• Keine Ergebnisse gefunden

Strukturen vollständigen beruflichen bzw. pflegeberuflichen Handelns Das übergeordnete Ziel der Befähigung zur beruflichen Handlungsfähigkeit erfordert

4. Berufliche Handlungskompetenz als Leitziel pflegeberuflicher Bildung

4.3. Strukturen vollständigen beruflichen bzw. pflegeberuflichen Handelns Das übergeordnete Ziel der Befähigung zur beruflichen Handlungsfähigkeit erfordert

knowledge“, „conceptual knowledge“, „procedural knowledge“ und „metacognitive knowledge“ entfaltet.39 Die ersten beiden Kategorien „factual knowlege“ und „concep-tual knowledge“ entsprechen zusammengefasst dem Verständnis des Konzepts „de-klarativen Wissens“ und „procedural knowledge“ kann wörtlich als „prozedurales Wissen“ übersetzt werden. Das Konzept „strategisches Wissen“ taucht in der Klassi-fikation von Andersohn und Krathwohl nicht exlizit auf, kann aber nach Achtenhagen und Baethge einer Subkategorie von „procedural knowledge“ zugerechnet werde, die als „knowledge of criteria for determining when to use appropriate procedures“ be-zeichnet wird.40 Auf diese Matrix wird im Kapitel 5.4. dieser Arbeit noch detailliert ein-gegangen.

Vor dem dargestellten Hintergrund wird deutlich, dass mit der Orientierung an berufli-cher Handlungskompetenz bei der Planung formaler berufliberufli-cher Ausbildungsprozes-se eine Zieldimension vorgegeben wird, die Ausbildungsprozes-sehr abstrakt und begrifflich schwer zu fassen ist. Die Folge ist ein heterogener berufspädagogischer Diskurs, in dessen Zu-sammenhang unterschiedliche Aspekte der resultierenden Umsetzungsproblematik fokussiert werden.

Zur Deduktion konkreter didaktischer Entscheidungen sind allerdings Modellvorstel-lungen hilfreich, die berufliche Handlungskompetenz anhand von Teilaspekten wie z. B. Leistungsdispositionen konzeptualisieren. Die kognitionstheoretische Annahme, dass dem Wissen einer Person insofern zentrale Bedeutung zukommt, als es eine erfassbare Leistungsdisposition von Handlungskompetenz darstellt, kann vor diesem Hintergrund mit Konzepten des Handlungswissens verbunden werden, in denen spe-zifische Wissensarten nach ihrem kompetenzförderlichen Potential differenziert wer-den. Derart konzeptualisierte kognitive Voraussetzungen werden in Verbindung mit Modellvorstellungen beruflicher Handlungsstruktur zu Qualitätskriterien der Hand-lungskompetenzorientierung berufsrelevanter Curricula.

4.3. Strukturen vollständigen beruflichen bzw. pflegeberuflichen Handelns

erfahrener und vorgebildeter sowie hinreichend motivierter Mensch relativ komplexe Aufgaben identifiziert und bewältigt.41 Dieser theoretische Ansatz ist vor allem zur Identifizierung von Strukturierungsprinzipien der Gliederung vollständiger Handlungs-sequenzen geeignet und deshalb für die Planung handlungsorientierter Ausbildungen bedeutsam.42 In diesem Zusammenhang steht das Konzept der „vollständigen Hand-lung“ für die Annahme, dass Arbeitstätigkeit neben einer äußeren durch sichtbare Handlungen gekennzeichneten, auch eine innere, psychische Struktur aufweist.

„Die psychische Struktur von Arbeitstätigkeiten umfasst die regulativ wirksa-men psychischen Vorgänge und Repräsentationen in der durch die

Regulationsfunktion bedingten Ordnung.“43

Nach Hacker erfüllt erst die Berücksichtigung beider Elemente, nämlich der inneren und der äußeren Struktur, das Kriterium der Vollständigkeit bei der Beschreibung einer Arbeitstätigkeit.

„Hauptbestandteile (Komponenten) der psychischen Struktur sind das entwer-fen von Handlungsprogrammen, das vom als Ziel antizipierten Endergebnis (,Richten’) ausgeht und die wirksamen technologischen Gesetzmäßigkeiten (Wissensvoraussetzungen) berücksichtigen muss (,Orientieren’), die auf Zu-standbeurteilungen einschließlich Soll-Ist-Vergleichen beruhenden Entschei-dungen für Mittel und Wege der Herbeiführung des Ergebnisses (Operationen-folge) sowie die rückkoppelnden Kontrollprozesse des Vergleichens von erreichtem Zwischenzustand und abgeleitetem Teilziel.“44

Bei der Entwicklung von Ausbildungsordnungen und der Umsetzung des Lernfeld-konzepts wird die Vollständigkeit beruflichen Handelns mittlerweile als übergreifen-des primäres Ausbildungsziel formuliert, wobei die Erfassung von Kompetenzen im Sinne vollständiger Handlungen als Qualitätskriterium für die Lernzielformulierung gilt.45

„In allen Zielformulierungen wurde versucht, eine Handlung über das formale Ablaufschema von Planung, Durchführung und Bewertung auszudrücken.“46

41 vgl. Volpert, 1985, S. 110

42 vgl. Bader / Müller, 2004, S. 63 f.; Bader, 2000, S. 48.

43 Hacker, 1986, S. 111

44 Hacker, 1986, S. 111

45 vgl. Berger / Diehl, 2000, S. 27.

46 Buschfeld, 2000, S. 172

Abb. 5: Das Modell der vollständigen beruflichen Handlung47

Über dieses dreischrittige Modell hinaus existieren auch andere mehrschrittige Mo-dellvorstellungen für eine mögliche Gliederung beruflicher Handlungen, wie z. B. die Handlungssequenz des Sechs-Schrittes, die sich in den Handlungen: Informieren, Planen, Entscheiden, Durchführen, Kontrollieren und Bewerten entfaltet.48

Solche Strukturmodelle des Handelns weisen eine große Affinität zu pflegewissen-schaftlichen Modellvorstellungen über die Phasen des Pflegehandelns, insbesondere zum Pflegeprozess-Modellen auf.49Es baut auf Überlegungen der Systemtheorie, der Kybernetik und der Entscheidungstheorie auf und bildet die theoretische Basis, auf der amerikanische Pflegewissenschaftlerinnen seit den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts Modellvorstellungen darüber entwickeln, wie methodisches Pflegen beschrieben werden kann.50 Unter methodischem Pflegen wird hierbei bewusstes und systematisches Handeln verstanden, das es ermöglicht durch eine bestimmte Ar-beitsweise bzw. Strategie ein vorab bestimmtes Ziel zu erreichen. Dabei wird ein in Phasen gegliederter Prozess in unumkehrbarer Richtung durchlaufen. Die Phasen-einteilung kann dabei je nach ihrem pflegetheoretischen Kontext variieren.51

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beschreibt diesen Prozess in ihren Pro-grammen zur weltweiten Entwicklung professioneller Pflege basierend auf einer Ar-beit von Yura und Walsh beispielsweise in vier Schritten: Assessment, Planung, In-tervention und Evaluation. Gemäß einer Übereinkunft der North American Diagnosis

47 vgl. Bundesinstitut für berufliche Bildung, 2006, S. 21

48 vgl. Lisop, 1999, S. 37; Bader, 2004, S. 63

49 vgl. Büssing / Glaser, 2002, S. 30; Büscher, 2006, S. 41

50 vgl. Bögemann-Großheim, 2002, S. 160

51 vgl. Arets / Obex / Vaessen / Wagner, 1997, S. 260 ff.

Association (NANDA) wurde dieses Modell in Nordamerika um eine fünfte Phase er-weitert, wodurch der Stellenwert fundierter Pflegediagnostik hervorgehoben werden sollte. Er umfasst deshalb die Phasen: Pflegediagnose, Pflegeplanung, Durchfüh-rung, Dokumentation und Evaluierung.52

Abb. 6: Das NANDA Pflegeprozess-Modell53

Seit einer Veröffentlichung zum Pflegeprozess von Fiechter und Meier 198154, die amerikanische Vorstellungen adaptieren, hat sich in Deutschland die Auffassung durchgesetzt, dass es sich dabei um ein geeignetes Instrument zur professionellen, individuellen und ganzheitlichen Pflegeplanung handele.

„Die systematische, patientenorientierte Pflegeplanung im Sinne der Problem-lösung wird immer wichtiger, da die Erkenntnis wächst, dass in unserer sich rasch wandelnden Welt bisherige Erfahrungen und feste Methoden schnell überholt sind. Der Schwester muss ein Instrument in die Hand gegeben werden, das ihr erlaubt, in jeder Situation flexibel und angepasst zu handeln.“55 Die schweizerischen Autorinnen stellten den Pflegeprozess in den sechs Schritten dar: Sammeln von Informationen, Erkennen von Problemen und Ressourcen,

52 vgl. Roper, 1997, S. 14 f.; Brobst, 1996, S. 18; WHO 1979

53 vgl. Arets / Obex / Vessen / Wagner, 1997, S. 263

54 Als synonyme Begriffe für den „Pflegeprozess“ gelten im deutschen Sprachraum die Begriffe „Pflegeproblemlö-sungsprozess“ und „Pflegeplanung“, vgl. Bögemann-Großheim, 2002, S. 160

55 Fiechter / Meier, 1995, S. 17

Festlegen der Pflegeziele, Planen der Pflegemaßnahmen, Durchführung der Pflege-maßnahmen und Beurteilen der Pflege.

Abb. 7: Das Pflegeprozess-Modell nach Fiechter und Meier56

Obwohl die Erweiterung um eine Phase von Fiechter und Meier nicht explizit begrün-det wird, ist zu vermuten, dass die fehlende Etablierung von Pflegediagnosen im deutschsprachigen Raum zur Differenzierung und damit zur erklärenden Konkretisie-rung dieser Phase des amerikanischen Modells in den Schritten Problemerfassung und Zielsetzung geführt hat.57

Die methodisch geleitete und systematische Vergehensweise nach dem Kranken-pflegeprozess wird mit dem KrPflG von 1985 zum übergeordneten Ausbildungsziel erhoben und entsprechend auch zum Gegenstand der Prüfung. In ihrem praktischen Teil wird seitdem der Nachweis von geplanter Pflege nach dem Pflegeprozessmodell vorgeschrieben.58 Das Pflegeversicherungsgesetz von 1995 stellt einen weiteren Schritt zur Verankerung des Pflegeprozesses als Modell des Pflegehandelns dar, in dem systematische Pflegeplanung und deren Dokumentation verpflichtend festge-schrieben werden. In einer Grundsatzstellungnahme der Spitzenverbände der

56 vgl. Fiechter / Meier, 1995, S. 30

57 vgl. Fiechter / Meier, 1995, S. 30

58Für den entsprechenden Prüfungsteil in der Krankenpflegehilfe galt dies 1985 nicht, wodurch eine arbeitsorga-nisatorische Kompetenzverteilung in Bezug auf die Pflegeplanung implizit ableitbar wurde. Vgl. Kurtenbach / Golombeck / Siebers, 1987, S. 25 ff.

Krankenkassen zur Professionalisierung und Qualitätssicherung in der Pflege heißt es zur Bedeutung dieser Modellvorstellung:

„Der Pflegeprozess ist eine Arbeitsmethode und geht davon aus, dass Pflege ein dynamischer Problemlösungs- und Beziehungsprozess ist. Er besteht aus logisch aufeinander aufbauenden Phasen / Schritten, die sich wechselseitig beeinflussen.

Seinen Ursprung hat der Pflegeprozess in der Systemtheorie, der Kybernetik und in der Entscheidungstheorie. In Deutschland gilt der Pflegeprozess als anerkann-te fachliche Methode zur sysanerkann-tematischen Beschreibung der professionellen Pflege.“59

Neben den beschriebenen formalen Verankerungstendenzen gewinnt das Pflegepro-zess-Modell auch im Zusammenhang mit Suchbewegungen theoretischer Grundle-gung der Pflegebildungsforschung an Bedeutung. Unter Rückgriff auf die Dialektik des Heidegger’schen Gestaltungsbegriffs wird er von Keuchel zur Beschreibung pro-fessioneller Handlungsfähigkeit im pflegerischen Arbeitsprozess verwendet.

„Der bewusste Gestaltungsprozess äußert sich im Kontext pflegerischen Ar-beitshandelns als Gestaltung des Pflegeprozesses, der von Seiten der Pflegekraft willentlich, rational, zielgerichtet und theoriegeleitet erscheint.“60 Im Zusammenhang mit der Akademisierungsdebatte in den Pflegeberufen wird ein weiterer positiver Aspekt der Übernahme des Pflegeprozessmodells zu Beschreibung pflegeberuflichen Handelns in der strukturellen Affinität zu den Schritten des For-schungsprozesses gesehen.61

Grundsätzlich wird der beschriebenen Bedeutung des Pflegeprozesses als Instru-ment professioneller Pflege auch in der letzten Novellierung des Krankenpflegege-setzes Rechnung getragen. So heißt es im § 3 Abs. 2 zu den Ausbildungszielen:

„Die Ausbildung für die Pflege … soll insbesondere dazu befähigen … die folgen-den Aufgaben eigenverantwortlich auszuführen:

a) Erhebung und Feststellung des Pflegebedarfs, Planung, Organisation, Durchführung und Dokumentation der Pflege,

b) Evaluation der Pflege, Sicherung und Entwicklung der Qualität der Pflege.“62 Durch diese zweigeteilte Formulierung wird das Phasenmodell des Pflegeprozesses, dessen integraler Bestandteil ein Evaluationsschritt ist allerdings auseinander geris-sen. Noch deutlicher wird diese Trennung der Prozessanteile in der Anlage 1 zur Ausbildungs- und Prüfungsordnung, in der die Themenbereiche des theoretischen

59 MDS, Essen, 2004, S. 10

60 Keuchel, 2005, S. 133

61 vgl. Chinn / Kramer, 1996, S. 42; Bruns / Grove, 2005, S. 39 ff.

62 Storsberg / Neumann / Neiheiser, 2006, S. 13

und praktischen Unterrichts aufgeführt werden.63 So lautet der erste Themenbereich:

„Pflegesituationen bei Menschen aller Altersgruppen erkennen, erfassen und bewer-ten“. In der weiteren Konkretisierung durch Zielformulierungen heißt es u. a. weiter:

„Die Schülerinnen und Schüler sind zu befähigen, ihr Pflegehandeln nach dem Pfle-geprozess zu gestalten.“64 Der zweite Themenbereich lautet allerdings im Folgenden:

„Pflegemaßnahmen auswählen, durchführen und auswerten“. Diese aus pflegetheo-retischer Sicht inkohärente Strukturierung pflegerischen Handelns könnte auf den folgenden Ebenen curricularer Auslegung beispielsweise durch Ländercurricula oder Schulcurricula kompensiert werden. Die Vorgaben zur Gestaltung der schriftlichen Abschlussprüfung sehen jedoch getrennte Aufsichtsarbeiten an zwei Prüfungstagen für jeden der beiden Themenbereiche vor und manifestieren damit die curriculare Trennung der Elemente des Pflegeprozesses zusätzlich.65 Die bundeseinheitlichen Ausbildungsvorgaben für die Gesundheits- und Krankenpflegerin sind somit sowohl in Bezug auf die Prinzipien vollständiger beruflicher Handlung als auch in Bezug auf das Prinzip des systematischen Pflegehandelns nach dem Pflegeprozess uneindeu-tig.

Nach der Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Strukturen und kognitiven Voraussetzungen beruflichen Handelns als Determinanten zur Gestaltung hand-lungskompetenzorientierter, ausbildungsrelevanter Lehrpläne, wird im Weiteren dar-gestellt, welche Deutungen des Kompetenzbegriffs in pflegeberuflichen Zusammen-hängen entstanden sind.