• Keine Ergebnisse gefunden

Das Subjekt-Modell Jüttemanns als Grundlage einer anthropologisch verzerrungsfreien psychologischen Grundlagenwissenschaft

Im Dokument Widmung und Dank (Seite 167-174)

These 5 - Menschliches Verhalten ist zukunftsorientiert - Antizipation und Humanisation

4.3 Zur Problematisierung der Menschenbild-Kategorie in Jüttemanns „Psyche und Subjekt“

4.3.1 Das Subjektive und der analytisch-induktive Perspektivismus

4.3.1.1 Das Subjekt-Modell Jüttemanns als Grundlage einer anthropologisch verzerrungsfreien psychologischen Grundlagenwissenschaft

Diese zwei Zitate verdeutlichen, daß Jüttemann in der Bestimmung seines eigenen anthropologi-schen Ansatzes von einem Negativ-Ziel ausgeht: der Vermeidung spekulativer anthropologischer Setzungen im Sinne von Prämissen, die entweder spekulativ-kasuistisch oder unter dem Diktat gegenstandsunangemessener Methoden674 eine nur scheinbare Verifizierung erfahren (können) und tatsächlich nur zu „anthropologischen Verzerrungen“ führen. Damit setzt er an einer Schwachstelle (nicht nur) psychologischer Theoriebildung an, die auch Schneewind und die Her-ausgeber des deutschsprachigen „Zimbardo“ ansprechen, daß nämlich am Ende der Konstrukti-onsfolge „(subjektive) anthropologische Grundannahmen - Modell - Theorie“ die Menschenbild-Präsuppositionen „nicht mehr thematisiert“675 werden, sondern - so läßt sich anknüpfen - als im-plizite676, aber objektivierte Elemente des gewonnenen wissenschaftlichen Aussagensystems er-scheinen. Eine denkbare Alternative bestünde darin, auf anthropologische Prämissen gänzlich zu verzichten677; dies aber wäre ein Trugschluß, denn jede humanwissenschaftliche Theorie geht realiter von einer mehr oder weniger impliziten und mehr oder minder elaborierten Anthropologie aus, die sich in Form eines Menschenbildes rekonstruieren läßt. Keine Alternative, sondern eine aus der beschriebenen Problematik ableitbare Konsequenz stellt die Forderung nach Offenlegung der spezifischen anthropologischen Basisannahmen dar. Dieser Forderung kommt Jüttemann im Gegensatz zu den meisten (nicht nur) psychologischen Theorieproduzenten678 nach, er weist aber zugleich auf die Gefahr einer Anpassung des Gegenstands an die Methode „im Sinne der Herstel-lung einer künstlichen Modellkonstruktion“679 hin; gerade unter dem Vorzeichen der empirischen Methodologie sind operationale Definitionen „des“ Menschen denkbar und zu erwarten, die sich auch in expliziter Form am Ende der Theoriekonstruktion als stringent und plausibel erweisen.

Von der „Falsifizierbarkeit“ des methodisch konstruierten Menschenbildes läßt sich daher nicht ausgehen. Aus diesem Sachverhalt leitet Jüttemann eine weiterreichende Forderung ab:

674 Als gegenstandsunangemessen erachtet Jüttemann nicht nur die „falsifikationistische“, sondern auch die „hermeneutische Vorgehensweise“. Vgl. Jüttemann 1992, S. 16.

675 Vgl. „Zimbardo“ 1995, S. 8.

676 Dies kritisiert in gewisser Weise auch Schneewind: „Wir hatten argumentiert, daß im Rahmen einer psychologischen Personwissenschaft das Wissen über individuelles Handeln und Erleben sowie seine Voraussetzungen und Auswirkungen nicht implizit bleiben darf.“ Schneewind 1992a, S. 73.

677 In gewisser Weise scheint u. a. Benner einen solchen Ansatz für möglich zu halten, wenn er „weder Aussagen über biologische Anlagen des Menschen noch Aussagen über eine dem Menschen von ir-gendeiner Umwelt her zukommende Bestimmung“ für eine relational verfaßte Allgemeine Pädagogik zulassen will. Vgl. Benner, D.: Allgemeine Pädagogik. Eine systematisch-problemgeschichtliche Ein-führung in die Grundstruktur pädagogischen Denkens und Handelns. Weinheim/München, 2., verbes-serte Aufl. 1991, S. 104.

678 Vgl. Abschnitt 4.1 dieser Arbeit. Oerter verzichtet in seinen empirischen Untersuchungen zur Wirk-samkeit von Menschenbildern im Kontext von Erziehung und Sozialisation auf die Explizierung seiner eigenen anthropologischen Basisannahmen.

679 Jüttemann 1992, S. 20.

„Die Konsequenz einer Absage an das deduktive Strukturdenken in den Sozialwissenschaften muß darin bestehen, alle Gegenstandsbeschreibungen ‘von unten’ aufzubauen, d. h. immer nur von konkret vorfindbaren Individuen und Sachverhalten auszugehen. Zugleich erhält der Begriff Analyse einen besonderen Sinn. Während etwa die gesuchte Struktur in den Naturwis-senschaften durchaus als etwas Vorfindbares (wenn auch noch nicht Bekanntes) zu bezeich-nen ist, stellt sich das Vorfindbare in den Sozialwissenschaften immer nur in der Form einer erlebbaren und zum Teil auch sprachlich beschreibbaren Wirklichkeit dar und bildet insgesamt ein komplexes System, das nur in einer perspektivischen Weise sinnvoll erforscht werden kann, und zwar einfach deshalb, weil die wissenschaftlichen Analysestrategien nur dann als gegenstandsangemessen anerkennbar sind, wenn sie jenem Perspektivismus korrespondieren, der die Gegenstände auch in der Realität kennzeichnet.“680

Und weiter:

„Dabei dient der Begriff ‘Perspektivismus’ ausschließlich zur Verdeutlichung der Tatsache, daß wir es in den Sozialwissenschaften in der Regel nicht mit homogenen Strukturen und nicht mit voll überschaubaren Funktionsmechanismen, sondern mit hochkomplexen, historisch gewach-senen und vielfältig differenziert hervortretenden Verhältnissen zu tun haben, die immer nur dann einigermaßen präzise erfaßbar sind, wenn man sich auf eine ausschnitthafte Darstellung beschränkt. Diese ausschnitthafte Darstellung psychischer oder sozialer Wirklichkeit geschieht am besten aufgrund beschreibbarer Sachverhalte singulärer, differentieller oder universeller Art, die insgesamt jenen analytisch-induktiven Perspektivismus repräsentieren, der einem prin-zipiell abzulehnenden konstruktiv-deduktiven Perspektivismus (dem ein vor allem in anthropo-logischer Hinsicht äußerst problematisches deduktives Strukturdenken zurgunde liegt) konse-quent gegenüberzustellen ist und der die allein angemessene Betrachtungsweise in einer ernstzunehmenden sozialwissenschaftlichen Grundlagenforschung bildet.“681

Die eine Forderung, die Jüttemann im Interesse der Vermeidung anthropologischer Verzerrungen formuliert, besteht darin, „die klassischen quantitativen Arbeitsweisen der psychologischen For-schung vollständig in den Bereich der Anwendungswissenschaften hineinzuverlagern“, weil

„die Erzeugung von Systemimmanenz lediglich dort keine schädlichen Auswirkungen zeigt, wo es nicht auf den Wahrheitsgehalt, sondern lediglich auf den praktischen Nützlichkeitswert von Theorien ankommt. Insofern ist auch nur für den Bereich der grundlagenwissenschaftlichen Psychologie das Ende des Operationalismus zu fordern.“

Dies erfordere auch, „alle modellbildenden Gegenstandsbeschreibungen bisheriger Art zumindest aus dem Wissensbestand des Grundlagenbereichs der Disziplin zu entfernen.“ Diese zweite For-derung hat unter der Prämisse, daß sich die disziplinspezifische Kritik Jüttemanns im Sinne eines sozial- und verhaltenswissenschaftlich (oder sogar humanwissenschaftlich) universellen metho-dologisch-anthropologischen Problemzusammenhangs auf Nachbardisziplinen der Psychologie übertragen läßt, weitreichende Konsequenzen. Die wichtigste Folgerung wäre, daß derzeit in den Grundlagenbereichen sämtlicher humanwissenschaftlicher Arbeitskontexte, in denen eine einsei-tige methodologische Orientierung auf empirisch-naturwissenschaftliche oder

680 Jüttemann 1992, S. 20.

681 Jüttemann 1992, S. 20f.

schaftlich-hermeneutische und -phänomenologische Vorgehensweisen682 bzw. idiographische oder nomothetische Strategien gegeben ist, nicht von einem gesicherten Wissensstand im Sinne eines realanthropologischen Menschenbildes auszugehen ist.683 Die Umkehrfolgerung bestünde darin, daß sich ein verbindendes realanthropologisches Menschenbild in humanwissenschaftli-chen Grundlagenbereihumanwissenschaftli-chen nur dann entwickeln läßt, wenn die kritisierten Dichotomien zumin-dest perspektivisch überwunden werden. Dieser Umkehrschluß setzt sich insofern von Jütte-manns Position ab, als jener „Menschenbild“ tendenziell im Sinne von „anthropologischer Verzerrung“ verwendet und somit negativ konnotiert. Ich möchte, insofern durchaus in Überein-stimmung mit dem Verständnis Hamanns, „Menschenbild“ bezeichne „dem Wissensstand ent-sprechende begründbare Aussagen vom Menschen“684, für eine wertneutrale Verwendung des Menschenbild-Begriffs plädieren, um zu verdeutlichen, daß jede humanwissenschaftliche Theorie (im Grundlagen- und im Anwendungsbereich) eine anthropologische Position impliziert. Entschei-dend ist nach meinem Verständnis nur, ob das jeweilige Menschenbild sich als einseitig „metho-dengemacht“ im Sinne Jüttemanns - d. h. als Ergebnis method(olog)ischer Reduktion bzw. Re-striktion - erweist oder sich argumentativ (und explizit) als „gegenstandsangemessen“ ausweist.

„Gegenstandsangemessenheit“ läßt sich meines Erachtens aber nicht positiv bestimmen. Infolge des Interaktionsverhältnisses von Gegenstand und Methode685 ist eine epistemologische Argu-mentation prinzipiell nur auf der Grundlage gegebener methodologischer Konzeptionen und me-thodischer Instrumentarien möglich; die Entwicklung eines humanwissenschaftlich tragfähigen Menschenbildes ist somit von der Entwicklung eines elaborierten multimethodalen und multiper-spektivischen Ansatzes abhängig, der keine mögliche Vorgehensweise ausklammert, aber jede mögliche Vorgehensweise auf ihren Beitrag zur Entwicklung eines konsensfähigen Menschenbil-des befragt, das immer nur einen approximativen Charakter686 aufweisen kann.

Diese Negativbestimmung von „Gegenstandsangemessenheit“ und damit auch die Positivbe-stimmung seiner eigenen anthropologischen Position leistet Jüttemann unter Rekurs auf die Sub-jekt-Kategorie. So geht seine zweite Forderung dahin, „den Gegenstand der Psychologie im Sinne der Vielfalt vorfindbarer, z. B. normalsprachlich ‘erfaßter’ subjektrelevanter Sachverhalte (Her-vorhebungen J. K.), neu zu definieren“ 687. Entscheidend für das Erkenntnisinteresse, das die grundlagenwissenschaftliche Erneuerung der Psychologie zu leiten habe, seien dabei zwei Beson-derheiten:

682 „Auch die generelle Entscheidung für ein geisteswissenschaftliches, z. B. hermeneutisches oder phä-nomenologisches Vorgehen, ... birgt ... mindestens ähnliche Gefahren in sich wie im Bereich der na-turwissenschaftlich orientierten psychologischen Forschungsarbeit.“ Jüttemann 1992, S. 83f.

683 Vgl. hierzu Abschnitt 5.3.2 dieser Arbeit.

684 Vgl. Hamann, B.: Pädagogische Anthropologie. Theorien - Modelle - Strukturen. Eine Einführung. Bad Heilbrunn, 2. überarb. und erw. Aufl. 1993, S. 6.

685 Vgl. Schlees Ausführungen zu den Menschenbildannahmen des FST in Groeben et al. 1988, S. 11-17. Vgl. auch Abschnitt 5.3 dieser Arbeit.

686 Vgl. Abschnitt 2.3 dieser Arbeit.

687 Jüttemann 1992, S. 23.

„Eine Besonderheit des grundlagenwissenschaftlichen psychologischen Erkenntnisinteresses besteht - und zwar vor allem im Gegensatz zu einigen klassischen Naturwissenschaften - dar-in, daß die Zielsetzung, die Gesetze und Kräfte der Natur zu erforschen, um besser über sie verfügen (d. h. für den Menschen ausbeuten) zu können, im Bereich der Humanpsychologie eigentlich keine Rolle spielt, so daß stets der potentielle Aufklärungswert auffindbarer Er-kenntnisse von ausschlaggebender Bedeutung ist. Eine weitere Besonderheit ... betrifft den Aspekt der nicht (restlos) objektivierbaren Subjektivität.“688

Die so skizzierte Forschungsstrategie Jüttemanns erinnert an die Wulfsche Konzeption einer plu-ralen-historischen pädagogischen Anthropologie689, insofern „heute nur noch die Erzeugung plu-ralen (Hervorhebung J. K.) anthropologischen Wissens“690 bzw. „die Steigerung der Komplexität anthropologischen Wissens“691 möglich sei. Der Unterschied zur Konzeption Wulfs, der seine Po-sition (auch) als „Anthropologie nach dem Tode des Menschen“ kennzeichnet692 und offensicht-lich keine Mögoffensicht-lichkeit (mehr) sieht, von der Perspektive des menschoffensicht-lichen Subjekts auszugehen, besteht nun darin, daß Jüttemann seinen Ausgangspunkt exakt in der Perspektive menschlicher Subjektivität nimmt.

Jüttemanns Ausführungen lassen erkennen, daß er die anthropologischen Grundannahmen seines Subjekt-Modells im wesentlichen in Abgrenzung zu mechanistischen Modellen einer behaviori-stisch orientierten Experimentalpsychologie bestimmt. Sein Subjekt-Modell steht somit für einen Gegenentwurf, für ein Bild des Menschen, das sich „seiner gleichsam technologisch betrachtba-ren Vergegenständlichung“ und der „Anwendung einer systematisch-analysiebetrachtba-renden Untersu-chungsstrategie bzw. nomologischen Erklärungsweise nach dem Vorbild der Naturwissenschaf-ten“ entzieht693. Von zentraler Bedeutung ist die

„Annahme, daß das Subjekt nicht einem Roboter vergleichbar ist und damit nicht als ein Ort verstanden werden kann, an dem objektiv determinierte Prozesse ablaufen, sondern daß es selbst determinierend in Erscheinung tritt und dabei über gewisse Freiräume individueller Le-bens- und Selbstgestaltung verfügt.“694

Das „Bild vom Subjekt als einer determinierenden Instanz“ bzw. als einer „mehr oder minder au-tonomen Instanz von zentraler Wirksamkeit“, das sich gleichermaßen gegen naturwissenschaft-lich-deterministische wie gegen philosophische Positionen richtet, die den Menschen als prinzipi-ell „frei handelndes Wesen“ ausweisen695, diene aber lediglich dazu, „die potentielle Vielgestaltigkeit des Subjektiven zu veranschaulichen“. Denn zum einen sei es unmöglich, „das

688 Jüttemann 1992, S. 24.

689 Vgl. Wulf 1994b, S. 25ff.

690 Wulf 1994a, S. 14.

691 Wulf 1994a, S. 14.

692 Vgl. Wulf, Chr. und Kamper, D.: Einleitung: Zum Spannungsfeld von Vervollkommnung und Unver-besserlichkeit. In: Wulf 1994c, S. 7-11.

693 Jüttemann 1992, S. 121f.

694 Jüttemann 1992, S. 122.

695 Vgl. etwa Spaemann, R.: Über den Begriff einer Natur des Menschen. In: Michalski, K.: Der Mensch in den modernen Wissenschaften. Castelgandolfo-Gespräche 1983. Stuttgart 1985, S. 100-116, insbesondere S. 115.

Subjekt objektiv zu definieren“696 bzw. „das Subjekt als Objekt zu verstehen bzw. als ‘Ich’ zu verdinglichen“697 - weshalb es letztlich als „nicht analysierbar“ gelten müsse -, und zum andern komme es darauf an, die „Besonderheit des Subjektiven ... bewußt in Form von allgemein zu-stimmungsfähig erscheinenden Aussagen“ zu bestimmen, „um zu verhindern, daß sich anfecht-bare anthropologische Setzungen einschleichen und die Gefahr einer Entstehung von Systemim-manenz heraufbeschworen wird“.698

Die Subjekt-Konzeption Jüttemanns berücksichtigt die philosophische Dimension, die in der Kritik Franks am Subjekt-Verständnis Tugendhats699 zum Vorschein kommt. Jüttemann zitiert Frank:

„Tugendhats semantische Reduktion des Selbstbewußtseinsproblems ist hermeneutisch naiv und unterschätzt die Singularisierungsleistung des Pronomens der ersten Person Singular.

Zunächst widerspreche ich der Auffassung, daß mit ‘ich’ ein raumzeitliches Objekt identifiziert wird, sofern - wie Strawson und Tugendhat es tun - ‘identifizieren’ im Sinne von ‘objektivie-ren’ verstanden wird. Als ‘Objekt’ bezeichnet man nur diejenige Wahrnehmungskomplexion, die ich durch einen fixen Begriff auf ein dauerhaftes Merkmal überschreite, zu dem ich zu ver-schiedenen Zeiten als auf daßelbe zurückkommen kann“.700

Frank, der zu dem Ergebnis kommt, „daß der Rekurs auf die Kategorie der Individualität nicht hätte aufgegeben werden dürfen“701, unterscheidet in seiner Kritik von Subjektivitäts-Konzeptionen drei Paradigmen, die er - „vereinfachend“ - „erkenntnistheoretisch, semantisch und hermeneutisch“ nennt.702 Zum erkenntnistheoretischen Paradigma, dem auch Jüttemann zu fol-gen scheint, hält er fest:

„In der erkenntnistheoretischen Perspektive wird Subjektivität als ein Allgemeines - ein allen selbstbewußten Wesen gemeinsames Struktur-Merkmal - behandelt, ohne daß die spezifizie-rende Funktion des deiktischen Ausdrucks ‘ich’ in den Blick gerät.“703

Mit Blick auf das individuelle Subjekt implizieren die kritischen Ausführungen Franks auch meines Erachtens, daß es nicht nur als biographisch, sondern auch als situativ veränderlich zu denken und insofern nicht objektivierbar ist. Diese Festlegung ist aber wiederum Bestandteil eines allge-meinen Subjekt-Verständnisses im Sinne Franks: „Ich werde ... von Subjekten als von

696 Jüttemann 1992, S. 122.

697 Jüttemann 1992, S. 123.

698 Jüttemann 1992, S. 122.

699 Tugendhat, E.: Selbstbewußtsein und Selbstbestimmung. Sprachanalytische Interpretationen. Frank-furt a. M. 1981.

700 Frank, M.: Subjekt, Person, Individuum. In: Frank, M., Raulet, G. und van Reijen, W. (Hrsg.): Die Frage nach dem Subjekt. Frankfurt a. M. 1988, S. 21.

701 Frank 1988, S. 27.

702 M. E. ist eine vierte (und weniger problematische) Spielart denkbar, die die ansonsten umstrittene Bezeichnung „Subjekt“ als Metapher aus dem syntaktisch-grammatikalischen Bereich wählt, um zu verdeutlichen, daß menschliche Subjekte in Analogie zu den Formen des Aktivs und des Passivs als bewußt und intentional Handelnde wie als Sich-Verhaltende gedacht werden können. Wichtiger als die Bezeichnung ist aber, welche Eigenschaften, Merkmale, Perspektiven etc. man Individuen, Perso-nen, Subjekten zuschreibt.

703 Frank 1988, S. 8.

nen, von Personen als von besonderen und von Individuen als von einzelnen Selbstbewußtseinen sprechen.“704

Im einzelnen verknüpft Jüttemann mit seiner allgemeinen Subjekt-Konzeption folgende Festle-gungen705:

• Der Mensch könne sich „selbst in schwierigen Situationen flexibel entscheiden“;

• er könne „sein Leben mehr oder weniger kreativ gestalten“.

• Infolgedessen sei seine „Entwicklung normalerweise nicht starr festgelegt“,

• und sein Verhalten könne „deshalb auch prinzipiell nicht oder zumindest nicht zuverlässig vor-hergesagt werden“.

• In Anlehnung an Thomae706 hält Jüttemann fest, „daß sich das menschliche Subjekt nicht rein reaktiv verhält, sondern kognitive Repräsentationen der Wirklichkeit in sich aufbaut und ei-genständige Orientierungen gewinnt, aus denen es in begründeter Weise Handlungsentschlüs-se ableitet“.

• Das Subjekt tendiere aufgrund seiner „(relativen) Strukturoffenheit“ dazu, „schematische Handlungsabläufe zu vermeiden und nicht in allen sozialen Situationen völlig überblickbar zu sein“.

• Es ist bestrebt, „Individualität und Originalität zu repräsentieren“.

• „Gleichzeitig möchten die meisten Menschen nicht allzu unberechenbar erscheinen und des-halb Identität besitzen oder sogar demonstrieren.“

• Ferner könne das Subjekt im Rahmen des „Sichzusichverhaltens“ „nicht nur rational planen, sondern auch in emotionaler Weise zu sich selbst Stellung nehmen“.

Mit diesen „allgemeinen“ Festlegungen verbindet Jüttemann das Ziel einer Abgrenzung (zualler-erst) von naturwissenschaftlich-empiristischen Modellierungsstrategien:

„Es zeigt sich vor allem, daß die grundlagenwissenschaftliche Psychologie dann, wenn sie ih-rem Gegenstand gerecht werden und sich seiner würdig erweisen möchte, keine Wissenschaft von der Natur sein darf, sondern eine Wissenschaft vom Menschen sein muß. Innerhalb einer so verstandenen Psychologie läßt es die beschriebene Besonderheit des Subjektiven nicht zu, das, was generell zum Thema gemacht werden soll, endgültig und restfrei zu vergegenständli-chen.

In diesem Zusammenhang ist zu beachten, daß auch jede Anwendung einer Modellierungsstra-tegie prinzipiell auf eine unzulässige Vergegenständlichung (des Ganzen) hinausläuft.“

Und unter Rekurs auf Thomae fügt Jüttemann hinzu:

704 Frank 1988, S. 9.

705 Vgl. Jüttemann 1992, S. 123.

706 Jüttemann bezieht sich auf Thomae, H.: Das Individuum und seine Welt. Eine Persönlichkeitstheorie.

Göttingen, 2., völlig neu bearbeitete Aufl. 1988.

„Wichtig ist es, stets die Gefahr im Auge zu behalten, daß die meisten ‘impliziten Menschen-bilder abgesehen von jeder theoretischen Ausrichtung schon mit der Anwendung bestimmter Methoden gegeben’ (Thomae 1969, S. 13) sind.“ 707

Die Subjekt-Kategorie bzw. die Kategorie des „Subjektiven“ steht im Ansatz Jüttemanns für den Anspruch, den Menschen im Kontext der Theoriebildung weder theoretisch noch methodisch durch den Versuch einer Definition, durch Konstruktion oder Modellierung vorfestzulegen. Dies erklärt, warum Jüttemann seine Festlegungen zum „Subjekt“ bzw. zum „Subjektiven“ - im Ge-gensatz zum Forschungsprogramm Subjektive Theorien708 oder zum sozialisationstheoretischen Ansatz Hurrelmanns709 - nicht als Bild oder Modell des Menschen ausweist. Seine strukturoffene Subjekt-Konzeption steht für den Anspruch einer Strategie des „analytisch-induktiven Perspekti-vismus“, der „jenem Perspektivismus korrespondieren muß (Ergänzung J. K.), der die Gegen-stände auch in der Realität kennzeichnet“.710 Damit spricht er das epistemologische Problem an, wie die Entsprechung der „realen“ und der „analytischen“ Perspektive herzustellen und wie zual-lererst menschliche Realität erkennbar sei. Diese Bestimmungen trifft er im wesentlichen durch negative Ausgrenzung der „konstruktiv-deduktiven“ Strategie, die durch theoretische Präsupposi-tionen und ihr methodisches Vorgehen ihren Menschen modellierend setze. Die positiven (epi-stemologischen) Festlegungen des eigenen Ansatzes bestehen im wesentlichen in der (allgemei-nen) Bestimmung des Menschen als Subjekt und im Verzicht auf method(olog)ische Vorgaben bzw. - wie im sozialisationstheoretischen Ansatz - in der Nachordnung von Methodenentschei-dungen. Mit anderen Worten: Jüttemanns Subjekt-Konzeption stellt die Antwort auf die episte-mologische Problematik einer Psychologie als empirischer Naturwissenschaft dar.

Was aber spricht dagegen, eine prinzipiell gleiche Konstruktionsfolge der Theoriebildung unter verschiedenen perspektivischen Vorgaben anzunehmen, in der die Subjekt-Konzeption Jütte-manns lediglich für spezifische, ihrem Anspruch nach verzerrungsfreie anthropologische Basisan-nahmen und ein alternatives erkenntnisleitendes Menschenmodell steht? Stachowiak711 hat in seiner allgemeinen Modelltheorie folgende Funktionen von Modellen bestimmt, wobei Modelle gleichzeitig mehrere Funktionen erfüllen können: die repräsentierende, selegierende, heuristische, illustrierende (veranschaulichende) und konstituierende Funktion.712 Jüttemann möchte mit sei-nem „Bild vom Subjekt als einer determinierenden Instanz ... die potentielle Vielgestaltigkeit des Subjektiven veranschaulichen713„, d. h. (quasi-)metaphorisch verdeutlichen - dies spricht für die illustrierende Funktion (s)eines Subjekt-Modells, das in seiner Allgemeinheit „den“ Menschen

707 Jüttemann 1992, S. 124. Jüttemann bezieht sich auf Thomae, H.: Psychologie und Anthropologie.

Eine kritische Analyse. In: Vita humana. Beiträge zu einer genetischen Anthropologie. Frankfurt a. M.

1969 (Wiederabdruck; erste Veröffentlichung in A. Flitner [Hrsg.]: Wege zur pädagogischen Anthro-pologie. Heidelberg 1963) (Literaturangabe nach Jüttemann 1992).

708 Vgl. Abschnitt 5.3 dieser Arbeit.

709 Vgl. Abschnitt 6 dieser Arbeit.

710 Vgl. Jüttemann 1992, S. 20.

711 Stachowiak, H.: Allgemeine Modelltheorie. Wien/New York 1973.

712 Vgl. Groeben 1986, S. 52.

713 Jüttemann 1992, S. 122.

präsentiert, der als in letzter Konsequenz „nicht analysierbar“ bzw. aufgrund seiner (individuellen) Subjektivität als nicht objektivierbar gilt. Eine selegierende Funktion ist auszuschließen, denn die von Jüttemann aufgeführten Einzelaspekte des „Subjektiven“ sind nicht etwa Ausdruck einer elementaristischen Position, sie sollen lediglich die letztliche Nicht-Analysierbarkeit verdeutlichen;

zugleich implizieren die Festlegungen dieses Subjekt-Modells eine Absage an methodisch-perspektivische Reduktionismen. Geht man davon aus, daß jede methodische Restriktion eine gegenstandsunangemessene Konstruktion des Menschen nach sich zieht, so erweist sich das Subjekt-Modell Jüttemanns zudem als nicht-konstituierend, da die modellierenden Methodenent-scheidungen aus dem Bereich der psychologischen Grundlagentheorie ausgeklammert werden.

Zudem - und in erster Linie - fungiert das Subjekt-Modell Jüttemanns in negativ-abgrenzender wie in positiv-perspektivischer Hinsicht als heuristisches Instrument: Es wendet sich gegen er-kenntnisverschließende anthropologische Setzungen und bezeichnet zugleich Zusammenhangs-vermutungen eines Denkansatzes im Sinne einer sozialwissenschaftlich-psychologischen „Noch-Nicht-Theorie“714 des Menschen. Jüttemann entwirft ein nicht-deterministisches Bild der „deter-minierenden Instanz“ des menschlichen Subjekts, das in seiner strukturellen Offenheit und in sei-nem approximativen Grundcharakter die Position der Nichterkennbarkeit bzw. der nicht restfreien und nicht endgültigen Erkennbarkeit berücksichtigt.

Wollte man die anthropologischen Basisannahmen Jüttemanns auf den Kriterienkatalog Schnee-winds beziehen, so ergäben sich für dessen Subjekt-Modell im wesentlichen die gleichen Prämis-sen wie für die Menschenbildskizze Thomaes.715 Der wesentliche Unterschied besteht darin, daß Thomae im Gegensatz zu Jüttemann auf die Subjekt-Kategorie verzichtet.

Im Dokument Widmung und Dank (Seite 167-174)