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Der Kompetenzbegriff in der beruflichen Bildung

4. Berufliche Handlungskompetenz als Leitziel pflegeberuflicher Bildung

4.2. Der Kompetenzbegriff in der beruflichen Bildung

Im Bereich der beruflichen Bildung lassen sich verschiedene Stränge der Kompe-tenzdebatte identifizieren. Beispielsweise sollen vor dem Hintergrund der Kritik an traditionellen Weiterbildungen mit ihren klassischen, institutionalisierten Qualifikati-onsformen durch den Kompetenzbegriff Entgrenzungstendenzen erfasst werden, die nichtformales und informelles Lernen sowie die lernende Organisationen einschlie-ßen.14Kompetenz wird in diesem Zusammenhang als ein stets vorläufiges Ergebnis in einem kontinuierlichen Prozess der Kompetenzentwicklung betrachtet.

„Unter Kompetenzen sind Fähigkeiten, Methoden, Wissen, Einstellungen und Werte zu verstehen, deren Erwerb, Entwicklung und Verwendung sich auf die gesamte Lebenszeit eines Menschen bezieht. Sie sind an das Subjekt und seine Befähigung zu eigenverantwortlichem Handeln gebunden.“15

Eine weitere Form der Orientierung an Kompetenzen als Zieldimension beruflicher Bildungsprozesse wird in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts vor allem durch die Vorstellungen des deutschen Bildungsrates angestoßen, der im Zusammenhang mit der Neuordnung der Sekundarstufe II eine stärkere Verknüpfung allgemeiner und beruflicher Bildung intendiert. Handlungskompetenz als Bildungsziel wird 1971 von Roth als Oberbegriff für die Teildimensionen Sach-, Selbst- und Sozialkompetenz definiert. Sie bilden die Perspektiven, unter denen die Dispositionen eines Subjekts betrachtet und entwickelt werden sollen. Reetz greift diese Deutung des Kompetenz-begriffs auf und wendet ihn auf den Bereich der Berufs- und Wirtschaftspädagogik

11 vgl. Gillen / Kaufhold, 2005, S. 365

12 vgl. Chomsky, 1969

13 vgl. Arnold / Schüssler, 2001, S. 61 f.

14 vgl. Arnold / Schüssler, 2001, S. 55

15 Dehnbostel, 2001, S. 76.

an.16 Diese Zergliederung des Konzepts beruflicher Handlungskompetenz in Teilbe-reiche findet allerdings vor allem in der deutschen Kompetenzdebatte statt und trägt nicht unbedingt zur begrifflichen Klärung bei, da sich aus der Bildung von Teilkompe-tenzen wiederum neuer Definitionsbedarf in Bezug auf deren Wesen und Interde-pendenzen ergibt.17Außerdem identifizieren verschiedene Autoren unterschiedliche Teilkompetenzen. Beispielsweise entwirft Rützel eine Trias aus Fach-, Methoden- und Sozialkompetenz, die von Arnold und Schüssler durch eine dazu quer liegende emotionale Kompetenz nach Goleman ergänzt wird.18 Vonken beschreibt dieses Phänomen in Analogie zur Entwicklung ähnlich schwer zu fassender Begriffe wie

„Qualifikation“ oder „Schlüsselqualifikation“ und interpretiert die Inflation von Teilbe-reichen der Kompetenz als Klärungsversuch, der wirkungslos sei.19

In Weiterführung der konzeptionellen Überlegungen des Deutschen Bildungsrats gibt die Kultusministerkonferenz im Jahr 2000 in ihrer „Handreichung für die Erarbeitung von Rahmenlehrplänen der Kultusministerkonferenz (KMK) für den berufsbezogenen Unterricht in der Berufsschule und ihre Abstimmung mit Ausbildungsordnungen des Bundes für anerkannte Ausbildungsberufe“ eine weitere Interpretation des Kompe-tenzbegriffs vor. Er wird definiert als:

„ … Lernerfolg in Bezug auf den einzelnen Lernenden und seine Befähigung zu eigenverantwortlichem Handeln in beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen.“20

Berufliche Handlungskompetenz entfaltet sich in diesem Konzept in den Dimensio-nen Fach-, Personal- und Sozialkompetenz, die im EinzelDimensio-nen wiederum wie folgt de-finiert werden:

„Fachkompetenz bezeichnet die Bereitschaft und Fähigkeit, auf der Grundlage fachlichen Wissens und Könnens Aufgaben und Probleme zielorientiert, sach-gerecht, methodengeleitet und selbständig zu lösen und das Ergebnis zu be-urteilen.

Personalkompetenz bezeichnet die Bereitschaft und Fähigkeit, als individuelle Persönlichkeit die Entwicklungschancen, Anforderungen und Einschränkun-gen in Familie, Beruf und öffentlichem Leben zu klären, zu durchdenken und zu beurteilen, eigene Begabungen zu entfalten sowie, Lebenspläne zu fassen und fortzuentwickeln. Sie umfasst personale Eigenschaften wie Selbständig-keit, KritikfähigSelbständig-keit, Selbstvertrauen, ZuverlässigSelbständig-keit, Verantwortungs- und

16 vgl. Deutscher Bildungsrat, 1974; Reetz, 1984.

17 vgl. Clement, 2002, S. 7.

18 vgl. Rützel 1994; Goleman, 1997; Arnold / Schüssler, 2001, S. 63

19 vgl. Vonken, 2004, S. 54; Storz, 2005, S. 80

20 KMK, 2000, S. 9.

Pflichtbewusstsein. Zu ihr gehören insbesondere auch die Entwicklung durch-dachter Wertvorstellungen und die selbstbestimmte Bindung an Werte.

Sozialkompetenz bezeichnet die Bereitschaft und Fähigkeit, soziale Bezie-hungen zu leben und zu gestalten, Zuwendungen und Spannungen zu erfas-sen, zu verstehen, sowie sich mit anderen rational und verantwortungsbe-wusst auseinanderzusetzen und zu verständigen. Hierzu gehört insbesondere auch die Entwicklung sozialer Verantwortung und Solidarität.“21

Auch in diesem Kompetenzkonzept werden noch weitere Teilkompetenzen differen-ziert, deren Abgrenzung gegenüber oder Überschneidung mit den erstgenannten Teilkompetenzen relativ vage bleibt, wenn es heißt:

„Eine ausgewogene Fach-, Personal-, Sozialkompetenz ist die Voraussetzung für Methoden- und Lernkompetenz.“22

Neben der beschriebenen definitorischen Unschärfe erwachsen aus dem Dispositi-onscharakter von Kompetenz auch unter Verwendung des Begriffs Handlungskom-petenz empirische Probleme. HandlungskomHandlungskom-petenz ist sowohl an Situationen als auch an Subjekte gebunden und bezeichnet die potentielle Fähigkeit einer Person, in einer konkreten Situation angemessen zu handeln. Die von Chomski eingeführte Ab-grenzung von Kompetenz und Performanz trennt somit aus sozialwissenschaftlicher Sicht die Handlungspotentiale von der tatsächlichen Ausführung23

Erpenbeck und Rosenstiel weisen in Bezug auf den Dispositionscharakter von Kom-petenz auf die Gefahr der Folgenlosigkeit von Einsichten und Erfahrungen eines In-dividuums hin. Sie führen deshalb in ihrer Differenzierungssystematik eine Kompe-tenzklasse ein, die den Handlungswillen fokussiert. Neben personaler, fachlich-methodischer und sozial-kommunikativer Kompetenz führen sie aktivitäts- und um-setzungsorientierte Kompetenzen ein.

„Aktivitäts- und umsetzungsorientierte Kompetenzen werden verstanden als Disposition einer Person, aktiv und gesamtheitlich selbstorganisiert zu handeln und dieses Handeln auf die Umsetzung von Absichten, Vorhaben und Plänen zu richten. Hierzu gehören folgende Kompetenzen: Vermögen, eigene Emoti-onen, MotivatiEmoti-onen, Fähigkeiten und Erfahrungen und alle anderen Kompe-tenzen in die eigenen Willensantriebe zu integrieren und erfolgreich zu realisieren.“24

21 KMK, 2000, S. 9

22 KMK, 2000, S. 9

23 vgl. Sloane / Dilger, 2005, S. 23

24 Erpenbeck / von Rosenstiel, 2003, S. XV f.

Berufliche Bildung intendiert allerdings stets eine Verknüpfung von Könnenspotentia-len und der Motivation zur Ausführung in beruflichen Anforderungssituationen. In welcher Ausprägung Bereitschaft und Fähigkeit kombiniert als Handlungskompetenz eines Individuums vorhanden sind, kann letztlich erst in der beruflichen Handlungssi-tuation verifiziert werden.25

Storz (2005) entwickelt vor diesem Hintergrund ein Modell der Handlungskompetenz, das durch die funktionellen Leistungsdispositionen „Wissen“, „Können“ und „Wollen“

konstituiert ist.26 Wissen stellt dabei diejenige Leistungsdisposition dar, die durch Überprüfung mittels differenzierter Aufgabenkonstruktionen erfassbar ist. Können als mehr oder weniger komplexes Leistungsvermögen, das sowohl geistige als auch praktisch-gegenständliche Tätigkeit umfasst, ist eine nur teilweise über Ergebnisse und Prozesse dieser Tätigkeiten erfassbare Leistungsdisposition. Wollen bzw. die emotionale Disposition und damit die subjektive Motivation zur Ausführung einer Tä-tigkeit bezeichnet den kaum erfassbaren Anteil der Handlungskompetenz.

Vor allem die Leistungsdisposition Wissen bildet einen zentralen Anknüpfungspunkt für solche berufspädagogischen, kompetenztheoretischen Ansätze, die sich mit dem Anspruch der Entwicklung berufliche Handlungskompetenz befassen. Zum einen er-öffnet er Anschlussmöglichkeiten an kognitionstheoretische Überlegungen, die aus dem Kontext der Konzeptualisierung von Bildungsstandards für den allgemeinbilden-den Bereich stammen. 27 Die im Kopf vorhandenen Fakten und Regeln und damit Wissensformen werden hierin als Dispositionen „richtigen Handelns“ betrachtet, die sich in der Bewältigung von Aufgabenstellungen verifizieren oder falsifizieren lassen.

Im Umkehrschluss kann dann vom Verhalten auf die Kompetenz geschlossen wer-den. Der Entwicklung von geeigneten, also kompetenzorientierten Aufgabestellun-gen, die Kristallisationspunkte für Performanz bieten, kommt vor diesem Hintergrund besondere Bedeutung zu.28

„Ein plausibler Ansatz für die Erfassung von Kompetenzen und die Bestim-mung von Niveaustufen der Kompetenz ist die Konfrontation der zu testenden Person mit Situationen, Aufgaben, bzw. Anforderungen, die für eine bestimmte Position, Funktion oder ein Tätigkeitsfeld kennzeichnend sind und die in ihrem Schwierigkeitsgrad variieren.“29

25 vgl. Ertl, 2005, S. 26

26 vgl. Storz, 2005, S.79 ff.

27 Weinert, 2001, S. 27; Klieme, 2003, S. 21

28 vgl. Klieme, 2003, S. 19 ff.; Dilger / Sloane, 2005, S.12

29 Franke, 2005, S. 57

Abb. 2: Das kognitionstheoretische Kompetenz-Performanz-Modell30

Bei der Entwicklung von Kompetenzstandards für den allgemeinbildenden schuli-schen Bereich geht es dabei vorrangig um die Lösung des empirischuli-schen Problems unter dem Gesichtspunkt des Messens und Dokumentierens des Erreichungsgrads schulfächerspezifischer Kompetenzen, die der logischen Struktur einer Wissen-schaftsdisziplin folgen. Aus ihrer Gebundenheit an die Performanz in beruflichen An-forderungssituationen ergeben sich für die Planung von Berufsausbildungen aller-dings insofern Übertragungsprobleme, als die Relevanz der Wissensbestände aus der Anforderungslogik qualifizierter Facharbeit abgeleitet werden muss.31

Vor diesem Hintergrund bietet die Betrachtung des Wissens als Leistungsdisposition zum zweiten Anschlussmöglichkeiten an Hackers handlungsregulationstheoretischen Ansatz, in dem die Bedeutung von berufsrelevanten Wissensbeständen als grundle-gend für das berufliche Handeln betrachtet wird.32 Während sich das arbeitswissen-schaftliche Interesse eher mit den inhaltsneutralen Verlaufsstrukturen vollständiger Arbeitshandlung befasst, wird hier mit Storz die Auffassung vertreten, dass berufsbe-zogene Wissensgrundlagen als „Inhaltlichkeit des Handelns“ eine wichtige Ergän-zung zu strukturorientierten Ansätzen bieten, wenn es um die Entwicklung hand-lungskompetenzorientierer Curricula geht.

Bisher bildet die Schule den Lernort formal geplanter Wissensvermittlung, die unter dem Postulat der Kompetenzorientierung Modelle und Konzepte zur Identifikation geeigneter Wissensarten benötigt.

30 Dilger / Sloane, 2005, S.12

31 vgl. Clement, 2008, Storz, 2005, S. 79 ff.; Dilger / Sloane 2005

32 vgl. Hacker, 1986, S. 273 ff.

„,Wissen’ als komplexe, funktionale Leistungsdisposition bedarf einer Differen-zierung, um es für Zwecke des beruflichen Handelns in ihrer regulierenden Form bewerten zu können und didaktische Konzepte daran zu orientieren.“33 Vor diesem Hintergrund hat Reetz im Zusammenhang mit der kompetenzorientierten Lehrplanarbeit für kaufmännische Berufe versucht, Klassifikationen des Wissens mit dem Begriff beruflicher Handlungskompetenz in Beziehung zu setzten. Im Rahmen einer Matrix, mit deren Hilfe Wissensarten aus Handlungskompetenzen abgeleitet werden, konzeptualisiert er Handlungswissen als zentrales Bindeglied zwischen Handlung und Kompetenz.

Abb. 4: Handlungswissen als Bindeglied zwischen Handlung und Kompetenz34

Mit dem Verweis auf Erkenntnisse der Expertenforschung hebt Reetz hervor, dass die besondere Bedeutung des Handlungswissens in einer Verknüpfung aus prozedu-ralem bzw. strategischem Wissen und Metakognition liegt. Regel- und Begriffswissen kommen dabei sowohl die Rolle der Mobilisierung von strategischem Wissen als auch die der Erschließung neuer Sachverhalte und heuristischer Problemlösungs-prozesse zu.35

Auch Achtenhagen entwirft ein Modell des Zusammenhangs zwischen Disposition und Performanz, dessen Dispositionsdimension den Aspekt des Wissens enthält und in dem Handlungen sowie Leistungen der Performanzdimension zugeordnet sind.

33 Storz, 2005, S. 93

34 Reetz, 2000, S. 149

35 vgl. Reetz, 2000, S. 148 f.; Clement, 2003, S. 109

Abb. 3: Das berufspädagogische Kompetenz-Performanz-Modell36

Am Beispiel des Betriebswirtschaftsunterrichts veranschaulicht Achtenhagen die ge-nerelle Schwierigkeit, bestimmten Ausbildungsinhalten Kompetenzen bzw. Kompe-tenzstufen zuzuordnen, und schlägt zur Lösung den Zwischenschritt über die Hierar-chisierung in unterschiedlich komplexe Wissensarten vor. Mit der Klassifizierung in deklaratives, prozedurales und strategisches Wissen schließt er dabei an gängige Konzepte aus der Bildungsstandarddebatte an.37

In seinen Ausführungen im Rahmen der „Expertise zu den konzeptionellen Grundla-gen für einen Nationalen Bildungsbericht – Berufliche Bildung und Weiterbildung / Lebenslanges Lernen“38 weist Achtenhagen auf die differenzierte Taxonomie der Wis-sensarten von Anderson und Krathwohl hin, die sich in den Kategorien „factual

36 Achtenhagen, 2004, S. 22

37 vgl. Lisop / Huisinga, 2004, S. 249; Klieme, 2003, S. 78 f.; Reetz, 2000, S. 148

38 vgl. Achtenhagen, 2004.

knowledge“, „conceptual knowledge“, „procedural knowledge“ und „metacognitive knowledge“ entfaltet.39 Die ersten beiden Kategorien „factual knowlege“ und „concep-tual knowledge“ entsprechen zusammengefasst dem Verständnis des Konzepts „de-klarativen Wissens“ und „procedural knowledge“ kann wörtlich als „prozedurales Wissen“ übersetzt werden. Das Konzept „strategisches Wissen“ taucht in der Klassi-fikation von Andersohn und Krathwohl nicht exlizit auf, kann aber nach Achtenhagen und Baethge einer Subkategorie von „procedural knowledge“ zugerechnet werde, die als „knowledge of criteria for determining when to use appropriate procedures“ be-zeichnet wird.40 Auf diese Matrix wird im Kapitel 5.4. dieser Arbeit noch detailliert ein-gegangen.

Vor dem dargestellten Hintergrund wird deutlich, dass mit der Orientierung an berufli-cher Handlungskompetenz bei der Planung formaler berufliberufli-cher Ausbildungsprozes-se eine Zieldimension vorgegeben wird, die Ausbildungsprozes-sehr abstrakt und begrifflich schwer zu fassen ist. Die Folge ist ein heterogener berufspädagogischer Diskurs, in dessen Zu-sammenhang unterschiedliche Aspekte der resultierenden Umsetzungsproblematik fokussiert werden.

Zur Deduktion konkreter didaktischer Entscheidungen sind allerdings Modellvorstel-lungen hilfreich, die berufliche Handlungskompetenz anhand von Teilaspekten wie z. B. Leistungsdispositionen konzeptualisieren. Die kognitionstheoretische Annahme, dass dem Wissen einer Person insofern zentrale Bedeutung zukommt, als es eine erfassbare Leistungsdisposition von Handlungskompetenz darstellt, kann vor diesem Hintergrund mit Konzepten des Handlungswissens verbunden werden, in denen spe-zifische Wissensarten nach ihrem kompetenzförderlichen Potential differenziert wer-den. Derart konzeptualisierte kognitive Voraussetzungen werden in Verbindung mit Modellvorstellungen beruflicher Handlungsstruktur zu Qualitätskriterien der Hand-lungskompetenzorientierung berufsrelevanter Curricula.

4.3. Strukturen vollständigen beruflichen bzw. pflegeberuflichen Handelns