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Theoretische und methodische Überlegungen zu einer Analyse des Holocaust-Diskurses

Im Dokument Rosa-Luxemburg-Stiftung Manuskripte 51 (Seite 122-129)

Zur konstruktiven Verfertigung von Vergangenheit im Schreiben

3. Theoretische und methodische Überlegungen zu einer Analyse des Holocaust-Diskurses

Mein Ziel in der Betrachtung der genannten Medienkontroversen ist es

herauszufinden, wie jeweils der Versuch unternommen wird, die geschilderte Aporie von positiver Identitätssuche auf der einen Seite und Gedenken bzw.

Anerkennung der millionenfachen Opfer Deutschlands auf der anderen Seite aufzulösen.

Hierbei ist es wichtig, die einzelnen Debatten in ihrem Zusammenhang zu betrachten. Das heißt, dass ich in meiner Arbeit davon ausgehe, dass die einzelnen Diskursereignisse sich nicht nur aufeinander beziehen lassen, sondern „an sich“ aufeinander bezogen sind.

Als kurze Illustration an dieser Stelle soll ein Beispiel dienen: Schaut man sich die Vorgänge in den Jahren 1996 und 1997 an, wird schnell deutlich, dass die sehr plötzlich und scheinbar unvermittelt einsetzende Skandalisie-rung der sogenannten Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung zu Beginn des Jahres 1997 - genauer: mit Beginn der Station der Wanderausstellung in München - nur zu verstehen ist, wenn man sie im Zusammenhang mit der ein Jahr zuvor beginnenden Kontroverse um Goldhagens Dissertationsschrift „Hitler’s willing executioners“ betrachtet.

121 Wobei gesagt werden muss, dass die Wehrmachtsausstellung ebenfalls mehrere diskursive Schübe hervorbrachte. Zentrale Ballungszeiträume dieser Debatte waren das Frühjahr 1995, das Frühjahr 1997 und der Herbst 1999.

Die hierzu geführte Auseinandersetzung, die sich schnell in eine Debatte um die vermeintlich von Goldhagen vorgetrageneKollektivschuldthese ent- wickelt hatte, muss als Matrix für die im Jahr 1997 vor allem von Funktionären der CSU vorgetragenen Kritik an der Wehrmachtsausstellung als einer „Pauschalverurteilung des deutschen Volkes“ gesehen werden. Hier griffen zwei Diskursereignisse direkt ineinander und machten so einander in ihrer konkreten Form überhaupt erst möglich.

Es ist also bereits an diesem kurzen Beispiel deutlich, dass es in der Betrachtung der diskursiven Großereignisse immer um zwei Dinge gleich- zeitig geht: Zum einen müssen die Debatten „an sich“ erfasst werden, das beinhaltet die Fragen: Was ist ihr Auslöser? Was konstituiert sich in ihrem Verlauf als Gegenstand? Welche Aussagen sind im Diskursstrang erlaubt und zugelassen und welche werden herausgedrängt?

Zum anderen muss aber auch ihr Bezug zum untersuchten Gesamtensemble im Blick behalten werden. Das bedeutet in anderen Worten: Die Antworten auf die soeben gestellten Fragen zur ersten Debatte müssen in die darauf-folgende hineingetragen werden. Es schließen sich dadurch darauf-folgende Fragen zusätzlich an: Welche „Wahrheiten“ früherer Debatten finden Eingang? Wie stellt sich dieser Einfluss dar? Werden sie beispielsweise übernommen und weiter ausdifferenziert oder erneut zur Disposition gestellt und vielleicht sogar verworfen? Und so weiter und so fort.

In der konkreten Arbeit am Pressematerial arbeite ich mit einem an Foucault angelehnten Diskursbegriff. Der Begriff „Holocaust-Diskurs“, der sich aus dieser methodischen Vorwahl ergibt, ist zunächst noch sehr allgemein. In meiner Arbeit findet er jedoch drei wesentliche Eingrenzungen. Zunächst wird das Feld der Untersuchung auf Deutschland begrenzt, dann auf den besagten Zeitraum und zuletzt auf die printmediale Sphäre.

Ich habe mich für diesen spezifischen Strang entschieden, weil er einige Eigenschaften besitzt, die anderen Bereichen des Diskurses abgehen, und die ihn in ganz besonderer Weise auszeichnen: Es verhält sich mit meinem Gesamt-Untersuchungsgegenstand nämlich so ähnlich, wie mit der eben kurz vorgestellten Mahnmalsdebatte: Die Printmedien und ihre Erzeugnisse stellen zum einen ein hochspezialisiertes diskursives Feld dar - mit eigenen Regeln, Institutionen, spezialisierten TrägerInnen etc. - zum anderen ist es gerade und in besonderem Maße die Presse, die gleichzeitig auch als Vermittlungsforum für andere, ebenso hochspezialisierte Diskursfelder fun- giert. Der von mir betrachtete Teil des Holocaust-Diskurses ist also beides:

hochgradig spezialisiert und denkbar allgemein.

In eher theoretischer Hinsicht stellen sich weitere Fragen an die zu analysie-renden Zeitungstexte. Ich möchte daher an dieser Stelle kurz einige dieser Fragen skizzieren.

Wenn ich eben von der allgemeinen Kategorie „Holocaust-Diskurs“

gesprochen habe, dann ist die akademische Beschäftigung mit den histo-rischen Ereignissen ebenfalls als Teil hiervon zu betrachten. Das bezieht sowohl die institutionelle als auch inhaltliche Ebene mit ein - wenn man diese beiden Aspekte überhaupt so voneinander trennen kann.

In der Forschung hat sich seit den späten 1980er Jahren - also parallel zu meinem Untersuchungszeitraum - eine zentrale Verschiebung in der Be- schäftigung mit dem Holocaust und seinen Folgen vollzogen. Sukzessive ist seit diesem Zeitpunkt die Kategorie des Gedächtnisses ins Zentrum des akademischen Interesses getreten. Das Gedächtnis war im Rahmen dieser Veränderung von Beginn an als Antithese zur der bis dahin unangefochtenen Form des Vergangenheitsbezugs gesetzt: zur Geschichte beziehungsweise Geschichtsschreibung.

Diese dichotomische Betrachtungsweise war nicht neu - die Gegenüber- stellung existiert bereits seit der Antike -, sie hat jedoch seit Beginn der 1990er immer stärker an Bedeutung gewonnen und dementsprechend auch Einfluss auf die Veröffentlichungen zum Thema genommen. Kaum eine Publikation, die sich nicht im immer wieder aufs Neue behaupteten Spannungsfeld zwischen Geschichte und Gedächtnis verortet und dieses zum Ausgangspunkt ihrer Betrachtungen erklärt.

Dabei lässt sich zunächst fast übersehen, dass die so oft zitierten Begriffe in ihrer ständigen Wiederholung seltsam unscharf bleiben, dass die starke These dieser Arbeiten also meist im strukturellen Moment der Gegenüber-stellung liegt und weniger in der genauen Bestimmung der Begriffe.

Allgemein lässt sich jedoch festhalten, dass die Geschichte gängigerweise als universell bzw. universalistisch und objektiv definiert wird; das

„Gedächtnis“ und „Erinnerung“ hingegen als trägergebunden, sprich:

identitätskonkret und -relevant, sowie als subjektiv erscheinen. Diese Gegen- überstellung durchzieht das gesamte Forschungsfeld. Das hier aufgemachte Spannungsverhältnis kann als Antriebsmotor der neueren und sehr populären Gedächtnisforschung - zumindest in ihrer kultur- und geschichtswissen- schaftlichen Ausprägung - bezeichnet werden.

Um diese Entwicklung zu rekapitulieren und kritisch zu befragen, werden im theoretischen Vorspann meiner Dissertation vier Autoren vorgestellt und diskutiert, die mit ihren Schriften zu ihren Zeiten prägend für ein bestimmtes Begriffsverständnis waren oder sind. Anhand ihrer zentralen Texte wird der Versuch unternommen, die Kanäle nachzuzeichnen, durch die das Ver-

ständnis der Begriffe und Konzepte rund um „Geschichte“ und „Gedächtnis“

ihren Weg bis zur heute gängigen Verwendung nahm. Für die Vorstellung des Konzepts der „Geschichte“ ist das zunächst Friedrich Nietzsche mit seiner 2. Unzeitgemäßen Betrachtung: „Über den Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben“122 und als prominentes Beispiel seiner zeitgenössischen Rezeption Pierre Noras Einleitung zu „Les Lieux de

mémoire“, die mit der Überschrift „Zwischen Geschichte und Gedächtnis“

ins Deutsche übersetzt worden ist.123

Für die Kategorie des Gedächtnisses bzw. der Erinnerung werden zwei weitere Autoren gelesen: Maurice Halbwachs, der französische Soziologe oder besser: Universalgelehrte, aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat zwei der wichtigsten Texte zum Thema verfasst, die noch bis heute als

„Grundlagenforschung“ zitiert und verwendet werden: namentlich „Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen“ sowie das nachgelassene Fragment mit dem Titel „Das kollektive Gedächtnis“.124 In seiner Nachfolge und auch in meiner Arbeit an zweiter Stelle steht dann der deutsche Ägyptologe Jan Assmann mit seinem Buch „Das kulturelle Gedächtnis“,125 ein Text, der wohl zu den populärsten zeitgenössischen Veröffentlichungen zu zählen ist.

Die Texte dieser vier Autoren stammen aus über 100 Jahren und aus vier verschiedenen akademischen Disziplinen: aus der Philosophie, der Ge-

schichtswissenschaft, der Soziologie und der Kulturwissenschaft. Diese Zusammenstellung hat sich jedoch weniger zufällig für meine Arbeit ergeben, sondern ist vielmehr ein Hinweis auf die Weitläufigkeit des Forschungsfeldes.

Ich werde im folgendem nicht einzeln auf die Autoren eingehen können, sondern möchte eher versuchen, einige allgemeinere Tendenzen nachzu-zeichnen. Man kann sagen, dass aus der Kette dieser Texte - auch durch manche Verschiebung und eigenwillige Interpretation - das Kollektiv-gedächtnis, das auch unter den Bezeichnungen soziales, kulturelles oder kommunikatives Gedächtnis firmiert, als zentraler Bezugspunkt der aktuellen Forschung hervorgegangen ist. Sowohl Nora als auch Assmann - die beiden zeitgenössischen der Autoren - erklären es zum existentiellen Antriebsmotor nationaler Identitätsfindung und -stablisierung. Dabei sind sie jedoch nicht

122 Nietzsche, Friedrich: Über Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben, in: Sämtliche Werke, Kritische Studienausgabe in 15 Bd., hg. von Colli, G. /Montinari, M., München /New York 1980, Bd. 1.

123 Nora, Pierre: Zwischen Geschichte und Gedächtnis. Fischer TB Vlg., Frankfurt/M. 1998.

124 Halbwachs, Maurice: Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen. Berlin /Neuwied 1966;

Halbwachs, Maurice: Das kollektive Gedächtnis, Stuttgart 1967

125 Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München 1999.

einfach gleichzusetzen: Während Nora dem verlorenen Kollektivgedächtnis nachtrauert und die Übermacht der aufklärerischen Geschichte beklagt, hält sich Assmann von solcherlei kulturpessimistischen Tönen fern. Gemein ist ihnen jedoch die Setzung von Geschichte und Gedächtnis als dichotom, ja:

als feindlich positionierte Vergangenheitsbezüge und die - im Falle Ass- manns zumindest implizite - Parteinahme für das Gedächtnis als elementare kollektive Praxis.

Außerdem - und hier sind nun auch die beiden älteren Texte wieder mit einbezogen - wählen sie alle die Nation als zentralen Bezugspunkt. Diese erscheint in den betrachteten Texten wenig oder gar nicht als vorrangig konstruierte Größe, als „vorgestellte Gemeinschaft“, wie Benedict Anderson sie tituliert,126 sondern als reales Kollektiv.

Diese Ineinssetzung von Kollektiv und Nation - die Identifizierung der Nation als Kollektiv par excellence - ist aber nur ein Produkt des Kollektiv-gedächtnisses als Forschungsparadigma, das kritikwürdig ist. Man muss gar nicht das nationale Kollektiv als organischen Körper bemühen - eine Assoziation, die bei der Übertragung einer individualpsychologischen Kate- gorie auf eine Großgruppe wie die BürgerInnen eines Staates nicht einmal abwegig wäre.

Es reicht bereits aus, auf die omnipräsente normative Einschreibung zu verweisen, die darin besteht, dass im gesamten Forschungsfeld kaum ein Abweichung von der Meinung artikuliert wird, eine stabile nationale - und im Sinne des Kollektivs auch weitgehend homogene - Identität sei das ele- mentare Ziel einer jeden Bezugnahme auf vergangene Zeiten.

Doch auch die Folgen für die andere Seite der dichotomischen Paarung sollen nicht unerwähnt bleiben. So ersteht doch mit der aktuellen Verwen-dung des Begriffes Kollektivgedächtnis auch eine andere - oder besser: die andere - Konzeption wieder auf: die Geschichte als objektive Erfassung und Abschrift vergangener Zeiten. Die Renaissance dieser durch geschichts- und abbildungstheoretische Arbeiten schon lange revidierten Auffassung von den Möglichkeiten der Geschichtsschreibung ist ebenfalls ein Produkt der beschriebenen Gegenüberstellung.

Von diesen Tendenzen der Forschung setze ich mich mit meiner Arbeit ab.

Der Holocaust-Diskurs ist meiner Ansicht nach ein höchst umstrittenes und umkämpftes Feld - weit davon entfernt, ein homogenes Bild abzugeben. Es wird vielmehr von Debatte zu Debatte stets neu ausgefochten und ermittelt, was innerhalb seines Rahmens sag- und wissbar ist. Was als Wahrheit gilt,

126 Vgl. Anderson, Benedict: Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts.

New York 1996.

welche SprecherInnen als Autoritäten anerkannt werden und so weiter und so fort. Dies hat für meine Untersuchung Konsequenzen, die über bloße Be- nennungspraxis hinausgehen. Wie ich bereits dargestellt habe, zeichnet sich mein Untersuchungsgegenstand, der printmediale Holocaust-Diskurs in Deutschland, unter anderem dadurch aus, dass er auch eine Art Kristallisa-tionspunkt und Spiegel des Gesamtdiskurses darstellt. Das heißt in seiner Konsequenz, dass die vorgestellte sehr starke akademische Modebewegung - die Rede vom Kollektiven Gedächtnis in bezug auf die auch so genannte

„zweite Geschichte“ des Holocaust in Deutschland - auch in die Printmedien Eingang fand und findet. Die Stich- und Schlagworte, also das ganze Register des semantischen Feldes Kollektivgedächtnis finden sich seit Beginn der 1990er Jahre in fast jedem Zeitungstext zum Thema.

Ich halte es demnach nicht für produktiv, den Begriff einfach fallen zu lassen, weise ihm in meiner Arbeit jedoch eine andere Position als üblich zu:

Er erscheint in meinem Forschungsprojekt entsprechend meiner schon kurz angerissenen Kritik nicht als reale Größe oder als quasi-soziologische Kate-gorie, sondern vielmehr als Adressat des von mir untersuchten Diskurs-strangs.

Das Kollektivgedächtnis ist demnach, so meine These, nicht als Grundlage des Diskurses anzusehen, sondern wird in ihm erst als solches produziert. Es ist die Instanz, die im Diskurs stets aufs Neue angerufen wird. An sie richten sich die einzelnen Diskursfragmente. Indem es adressiert wird, wird es als Größe überhaupt erst hergestellt. Man kann also sagen, dass das Kollektiv-gedächtnis das leere Zentrum des untersuchten Diskurses bildet, um das all die Interventionen und Beiträge kreisen und auf das immer wieder korrektiver Einfluss genommen werden soll.

Daraus ergibt sich - wie angekündigt - eine weitere und diesen kurzen Text abschließende Frage, die an die einzelnen Diskursfragmente herangetragen werden muss:

Die Frage geht dahin, was in den untersuchten Medienkontroversen jeweils als Kollektivgedächtnis gesetzt wird und in welcher Form der Versuch unternommen wird, diese vorgestellte Einheit zu beeinflussen.

Literatur

Anderson, Benedict: Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, New York, 1996.

Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München, 1999.

Frei, Norbert: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, München, 1999.

Halbwachs, Maurice: Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen, Berlin /Neuwied, 1966.

Halbwachs, Maurice: Das kollektive Gedächtnis, Stuttgart, 1967.

Nietzsche, Friedrich: Über Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben, in: Sämtliche Werke, Kritische Studienausgabe in 15 Bd., hg. von Colli, G. /Montinari, M., München /New York, 1980, Bd. 1.

Nora, Pierre: Zwischen Geschichte und Gedächtnis, Frankfurt am Main, 1998.

Reichel, Peter: Politik mit der Erinnerung. Gedächtnisorte im Streit um die nationalsozialistische Vergangenheit, Frankfurt am Main, 1999.

Schilling, Petra: Frieden mit der Vergangenheit? Die beiden Wehrmachtsausstellung als Beispiele für den deutschen Umgang mit dem Holocaust, Hamburg, 2004, hg. vom Rosa Luxemburg Bildungswerk, Hamburger Skripte 8.

Young, James E.: Beschreiben des Holocaust. Darstellung und Folgen der Interpretation, Frankfurt am Main, 1992.

Stefanie Holuba

Der Mensch kann nicht nicht kommunizieren –

Im Dokument Rosa-Luxemburg-Stiftung Manuskripte 51 (Seite 122-129)