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Zur Theologie der Zukunft

Im Dokument des Transhumanismus (Seite 53-81)

Zur Theologie der Zukunft im Zeitalter digital entgrenzter Biopolitik

Kapitel 2: Zur Theologie der Zukunft

Zur Theologie der Zukunft im Zeitalter digital entgrenzter Biopolitik

By the late twentieth century, our time, a mythic time, we are all chimeras, theorized and fabricated hybrids of machine and organism; in short, we are cyborgs. The cyborg is our ontology; it gives us our politics. The cyborg is a condensed image of both imagination and material reality, the two joined centers structuring any possibility of historical transformation. In the tra-ditions of „Western“ science and politics […] the relation between organism and machine has been a border war. The stakes in the border war have been the territories of production, reproduction, and imagination.1

Donna Haraway Bekanntlich war es den Juden untersagt, der Zukunft nachzuforschen. Die Thora und das Gebet unterwiesen sie dagegen im Eingedenken. Dieses ent-zauberte ihnen die Zukunft, der die verfallen sind, die sich bei den Wahr-sagern Auskunft holen. Den Juden wurde die Zukunft aber darum doch nicht zur homogenen und leeren Zeit. Denn in ihr war jede Sekunde die kleine Pforte, durch die der Messias treten konnte.2

Walter Benjamin Der zeitgenössische Mensch findet sich im biopolitischen3 Horizont neues-ter und sich rasant entwickelnder technologischer Veränderungen der bio-technischen und digitalen Revolutionen unweigerlich vor die Differenz zwi-schen dem bloßen und einem guten Leben gestellt. Er muss im Blick auf diese Spannung entscheiden, wie er die Welt unter Zuhilfenahme solch neuartiger Techniken gestalten will und gestalten kann, wenn er aus dem bloßen Leben (nach seiner jeweiligen Definition) ein gutes machen will. Dabei erscheint die-se politische Frage nach Gegenwartsgestaltung aus theologischer Perspektive notwendig auch als eschatologische Frage nach der möglichen Gestaltung des 1 Haraway, Cyborg Manifesto, 150.

2 Benjamin, Begriff der Geschichte, 704.

3 Mit „Biopolitik“ sind hier zunächst einmal sehr breit politische Dynamiken, Herr-schaftsmechanismen und Machttechniken gemeint, die auf die biologische und ge-sundheitliche Regierung und Regulierung ganzer Bevölkerungen abzielen und dabei spezifisch das biologische Leben im Blick haben und zum Gegenstand politisch-tech-nischer Kontrolle machen. Zur spezifischen Anwendung dieser Konzeption auf den Transhumanismus vgl. Abschnitt 4.3; Kapitel 8.

Kapitel 2: Zur Theologie der Zukunft

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Endlichen in der Zukunft. Damit sind drei Begriffsfelder erwähnt, die für die nachfolgende Argumentation dermaßen zentral sind, dass sie hier eine vor-gängige Klärung verdienen:4 (1) Gestaltung, (2) Technik bzw. Technologie und (3) Politik bzw. Biopolitik. Im Sinne der vorliegenden Studie müssen diese Themenbereiche mit der (4) Theologie und spezifisch einer für die Gegenwart aktualisierten politischen Theologie ins Gespräch gebracht werden.

(1) Die Konzeption der Gestaltung von Welt und Wirklichkeit, die im Fol-genden immer wieder verwendet wird, ist, wie Bernd Wannenwetsch argu-mentiert, nicht unproblematisch.5 Bereits Dietrich Bonhoeffer schreibt in sei-ner Ethik: „Das Wort ‚Gestaltung‘ erregt unseren Argwohn. […] Wir haben gesehen, dass die gestaltenden Kräfte in der Welt von ganz anderer Seite her kommen als vom Christentum.“6 Der Begriff „Gestalt“ und die ihm entspre-chende „Gestaltung“ wurden nachhaltig durch Johann Wolfgang von Goethe geprägt: Für Goethe ist Gestalt (die deutsche Übersetzung der lateinischen forma bzw. der griechischen μορφή) als wahrnehmbare Erscheinungsform der Ausdruck des inneren Wesens der Dinge.7 Das Kunstwerk mit Stil ver-mag diese ideelle Realität zugänglich zu machen, denn der Stil – so schreibt Goethe – ruhe „auf den tiefsten Grundfesten der Erkenntnis, auf dem Wesen der Dinge, insofern es uns erlaubt ist es in sichtbaren und greiflichen Gestal-ten zu erkennen.“8 So kann die äußerliche, sinnlich wahrnehmbare, Gestalt des Kunstwerks als Ausdruck von und Zugang zur inneren, ideellen, Gestalt der Wirklichkeit verstanden werden. In dieser Perspektive wird das Konkrete und Partikulare, in gewisser Hinsicht sogar die Einschränkung selbst, zum Ort einer Schau der Wirklichkeit: „Das Haften an ebender Gestalt […] muss notwendig den, der Auge hat, endlich in alle Geheimnisse leiten, wodurch sich das Ding ihm darstellt, wie es ist.“9 Für Goethe gibt es entsprechend nicht eine beliebige Gestaltbarkeit von Wirklichkeit – vielmehr schreibt er: „Bedenke, dass jeder Menschenkraft ihre Grenzen gegeben sind.“10 Und er kritisiert auch die Vorstellung einer grenzenlosen Selbst- und Weltgestaltung: „Wer allgemein sein will, wird nichts“, schreibt er, „die Einschränkung ist dem Künstler so 4 Diese Klärungsversuche sind, wie alle folgenden solchen Definitionen, im Lichte der Komplexität der angesprochenen Themenfelder notgedrungen selektiv und auf die spe-zifische Fragestellung der vorliegenden Studie hin zugespitzt.

5 Vgl. Wannenwetsch, Lob der Äußerlichkeit, 396–404.

6 Bonhoeffer, Ethik, 80.

7 Vgl. Strube, Gestalt (HWPh), 543 f.

8 Goethe, Nachahmung der Natur, Manier, Stil, 68.

9 Goethe, Aus Goethes Brieftasche, 54.

10 Goethe, Aus Goethes Brieftasche, 54.

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notwendig als jedem, der aus sich was Bedeutendes bilden will.“11 Im Laufe der Zeit nach Goethe verschiebt sich dieser Akzent, wie Wannenwetsch schreibt, jedoch zunehmend. Dieser diagnostiziert im Blick auf den Kulturprotestantis-mus am Ausgang des 19. Jahrhunderts eine Verinnerlichung von Frömmigkeit und eschatologisch-politischem Impetus, die sich in einer „Zwei-Reiche-Lehre von Spiritualität auf der einen und ‚Weltgestaltung‘ auf der anderen Seite“ rea-lisiert.12 Er schreibt weiter:

„Im Laufe der weiteren Entwicklung des protestantischen Milieus unter einer sol-chen Innen-Außen-Dialektik wirkte das freigesetzte Paradigma der ‚Gestaltung‘

dann zurück auf die Spiritualität selbst, wie wir das seit ungefähr einem Vierteljahr-hundert erleben. […] [N]un wird die Spiritualität […] unter dem Gesichtspunkt der Gestaltung begriffen und nicht mehr, wie es der Frömmigkeit ursprünglich eigen ist, unter dem Gesichtspunkt der Form, des Geformtwerdens und der Formtreue.“13 Daraus ergibt sich für Wannenwetsch die Differenz zwischen Formtreue und Gestaltung, wobei letztere als vorgabeloses aktivistisches Formen begriffen wird. Spiritualität wird hier zum individuellen Projekt der Selbstgestaltung.

Entsprechend schreibt er: „Es wäre ein Irrtum anzunehmen, ‚Gestaltung‘ ziele doch auf so etwas wie eine ‚Form‘, lediglich mit einem etwas ‚aktiveren und kreativeren‘ Akzent. Im kreatorischen Vorgang der ‚Gestaltung‘, die ohne ‚Ur-sprung‘, also selbstursprünglich ist, ereignet sich vielmehr eine annihilatio formae“14. Dem entspricht „die Leugnung des ursprünglich Gemeinschaftli-chen im Blick auf die Schöpfung. Gott schafft kein Paar, keine Lebensformen, sondern nur Individuen, die sich dann an die ‚Gestaltung‘ machen: der Welt, der Geschichte, ihrer Beziehungen.“15 Wannenwetschs Einschätzung bestätigt und radikalisiert sich im Blick auf den zeitgenössischen Transhumanismus und seine Konzeption einer morphologischen Freiheit. Transhumanistinnen und Transhumanisten verstehen die Freiheit der Gestalt bzw. Freiheit zur Ge-staltung explizit als Freiheit von der Gestalt, im Sinne einer uneingeschränkten individuellen Wahlfreiheit in der Konstruktion von Selbst und Welt. Dagegen behält sich die vorliegende Studie einen zunächst weniger befrachteten Ge-11 Goethe, Aus Goethes Brieftasche, 53.

12 Wannenwetsch, Lob der Äußerlichkeit, 396.

13 Wannenwetsch, Lob der Äußerlichkeit, 397.

14 Wannenwetsch, Lob der Äußerlichkeit, 399 (Herv. im Original).

15 Wannenwetsch, Lob der Äußerlichkeit, 399, Anm. 38; vgl. O’Donovan, Resurrection and Moral Order, 31–52, bes. 31.

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staltungsbegriff vor, der noch nicht spezifiziert, ob hier aus dem Nichts nach menschlichem Willen rein aktivisch gestaltet oder ob nicht vielmehr in treu-em Bezug auf eine vorgegebene Form gestaltet werden soll. Es wird hier also ein Gestaltungsbegriff in Anschlag gebracht, der sich sowohl auf eine „Schöp-fungsordnung“ als auch auf einen „vorgabelosen Nihilismus“ beziehen ließe:

Die „Freiheit der Form“ (morphologische Freiheit) muss nicht zwingend als Freiheit von der Form gelesen werden (wie dies der Transhumanismus tut), sondern kann ebenso gut auch als Freiheit in der Form begriffen werden (vgl.

Abschnitt 10.4.3). Mit Blick über den Transhumanismus hinaus weist Sarah Spiekermann darauf hin, dass sich heutzutage viele Menschen in der Tech-nologiebranche (wie zum Beispiel im Silicon Valley) als Weltgestalterinnen und Weltgestalter verstehen.16 Auch wenn sich viele von ihnen nicht explizit als Trans- oder Posthumanisten bezeichnen würden, zeigt sich an diesem ver-breiteten Pathos der Weltverbesserung eine soziale und kulturelle Tendenz der Politisierung neuartiger Technologien, ebenso wie auch die Problematik einer durch Technisierung entgrenzten Politik. Diese Beobachtung ist im Blick auf den Transhumanismus zentral, weil dessen Weltverbesserungsprogramme pri-mär durch Technologien und deren politische Instrumentalisierung realisiert werden sollen. Damit ist bereits angezeigt, dass sowohl die Konzeption von Technik bzw. Technologie als auch das Politische hier sehr weit gefasst werden.

(2) Technik bzw. Technologie sind Begriffe, die in allen Feldern sozialer Tä-tigkeit verwendet werden:17 im allgemeinsten Sinne bezeichnen sie mensch-16 Vgl. Spiekermann, Digitale Ethik, mensch-16; Boenig-Liptsin / Hurlbut, Technologies of

Tran-scendence, 239–243.

17 In der vorliegenden Studie wird auf die zum Teil gemachte Differenzierung zwischen Technik und Technologie als der sprachlich-theoretischen Reflexion auf Technik oder Technik (als technischem Gerät) und Technologie (als derjenigen Formen praktischen Wissens, Energie und Ressourcen, die ihren Gebrauch möglich machen) usw. verzich-tet. Vielmehr werden „technisch“ und „technologisch“ mehr oder weniger synonym verwendet. Wo es im Folgenden dennoch um spezifisch sprachliche, theoretische oder reflexive Aspekte im Blick auf Technik geht, wird dies an entsprechender Stelle explizit gemacht. Zur Polysemie des Begriffs „Technik“ und der damit verbundenen Schwierig-keit einer Definition vgl. Nordmann, Technikphilosophie, 11 f. Alfred Nordmann schlägt vor, Technik als „Reflexionsbegriff “ zu verwenden: Dann ist Technik das, was wir meinen, wenn wir allgemein über Technik reden (vgl. Nordmann, Technikphilosophie, 13–17; Grunwald / Julliard, Technik als Reflexionsbegriff, 127–157). Mit dieser zunächst unbefriedigenden „Definition“ ist zwischen der Technik als reflektiertem Begriff und einem undefinierten Vorverständnis von Technik differenziert, was besonders für die imaginative Analyse des Transhumanismus erhellend ist: „Wenn Technik das ist, was wir meinen, wenn wir allgemein über Technik reden, dann interessiert sich

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liche Bewirkungsformen.18 Als Medium des Wirkens ist die Technik selbst – wie Armin Nassehi schreibt – primär am Bewirken orientiert und weniger am Produkt der Wirkung: „Man verfehlte das Originäre der Technik, wenn man sich auf das Produkt kapriziert und nicht auf die besondere Form einer Handlung oder eines Vorgangs.“19 Trotzdem kommt die Thematisierung der politischen Instrumentalisierung von Technik nicht um die Diskussion der technisch produzierten Wirkungen herum. Beim Vorgang technischen Bewir-kens steht dabei die Nützlichkeit im Zentrum, und zwar die kontrollierbare Nützlichkeit, weshalb relative Wiederholbarkeit, Zuverlässigkeit und Stabilität zum Technischen gehören. Ihre Operationalisierbarkeit setzt eine objektivierte Schematisierung voraus. Zweitens impliziert Nützlichkeit immer auch Nütz-lichkeit für jemanden, das heißt sie impliziert einen Akteur, der vermittels Technik handelt bzw. der handelt und die Technik zu seinem Nutzen, für seine Ziele und Zwecke anwendet. In diesem Sinne liegt die Wurzel des Techni-schen, wie Werner Rammert schreibt, in der „Handlungstechnik“ – und erst sekundär materialisiert sich diese dann auch als Sachtechnik (wie zum Beispiel in Werkzeugen und Maschinen).20 Handlungstechniken können dabei in

ver-philosophie zunächst einmal für diese Reflexionsbewegungen und dafür, wie sie uns von einem unreflektierten Vorverständnis zu Fragen darüber führen, auf welche Weise unser Verhältnis zur Welt über die Technik organisiert ist“ (Nordmann, Technikphi-losophie, 13). Damit klingt bereits an, was weiter unten im Blick auf die Dynamik des technischen Umgangs mit der Welt analysiert wird (vgl. Kapitel 6).

18 So definiert Agamben im Anschluss an Heidegger: „Technik ist nichts anderes als ein zielgerichtetes menschliches Handeln“ (Agamben, Gebrauch der Körper, 129). Heideg-ger schreibt in der Frage nach der Technik etwas ausführlicher: „Wir fragen nach der Technik, wenn wir fragen, was sie sei. Jedermann kennt die beiden Aussagen, die un-sere Frage beantworten. Die eine sagt: Technik ist ein Mittel für Zwecke. Die andere sagt: Technik ist ein Tun des Menschen. Beide Bestimmungen der Technik gehören zusammen. Denn Zwecke setzen, die Mittel dafür beschaffen und benützen, ist ein menschliches Tun. Zu dem, was die Technik ist, gehört das Verfertigen und Benützen von Zeug, Gerät und Maschinen, gehört dieses Verfertigte und Benützte selbst, gehö-ren die Bedürfnisse und Zwecke, denen sie dienen. Das Ganze dieser Einrichtungen ist die Technik. Sie selber ist eine Einrichtung, lateinisch gesagt: ein instrumentum“

(Heidegger, Frage nach der Technik, 7 f). Im Verlauf dieses Textes macht Heidegger gleichzeitig deutlich, dass die Technik (genauer: das Wesen der Technik) sich nicht im Instrumentalen erschöpft, sondern darüber hinaus auch als „eine Weise des Entber-gens“ und damit der „Wahrheit“ verstanden werden muss (vgl. Heidegger, Frage nach der Technik, 7–36, hier: 13).

19 Nassehi, Muster, 197.

20 Vgl. Rammert, Technik, 9.

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schiedensten kulturellen Bereichen Anwendung finden: Etwa im Bauen von Gebäuden (Architektur), in den schönen Künsten, in der Rhetorik, aber auch in der Regelung des Zusammenlebens von Menschen (Gesetzes- und Verwal-tungstechniken) und nicht zuletzt auch in der Politik. In diesem umfassenden (aber dezidiert instrumentell verstandenen) Sinn wendet beispielsweise auch der Transhumanist Max More die Begrifflichkeit an. More schreibt: „When transhumanists refer to ‚technology‘ as the primary means of effecting chan-ges to the human condition, this should be understood broadly to include the design of organizations, economies, polities, and the use of psychological methods and tools.“21 Die Begriffe „Technik“ und „Technologie“ sollten nicht dermaßen ausgeweitet werden, dass sie sämtliche Mittel und Methoden zur Erreichung eines besonderen Ziels bezeichnen – die weiter oben angestellten Überlegungen zur Nützlichkeit von Technik legen eine operationalisierbare Schematisierung nahe, die zur Definition des Technischen dazugehört. Ram-mert hat einen zweigeteilten Technikbegriff vorgeschlagen, der die Prozesse der Technisierung vom Trägermedium der Technik unterscheidet:

„erstens Technisierung als eine besondere Form der praktischen Herstellung Sinn entlasteter und Wirkung erzielender Schemata und zweitens Konstellationen von Trägermedien, in welche die Technisierungsformen verkörpert (Organe, Bewe-gungen), versachlicht (physische Artefakte) oder eingeschrieben (Zeichensysteme) sind.“22

Technisierung bezeichnet dann

„die besondere formgebende Praxis, Elemente, Ereignisse oder Bewegungen kunst-fertig und effektiv in schematische Beziehungen von Einwirkung und notwendiger Folge zusammenzusetzen. Handlungen, natürliche Prozessabläufe oder Zeichenpro-zesse sind dann technisiert, wenn sie einem festen Schema folgen, das wiederholbar und zuverlässig erwartete Wirkungen erzeugt. Diese Formen der Technisierung kön-nen in verschiedekön-nen Trägermedien verkörpert, versachlicht oder eingeschrieben sein.“23

21 More, Philosophy of Transhumanism, 4.

22 Rammert, Technik, XII.

23 Rammert, Technik, 10 f (Herv. im Original). Damit definiert Rammert „Technisierung“

ähnlich, wie im Folgenden über „Automatisierung“ geredet wird.

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Der Sinn von Technik ist letztlich das Funktionieren. Was funktioniert, kann und muss aber nicht nur in seiner Funktionalität analysiert werden, sondern eben auch in seiner Instrumentalität zur Realisierung von Zielen und Zwe-cken. Genau deswegen beschäftigt sich die vorliegende Studie nicht nur mit der Technik und Dynamiken der Technisierung, sondern vor allem auch mit ihrer Imagination, Deutung und Anwendung im politischen Raum der Welt-gestaltung.

(3) Was aber ist hier mit Politik gemeint? In den Politikwissenschaften ist es höchst umstritten, auf welchen Gegenstand der Begriff „Politik“ theore-tisch und praktheore-tisch verweisen soll, und es besteht die Tendenz, „aus der Be-obachterperspektive jene Theorien als ‚Politische‘ zu verstehen, die als solche bezeichnet und diskutiert werden.“24 Sheldon Wolin argumentiert dennoch, dass die adjektivische Formulierung „politisch“ im Verlauf der Geschichte der politischen Philosophie in einer gewissen Konsistenz verwendet wird und sich auf das Öffentliche, Allgemeine und Staatliche bezieht.25 Seinem etymologi-schen Ursprung entsprechend beschränkt sich das Politische im griechietymologi-schen politischen Denken von Platon und Aristoteles zunächst einmal auf die πόλις (den antiken Stadtstaat) und war damit räumlich klar und eng eingegrenzt:

„The rigid limits that Plato and Aristotle set for the size and population of their ideal cities and the detailed attention that they devoted to matters of birth control, wealth and commerce, colonial and military expansion were part of their belief that the life of the polis, which they considered synonymous with its political character, could be articulated only within the narrow confines of the small city-state.“26

Dagegen bauen die vorliegenden Überlegungen eher auf die ethisch-politi-schen Intuitionen auf, wie sie in der Stoa entfaltet wurden. Wolin beschreibt im Kontrast zu Platon und Aristoteles den „mood of later Stoicism which […]

contemplated political life as it was acted out amidst a setting as spacious as the universe itself.“27 Maurice Blondel schreibt in diesem Sinne vom Handeln: „En agissant, l’homme ne limite pas son regard à la famille, à la cité, à l’humanité.

Il jette son intention au delà encore. Il s’insère, comme le disaient justement les stoïciens, à l’univers entier.“28 Hierbei kann an die stoische Konzeption der 24 Schaal / Heidenreich, Politische Theorien, 17–21, hier: 18.

25 Wolin, Politics and Vision, 56.

26 Wolin, Politics and Vision, 65 f.

27 Wolin, Politics and Vision, 66.

28 Blondel, Action, 279.

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οἰκείωσις gedacht werden, die das griechische Wort für „Haus“ (οἶκος) auf-nimmt (das in der Antike denjenigen Personenkreis einschließt, der zu einem bestimmten Haushalt gehört) und diesen Begriff sukzessive auf die ganze Welt ausdehnt. In der ethischen Vision der Stoa konnte und sollte also der tugend-hafte Mensch den gesamten Kosmos als Teil desselben universalen οἶκος ver-stehen und das einheitliche Wesen des Universums als gemeinsame Heimat aller Menschen (und Götter) anerkennen. So wird die ganze Welt als Haushalt und die Menschheit als große Menschenfamilie begriffen.29 In der christlichen Theologie spätestens des vierten Jahrhunderts hat sich in einem analogen Sinne die Rede von der „οἰκονομία“30 eingebürgert (die speziell in den grie-chischen Kirchenvätern und für die byzantinische Tradition prägend blieb).

Diese bezeichnet gleichzeitig die innere Struktur und das heilsgeschichtliche und selbstoffenbarende Wirken des dreieinen Gottes in seiner Schöpfung – die Art und Weise, wie er den gesamten Kosmos, seinen Haushalt, erlöst und zur Vollendung bringt.31 Der Mensch hat in der Theologie der Kirchenväter traditionellerweise eine Rolle als Mitarbeiter Gottes in der Schöpfung (vgl.

1 Kor 3,9), verbunden mit der Vorstellung, dass diese Mitarbeit eschatologisch bedeutsam ist (vgl. 1 Kor 15,58).32 Somit kann eine behutsame erste Definition von Politik gewagt werden: „Politik“ bezeichnet die menschliche freiheitlich-verantwortete Gestaltung von Wirklichkeit – theologisch bleibt solch mensch-liches Handeln in seiner Bestimmung als schöpferische Mitarbeit (συνεργία) 29 Vgl. Richter, Cosmopolis, 74–80, hier: 74.

30 Die „οἰκονομία“ bezeichnet in der griechischen Antike zunächst „die Verwaltung des Hauses“, eine „zweckmäßige Organisation“ bzw. „Administration“. Auf dieser Grund-lage wird der Begriff in die Theologie übertragen. Zur Etymologie vgl. Dierse, Ökono-mie (HWPh), 1153–1159; Agamben, Herrschaft und Herrlichkeit, 32–71, hier: 32–35.

31 Vgl. Lossky, Image and Likeness, 14 f; Agamben, Herrschaft und Herrlichkeit, 69–71.

Giorgio Agamben deutet die οἰκονομία als „Versuch, eine Reihe von nur schwer mit-einander zu vereinbarenden Ebenen: Weltfremdheit und Regierung der Welt, Einheit des Seins und Vielfalt des Wirkens, Ontologie und Geschichte in einer einzigen se-mantischen Sphäre zusammenzuführen“ (Agamben, Herrschaft und Herrlichkeit, 70).

In diesem Sinne geht es bei der οἰκονομία um die „Gestalt […] des transzendenten, zugleich einzigen und dreifachen Gottes, der, ohne dass dies seiner Transzendenz Ab-bruch tun würde, die Sorge der Welt auf sich nimmt und eine immanente Regierungs-praxis begründet, deren überweltliches Geheimnis mit der Menschheitsgeschichte zusammenfällt“ (Agamben, Herrschaft und Herrlichkeit, 69).

32 Vgl. Lossky, Image and Likeness 215 f. Giorgio Agamben schreibt dazu: „Die oikonomia ist etwas, das anvertraut wird. Sie ist also eine Tätigkeit, ein Amt, und kein ‚Heilsplan‘, der den göttlichen Verstand oder Willen betrifft“ (Agamben, Herrschaft und Herrlich-keit, 37 [Herv. im Original]).

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auf Gott den Schöpfer und sein Handeln bezogen.33 Gleichzeitig verweist die οἰκονομία als heilsgeschichtliche Konzeption der Vollendung des Weltprozes-ses auf das Eschaton, wobei das menschliche Handeln der Christenmenschen bereits in der Gegenwart von Gottes eschatologischer Zukunft geprägt sein sollte (vgl. 2 Petr 3,10–13).34 Aus theologischer Warte sind also das menschli-che Leben, Handeln und Wirken in der Geschichte und damit eben auch die politische Existenz des Menschen eschatologisch bedeutsam und sollen durch eschatologische Reflexion, Erwartung und Antizipation bestimmt sein.

(4) Damit ist angezeigt: Wenn es die Politik mit Programmen der

(4) Damit ist angezeigt: Wenn es die Politik mit Programmen der

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