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Die bourdieuschen Kategorien

Die Lebensrealität von Flüchtlingen in der BRD – Anwendungsmöglichkeiten der

1. Die bourdieuschen Kategorien

Zentrale Kategorie innerhalb des bourdieuschen Analyseinstrumentariums ist die der Felder oder der sozialen Räume, die mehr oder weniger synonym benutzt werden. Der Begriff des Feldes ist hierbei zweifach bestimmt bzw.

anwendbar. Diese Analysekategorie dient im Rahmen konkreter empirischer Untersuchungen zur Beschreibung und Aufschlüsselung der wirklichen Lebens- oder Kommunikationsräume und der darin miteinander in Kontakt stehenden Menschen. Ein Feld ist vorstellbar als „[...] Struktur objektiver Beziehungen [...], die die konkrete Form der Interaktion zu erklären erlauben [...]“ (Bourdieu 1997b: 68), wobei hiermit verschiedene Felder gemeint sind

wie das „[...] der Haute Couture, der Literatur, der Philosophie, der Politik usf. [...]“ (ebenda: 68). Auf der einen Seite wird Feld also definiert als ein gesellschaftlicher Raum bestimmter kultureller Praxen und deren Produk-tionsweisen, universitär-institutioneller Auseinandersetzungen oder politisch-gesellschaftlicher Entscheidungsstrukturen. Der Zugang zu diesen Feldern wird selektiert durch notwendige Zugangsqualifikationen und/ oder der Zugehörigkeit zu bestimmten Netzwerken, Parteien oder Organisationen.

Auf der anderen Seite können mit Feld oder sozialem Raum aber auch konkrete Lebensräume oder Organisationszusammenhänge gemeint sein wie z.B. eine Vorortsiedlung oder ein Mietshaus mit seinen BewohnerInnen, eine Partei oder eine konkrete Fabrik als Arbeitsplatz.

Zur Beschreibung der Strukturierung der sozialen Räume und der Absichten der dort agierenden Menschen übernimmt Bourdieu Kategorien aus der Ökonomie wie „[...] Konkurrenz, Monopol, Angebot, Nachfrage usf. [...]“

(ebenda: 71) und benutzt diese zur Aufschlüsselung des Umganges miteinander und der zugrunde liegenden Absichten. Die das gesamte Feld bzw. die Struktur des Umganges und der Kommunikation untereinander bestimmende Kategorie ist die der Rationalität: „Rationalisieren heißt, auf eine Art und Weise zu kalkulieren, die das bestmögliche Resultat mit den geringsten Kosten zu erreichen erlaubt.“ (ebenda: 80). Die Auseinand-ersetzungen in den jeweiligen Feldern werden also durch das individuelle Bestreben nach Aufstieg in der Hierarchie, durch Positionssicherung oder dem Streben nach mehr Einfluss auf das Feld strukturiert. Das, was die einzelnen oder entstandene Interessensgruppen als AkteurInnen an Mitteln in den Auseinandersetzungen in den jeweiligen Feldern einsetzen und was die Kämpfe um Anerkennung, Stellung und Position vorstrukturiert, bestimmt und lenkt, sind nach Bourdieu Verfügungsmöglichkeiten über unterschied-liche Kapitalformen.

Die beiden wichtigsten und zentralen Formen sind das ökonomische und das kulturelle Kapital; abhängig davon und eng miteinander verknüpft sind die Formen des sozialen und symbolischen Kapitals (ebenda: 49ff). Zentrale Kapitalform ist die ökonomische, wobei der Erwerb, also das „Besitzen“

kulturellen Kapitals als institutionell gesicherte Ausbildungstitel, Sprach-kenntnisse oder in Form der Beherrschung anderer kultureller Praxen eine zentrale Relevanz für einen möglichen gesellschaftlichen Aufstieg in den bürgerlichen Gesellschaften innehat. Das soziale Kapital ist als die Zuge-hörigkeit zu sozialen Netzwerken zu verstehen, die sowohl Anerkennung als auch die Verfügungsmöglichkeit über bestimmte Ressourcen und Infra-struktur oder den Zugang zu gesellschaftlich relevanten Zirkeln mit sich bringen. Das symbolische Kapital ist die nach außen getragene gesell-schaftliche Stellung in Form von sich angeeigneten symbolischen Formen

und Statusobjekten. Ein System der symbolischen Anordnung anerkannter Formen definiert die damit verbundene soziale Stellung und wirkt als symbolische Gewalt auf diejenigen, die sich diese Form des symbolischen Ausdrucks nicht leisten bzw. aneignen können. Die unterschiedlichen Formen sind mit mehr oder weniger Aufwand ineinander konvertierbar, für die Umwandlung zentral ist die Verfügungsmöglichkeit über ökonomisches Kapital. Die hohen Kosten der Konvertierbarkeit von ökonomisches in für den gesellschaftlichen Aufstieg zentrales kulturelles Kapital hängt wiederum eng mit der Kategorie des Habitus zusammen, welche gefasst wird als klassenspezifische Denkformen, Präferenzen, Verhaltensweisen und Sichtweisen auf die Funktionszusammenhänge der Gesellschaft. Über die

„Vererbung“ kulturellen Kapitals im Rahmen der familiären Reproduktion führt dies zu einer potentiellen Vorstrukturierung gesellschaftlicher Aufstiegschancen.

Wichtig bei der Betrachtung bourdieuscher Analysekategorien ist die relatio-nale Sichtweise. Das Augenmerk liegt auf dem konkreten Feld, nicht auf dem gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang. Zentral ist also jeweils das Verhältnis der einzelnen Kapitalformen in ihrer relationalen Größe zu den anderen in dem spezifischen Feld vorhandenen Kapitalen und nicht zu dem gesellschaftlichen Gesamtvolumen. Die einzelnen Felder werden als relativ autonom von dem sozialen Gesamtraum einer Gesellschaft aufgefasst, wobei es je nach dem gewählten Blickwinkel und Größe des zu untersuchenden Feldes zwangsläufig zu Überschneidungen, Überlappungen oder willkürlichen Abgrenzungen zu den anderen vorhandenen sozialen Räumen kommt. Die einzelnen Felder lassen sich also in jeweils größere Felder zusammenfassen und die einzelnen Felder stehen so in einem Struktur-zusammenhang. Hierbei verläuft die gegenseitige Strukturierung durch die hierarchische Anordnung aufgrund der ungleichen gesellschaftlichen Verteilung der Kapitale von oben nach unten. Im Rahmen empirischer Untersuchungen wird ein gesellschaftliches Feld von Auseinandersetzungen, bestimmten Praktiken, Kommunikationsstrukturen oder Lebensräumen definiert und umgrenzt um dieses auf die inhärenten Herrschaftsstrukturen und Auseinandersetzungen um Aufstieg und Anerkennung mit Hilfe der den einzelnen AkteurInnen zur Verfügung stehenden Kapitale aufzuschlüsseln.

Hierbei lassen sich die Auseinandersetzungen zwar mittels aus der Ökonomie entliehener Begriffe empirisch genau beschreiben, doch ist es gerade nicht das allgemeine Streben nach mehr Einkommen, das das Leben der einzelnen Menschen bestimmt. Die Auseinandersetzungen um Aufstieg und Anerkennung sind gebrochen durch lokale und regionale Besonderheiten und deren Geschichten und durch gesellschaftliche Ausgrenzungs-mechanismen. So muss der theoretische Klassenantagonismus „in der

Wirklichkeit mit anderen Prinzipien, ethnischen, rassisischen oder nationalen, in Konkurrenz treten und, konkreter noch, mit Prinzipien, die sich durch die Alltagserfahrungen beruflicher, kommunaler oder lokaler Teilungen und Rivalitäten [innerhalb des sozialen Raumes] aufdrängen.“ (ebenda: 114).

Eine weitere Verwendungsmöglichkeit bourdieuscher Kategorien liegt in der Analyse sozialer Klassen, also in der Zusammenfassung von Bevölkerungs-teilen in Klassen analog der ihnen zur Verfügung stehenden unterschied-lichen Kapitalsorten und deren hierarchischer Anordnung auf einem Achsen-system. Hierbei schließen sich die unterschiedlichen Anwendungsmöglich-keiten nicht aus. Aus der empirischen Begriffsentwicklung und deren Anwendung in konkreten Untersuchungen hat sich für Bourdieu erst die Anwendungsmöglichkeit im Rahmen einer Klassenanalyse ergeben.