praktizierte diri-gistische System der Haushaltsregistrierung. Dieses schränkte die räumliche Mobilität der Bevölkerung durch Kopplung der Zuteilung von Bezugsscheinen für staatlich sub-ventionierte Grundnahrungsmittel an den eingetragenen Wohnort stark ein (vgl.: UNDP 1998C: 5). Dieses System ermöglichte dem Staat, Migrationsbewegungen je nach Bedarf zu regulieren und damit die Zuwanderung in die Städte zu kontrollieren (vgl.: MCGEE

1995: 258f.). Des weiteren führten das Fehlen finanzieller Mittel und der permanente Mangel an Zement zu einem nur langsamen Wiederaufbau der zerstörten Städte und Industrieanlagen. Insgesamt wurde dem Haus- und Wohnungsbau in Nordvietnams Städten gegenüber der Errichtung von militärischen Bauwerken nur eine niedrige Priorität eingeräumt. Darüber hinaus dämpften großangelegte Umsiedlungsprogramme von den dichtbevölkerten Rote Fluss Delta Provinzen in die an China grenzenden Bergprovinzen und in das Zentrale Hochland im Süden den Bevölkerungsdruck auf die nordvietnamesischen Städte. Außerdem erfuhren in den Jahren 1978/79 die beiden größten Städte Nordvietnams, Hanoi und Haiphong, einen beträchtlichen Bevöl-kerungsverlust durch die Flucht der ansässigen ethnischen Chinesen (vgl.: Kap. 3.1.4).

Da zudem aufgrund der leichteren Verfügbarkeit von landwirtschaftlich erzeugten Lebensmitteln der Lebensstandard für weite Teile der Bevölkerung in den ländlichen Gebieten höher war als in den Städten, fehlte die Motivation für Land-Stadt Migrationen in größerem Umfang (vgl.: SCHAPLEN 1986: 69). Alle diese Faktoren trugen dazu bei, dass sich der Anteil der Einwohner Hanois an der Stadtbevölkerung Nordvietnams sowie der Verstädterungsgrad Nordvietnams insgesamt von 1975-1986 nur unwesent-lich änderten (vgl.: THRIFT/FORBES 1986: 127). Im Jahr 1984 zählte die Bevölkerung Hanois 2.674.000 Einwohner, wovon 826.900 in den kernstädtischen Bezirken lebten (THRIFT/FORBES 1986: 149).

sogenannte Umerziehungslager geschickt und ca. 1 Mio. Menschen flohen zwischen 1975 und 1982 aus Vietnam, unter ihnen viele als boat people (vgl.: FORBES 1995: 798/THRIFT 1987A: 343). Der

Verstädterungsgrad sank landesweit von 20,6 % im Jahre 1976 auf einen Tiefstand von 18,5 % im Jahre 1982, bevor er langsam bis 1989 wieder auf 19,8 % anstieg (vgl.: FORBES 1996B: 29f.).

Abb. Nr. 20: Entwicklung der Einwohnerzahlen Hanois, 1943-1989

1943194619491952195519581961196419671970197319761979198219851988 JahrQuelle: verändert nach: Thrift/Forbes 1986: 147 u. NIURP 1994: 7f.

Hanoi Die Entwicklung der Einwohnerzahlen, 1943-1989 Änderung der administrativen Grenzen

Änderung der administrativen Grenzen

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