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3. Curriculumentwicklung

3.3. Curriculumentwicklung in der beruflichen Bildung 1. Strukturierung und Legitimation der Inhalte

3.3.2. Legitimation durch Entwicklungsverfahren

Trotz oder gerade wegen der beschriebenen inhaltlichen Legitimationsprobleme ver-zeichnen Reetz und Seyd 1995 eine wachsende Tendenz zur Formalisierung der Entwicklungsverfahren curricularer Vorgaben auf der normativen Planungsebene.

Eine zentrale Rolle kommt hierbei dem Bundesinstitut für berufliche Bildung (BIBB) zu, das auf der Basis des Berufsbildungsgesetzes mit der Entwicklung von Ausbil-dungsordnungen für Berufe im Dualen System beauftragt ist. In einem formalisierten Entwicklungsprozess werden zunächst Eckwerte für eine zu konzipierende Ausbil-dungsordnung festgelegt, auf deren Basis unter Beteiligung von Vertretern der Spit-zenverbände der Sozialpartner die Inhalte der Ausbildungsordnung erarbeitet und abgestimmt werden. Nach der Erprobung in Modellversuchen wird das Ergebnis in

69 Lisop / Huisinga, 2004

70 vgl. Reetz, 2000, S. 144 ff.

71 vgl. Reetz, 2000, S. 144 ff.

72 Reetz, 2000, S. 146

Form einer Verordnung erlassen. Dieser Entwicklungsprozess ist grundsätzlich als Konsensverfahren angelegt.73

„Nur durch sorgsames Abwägen der verschiedenen Interessen und Wünsche aller Beteiligten kann ein tragfähiges Ergebnis erzielt werden, denn eine Aus-bildungsordnung wird von den Betrieben und den Auszubildenden nur dann angenommen, wenn sie im Konsens aller Beteiligten erarbeitet wurde.“74

Ergebnisse dieses Verfahrens sind Ausbildungsrahmenpläne für die betriebliche Aus-bildung und Rahmenlehrpläne für die schulische AusAus-bildung. Aus der folgenden Darstellung geht hervor, auf welchen Ebenen sich auf diese Grundlage weitere curri-culare Strukturen manifestieren:

Entwicklungsebene institutionelle Verortung

betriebliche Ausbildung schulische Ausbildung

BIBB

Ausbildungsrahmenplan

BIBB

Rahmenlehrplan Makroebene

Fachlich zuständiges Bundesmi-nisterium u. BMBW

KMK

Mesoebene

zuständige Stelle / Wirtschafts-kammer

Prüfungsordnung

Schul- / Kultusbehörde

Fachlehrpläne

Ausbildungsbetrieb

Ausbildungsplan

Handreichungen

Berufschule

Lehrplankonkretisierung Mikroebene

Ausbildungsplatz

Unterweisungsentwurf

Unterricht

Stundenentwurf Abb. 1: Die curricularen Entwicklungsebenen75

Obwohl die institutionelle Verortung der curricularen Regelungs- und Entscheidungs-prozesse für die pflegeberufliche Ausbildung Unterschiede zum Dualen System auf-weist, bietet die Ebeneneinteilung der oben stehenden Matrix ein konzeptionell auf ähnliche Ausbildungssysteme übertragbares Modell. Vor diesem Hintergrund sind die länderspezifischen curricularen Vorgaben zur Krankenpflegeausbildung auf der Me-soebene einzuordnen.

73 vgl. BIBB, 2006, S. 22 ff.

74 BIBB, 2006, S. 30

75 vgl. Reetz / Seyd, 2006, S. 231

In ihrer Funktion als Ordnungsmittel stellen Rahmenlehrpläne politisch gewollte Vor-gaben an die pädagogische Arbeit dar, die auf den weiteren Ebenen hermeneutisch operationalisiert werden. Interessant ist in diesem Zusammenhang, ob und wie diese Auslegungsanforderung bzw. Interpretationsleistung von den Akteuren der jeweils nachgeordneten Ebenen umgesetzt wird. Als Ergebnis einer Prozessdokumentation der Lehrplanarbeit in sechs Bundesländern der BRD gewähren Biehl, Ohlhaver und Riquards einen Einblick in die Heterogenität der Verfahren und Kommissionen, die trotz des hohen Formalisierungsgrades in den Kultusbehörden curriculare Vorgaben entwickeln.76 Dieser untermauert die kritische Einschätzung von Sloane, der die Lehr-planarbeit der Länder in einem eher trivialen Curriculummodell begründet sieht.77 Dennoch bilden Rahmenlehrpläne als Ergebnisse der Curriculumentwicklung auf der Makroebene den legitimierten Rahmen, in dem formale Lehr-/Lernsituationen geplant und durchgeführt werden sollen. Sowohl ihre Entwicklung als auch die interpretieren-de Konkretisierung auf interpretieren-den folgeninterpretieren-den Ebenen fininterpretieren-den dabei eingebettet in unter-schiedliche Sinnsysteme statt. Dadurch hängt die tatsächliche Bindungswirkung der curricularen Vorgaben weitgehend von ihrer Passung in die Schul- und Unterrichts-wirklichkeit bzw. in deren individuelle Deutungen durch die Lehrenden und Lernen-den ab.78

„Schließlich wird Planungshoheit von der Verantwortung für den schulprakti-schen Vollzug dadurch entkoppelt, dass sich neben der Entwicklung von staat-lich verantworteten und verbindstaat-lichen Lehrplänen eine Praxis von Unterrichts-planung vor Ort an den Schulen selbst etabliert, die zwar aufeinander bezogen werden, aber ihre eigene Logik und Funktionalität behaupten.“79

Der Grad der Steuerung durch curriculare Vorgaben kann vor diesem Hintergrund unterschiedlich bewertet werden. Während Künzli den Steuerungsprozess durch staatliche Lehrplanvorgaben eingebettet in „Lehrplanung“ und damit in einem multi-dimensionalen gesellschaftlichen Austausch sieht, wird er von Kussau als vordemo-kratisch, ohne öffentlichen Diskurs beschrieben. Aus der Perspektive der Governan-ceforschung identifiziert Kussau gleichzeitig einen schleichenden Wandel von einer bürokratisch, hierarchischen Regelungsstruktur zu einer Stärkung der

76 Die Prozessdokumentation bezieht sich auf die Lehrplanarbeit für das allgemeinbildende Schulwesen der Län-der: Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hessen, Sachsen und Schleswig-Holstein. Vgl. Biehl / Ohlhaver / Riquards, 1998, S. 223 ff.

77 vgl. Sloane, 2001, S. 188 f.

78 vgl. Künzli, 1998, S. 9 f.

79 Künzli, 1998, S. 9

mie, der allerdings von oben als voluntaristischer Kraftakt die selbst geschaffenen Regleungsstrukturen außer Kraft setzt.80

Ein klassisches Beispiel für eine solche Befreiung aus hierarchischen Regelungs-strukturen nach dem top-down-Prinzip bildet der Reformvorstoß der KMK zur Einfüh-rung der bereits oben erwähnten lernfeldstrukturierten Rahmenlehrpläne.81 Die er-zeugte Autonomie führt bei den Adressaten der Reform allerdings zu unterschiedli-chen Reaktionen, die von Lisop in drei Gruppen eingeteilt werden:

„Die eine – wozu selbst Landesinstitute für Pädagogik gehören – hat sich schlicht an den Vollzug gemacht. Die andere vollstreckt weniger eilfertig, als daß sie zu erkennen sucht, was denn Sinnvolles gemeint sein könnte. Sie bemüht sich pädagogisch und politisch verantwortbare Wege der Umsetzung zu finden. Die dritte und kleinste Gruppe übt zum Teil beißende Kritik.“82

Diese Klassifikation muss noch um die Gruppe derjenigen vervollständigt werden, die sich um eine möglichst weitgehende Umgehung der Reform bemüht.83

Sloane fordert unter dem Eindruck der Implementierung des Lernfeldkonzepts eine Abkehr von der „naiven“ hin zur „elaborierten Rezeption“ von Curricula und sieht in einer solchen Rezeption der verordneten Reform eine Entwicklungschance in Bezug auf die Professionalität der Lehrenden.84

„Mehr als je zuvor werden Lehrerinnen und Lehrer an beruflichen Schulen ange-sichts des Spannungsfeldes von intentionaler Ambitioniertheit, strukturellem Tra-ditionsbruch und thematischer Offenheit der Lehrpanvorgaben als Curriculument- wickler gefordert sein.“85

Die Übertragung solcher curricularen Kompetenz auf die Lehrenden setzt allerdings deren Qualifikation voraus. Die Anforderungen an die Aus- und Fortbildung der Leh-renden ist in diesem Bereich entsprechend hoch.86

3.4. Curriculumentwicklung in der pflegeberuflichen Bildung