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Der Transhumanismus als innerweltliche religio

Im Dokument des Transhumanismus (Seite 144-156)

Biopolitische religio: Zur eschatologisch- Zur eschatologisch-politischen Dimension transhumanistischer

Kapitel 4: Biopolitische religio

4.2 Der Transhumanismus als innerweltliche religio

Der Transhumanismus ist eine religio und darüber hinaus eine religiös funk-tionierende Weltdeutung unter dem Vorzeichen einer absolut gesetzten In-nerweltlichkeit.58 Er verspricht eine Erlösung vom unfreiwilligen Tod in der Gestalt seiner medizinisch-technisch perpetuierten Hinauszögerung. Er bietet heilsgeschichtlichen Sinn und Zweck in der kontinuierlichen Antizipation die-ses innerweltlichen Heils und fordert dafür die existenzielle Bindung des Men-schen an den innerweltlichen Gott einer technisiert-kollektiven Menschheit der Zukunft (vgl. Abschnitt 8.2.1). Konkret bedeutet dies eine Selbstbindung an Gott und keiner sonst, ich bin Gott, und meinesgleichen gibt es nicht“ (Jes 46,9). Auch Jeremia wendet sich gegen die menschengemachten Götzen und stellt ihnen den wah-ren Gott entgegen: „Der HERR aber ist wahrhaftig Gott, er ist ein lebendiger Gott und ewiger König. Vor seinem Zorn erbebt die Erde, und gegen seine Wut kommen die Nationen nicht an. […] Die Götter, die weder den Himmel noch die Erde gemacht haben, werden verschwinden von der Erde und unter diesem Himmel. Er ist es, der die Erde gemacht hat durch seine Kraft, den Erdkreis fest gegründet hat in seiner Weis-heit und den Himmel ausgespannt in seiner Einsicht. […] Dumm steht da ein jeder Mensch, ohne Erkenntnis, zuschanden wird jeder Schmied an seinen Bildern, denn sein gegossenes Bild ist Lüge, und kein Atem ist darin. Sie sind Nichts, ein lächerliches Machwerk, zur Zeit ihrer Heimsuchung gehen sie unter. Nicht wie diese ist der Anteil Jakobs, denn er ist es, der alles gestaltet, und Israel ist der Stamm seines Erbbesitzes, HERR der Heerscharen ist sein Name“ (Jer 10,10–16). In der Reformationszeit schreibt Martin Luther im Sinne dieser Fundamentalunterscheidung in seinem großen Kate-chismus: „[W]ie ich offt gesagt habe / das alleine das trawen und gleuben des herzens / machet beide Gott und abeGott. Ist der glaube und vertrawen recht / so ist auch dein Gott recht / und widerumb / wo das vertrawen falsch und unrecht ist / da ist auch der rechte Gott nicht […]. Worauff du nu (sage ich) dein herz hengest und verlessest / das ist engentlich dein Gott“ (Luther, Katechismus, 4). Auch Huldrych Zwingli kommen-tiert in Über die wahre und falsche Religion in demselben Geiste: „Wahre Religion oder Frömmigkeit besteht darin, dass man dem einen alleinigen Gott anhangt […]. Falsche Religion, falsche Frömmigkeit ist die, die einem anderen als Gott vertraut“ (Zwingli, Religion, 95; 102).

58 Dies gibt auch das Transhumanist FAQ zu: „While not a religion, transhumanism might serve a few of the same functions that people have traditionally sought in religion“ (Hu-manity+, Transhumanist FAQ 3.0). Im Sinne der vorliegenden Studie rechtfertigt aber genau dieser funktionale Aspekt die Bezeichnung „religiös“. Gleichzeitig müssen hier die dezidiert pro-metaphysischen und explizit religiösen Gestalten des Transhumanis-mus erwähnt werden, die dessen Anliegen entweder als mit religiösen Überzeugungen kompatibel (vgl. Kapitel 3) oder als religiöse Überzeugungen in ihrem eigenen Recht verstehen (vgl. Jordan, Transhumanist Religion, 55–72; Amarsingam, Transcending Technology, 1–14; LaTorra, Trans-Spirit, 41–52; Sandberg, Transhumanism, 5 f).

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die Technik selbst. Im Kontext einer zunehmend quantifizierten Wirklichkeit kann der Transhumanismus mit Bernd Flessner als „(ökonomische) Heilsleh-re“ verstanden werden, welche die Wettbewerbsfähigkeit des Menschen in der aktuellen Wettbewerbsökonomie und ihrer Upgrade-Kultur garantieren soll.59 Das transhumanistische Erlösungsprogramm ist eingebettet in die Heilsge-schichte einer innerweltlichen Eschatologie.60 Diese Eschatologie wiederum ist ein „hybrides Gemisch aus naturwissenschaftlichen, philosophischen und religiösen Anteilen“.61 Aus der freien Mischung dieser Elemente, deren allfällige Widersprüche auf der vorreflexiven Ebene menschlicher Imagination kaum ins Gewicht fallen, lässt sich nicht zuletzt ihre Attraktivität für das moderne Bewusstsein erklären. Bernd Flessner schreibt über den Transhumanismus:

als „Heilslehre“ habe er „einen entscheidenden Vorteil gegenüber alten, tra-ditionellen Erzählungen, nämlich jenen, auf die Moderne als Legitimation verweisen zu können, auf den Humanismus, die Aufklärung, die Mathema-tik, die Rationalität, die Logik, auf Darwin und Turing, auf die modernen Naturwissenschaften“.62 Mit Oliver Krüger kann darüber hinaus von einer

„selektiven Rezeption religiöser Ideen“63 und Motive im Transhumanismus gesprochen werden, wobei sogar die traditionelle Religiosität positiv wahr-genommen wird, sofern sie der individuellen Selbstverwirklichung und der Überwindung von Grenzen dienlich ist.64

Insgesamt kann und soll es jedoch in der vorliegenden Studie mit der Fra-ge nach der religiösen Funktion des Transhumanismus nicht wirklich darum gehen, ob es sich beim Transhumanismus um eine veritable Religion handelt.65 Dies würde der bereits etablierten Einsicht nicht gerecht, dass mit dem Begriff

„Transhumanismus“ ein heterogenes Feld von Akteuren, Perspektiven, Werten und Ideen bezeichnet ist, das sich nur schwerlich auf einen Nenner bringen

59 Flessner, Rückkehr der Magier, 70; Spreen, Upgradekultur, passim, bes. 8–10.

60 Vgl. Waters, Whose Salvation?, 163–176, bes. 168.

61 Krüger, Virtualität und Unsterblichkeit, 151.

62 Vgl. Flessner, Rückkehr der Magier, 70.

63 Krüger, Virtualität und Unsterblichkeit, 409.

64 Vgl. Tirosh-Samuelson, Religion, 61–63. Hava Tirosh-Samuelson hat hier unter ande-rem synkretistische Formen einer „trans-spirituality“ im Blick.

65 In der Formulierung von Patrick Hopkins ist der Transhumanismus „religious, if not a religion“ (Hopkins, Transcending the Animal, 20 [Herv. im Original]). Zur religions-wissenschaftlichen Kartographierung und Analyse des Trans- und technologischen Posthumanismus vgl. Krüger, Virtualität und Unsterblichkeit, passim.

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lässt.66 Wohl aber lassen sich die religiösen Motive, Anliegen und Verspre-chen benennen, mit denen viele Transhumanistinnen und Transhumanisten operieren: Was nämlich die verschiedenen Strömungen im Transhumanismus vereinigt, ist, wie Krüger zu Recht bemerkt, eine „gemeinsame Hoffnung auf die künftigen Technologien, die mindestens das Altern und den Tod überwin-den sollen.“67 Allein wie dies geschehen kann, soll und wird, darüber herrscht keine Einigkeit. Insgesamt kann der Transhumanismus also sehr wohl religiös gedeutet und als säkulare Eschatologie verstanden werden, als Endzeitlehre, die unter Annahme einer physikalistischen Weltanschauung spezifische An-sichten in Bezug auf die zentralen Themen und Fragen eschatologisch-theolo-gischer Reflexion bietet. In Anlehnung an Eric Voegelin kann gesagt werden, der Transhumanismus biete eine „immanentisierte Eschatologie“.68 Er ist als Heilslehre zu verstehen, deren konkretes techno-politisches Erlösungspro-gramm im Rahmen einer „immanentisierten Ekklesiologie“69 angestrebt wird.

Je näher die eschatologische Welterfahrung in der immanenten Ekklesia zu realen, möglichen oder zumindest vorstellbaren Lösungen für das Problem des Todes vordringt, desto deutlicher kann dieser wissenschaftliche Fortschritt als zivilisatorische Errungenschaft und letztlich als Projekt der Selbsterlösung des Menschen gedeutet werden.70 Diese Immanentisierung der Eschatologie als säkulare Form des „Glaubens“ wurde, so argumentiert Voegelin, nur möglich durch „experiental alternatives sufficiently close to the experience of faith that only a discerning eye would see the difference, but receding far enough from it to remedy the uncertainty of faith in the strict sense.“71 Das Versprechen des 66 Diesen Vorwurf macht Oliver Krüger m. E. zu Recht in Bezug auf Hava

Tirosh-Sau-melsons wichtigen Aufsatz zu diesem Thema: Transhumanism as Secularist Faith (vgl.

Tirosh-Samuelson, Transhumanism, 710–734). Krüger beanstandet, dass Tirosh-Samu-elson in ihrer Analyse des Transhumanismus dessen faktische Heterogenität ausblen-det (Krüger, Virtualität und Unsterblichkeit, 408). Die Fokussierung auf die religiösen Funktionen des Transhumanismus beugen dieser substantiellen und kategorialen Homogenisierung vor. Gleichwohl ist es für die vorliegende Untersuchung wenig in-teressant, inwiefern sich diverse Akteure selbst als religiös bezeichnen möchten oder nicht. Eine Übersicht über die Schnittstelle von explizit institutionalisierter Religion und Transhumanismus bieten Tirosh-Samuelson, Religion, 63–67; Krüger, Virtualität und Unsterblichkeit, 110–115.

67 Krüger, Virtualität und Unsterblichkeit, 114.

68 Vgl. Voegelin, New Science of Politics, 187; Coenen, Human Enhancement, 86; Moos, Reduced Heritage, 173 f.

69 Voegelin, Die politischen Religionen, 54 f (vgl. Kapitel 8).

70 Voegelin, New Science of Politics, 193.

71 Voegelin, New Science of Politics, 188.

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Transhumanismus ist genau in diesem Sinne die Überwindung von Unsicher-heit, da er den Gehalt von Erlösung imaginativ in den Bereich potenzieller technischer Verfügbarkeit hereinholt, obwohl er faktisch weit jenseits unserer medizinischen Möglichkeiten liegt. Die inhaltliche Nähe zu religiösen Moti-ven wurde bereits am Beispiel William Oslers deutlich gemacht: Besonders deutlich wird die sakral-religiöse Dimension im Blick auf die Vorstellungen im Bereich einer zukünftigen technologischen Singularität.72 Die gleichzei-tig notwendige Distanz ergibt sich aus der Projektion dieser Erlösung in eine diffuse Zukunft, in der technologisch potenziell irgendwie alles möglich sein könnte. Zentral ist hierfür die Dimension des Glaubens, die bereits mehrmals als zentrales Element einer religio ausgewiesen wurde. Osler hat in seiner Con-cise History of Medicine unter anderem auch deutlich gemacht, wie zentral der Glaube an und das Vertrauen in die Wissenschaft für deren Erfolg ist: „[T]he basis of the entire profession of medicine is faith in the doctor and his drugs and his methods.“73 Genau auf diese Verquickung von realer Wirkmacht mit einem Grundvertrauen in die Realität seiner Wirkpotenziale auch dort, wo diese de facto nicht oder noch nicht wirken, baut der zeitgenössische Transhumanismus auf. Damit ist der Glaube umrissen, welcher der innerweltlichen religio des Transhumanismus unterliegt. In seinem späteren Werk spricht Eric Voegelin von einer modernen „Gnosis“ bzw. einem „Gnostizismus“, der das Gefühl einer radikalen wissenschaftlich-technischen Wirklichkeitskontrolle beschreibt.74 72 Zur religiösen Dimension transhumanistischer Singularitätskonzeptionen vgl. Horgan,

Consciousness, 36–41; Proudfoot, Software Immortals, 367–385; Cole-Turner, Singularity and the Rapture, 777–796. Zum „Fideismus“ solcher Vorstellungen vgl. Bringsjord / Bringsjord / Bello, Belief, 395–406 (vgl. Abschnitt 8.2.1).

73 Osler, A Concise History of Medicine, 64 (eigene Herv.).

74 Voegelin, New Science of Politics, 187–190; vgl. Germino, Eric Voegelin, 5–52. Dieser steil formulierte Gnosis-Begriff entspricht freilich nicht der historischen Gnosis bzw.

den vielfältigen Variationen gnostischer Bewegungen seit der Antike. Auch muss hier bemerkt werden, dass das Verhältnis von „politischer Religiosität“ und „Gnosis“ in der Voegelin-Forschung umstritten ist und die beiden Begriffe nicht deckungsgleich sind (zur Kontroverse um den Gnosis-Begriff vgl. Rossbach, Gnosis, 77–121). Für die vorliegende Studie ist jedoch weniger der spezifische Gehalt und das Verhältnis dieser Begriffe im Werk Voegelins an sich relevant als ihr heuristischer Gehalt. Beide Begriffe sind insofern nützlich, als dass sie zur Klärung des Phänomens des Transhumanismus beitragen. Die Rede von „politischen Religionen“ weist auf eine radikal immanentisier-te Eschatologie, die jedoch dieses Immanenimmanentisier-te notwendig sakral und spirituell wieder auflädt, während mit „Gnosis“ auf einen Verfügbarkeitsglauben verwiesen wird, der das Gefühl der Weltbeherrschung und Wirklichkeitskontrolle bis an den Rand einer operationalen Gewissheit treibt.

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Dieser Glaube wird im Transhumanismus im Blick auf die technologische Zu-kunft operational.

Damit ist angezeigt, wie zentral der Glaube an einen kontinuierlichen Fort-schritt für die transhumanistische „Religiosität“ ist.75 Voegelin redet in seiner Diskussion innerweltlicher Fortschrittslogiken von einer Pilgerschaft, hin zu einem Telos, einem Zustand der Perfektion, einer Utopie.76 Dabei überlagern sich (1) ein teleologisches und (2) ein axiologisches Moment (aus theologischer Sicht sind streng genommen beide mit einer reduktiv-materialistischen und evolutionistischen Weltanschauung inkompatibel):

(1) Transhumanistinnen und Transhumanisten streben, wie Max More deutlich betont, in der Regel keinen statischen Paradieszustand an und wehren sich gegen die Aussage, sie beförderten eine Utopie.77 Dies, so More, aus zwei Gründen: Erstens, weil Utopien in der Regel als unrealistische und idealistische Projekte wahrgenommen würden, während More genau für die Realisierbar-keit dieser Visionen argumentieren möchte. Zweitens, weil Utopien gemeinhin statisch konzipiert seien, das heißt als Zustand imaginiert würden, der einmal erreicht wird und dann gewissermaßen andauere. Der Transhumanismus hin-gegen rechne gerade nicht mit einem fixierbaren Zustand, sondern mit einem perpetuierten Prozess des Fortschritts: „Transhumanism is about continual improvement, not perfection or paradise.“78 In dezidierter Abgrenzung zu ei-nem Utopismus betont er: „The Idol of Paradise and the idea of a Platonically perfect, static utopia is so antithetical to true transhumanism that I coined the term extropia to label a conceptual alternative. Transhumanists seek neither utopia nor dystopia. They seek perpetual progress – a never-ending movement toward the ever-distant goal of extropia.“79 Diesen kontinuierlichen Fortschritt (perpetual progress) hat More zu einem der Prinzipien seines „extropianischen Transhumanismus“ erklärt und definiert folgendermaßen:

75 Nachfolgende Überlegungen zur Utopie des Transhumanismus orientieren sich an Dürr, Oliver, Nikolaj Fëdorov und der Transhumanismus, 297–311.

76 Vgl. Voegelin, New Science of Politics, 186.

77 Exemplarisch kann hier Mores Antwort auf Don Ihdes Vorwurf, der Transhumanismus eifere einem statischen „idol of paradise“ nach, angeführt werden (vgl. Ihde, Human, 123–135; More, True Transhumanism, 136–146). Zu den utopischen Tendenzen im Transhumanismus (gegen More) vgl. Hauskeller, Reinventing Cockaigne, 39–47; zur Differenzierung utopischer Vorstellungen im Trans- und im kritischen Posthumanis-mus vgl. Hauskeller, Utopia, 101–107; Saage, New Man, 1–6; Zakariya, Technological Utopias, 269–288.

78 More, True Transhumanism, 139.

79 More, True Transhumanism, 140 (eigene Herv.).

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„Extropy means seeking more intelligence, wisdom, and effectiveness, an open-ended lifespan, and the removal of political, cultural, biological, and psychological limits to continuing development. Perpetually overcoming constraints on our pro-gress and possibilities as individuals, as organizations, and as a species. Growing in healthy directions without bound.“80

Insgesamt ist Mores Perspektive nicht zuletzt in Bezug auf seine streitbare und enge Definition von „Utopie“ zu hinterfragen.81 Gegen seinen Vorwurf eines „Idealismus“ im Blick auf die Realisierbarkeit von Utopien soll zunächst einmal darauf hingewiesen werden, dass der 1516 von Thomas Morus in sei-nem Libellus geprägte Begriff „utopia“ ursprünglich auf eine zwar andere, aber mögliche Realisierung eines Commonwealth abzielte, der, im Falle von Morus, trotz aller Diskrepanz sogar im Möglichkeitshorizont englischer Realpolitik lag.82 Utopien können und wollen sehr wohl realpolitisch erreichbare Visionen bezeichnen. In Bezug auf die Statik utopischer Entwürfe kann Eric Voegelins Definition von Utopie, als Hoffnung auf einen Zustand der Perfektion,83 in nur leicht modifizierter Weise sehr wohl auf den Transhumanismus angewandt werden: Dieser zielt zwar nicht auf einen Zustand der Perfektion, wohl aber auf einen Prozess der Perfektionierung ab. Auch diese Vorstellung ist im Lichte der christlich-theologischen Tradition kein Novum. Bereits in den mystischen Schriften eines Gregors von Nyssa findet sich im Rückgriff auf Phil 3,12–14 die am Begriff der Epektasis festgemachte Vorstellung einer kontinuierlichen Perfektionierung des Menschen in Gottes Ewigkeit.84 Im Transhumanismus ist diese Bewegung freilich auf das Innerweltliche beschränkt, woraus sich

80 More, Principles of Extropy; vgl. dazu More, Philosophy of Transhumanism, 5.

81 Andere Definitionen sind jedoch verfügbar. So redet beispielsweise Michael Hauskeller auf eine Weise von Utopien, die eine Bezeichnung des Transhumanismus als „utopisch“

problemlos machen würde: „Utopias can be loosely defined as ‚man’s dreams of a better world‘ “ (Hauskeller, Reinventing Cockaigne, 40).

82 Vgl. Chambers, Meaning of Utopia, 137–142; Nipperdey, Reformation, Revolution, Uto-pie, 114–116. Chambers schreibt dazu: „We shall then find, […] that few books have been more misunderstood than Utopia. It has given the English language a word ‚Utopian‘ to signify something visionary and unpractical. Yet the remarkable thing about Utopia is the extent to which it adumbrates social and political reforms which have either been actually carried into practice, or which have come to be regarded as very practical politics“ (Chambers, Meaning of Utopia, 137).

83 Vgl. Voegelin, New Science of Politics, 186.

84 Vgl. exemplarisch Gregor von Nyssa, Vita Moysis, 1.10.5–6; Boersma, Seeing God, 83–

88.

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seine spezifische Dynamik der Entgrenzung speist. Zusammenfassend kann der Transhumanismus zu Recht als Utopie bezeichnet werden, und zwar als dynamische Utopie des Fortschritts. Aus dieser Vision einer prozessualen Utopie der Perfektionierung ergibt sich der transhumanistische Progressivismus, des-sen Teleologie in einem komplexen Wechselverhältnis zum evolutionistischen Weltbild steht.

Neben dem teleologischen Moment ist (2) die transhumanistische Fort-schrittsrhetorik notwendig auch an Wertungen gebunden und damit an einen Maßstab der Bewertung. Bei Dante Alighieris Transhumanisierung war dieser Maßstab durch den christlich-metaphysischen Hintergrund, den Gottesbezug und das positive Ziel der Gottesschau klar gegeben. Im Unterschied dazu könn-te im Sinne der transhumanistischen Ontologie im strengen Sinne eigentlich gar nicht mehr von einem „Fortschritt“ gesprochen werden, sondern nur von Veränderungen des Weltzustandes. Die Transhumanist Declaration hält jedoch fest: „Although all progress is change, not all change is progress.“85 Insofern hier nicht nur neutral und deskriptiv von Veränderungen ausgegangen wird, sondern Wertungen auf ein Gutes (oder im Sinne des Progressivismus auf ein immer besser Werdendes) hin gemacht werden, muss von einem impliziten Maßstab ausgegangen werden, der hinter dem transhumanistischen Denken liegt. Besonders in der Vermengung eines evolutionistischen „Fortschrittsnar-rativs“ mit den utilitaristischen Kalkülen von Nutzen, Glück, Wohlbefinden, Lust und Leidlosigkeit stellen Transhumanistinnen und Transhumanisten Kriterien der Lebensqualität und Lebenswertigkeit auf. Eric Voegelin erklärt die Mechanik innerweltlich-begrenzter Axiologien dadurch, dass gewisse als erstrebenswert wahrgenommene Faktoren ausgewählt werden (im Trans-humanismus wäre hier beispielsweise an eine verlängerte Gesundheitsspanne, erweiterte Sinneswahrnehmungsfähigkeiten, eine bessere Gefühlslage usw. zu denken), die zum Standard erklärt werden und mithilfe derer dann Fortschrit-te als qualitative und quantitative SFortschrit-teigerung dieser definierFortschrit-ten GüFortschrit-ter inFortschrit-terpre- interpre-tiert werden können. Daraus resulinterpre-tiert das, was Voegelin eine „bigger and bet-ter“ Logik nennt.86 Für viele Transhumanistinnen und Transhumanisten bietet ein evolutionär konzipierter Utilitarismus den entsprechenden Wertmaßstab.87 85 Humanity+, Transhumanist Declaration.

86 Vgl. Voegelin, New Science of Politics, 186.

87 Vgl. Loh, Trans- und Posthumanismus, 25 f; More, Philosophy of Transhumanism, 13;

Hughes, Transhumanism and Personal Identity, 229; 231. Der Utilitarismus versucht, die moralische Richtigkeit einer Handlung als Resultat einer rationalen Wahl zwischen alternativen Möglichkeiten zu begreifen – eine Richtigkeit, die primär von ihren Folgen

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Dieser ergibt sich implizit aus der Verbindung des im Transhumanismus weit verbreiteten ethischen Konsequentialismus und der gleichfalls weit verbrei-teten Maxime, dass die Überwindung sämtlicher Einschränkungen des Men-schen erstrebenswert sei.88

Insgesamt bleibt die transhumanistische religio also nicht bei neutral-wissenschaftlichen Beschreibungen der Wirklichkeit stehen (wenn es denn überhaupt so etwas gibt), sondern ist darüber hinaus massiv in (1) Zukunfts-prognosen und (2) Wertungen verstrickt, die das Deskriptive übersteigen. Der Transhumanismus bietet also heilsgeschichtliche Orientierung in der Welt, ein techno-politisches Handlungsprogramm auf dem Weg zur soteriologischen Gestaltung von Wirklichkeit und Kriterien zur Bewertung des Fortschritts in-nerhalb dieses heilsgeschichtlichen Prozesses. Dass es sich beim Transhuma-nismus um eine religio und konkreter noch um eine techno-politische Reli-gion handelt, zeigte sich bereits in seinen Ursprüngen bei Julian Huxley (vgl.

Abschnitt 3.3.2). Für Huxley betrifft die zentrale Funktion von Religion die Haltung des Menschen im Blick auf seine Bestimmung (his attitude towards his destiny).89 Es ist diese Bestimmung (destiny), die der Transhumanismus seit Huxley den Händen Gottes bzw. der institutionalisierten Religion entreißen und ohne deren traditionelle Vorgaben selbst gestalten will. Dasselbe gilt auch für Max Mores zeitgenössische Philosophie des Transhumanismus: „God was a primitive notion invented by primitive people, people only just beginning to step out of ignorance and unconsciousness. […] Our own process of endless expansion into higher forms should and will replace this religious idea.“90 More möchte den Transhumanismus als „philosophy of life“ verstanden wissen, „that

bzw. dem Nutzen her bestimmt ist und sich am Gratifikationswert (das heißt dem Maß an Lust, das eine Handlung hervorbringt) misst (vgl. Höffe, Utilitaristische Ethik, 10 f).

Im Unterschied zur klassisch-utilitaristischen Sozialpragmatik, die das menschliche Handeln auf das allgemeine Wohlergehen verpflichtet, oszilliert aber der Transhuma-nismus zwischen seinem individualistisch verengten Ausgangspunkt und seinen kol-lektivistischen Konsequenzen. Der Bezug zum Utilitarismus gilt weniger für den sich auf Nietzsche beziehenden Transhumanismus, wie ihn beispielsweise Sorgner vertritt (vgl. Tuncel, Nietzsche, 83–98, bes. 92; Sorgner, Nietzsche, 29–42).

88 Vgl. Ranisch, Morality, 153. Insgesamt ist Robert Ranisch Recht zu geben, wenn er schreibt: „There is no comprehensive transhumanist morality or moral theory“ (Ra-nisch, Morality, 149). Dennoch bietet er selbst eine kompakte Übersicht über zentrale Normen und Werte, die den meisten transhumanistischen Entwürfen unterliegen (vgl.

Ranisch, Morality, 149–172).

89 Huxley, Evolutionary Humanism, 281.

90 More, Transhumanism, 11.

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fulfills some of the same functions as a religion without any appeal to a higher

fulfills some of the same functions as a religion without any appeal to a higher

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