• Keine Ergebnisse gefunden

Der Beginn des Holocaust-Diskurses in den 1980er Jahren

Im Dokument Rosa-Luxemburg-Stiftung Manuskripte 51 (Seite 117-120)

Zur konstruktiven Verfertigung von Vergangenheit im Schreiben

1. Der Beginn des Holocaust-Diskurses in den 1980er Jahren

Die bundesrepublikanische Auseinandersetzung um die Bewertung des Genozids an den europäischen Juden hatte mit dem Jahre 1979 einen zentralen Umschlagspunkt erfahren. Diese Wendung ist - und darin ist sich die Forschung weitgehend einig - auf die Ausstrahlung der US-amerika-nischen Fernsehserie „Holocaust“115 zurückzuführen.

Dieser Umstand ist zunächst bemerkenswert. Zum einen ist es ausgesprochen selten, dass sich Veränderungen in der politischen Kultur und die Entwicklung von oder auch der Bruch mit Geschichtsbildern so eindeutig auf ein einziges initiierendes Ereignis zurückführen lassen. Zum anderen verweisen die Reaktionen in der Bundesrepublik jedoch auch auf die von heute aus gesehen betonenswerte Tatsache, dass es tatsächlich bis zu diesem Zeitpunkt - also bis 35 Jahre nach der Befreiung Deutschlands durch die Alliierten - gedauert hatte, bis eine der größten und für die nazistische Ideo- logie zentralsten Opfergruppen der deutschen Vernichtungspolitik in den interessierten Blick der westdeutschen Öffentlichkeit geriet: die Juden nämlich. Und mit ihnen auch die bereits 1933 einsetzende Ausgrenzungs- und Verfolgungspolitik im nationalsozialistischen Deutschland, die sich ab den späten 30er Jahren in die Vernichtungspraxis steigern sollte, die hier als Holocaust bezeichnet wird.

Es soll an dieser Stelle nicht im einzelnen um die Ereignisgeschichte rund um die Ausstrahlung der Serie gehen, es soll aber festgehalten sein, dass sie eine zuvor nicht gekannte öffentliche Aufmerksamkeit für die genozidalen Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands nach sich zog. Ein Interesse, das, wie wir immer wieder sehen können, bis heute nicht abge-nommen hat.

Auf das Medienereignis folgte ein Jahrzehnt, das im Westen geprägt war von einer Ambivalenz zwischen Schuldanerkennung und entsprechenden Abwehrreaktionen.

Als zentrales Ereignis - und den 90er Jahren in Struktur und Erscheinungs-form bereits am ähnlichsten - ist wohl der sogenannte Historikerstreit zu nennen. Hier ging es über mehrere Monate um die Frage der Einzigartigkeit des Holocaust, meist umschrieben mit der Wendung von der

„Historisierung“ der Ereignisse, und um die Konsequenzen der je unter- schiedlichen Beantwortung dieser Frage: Wer war Schuld an den Ereignis-

115 Zur etymologischen Bedeutung dieser Bezeichnung, wie auch der von konkurrierenden oder

historisch vorgängigen Benennungen der Ereignisse siehe exemplarisch die kritische Abhandlung von James E. Young: Beschreiben des Holocaust. Darstellung und Folgen der Interpretation. Frankfurt/M.

1992.

sen? Welche Verantwortungen ergaben sich hieraus? Und was bedeutete all dies für die nationale Identität der Deutschen? Wohlbemerkt der West-

deutschen, denn an eine potentielle Zusammenführung der beiden deutschen Staaten dachte zu diesem Zeitpunkt wohl niemand, nicht mehr oder noch nicht - wie man’s nimmt. Polarisierende Schlagworte wie „Verfassungs- patriotismus“ und „nationaler Masochismus“ aus dieser Debatte sind noch bis heute gängige Vokabeln, wenn es um die Bestimmung des Verhältnisses von zeitgenössischer nationaler Identitätsfindung und verbrecherischer Ver- gangenheit geht.

Vorausgegangen waren dieser öffentlichen, vor allem in den Printmedien und akademischen Fachzeitschriften ausgetragenen Diskussion so um-

strittene Aktionen wie die Begehung des Soldatenfriedhofes in Bitburg durch Kohl und Reagan zum 40. Jahrestag der deutschen Kapitulation. Quasi als offizieller Gegenpol zu dieser auch damals schon schwer umstrittenen Geschmacklosigkeit ist die zum gleichen Anlass gehaltene Rede Richard von Weizsäckers vor dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat zu sehen.

Sie wurde vielfach - im In- wie im Ausland - als einzigartig bezeichnet, und die klare Benennung des 8. Mai als einen „Tag der Befreiung“ stellte eine Novität in der offiziellen Sprache der Bundesrepublik dar, die bis heute Kon- sequenzen zeitigt.116

Aber auch die Auseinandersetzungen in Frankfurt, die sich rund um Rainer Werner Fassbinders Theaterstück „Die Stadt, der Müll und der Tod“

ereigneten, gehören in diese Zeit. Ebenfalls um das Jahr 1985 datiert, können sie von heute aus gesehen als Meilenstein der Geschichte der westdeutschen Linken bezeichnet werden. In dem Streit um den antisemitischen Gehalt des Stücks, das von einem Frankfurter Immobilienhändler handelt - im Text nur als „reicher Jude“ tituliert und unverstellt an die reale Person Ignatz Bubis angelehnt - lässt sich eine Spaltung erkennen, die als Grundstein für die Herausbildung einer antideutsch orientierten Gruppierung gesehen werden kann.117

Insgesamt lässt sich zu den 80er Jahren in der Bundesrepublik sagen, dass dieser Zeitraum im wesentlichen davon geprägt war, dass das Feld sich sondierte, das heißt: dass sich politische Auseinandersetzungen im Angesicht

116 Allgemein zu den Gedenkfeierlichkeiten und Ereignissen im Jahr 1985, aber auch kritisch zu

Weizsäckers Rede, siehe: Reichel, Peter: Politik mit der Erinnerung. Gedächtnisorte im Streit um die nationalsozialistische Vergangenheit. Frankfurt/M. 1999, S. 231ff.

117 Das ist sicherlich so reichlich knapp formuliert. Man kann jedoch feststellen, dass im Zuge der Frankfurter Vorgänge dieser Zeit eine Aufspaltung stattfand, die sich fast parallel auf die heutigen Spaltungsbewegungen der Linken abbilden lässt: Auch damals ging es bereits um die Frage, wie weit und in welcher Form bestimmte, auf die Zirkulationssphäre konzentrierte antikapitalistische

Argumentationsmuster antisemitische Tendenzen beinhalten. Es wäre jedoch falsch, eine direkte und monokausale Kontinuitätslinie von 1985 bis heute zu ziehen.

der deutschen Menschheitsverbrechen wieder fanden und sich ihre Prota-gonisten und Protagonistinnen vermehrt auch geschichtspolitisch im Holocaust-Diskurs positionierten. Dies soll nicht bedeuten, dass - wie oft behauptet wird - in den vorhergehenden Jahrzehnten keinerlei Thematisie- rung stattgefunden hätte. Die hat es - wie unter anderem die Studie von Norbert Frei zur Vergangenheitspolitik der frühen Bundesrepublik gezeigt hat -118 sehr wohl gegeben. Neu waren allerdings die offensive Positionie-rung zum Thema und die öffentliche Rückbindung der Bedeutung des Holocaust an die politische Kultur der Bundesrepublik.

In der DDR begann sich seit Beginn der 1980er Jahre ebenfalls ein Paradig-menwechsel abzuzeichnen.119 Unter den Stichworten „Erbe und Tradition“

setzte ein verstärkter Rückbezug auf die deutsche Nationalgeschichte ein.

Dies hatte nicht nur beispielsweise die positive Neubesetzung Preußens zur Folge, sondern es wurde ebenfalls eine neue Form der Auseinandersetzung mit denen der eigenen Staatsgründung vorhergegangenen Verbrechen

Deutschlands angestoßen. Man könnte also sagen, dass mit dem positiven Wiederbeleben einer prä-sozialistischen deutschen Vergangenheit ebenfalls deren Schattenseiten mit auf den Plan traten.

Diese wurden jedoch zunächst nur am Rande von staatlicher Seite aus thematisiert. Es waren im Wesentlichen die Kirchen und kirchennahen Kreise, sowie die jüdischen Gemeinden, die die Beschäftigung mit dem Holocaust zum Thema auch der DDR erklärten. Diese mit den 80er Jahren einsetzende Welle der Auseinandersetzung mit der gesamtdeutschen Vergangenheit unter den Vorzeichen von Verantwortung und Verstrickung fand auch Ausdruck in einer Vielzahl von Biographien, Autobiographien und fiktionalen Texten, die - wie nie zuvor - die Seite der jüdischen Opfer schilderten. Zu nennen sind hier populäre Beispiele wie die Autobiographie des Ehepaares Jaldati-Reblin „Sag nie, Du gehst den letzten Weg“ von 1986 oder auch Jurek Beckers Roman „Bronsteins Kinder“, der ein Jahr später veröffentlicht wurde.

Es dauerte jedoch bis zum 9. November des Jahres 1988, dem 50. Jahrestag

118 Frei, Norbert: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit.

München 1999.

119 Die Rolle der Fernsehproduktion „Holocaust“ für die Veränderungen in der politischen Kultur der DDR ist letztlich nicht eindeutig zu klären. Fest steht, dass die Serie, ausgestrahlt in den dritten Programmen des westdeutschen Fernsehens, auch in weiten Teilen der DDR zu empfangen war. Zu der Frage, ob die in den 1980er Jahren einsetzende Zunahme der Auseinandersetzung mit der

Verfolgung und massenhaften Ermordung der europäischen Juden in der DDR aber sozusagen parallel zum Westen auf dieses Ereignis zurückzuführen ist, oder ob es sich hier um ein eher reaktives

Verhältnis handelte, lassen sich aber keine klaren Aussagen treffen.

der Reichspogromnacht, bis sich die offiziellen StaatsvertreterInnen der DDR zu diesem Stimmungswechsel - im Westen, wie auch in ihrem eigenen Land - offiziell verhielten. Die zu diesem Anlass sorgfältigst geplanten

Gedenkfeierlichkeiten wurden von zahlreichen Zeitungsartikeln, Radio- und Fernsehsendungen zu jüdischer Geschichte und Kultur begleitet. Auch kam es im Zuge dieser Vorgänge zu zahlreichen Umbenennungen von Schulen und Straßen und zur Errichtung von Denkmälern, die speziell den jüdischen Opfern des Nationalsozialismus gewidmet waren.

Doch die Veränderungen lassen sich nicht auf das Feld der symbolischen Politik begrenzen.120 Selbst die Entschädigungsfrage - die bisher von offi-zieller DDR-Seite aus immer klar mit „Nein“ beantwortet worden war - trat mit dem Jahr 1988 als offene Frage wieder auf den Plan. Dies war ein elementarer Akt: Die DDR bekannte sich mit ihrer ernsthaften Erwägung zum ersten Mal seit ihrem Bestehen dazu, ebenso wie die BRD Nachfolge-staat des Deutschen Reiches zu sein - mit allen Konsequenzen, die eine solche Berufung auf „Tradition und Erbe“ hätte haben können. Zur Realisie-rung der entsprechenden Verhandlungen und Beschlüsse kam es aus be- kannten Gründen dann nicht mehr.

2. Das Ballungszentrum des Holocaust-Diskurses: die 1990er Jahre

Im Dokument Rosa-Luxemburg-Stiftung Manuskripte 51 (Seite 117-120)