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Abkehr von „utopischen“ Menschenbildern

Im Dokument Widmung und Dank (Seite 82-85)

3 Aktuelle Menschenbild-Implikationen im biologischen Kontext der Erziehungswissenschaft .0 Vorbemerkung

3.1.1 Abkehr von „utopischen“ Menschenbildern

Bevor ich versuche, das der pädagogischen Konzeption von Cubes zugrundeliegende Menschen-bild darzustellen, möchte ich seine kritischen Ausführungen zu MenschenMenschen-bildern anderer Prove-nienz näher betrachten. In seinem einleitenden Abschnitt „Problem und Intention“ stellt er fest:

„Ich hege ein tiefes Mißtrauen gegen religiöse oder auch geisteswissenschaftliche Vorstellun-gen, die den Menschen als reines Geisteswesen auffassen, abgekoppelt von der Natur, abge-koppelt von seinem stammesgeschichtlichen Erbe. Gewiß hat der Mensch mit seinem Geist, seiner Vernunft, seinem, biologisch gesprochen, Großhirn Technik geschaffen, Kunst, Wissen-schaft, Kultur etc.; durch die Mißachtung der Natur, insbesondere auch seiner eigenen Natur, hat er aber viel Unglück heraufbeschworen; er hat sich in eine Situation hineinmanövriert, in der ihm die Zerstörung seiner selbst droht (...).“326

Zunächst fällt auf, daß geisteswissenschaftliche Vorstellungen vom Menschen verdächtig dicht in die Nähe religiöser Vorstellungen gerückt werden. Zwischen Menschenbildprägungen religiös motivierter normativer Pädagogiken und Menschenbildannahmen einer geisteswissenschaftlichen Pädagogik sollte aber - anders als bei von Cube - ein deutlicher Trennstrich gezogen werden. Zu-dem werden sich in den geisteswissenschaftlichen Hervorbringungen der Nachkriegszeit restrikti-ve Reduktionismen in der von Felix von Cube beschriebenen Art nicht nachweisen lassen327, ebensowenig in zahlreichen anthropologischen Arbeiten der evangelischen Theologie.

Ferner: Der Ansicht, dem Menschen drohe die Zerstörung seiner selbst, kann man sich anschlie-ßen, ohne dem hier hergestellten Kausalzusammenhang insgesamt oder auch nur teilweise zu-stimmen zu müssen. Versteht man die Gesamtheit der in diesem einen Absatz getroffenen 324 von Cube 1991, S. 127.

325 Eine Unterscheidung zwischen „Handeln“ und „Verhalten“, die auch in außerpsychologischen Dis-kussionskontexten fruchtbar angewandt werden könnte, treffen Groeben et al. Vgl. Groeben, N., Wahl, D., Schlee, J., Scheele, B.: Das Forschungsprogramm Subjektive Theorien. Eine Einführung in die Psychologie des reflexiven Subjekts. Tübingen 1988.

326 von Cube 1991, S. 122.

327 Vgl. Meinberg, E.: Das Menschenbild der modernen Erziehungswissenschaft. Darmstadt 1988.

führungen als kausalen Erklärungszusammenhang, so ließe er sich z. B. in die folgende Kurzform bringen: Weil religiöse und geisteswissenschaftliche Vorstellungen den Menschen zur Mißach-tung der Natur geführt haben, droht ihm die Zerstörung seiner selbst als eines Teils dieser Natur.

In dem terminologischen Biologismus, für Geist und/oder Vernunft „Großhirn“ zu sagen, klingt eine andere Ebene möglicher Ursachen für die drohende Umweltkatastrophe an: eine materialisti-sche Grundorientierung, die zumindest in der sogenannten westlichen Welt ökonomisch und poli-tisch dominiert und technologische und technische Machbarkeit ohne Rücksicht auf die natürli-chen Lebensgrundlagen des Mensnatürli-chen selbst um den Preis der ökologisnatürli-chen Katastrophe

„optimiert“ hat.328

Zugegeben, diese Gegenausführungen sind nicht weniger polemisch gehalten als die Ausführun-gen von Cubes selbst, in denen eine Vielzahl rhetorischer Andeutungs- und Hyperbel-Techniken wirkungsvoll zum Einsatz gelangt. Wozu diese Gegenpolemik? Es sollte deutlich geworden sein, daß die von Felix von Cube angedeutete monokausale Erklärung bei aller Evidenz einzelner Zu-sammenhänge insgesamt nicht überzeugen kann. Den Grund hierfür erkenne ich im Fehlen einer gesellschaftstheoretischen Komponente. Aber von Cube mißtraut auch sozialwissenschaftlichen Ansätzen:

„Ich bin auch mißtrauisch gegen eine Sozialwissenschaft, die den Menschen nur als Produkt seiner sozialen Umwelt auffaßt und damit ebenfalls seine Natur ignoriert, die gebannt auf die Geschichte des Menschen blickt, unter ‘Geschichte’ aber nur die Kulturgeschichte des Men-schen versteht und nicht auch seine Stammesgeschichte.“329

Von Cubes Kritik geht an soziologischen und insbesondere sozialisationstheoretischen Men-schenbildentwürfen der Gegenwart vorbei. Sie kann sich allenfalls gegen die aus heutiger Sicht

„soziologistische“ Annahme Durkheims richten, das bei Geburt „asoziale“ menschliche Wesen müsse zum „sozialen Leben“ geführt, im Sinne eines Anpassungsprozesses sozialisiert wer-den.330 Deterministische Komponenten dieser Art weist das Menschenbild etwa der heutigen So-zialisationstheorie nicht mehr auf; im Gegenteil: es zeichnet sich durch die Einbeziehung zahlrei-cher weiterer Aspekte aus. Interessante Hinweise auf den Umfang des Menschenbildes der heutigen Sozialisationstheorie leistet Hurrelmann schon 1986:

„Im heute allgemein vorherrschenden Verständnis wird mit Sozialisation der Prozeß der Ent-stehung und Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit in Abhängigkeit von und in Ausein-andersetzung mit den sozialen und den dinglich-materiellen Lebensbedingungen verstanden, die zu einem bestimmten Zeitpunkt der historischen Entwicklung einer Gesellschaft existieren.

328 Vgl. hierzu die Kritik Eders an einer auf „utilitaristische oder kalkulatorische Vernunft“ reduzierten praktischen Vernunft. Eder, K.: Die Vergesellschaftung der menschlichen Natur. Ab wann gibt es menschliche Gesellschaften? In: Kamper, D. und Wulf, Chr. (Hrsg.): Anthropologie nach dem Tode des Menschen. Vervollkommnung und Unverbesserlichkeit. Frankfurt a. M. 1994, S. 101-118, ins-besondere S. 113f.

329 von Cube 1991, S. 122.

330 Vgl. Durkheim, E.: Erziehung und Soziologie. Düsseldorf 1972, S. 30. (Literaturangabe nach Hurrel-mann 1986, S. 13.)

Sozialisation bezeichnet den Prozeß, in dessen Verlauf sich der mit einer biologischen (! - Her-vorhebung J. K.) Grundausstattung versehene menschliche Organismus zu einer sozial hand-lungsfähigen Persönlichkeit bildet, die sich über den Lebenslauf hinweg in Auseinandersetzung mit den Lebensbedingungen weiterentwickelt.“331

Menschliche Natur wird hier nicht ignoriert, und zumindest vom Ansatz her wird Geschichte nicht auf die Kulturgeschichte des Menschen reduziert. Wenn Hurrelmann die Bedeutung der menschlichen Biographie anspricht, betont er zudem einen Aspekt, den von Cube zugunsten des phylogenetischen Aspekts ausklammert.

Im Kontext der Darstellung des Menschenbildes der Verhaltensbiologie, das seiner pädagogi-schen Konzeption zugrundeliegt, begründet von Cube noch einmal sein Mißtrauen gegenüber Menschenbildern anderer Provenienz:

„Es sind schon viele utopische Menschenbilder entworfen worden, Menschenbilder also, die grundsätzlich außerhalb der Realität liegen, außerhalb des Erreichbaren: idealistische oder reli-giöse Vorstellungen, in denen der Geist verabsolutiert, das Körperliche entsprechend als ‘un-vollkommen’ oder sündhaft angesehen wird, oder die neuen Menschen der kommunistischen Gesellschaft, in der es keine Herrschaft von Menschen über Menschen gibt u. a. Die (gemein-same) Utopie solcher Vorstellungen liegt darin, daß die Natur des Menschen, das stammesge-schichtliche Programm, ignoriert oder falsch eingeschätzt wurde. Demgegenüber fußt das Menschenbild des Aner auf Erkenntnissen der Naturwissenschaft. Der Aner kontrolliert sein Handeln nicht durch Moral, sondern durch Erkenntnis.“332

Auch die Ausführungen in diesem Abschnitt enthalten einige aufschlußreiche Hinweise. Offen-sichtlich geht es von Cube um einen naturwissenschaftlichen Gegenentwurf zu utopischen Men-schenbildern idealistischer, religiöser und kommunistischer Provenienz. „Utopisch“ wird dabei gleichgesetzt mit „außerhalb der Realität liegend“. Gemeint sein könnten utopische Menschenbil-der, die auf der Grundlage unterschiedlicher Weltanschauungen, mithin nichtwissenschaftlicher Denksysteme, „gesetzt“, das heißt in normativer Absicht formuliert werden. Eine Gegenposition zu normativen Menschenbildern dieser Art muß nicht zwangsläufig von einer naturwissenschaft-lichen Position aus entwickelt werden, ebensowenig wie „Erkenntnisse der Naturwissenschaft“

eine hinreichende Bedingung für die Nicht-Normativität von Menschenbildentwürfen darstellen.333

Problematisch erscheint ferner die Annahme, der Mensch im Sinne von Cubes334 könne bei der Kontrolle seines Handelns auf Moral im traditionellen Sinne verzichten. Angesichts der drohenden Zerstörung seiner selbst und der Entwicklung von zwingenden Problemlösungsstrategien müßte diesem Menschen zumindest ethisches Bewußtsein zugebilligt werden. Nicht einmal vom

331 Hurrelmann 1986, S. 14.

332 von Cube 1991, S. 128.

333 Daß naturwissenschaftliche Erkenntnisse durchaus auch im Sinne normativer Menschenbilder einge-setzt und/oder mißbraucht werden können, hat nicht zuletzt die biologistische Darwin-Rezeption ver-deutlicht. Zum Kontext darwinistischer Menschenbildannahmen vgl. Hamann, B.: Pädagogische An-thropologie. Theorien - Modelle - Strukturen. Eine Einführung. Bad Heilbrunn, 2., überarb. und erw.

Aufl. 1993, S. 40-45.

typ des hochintelligenten Wissenschaftlers wäre zu erwarten, daß er die Motivation seines Han-delns allein aus der reinen Erkenntnis bezieht, die für ihn ausschließlich handlungsanleitende Be-deutung gewönne. Verantwortung (gegenüber sich selbst, dem anderen oder der Umwelt), eine zentrale ethische Kategorie, wird sich jedenfalls nicht stringent aus einer rein kognitiv definierten

„Ratio“ ableiten lassen.

Im Dokument Widmung und Dank (Seite 82-85)