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Weitere Perspektiven : Christliche und transhumanistische Eschatologie im Vergleich

Im Dokument des Transhumanismus (Seite 182-189)

Endzeitlicher Widerstreit: Zur kritisch-theologischen Auseinandersetzung mit dem Transhumanismus

Kapitel 5: Endzeitlicher Widerstreit

5.3 Weitere Perspektiven : Christliche und transhumanistische Eschatologie im Vergleich

Über die Beschäftigung mit dem zentralen eschatologischen Problem des To-des hinaus soll nun ein Katalog von Fragen dazu dienen, das Weltbild und gleichsam das politisch-theologische Profil der christlichen und transhumanis-tischen Eschatologien zu schärfen.48 Diese Fragen sind folgende: Wie wird das Verhältnis von Transzendenz und Immanenz bestimmt? Was geschieht mit der Endlichkeit? Damit verbunden: Wohin bzw. woraufhin läuft die Geschichte zu?

Hat sie ein Ziel? Wenn ja, welches? Wie (falls überhaupt) wird infolgedessen das Verhältnis von Zeit und Ewigkeit gedacht? Wie wird der Modus der Reali-sierung der Zukunft imaginiert? Wer ist das Subjekt der Geschichte? Wer treibt sie vorwärts, wer handelt? Welches sind die Mittel zur Realisierung derselben?

Die christliche Theologie rechnet mit einem die Welt übersteigenden meta-physisch-transzendenten Schöpfergott, in dem die Schöpfung ihr innerstes Ziel hat und dessen eschatologisch antizipierte Gegenwart in der Welt auf eine eschatische Vollendung der Schöpfung und ihrer Geschichte in der Form ei-ner transzendenzgesättigten Immanenz hinausläuft, die traditionellerweise als

„Ewigkeit“ bezeichnet wird. Dagegen rechnet der Transhumanismus gerade nicht mit einer die natürliche, immanente und wissenschaftlich beschreibbare Wirklichkeit transzendierenden Realität – er akzeptiert keine Wirklichkeit jen-seits und kein Ziel außerhalb der Geschichte in ihrer chronologischen Abfolge.

Entsprechend ist im Transhumanismus das Subjekt der Geschichte einzig und allein der Mensch (bzw. künstliche Intelligenzen), der mit den ihm zur Ver-fügung stehenden wissenschaftlich-technischen und kulturell-konstruktiven Mitteln die Welt und Zukunft des Menschen in kontinuierlichen Fortschritten gestaltet. Daraus ergibt sich auch die rein innerweltliche Heilskonzeption einer gestreckten Gesundheitsspanne, die letztlich auf ein quantitativ-maximiertes und qualitativ-optimiertes Leben im Rahmen des wissenschaftlich-technisch Möglichen hinausläuft. Im Bestreben, ein gutes und gelingendes Leben zu realisieren, strebt der Transhumanismus nach einer Steigerung des persön-lichen Wohlbefindens und der Freiheit im Setzen eigener Ziele und Zwecke.

Existenzielle Bedingung der Möglichkeit dafür ist eine gewährleistete fortwäh-rende Existenz. So findet der Transhumanismus seinen heilsgeschichtlichen Sinn im Kampf gegen den Tod, wobei das selbsterlösende Hinauszögern des 48 Ich folge hier den Kriterien, die ich andernorts mit Blick auf eschatologische Entwürfe in der russischen Religionsphilosophie bereits ausgeführt habe (vgl. Dürr, Christus oder Antichrist, 542–548).

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Todes bei gleichzeitiger Wahrung von Gesundheit und Vitalität letztlich auf eine Ermöglichung, Gewährleistung und beständige Förderung (absoluter) Entscheidungsfreiheit, Handlungsfreiheit und Selbstbestimmungsfreiheit des Menschen zielt. Durch Wissenschaft und Technik soll die Handlungsfähigkeit und Handlungsmacht des Menschen über die Wirklichkeit derart gesteigert werden, dass auf der individuellen Ebene eine Freiheit ermöglicht wird, so zu leben und so lange zu leben wie einem beliebt. Auf der kollektiven Ebene sol-len die materielle Welt und ihre evolutive Geschichte technologisch gesteuert und im Sinne des menschlichen Willens aktiv gestaltet werden. Dagegen geht der christliche Glaube von einer von Gott und Mensch freiheitlich-kooperativ gestalteten Schöpfung in Gegenwart und Zukunft aus. Die chronologische Zukunft bildet für die christliche Eschatologie dabei gerade nicht den einzig maßgebenden Horizont menschlichen Daseins,49 sondern ist verwurzelt in den transzendenten Grund ihres Daseins überhaupt. Die christliche Eschatologie rechnet, wie Jürgen Moltmann argumentiert, mit dem „Kommen Gottes“. Das heißt, sie rechnet neben dem chronologischen futurum (das heißt dem, was wird) auch mit einem adventus (das heißt dem, was kommt, bzw. demjenigen, der kommt). Moltmann macht dabei deutlich, dass sich das Futurum aus Ver-gangenheit und Gegenwart entwickelt, sodass in dieser Perspektive nur werden kann, was in der Welt schon angelegt ist,50 während es der adventlichen christ-lichen Hoffnung eben nicht zuletzt auch um eine „Erlösung der Zukunft aus der

‚Gewalt der Geschichte‘ “51 geht, die jedoch als Vollendung dieser Geschichte gedacht wird. Ergänzend zu den menschlichen Mitteln der Weltgestaltung kennt die Theologie auch noch deren gnadenhafte Aufhellung durch Gott, der ihr tragender Grund ist. Eschatologisches Heil beinhaltet in dieser Perspektive sowohl die naturalen Gegebenheiten der Schöpfung als auch ein Leben aus einer unerschöpflichen Quelle, welche die immanenten Zusammenhänge der Welt übersteigt.

Der Transhumanismus und der christliche Glaube stehen als rivalisierende Eschatologien gemeinsam vor dem Fragenkomplex: Was ist das gute Leben?

Wie ist es im Angesicht des Todes möglich? Gibt es eine fundierte Hoffnung für die Zukunft des menschlichen Lebens? Was bedeutet Erfüllung und Voll-endung dieses Lebens? Inwiefern sind die neuen Technologien dafür eine Hilfestellung? In ihrer transhumanistischen Wendung lautet die Frage: Ist eine kontinuierliche, den Tod immer weiter hinauszögernde, Vervollkommnung des 49 Vgl. Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen, 218.

50 Vgl. Moltmann, Das Kommen Gottes, 42–44, hier: 42.

51 Moltmann, Das Kommen Gottes, 64.

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Menschseins sowohl auf der biologischen wie auch auf der moralischen Ebene durch technische Mittel möglich – und erstrebenswert? Die Plausibilität einer Antwort auf diese Fragen hängt von der Akzeptanz spezifischer anthropolo-gischer, metaphysischer und ontologischer Annahmen ab, die im Folgenden weiter untersucht werden müssen. Die Frage nach einem guten endlichen Le-ben im Angesicht des Todes konkretisiert sich notwendig im Kontext poli-tisch-theologischer Überlegungen.52 Genau auf diesem Feld politischer Wirk-lichkeitsgestaltung spitzt sich die transhumanistische Kritik des christlichen Glaubens zu. Linell Cady fasst diese Kritik folgendermaßen zusammen:

„Transhumanism rightly calls attention to the increasing powers of the human to participate in the creative process, to our role and indeed responsibility to recali-brate the boundary between nature and culture through our technological inven-tions and imaginative visions. In this respect, this movement poses a challenge and highlights the limitations of religious positions that embrace a static human nature or reserve creativity to a transcendent God. In aggressively promoting these enhanced capacities, transhumanism opens up and onto fundamental questions concerning the nature of the human and the world. Bracketing these questions, under the ruse that transhumanism is a secular scientific successor to religious imaginings, makes it harder to engage the interpretive and normative challenges of the technosciences.“53

Cady macht darauf aufmerksam, dass wissenschaftliche Entwicklungen und neuartige Technologien die Theologie mit neuen interpretativen und norma-tiven Herausforderungen konfrontieren. Der christliche Glaube muss sich mit diesen Herausforderungen beschäftigen und seine Zukunftshoffnung im Blick auf sie artikulieren können. Dabei geht es aus theologischer Sicht um den Mo-dus und die Mittel einer eschatologischen Transformation der Schöpfung in die neue Schöpfung, welche auch die Überwindung von Sünde und Tod beinhalten müsste.54 Dagegen hat der Transhumanismus seinerseits schon Antworten auf seine eigenen Anfragen an den christlichen Glauben gefunden: Er stellt ein 52 Stephen Webb schreibt dazu: „Only if the eschaton is understood as a new creation in continuity with the old will Christians be motivated to care for this world in prepara-tion for the world to come“ (Webb, Eschatology and Politics, 500).

53 Cady, Religion, 100; vgl. dazu Göcke, Christian Cyborgs, 347–362; Göcke, Designobjekt Mensch?!, 117–149; McKenny, Transcendence, 177.

54 Aus christlicher Sicht muss nicht zuletzt die Ausklammerung des Problems der Sünde aus der Beschäftigung mit dem Tod die Realisierbarkeit transhumanistischer Program-me in Frage stellen (vgl. Dürr, Auferstehung des Fleisches, 38–61).

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mehr oder weniger konkretes Handlungsprogramm der Weltgestaltung in den Raum politischen Denkens, das den technologischen Ist-Zustand exponentiell gesteigert in die Zukunft extrapoliert und diese imaginierte Zukunft zu einem die Gegenwart prägenden Soll-Zustand erklärt. Im größeren Bild müssen diese Anliegen vor ihrem imaginativ-metaphysischen Hintergrund reflektiert wer-den: Die entsprechend rivalisierenden Vorstellungen von Gott (im Christen-tum und im Transhumanismus) zeitigen sich als antagonistische Vorstellungen davon, was Erlösung, Heil und Vergöttlichung des Menschen bedeuten sollen.55

In der Perspektive des christlichen Glaubens ist der Mensch in seiner jetzi-gen Gestalt gottfähig und kann gerade in und mit seiner Kontinjetzi-genz und Fra-gilität eschatologisch-transformativ vollendet werden (vgl. Abschnitt 10.8.1).

David Bentley Hart schreibt in diesem Sinne:

„[T]he earthly body in all its frailty and indigence and limitation is always already on the way to the glorious body of resurrection […], the mortal body is already the seed of the divinized and immortal body of the Kingdom; the weakness of the flesh is already, potentially, the strength of the ‚body full of power‘; […] divine humanity is not something that in a simple sense lies beyond the human; it does not reside in some future, post-human race to which the good of the present must be offered up;

it is instead a glory hidden in the depths of every person, even the least of us […]

waiting to be revealed, a beauty and dignity and power of such magnificence and splendor, that, could we see it now, it would move us either to worship or terror.“56 Dabei folgt die christliche Theologie dem Prinzip Thomas von Aquins: gra-tia non tollit naturam, sed perficit,57 das Wladimir Solowjew folgendermaßen reformuliert hat: „Die höchste und absolute Wahrheit schließt die Vorbedin-gungen ihres Erscheinens nicht aus und leugnet sie nicht, sondern rechtfertigt sie und macht sie sinnvoll und heilig.“58 Auch Jürgen Moltmann schreibt in diesem Sinne: „Das eschatologische Neue schafft sich selbst seine Kontinuität,

55 Auch der atheistische Mensch der Gegenwart kann eine Art innerweltliche Vergöttli-chung des Menschen anstreben, die Joseph Ratzinger treffend beschreibt: „Der Mensch will totale Emanzipation, d. h. Freiheit ohne jede Beschränkung, und Gleichheit, in der jede Entfremdung beseitigt und in der die völlige Einheit mit sich selbst, mit der Natur und mit der Menschheit verwirklicht ist – d. h. er will Göttlichkeit“ (Ratzinger, Eschatologie, 61; vgl. dazu Hart, Anti-Theology, 144–147).

56 Hart, Anti-Theology, 145 f.

57 Vgl. Thomas von Aquin, STh I, q. 1, a. 8, ad 2.

58 Solowjow, Drei Gespräche, 12.

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indem es das Alte nicht vernichtet, sondern aufnimmt und neu schafft.“59 Im Sinne des Transhumanismus muss der Mensch dagegen die gegenwärtige Ge-stalt des Menschseins überwinden, übersteigen und als defizitäre Form hinter sich lassen, um in das evolutiv-technisch vergöttlichte Leben der Zukunft ein-gehen zu können. Wiederum schreibt Hart pointiert:

„The materialist who wishes to see modern humanity’s Baconian mastery over cosmic nature expand to encompass human nature as well – granting us absolute power over the flesh and what is born from it, banishing all fortuity and uncertainty from the future of the race – is someone who seeks to reach the divine by ceasing to be human, by surpassing the human, by destroying the human.“60

Max More hat genau diese Perspektive an einer bereits zitierten, aber entschei-denden Stelle ausformuliert, deren ausführliche Zitation hier noch einmal ge-rechtfertigt scheint:

„Life and intelligence must never stagnate; it must re-order, transform and tran-scend its limits in an unlimited progressive process. Our goal is the exuberant and dynamic continuation of this unlimited process, not the attainment of some final supposedly unlimited condition. The goal of religion is communion with, or merely serving, God – a being superior to us. The extropian goal is our own expansion and progress without end. Humanity must not stagnate – to go backwards to a primitive life, or to halt our burgeoning move forward, upward, outward, would be a betrayal of the dynamic inherent in life and consciousness. We must progress on to transhumanity and beyond into a posthuman stage that we can barely glimpse.“61 Zentral ist die hier explizit gemachte Einsicht, dass der evolutionistisch und futuristisch orientierte Transhumanismus überhaupt keine irgendwie defi-nierbare oder sprachlich benennbare Gestalt des Menschseins akzeptiert und dieser Form des Menschseins auch keinerlei Wert zusprechen kann. Vielmehr werden die radikale Veränderbarkeit und damit auch die Überschreitungs-potenziale des Menschen über sich selbst hinaus betont.62 Mit Blick auf die 59 Moltmann, Das Kommen Gottes, 46.

60 Hart, Anti-Theology, 146.

61 More, Transhumanism, 11 (eigene Herv.).

62 Es handelt sich dabei um eine verzeitlichte und in die chronologische Zukunft pro-jizierte Version derjenigen Selbsttranszendenz, die Pascal in seinen Pensées auf die Formel gebracht hat: „L’homme passe infiniment l’homme.“ Pascal, Les Pensées, VIII, hier: 109. Der Mensch soll den Menschen nicht mehr um die Ewigkeit auf Gott hin,

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Möglichkeiten der modernen Technik sieht der Transhumanismus hier die Auflösung der Spannung von Natur und Kultur in Richtung der Letzteren, das heißt konkret: die (zumindest zukünftig) uneingeschränkte Gestaltung von Natur in Richtung einer allumfassenden artifiziellen Techno-Kultur. Wie sich diese Perspektive auf die Endlichkeit auswirkt und spezifisch auf den einzelnen sterblichen Menschen, wird sich im Folgenden zeigen.

Zusammenfassung und Ertrag

Der Transhumanismus wurde als eschatologisches Konkurrenzprogramm zum christlichen Glauben analysiert, das im politisch-theologischen Vaku-um einseitig-futuristischer, individualistisch-privatisierter und apolitisch-entweltlichter Eschatologien seine Plausibilität entfalten konnte. Mit seinen konkreten Heilsversprechen einer technologischen Erlösung vom Tod hält der Transhumanismus der christlichen Eschatologie vor, dass ihre Fixierung auf das Jenseits zu einer Vernachlässigung des Diesseits führe. Gleichzeitig ergibt sich durch die exklusive Fixierung des Transhumanismus auf das Innerwelt-liche eine Verschiebung dessen, was Heil bedeutet: die quantitative Verlän-gerung der menschlichen Gesundheitsspanne als Bedingung der Möglichkeit all dessen, was Transhumanistinnen und Transhumanisten sich unter einem guten Leben vorstellen. Mit den neuen technologischen Möglichkeiten radika-ler Weltgestaltung rücken für den Transhumanismus Heil und Heilsgeschichte in den Bereich menschlicher Verfügbarkeit, Kontrolle und technischer Mach-barkeit. Der Transhumanismus verspricht, in unmittelbarer Zukunft diejeni-ge Erlösung wissenschaftlich-technisch zu realisieren, welche die christliche Theologie nur postmortal erahnen könne. Er strebt die Vervollkommnung des Menschseins durch eine technisch-politische Gestaltung des Lebens im Ange-sicht des Todes an, die im Horizont ihres imaginativ-metaphysischen Hinter-grundes weiter ausgeleuchtet werden muss.

Immer deutlicher drängen sich damit die Fragen auf, mit denen sich die vorliegende Studie im Folgenden beschäftigen muss: Kann der Transhuma-nismus halten, was er verspricht? Und welche Alternativen hat der christliche Glaube zu bieten? Wenn hier Transhumanismus und christlicher Glaube hin-sichtlich ihrer jeweiligen Heilsversprechen miteinander konfrontiert werden sollen, dann gilt es, die Vorstellungswelten, Anliegen und Ziele des Trans-humanismus genauer zu profilieren und zu analysieren. Diesen Hintergrün-den des Transhumanismus geht der zweite Teil der vorliegenHintergrün-den Studie nach.

sondern um eine unendliche quantitative Verlängerung des Lebens auf die evolutive Zukunftsgestalt hin übersteigen.

TEIL II

ZU DEN HINTERGRÜNDEN

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