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Selbstvergesellschaftung versus Vergesellschaftung der Natur

Im Dokument Widmung und Dank (Seite 126-129)

3 Aktuelle Menschenbild-Implikationen im biologischen Kontext der Erziehungswissenschaft .0 Vorbemerkung

3.4 Sozialisation und Ontogenese: Zum Stellenwert organismischer Menschenbildannahmen im biosoziologischen Ansatz Promps

3.4.2 Sozialisation als ontogenetischer Prozeß der Selbstvergesellschaftung von Natur .1 Promps Sozialisations-Verständnis und die Definition Hurrelmanns

3.4.2.4 Selbstvergesellschaftung versus Vergesellschaftung der Natur

Wesentlich erscheint mir Promps Anmerkung zu seiner Sozialisations-Definition, sein ontogeneti-sches Sozialisationsmodell beschreibe, „wie die menschliche Natur sich selbst

504 Vgl. Promp 1990, S. 109.

505 Bronfenbrenner, U.: Die Ökologie der menschlichen Entwicklung. Stuttgart 1981.

506 Zu den Bezeichnungen „organismisches“ und „systemisches“ Modell und den sie leitenden Annah-men vgl. Hurrelmann 1993, S. 20ff.

507 Vgl. Hurrelmann 1993, S. 36.

508 Bronfenbrenner 1981, S. 37.

509 Promp 1990, S. 117.

510 Hurrelmann 1993, S. 34.

tet’, und zwar nach einem angeborenen artspezifischen Entwicklungsplan.“511 Als Agens der so verstandenen „Sozialisation“ gilt also nicht das menschliche Subjekt, sondern die „menschliche Natur“ im Sinne des ontogenetisch sich entwickelnden individuellen Organismus.

Insofern Promp mit der Hypothese von der Selbstvergesellschaftung der Natur die aktive Rolle des ontogenetisch reifenden Organismus betont, ist seine Konzeption als Gegenposition zu um-weltdeterministischen Positionen durchaus legitim und plausibel. Sie verweist dann auf ein Man-ko bisheriger Entwicklungstheorien, die die biologischen Grundlagen von Entwicklungsprozessen entweder leugneten oder deren Bedeutung zwar anerkannten, aber nicht differenziert zu berück-sichtigen suchten. Diese Kritik kann über psychologische Entwicklungskonzeptionen und beha-vioristische Lerntheorien hinaus auch auf den gesamten Bereich philosophisch bzw. phänomeno-logisch fundierter Pädagogischer Anthropologie ausgedehnt werden.

Als problematisch erweist sich die Selbstvergesellschaftungshypothese dann, wenn sie psycho-logische und soziopsycho-logische Fragestellungen und Erkenntnisse ignoriert oder unter den monisti-schen Erklärungsanspruch biologischer Theoriebildung subsumieren zu können vorgibt. Ihren klarsten Ausdruck haben universalistische Ansprüche der Biologie gegenüber den Sozial- und Verhaltenswissenschaften in Wilsons Konzeption der Soziobiologie gefunden, die Promp als eine Grundlage seines Modellansatzes512 ausweist. Zum Anspruch des Insektenforschers und Begrün-ders der Soziobiologie führt Wuketits aus: „WILSON (1975) ‘versprach’, daß die Sozialwissen-schaften früher oder später sich völlig auf die (Sozio-)Biologie gründen, ja als eine Teildisziplin derselben zu verstehen sein werden.“513 In seiner gelegentlich durchaus kritischen Darstellung des soziobiologischen Ansatzes erwägt Wuketits mit der Anerkennung kultureller Eigengesetz-lichkeit eine dualistische Herangehensweise, die der Humanbiologie die Aufgabe zuweist, „Vor-bedingungen (Hervorhebung J. K.) des Sozialverhaltens“ zu erforschen. Ich wiederhole das Zitat:

„Was nun die sozialen Verhaltensweisen des Menschen betrifft - und das ist ja genau der springende Punkt -, wird von den Soziobiologen der Versuch gemacht, sozusagen eine einheit-liche Plattform zu schaffen, von wo aus die biologischen Vorbedingungen des Sozialverhaltens des Menschen erhellt werden sollen. So gesehen liefert die Soziobiologie Bausteine zu einer

‘Anthropologie von unten’. Das muß, so sei sogleich betont, nicht notwendigerweise zu einer Leugnung der Eigendynamik der kulturellen Entwicklung des Menschen führen; und damit auch nicht zu einem biologischen Determinismus. Der soziobiologische Ansatz könnte, wird er nicht überstrapaziert, sogar eher dazu führen, daß wir unser gespaltenes Menschenbild wieder ein wenig zusammenzuflicken in die Lage kommen.“514

Da Promp seine Hypothese von der „Selbstvergesellschaftung der menschlichen Natur“ nicht in diese Richtung problematisiert, bleibt trotz seiner Ausführungen zur Rolle einzelner „Umweltele-mente“ offen, welche Bedeutung er kulturellen Faktoren im Kontext menschlicher Entwicklung

511 Promp 1990, S. 109.

512 Vgl. Promp 1990, S. 35-42.

513 Wuketits 1995, S. 151.

514 Wuketits 1990, S. 24.

prinzipiell einräumt. Um den Verdacht einer letztlich monokausalen Erklärung menschlichen Ver-haltens und menschlicher Entwicklung nach ausschließlich „natürlichen“ Prinzipien und aus-schließlich auf der Grundlage „empirischer Forschung“515 auszuräumen, wäre eine Orientierung an Hansens metaphorischer Proportion von Natur und Kultur als „Material und Ausführung“516 hilfreich, die - so Hansen - „inzwischen von seiten der Naturwissenschaft Unterstützung“ findet:

Einen „vielleicht“ möglichen Neuansatz, der „Natur“ und „Kultur“ im metaphorischen Sinne von

„Material und Ausführung“ theoriekonzeptionell berücksichtigt, erkennt Hansen in der modernen Hirnforschung. Ihr sei mit dem Übergang von der funktionalen zur strukturalen Betrachtungswei-se ein neurobiologischer Fortschritt gelungen, der die erforderliche Trennschärfe zwischen „Na-tur“ und „Kul„Na-tur“ (wieder) herstelle. Das menschliche Gehirn wird nicht mehr nach Funktionen eingeteilt, „wobei viele davon eindeutig kulturell sind“, sondern als eine durch kulturelle „Außen-stimulanzien“ erreichte Vernetzung der angeborenen Neuronen gedacht, die sich im Laufe des Heranwachsens entwickelt hat und von besonderen individuellen Lebensumständen abhängig ist.

So werde z. B. erklärbar, „wieso Menschen, deren Sprachzentrum durch einen Schlaganfall zer-stört wurde, dennoch wieder sprechen lernen“. 517

Das entscheidende Problem hinsichtlich des Verhältnisses von „Natur“ und „Kultur“ in Promps Ansatz besteht darin, daß er auf eine trennscharfe Unterscheidung von einerseits biologisch er-schließbaren natürlichen und andererseits im weitesten Sinne kulturellen Faktoren, Prozessen und Strukturen verzichtet. Dies wird auch an seinem Modell der Sozialisation als eines ontogeneti-schen Prozesses deutlich, in dem die eigentlich biologisch beschreibbare Steuerungsgrundlage menschlichen Verhaltens - nämlich die neurophysiologischen518 Prozesse und Strukturen - nicht ausgewiesen ist und unterschiedlichste „Umweltelemente“ als „exogene Angebote“ nur phäno-menologisch (wenn auch plausibel) auf die Phasen der „endogenen Entwicklung“ bezogen wer-den. Die Phasenspezifika dieser „endogenen Entwicklung“ werden zudem nicht ausschließlich in biologische Kategorien gefaßt; sie markieren außenperspektivisch betrachtete wie introspektiv angenommene Veränderungen, Tätigkeiten und Lebensäußerungen, die bestenfalls im Sinne des Ergebnisses neurophysiologischer Prozesse und des Ausdrucks neurophysiologischer Strukturen interpretierbar sind und zum Großteil auf soziologische und psychologische Kategorien rekurrie-ren.

515 Vgl. Promp 1990, S. 117.

516 Vgl. Hansen, K. P.: Kultur und Kulturwissenschaft. Eine Einführung. Tübingen/Basel 1995, S. 26.

Vgl. auch Abschnitt 6 dieser Arbeit.

517 Vgl. Hansen 1995, S. 27 und S. 115.

518 Ich wiederhole das Zitat: „Nach dem ontogenetischen Modell gibt es überhaupt gar keine direkte ge-netische Steuerung des Verhaltens, sondern nur eine neurophysiologische.“ Promp 1990, S. 114.

Im Dokument Widmung und Dank (Seite 126-129)