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Definition des Transhumanismus

Im Dokument des Transhumanismus (Seite 124-129)

an der Schwelle zur Unsterblichkeit

3.4 Definition des Transhumanismus

Im Durchgang durch die drei Stationen der Begriffsgeschichte des Transhuma-nismus hat sich dessen imaginative Bedeutung und damit seine sozialen, ethi-schen und politiethi-schen Implikationen der Anwendung jeweils gemeinsam mit der hintergründig operativen Metaphysik verschoben. Während bei Dante Alig-hieri der Prozess des trasumanar noch in ein christlich-metaphysisches Ver-ständnis der heilsgeschichtlichen Vollendung der Schöpfung in ihrem Schöpfer eingebettet war und damit eine durch Gottes Gnade beflügelte Vergöttlichung des Menschen bezeichnete,167 wurde dieser „Vergöttlichungsprozess“ von Julian 166 Esfandiary, Are You a Transhuman?, 199 (Herv. im Original).

167 Wobei man nicht vergessen darf, dass die positive Benennung im Neologisus trasuma-nar gleichsam eine Notlösung darstellt und nicht das Unverfügbare, Unbegreifliche und

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Huxley aus seinem christlich-metaphysischen Rahmen heraus gelöst und im Rahmen seines metaphysischen Evolutionismus zu einem wissenschaftlichen Optimierungsprozess des Menschenmaterials naturalisiert. Huxley überträgt die ehemals gottmenschliche Aufgabe der Wirklichkeitsvervollkommnung al-lein dem Menschen, und zwar explizit in Abgrenzung zum personalen Gott des Christentums, wenngleich noch unter pantheistischen Vorzeichen und mit entsprechenden Wertvorstellungen. Damit wurde Dantes eschatologischer Proto-Transhumanismus im Rahmen von Huxleys transhumanistischer Philo-sophie zunehmend immanentisiert und zum wissenschaftlich-technisch und biopolitisch antizipierbaren Projekt in der evolutionären Zukunft gemacht.

Diese Entwicklung wurde schlussendlich mit Fereidoun Esfandiary noch einmal radikalisiert. In dessen Schriften wird das Motiv einer chronologisch-greifbaren Zukunft des Menschseins jenseits des Todes in seiner für den zeit-genössischen Transhumanismus typischen Gestalt geprägt.168 Diese trans- bzw.

posthumane Zukunft liegt weit jenseits dessen, was im Blick auf den homo sapiens in seiner gegenwärtigen Form „menschlich“ genannt wird. Esfandiary wurde nicht zuletzt durch sein Engagement für die Institutionalisierung der transhumanistischen Bewegung in den Vereinigten Staaten von Amerika zum großen Vordenker und Gründer des zeitgenössischen Transhumanismus.169 Damit wird noch einmal deutlich, wie eminent politisch diese Bewegung auch heute noch ist und sein möchte.170 Mit Marga rita Boenig-Liptsin und Benjamin Hurlbut kann der Transhumanismus als „sociotechnical imaginary“ verstan-den werverstan-den.171 Er konstituiert eine von vielen Akteuren geteilte Vision einer potenziellen technologischen Zukunft, die als Katalysator der kollektiven mo-ralischen Imaginationsformierung in der Gegenwart fungiert, mit normativen Festlegungen und Forderungen verbunden ist und dadurch den soziotechni-schen Wandel der Gegenwart politisch prägt. Aus theologischer Perspektive fragt der Transhumanismus in seiner eigenen Weise nach den Möglichkeiten

Unaussprechliche dieses Prozesses außer Kraft setzt.

168 Freilich ist diese Zukunft im strengen Sinne nicht „jenseits“ des Todes, sondern be-zeichnet die „diesseitige“ Kontrolle desselben unter den Vorzeichen der in diesem Sin-ne mächtig gewordeSin-nen Wissenschaft, Medizin und Technik.

169 Vgl. Krüger, Virtualität und Unsterblichkeit, 90 f.

170 Aus transhumanistischer Sicht vgl. Vita-More, Transhumanism, 9; 55 f und Punkt (6) der Transhumanist Declaration. Margarita Boenig-Liptsin und Benjamin Hurlbut illus-trieren dies am Beispiel von Ray Kurzweils Singularity University (vgl. Boenig-Liptsin / Hurlbut, Technologies of Transcendence, 263–265).

171 Vgl. Boenig-Liptsin / Hurlbut, Technologies of Transcendence, 239–265, bes. 240; vgl.

Dürr, Umstrittene Imagination, 55–79.

106 Kapitel 3: Erste Definitionen

einer Bergung des Endlichen (primär des sterblichen Subjekts) und erkundet dabei den Modus einer Vollendung des bloßen Lebens im guten Leben. Der Transhumanismus ist als Weltanschauung, als biopolitisches Projekt und als heilsgeschichtlich-eschatologisches Programm der Weltgestaltung zu verste-hen. Entsprechend wird er in der vorliegenden Studie als biopolitische religio analysiert und damit als eschatologische Alternative zum christlichen Glauben verstanden.172 Bevor aber die religiös-eschatologische Dimension des Trans-humanismus analysiert wird, gilt es, den Gebrauch des Begriffs „Transhuma-nismus“ im Sinne der vorliegenden Studie noch einmal zusammenfassend und verbindlich darzulegen.

Zusammenfassung und Ertrag

Die transhumanistische Bewegung hat sich der Optimierung, qualitativen Stei-gerung und VerlänStei-gerung des menschlichen Lebens bzw. des gesunden Lebens unter Zuhilfenahme von Wissenschaft, Medizin und Technik verschrieben.

In radikaler Form geht es dabei um die Überwindung von Krankheit, Altern und Tod als notwendige Bedingung der Möglichkeit grenzenloser individueller Selbstgestaltungsfreiheit (morphologische Freiheit). Diese Ziele erfordern die proaktive Erforschung, Beherrschung und Steuerung der gesamten Natur, ein-schließlich der menschlichen Natur. Eine entsprechend „optimierte“ Zukunft strebt der Transhumanismus entweder biologisch oder postbiologisch an: Im biologisch orientierten Transhumanismus steht das Präfix „Trans-“ für das Transformieren (im Sinne einer Veränderung, Verbesserung, eines enhance-ments) des Menschen. Im postbiologisch orientierten Transhumanismus steht dasselbe Präfix für das Transzendieren (im Sinne einer Überwindung, Ab-schaffung, eines Hinter-sich-Lassens) des Menschen in seiner gegenwärtigen Gestalt des Menschseins. Das transformative Element nimmt dabei in etwa das auf, was weiter oben als „Transhumanismus“ im engeren Sinne umschrieben wurde, während das transzendierende Moment in etwa dem entspricht, was weiter oben „technologischer Posthumanismus“ hieß. Als „Transhumanistin-nen“ und „Transhumanisten“ werden also im Folgenden alle diejenigen be-zeichnet, die sich mit einigen oder sämtlichen hier benannten Anliegen, Ideen und Zukunftsvisionen identifizieren lassen. Insofern der Transhumanismus (in diesem umfassenderen Sinne) in weiten Strecken noch darauf bedacht ist, 172 Die Rede von einer „biopolitischen religio“ ist dabei eine eigenständige

Weiterent-wicklung von Eric Voegelins Rede von „politischen Religionen“ (vgl. Voegelin, Die politischen Religionen, passim, bes. 11–18). Der Begriff fungiert dabei als heuristisches Instrumentarium.

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dass immer noch „wir“ es sind, die in der trans- und posthumanen Zukunft in veränderter Gestalt fortexistieren, bleibt er, aus kritisch-posthumanistischer Perspektive, immer noch einem Anthropozentrismus verhaftet. Erst dort, wo auch diese Kontinuitätsperspektive aufgegeben wird, ist die Rede von einem Posthumanismus173 im strengen Sinne gerechtfertigt, und es ist zugleich dessen objektiver Nihilismus angezeigt, der das Menschliche ganz konkret annihilie-ren und nicht in einer als Verbesserung empfundenen Weise fördern möchte.

Freilich wird hier ein Nihilismus-Begriff in Anschlag gebracht, der nicht von der absoluten Nichtigkeit alles Bestehenden und Seienden ausgeht und auch nicht sämtliche Zielsetzungen, Ideale und Werte gänzlich ablehnt. Der Trans-humanismus zeichnet sich ja gerade durch objektive Werte, eine Teleologie und den Glauben an einen höheren Sinn menschlicher Existenz aus. Wenn in der vorliegenden Studie also von einem transhumanistischen Nihilismus die Rede ist, dann einerseits insofern dieser von der Nichtigkeit des Bestehen-den und SeienBestehen-den in seiner jetzigen, defizitären Gestalt ausgeht und bereit ist, das Gegenwärtige für das Zukünftige zu annihilieren. Andererseits weil die (freilich sowohl mit dem Evolutionismus als auch mit den objektiven Zielen des Transhumanismus letztlich inkompatible) libertäre Konzeption einer ab-soluten morphologischen Selbstgestaltungsfreiheit in ihrer individualistischen Verengung den Akt freien Entscheidens von sämtlichen Gütern jenseits des Willens des entscheidenden Subjektes löst und damit eine in sich gehaltlo-se Entscheidungsfreiheit verabsolutiert. Es gehört zur Grunddynamik trans-humanistischen Denkens, dass die Transformation der menschlichen Natur im Horizont seiner metaphysisch-imaginativen Hintergrundannahmen (un-abhängig davon, ob unter „Natur“ hier ein Wesen, eine Form, Essenz, Gestalt oder eine biologische, soziale oder kulturelle Gegebenheit verstanden wird) in letzter Konsequenz notwendig zu ihrer Transzendierung und das heißt:

radikalen Abschaffung führt. Eine zentrale These der vorliegenden Studie lautet entsprechend: Ein metaphysisch zu Ende gedachter Transhumanismus mündet notwendig in einen nihilistischen Posthumanismus. Diese These wird besonders im Teil II sachlich entfaltet und historisch plausibilisiert. Mit diesen definitorischen Orientierungspunkten kann jetzt der nächste Schritt getätigt werden, in welchem der Transhumanismus als biopolitische religio auf seine immanentisiert-eschatologischen Implikationen hin befragt (vgl. Kapitel 4) und dann explizit mit der christlichen Theologie ins Gespräch gebracht wird (vgl. Kapitel 5).

173 Dieser wird dann wirklich als Human-ismus zu lesen sein und nicht nur als Post-Humanismus.

Kapitel 4

Biopolitische religio:

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