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Strasseninfrastruktur Wirkung auf Biodiversität

TEIL C: Biodiversitätsschädigende Subventionen je Sektor

3 Verkehr auf Strasse, Schiene und in der Luft 22

3.1.1 Strasseninfrastruktur Wirkung auf Biodiversität

Die Zerschneidung der Landschaft hat sich in den letzten 30 Jahren verdoppelt (BAFU, 2017a). Die Schweiz ist durchzogen von 71'557 km National-, Kantons- und Gemeindestrassen sowie 5'177 km Schienenstrecke (Bundesamt für Statistik [BFS], 2018b). Das Mittelland verfügt über eines der dich-testen Verkehrsnetze Europas (European Environment Agency [EEA], 2011). Die Strassenverkehrsinf-rastruktur beansprucht gemäss Arealstatistik (BFS, 2018b) 2 % der Landesfläche oder 839 km2. Hinzu kommen 100-125 km2 Parkplatzareal23 (BFS, 2017b; BFS, 2018b). Für viele Arten sind Strassen Bar-rieren in der Landschaft, die sie schwer oder gar nicht überwinden können. Die Trennwirkung ver-stärkt sich, wenn die Strassen eingezäunt sind. Strassen zerschneiden Lebensräume und fragmentieren diese in immer kleinere Gebiete. Dort lebende Artenbestände werden isoliert, was ihr Aussterberisiko erhöht (Lachat et al., 2010). Weiter verändern Strassen das Mikroklima der nahen Umgebung; Tempe-ratur- und Lichtverhältnisse ändern sich. Dies fördert u.a. die Ausbreitung gebietsfremder Arten und damit die Verdrängung einheimischer Arten, was zu einer Destabilisierung von Ökosystemen führt.

Hinzu kommt, dass die negative Wirkung auf Dauer bestehen bleibt, da durch Strassen eine kaum um-kehrbare Infrastruktur geschaffen wird.

Öffentliche Ausgaben für Strasseninfrastruktur

Dank Einnahmen durch zweckgebundene Steuern und Gebühren aus dem Verkehrssektor erreicht der motorisierte Strassenverkehr 2017 einen Kostendeckungsgrad von 106 % (BFS, 2020a). Dabei nicht berücksichtigt sind die externen Kosten des Verkehrs. Ein Teil dieser externen Kosten könnte durch einen biodiversitätsgerechten Strassenbau und -unterhalt reduziert bzw. vermieden werden (z.B. Über-dachung von Strassen, Flächenkompensation, Wildbrücken, Strassenrandunterhalt). Dadurch würde der Kostendeckungsgrad sinken.

Die gesamte Strasseninfrastruktur kostete die öffentliche Hand (Bund, Kantone, Gemeinden) im Jahr 2017 CHF 9'400 Mio.24 (BFS, 2020a). Davon entfallen 36 % auf Nationalstrassen, 31 % auf Kantons-strassen und 33 % auf GemeindeKantons-strassen. Darin enthalten sind Kosten für Neubauten, Verbesserungen, Landerwerb, Unterhalt, Verwaltung, Verkehrssignalisation, Verkehrsregelung und Langsamverkehr.

Finanziert werden die Strasseninfrastrukturkosten aus dem 2017 eingeführten Nationalstrassen- und

23 Die Arealstatistik erfasst mit 64 km2 nur die in Luftbildern ersichtlichen Parkplätze. Werden kleinere Park-plätze und Parkhäuser etc. mitgerechnet, gehen Experten von 100-125 km2 aus

(www.tagesanzei-ger.ch/schweiz/standard/parkplatzland-schweiz/story/12262446 abgerufen am 03. März 2020).

24 Darin enthalten sind: Motorisierter Strassenverkehr, Fussverkehr, Veloverkehr, landwirtschaftlicher Verkehr;

Die dem motorisierten Strassenverkehr anrechenbaren Infrastrukturkosten liegen tiefer. (siehe Tabelle 1: Stras-senausgaben gemäss Infrastrukturrechnung 2017 (BFS, 2020a)).

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Agglomerationsverkehrs-Fonds (NAF)25, der Spezialfinanzierung Strassenverkehr (SFSV)26 sowie von den Kantonen und Gemeinden. Die Verkehrsfinanzierung der kantonalen Hauptstrassen ist kantons-spezifisch geregelt. Dafür erhielten die Kantone 2018 Bundesbeiträge von CHF 168 Mio. (EFV, 2018a), einen Drittel der Einnahmen durch die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) so-wie Beiträge aus der SFSV für ihre Zahlungen an den NAF (als Kompensationsleitung für die Erwei-terung des Nationalstrassennetzes). Weiter erheben die Kantone eine kantonale Motorfahrzeugsteuer.

Gemeinden verwenden für die Verkehrsfinanzierung eigene Mittel (u.a. dank eigener Gebühren und Abgaben) und erhalten einen Anteil vom Kanton (dieser variiert von 6 % im Kanton Neuenburg bis zu

> 90 % im Kanton Glarus).

25 Der NAF wird alimentiert durch den Mineralölsteuerzuschlag (100 %), 5 % der Mineralölsteuer, der Natio-nalstrassenabgabe (100 %), den Kompensationsbeiträgen der Kantone und durch weitere Mittel aus der Bundes-kasse.

26 Die SFSV wird gespeist mit 50 % der Mineralölsteuer, Rückzahlung von Darlehen und Beteiligungen, Ver-äusserung nicht mehr benötigter Grundstücke für Nationalstrassenbau, Auflösung von Reserven des Infrastruk-turfonds und bei Bedarf mit Anteilen der Automobilsteuer sowie diversen weiteren Erträgen (EFV, 2019c).

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Abbildung 2: Zweckbindung der Verkehrsabgaben (Zahlen gerundet: BFS, 2020a; EFV, 2019b; Schweizerische Bundesbah-nen [SBB] 2017; VöV 2017; ASTRA 2019a; für die Berechnung der Zahlen zum SchieBundesbah-nennetz siehe Anhang VI.)

Die Einnahmen aus den Verkehrsabgaben sind zweckgebunden für Verkehrsausgaben; der Bund erhält aus den Verkehrsabgaben keine Mittel zugunsten der allgemeinen Bundeskasse27 (siehe Abb. 2). Einen ähnlich hohen Anteil an zweckgebundenen Verkehrsabgaben gibt es in Europa nur in der Tschechi-schen Republik (Ecoplan, 2014). Das heisst, in den meisten Ländern fliessen Verkehrsabgaben in den allgemeinen öffentlichen Finanzhaushalt. Durch die schweizerische Zweckbindung der Verkehrsabga-ben fehlt der Bundeskasse eine grosse Einnahmequelle. Die Zweckbindung führt dazu, dass Mittel für den Unterhalt und Ausbau der Verkehrsinfrastruktur gesichert sind, die nicht mit anderen

27 Ausnahme: 45 % der Einnahmen der Mineralölsteuer fliessen in die allgemeine Bundeskasse.

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ten konkurrieren müssen und – wenn die Kassen gut gefüllt sind – auch Massnahmen zum Zuge kom-men können, die wenig Mehrwert für das Allgemeinwohl erbringen. Insgesamt gilt die Zweckbindung als ein starker Fehlanreiz zugunsten des Strassenausbaus (BFE, 2014a; Koch, 2014).

Ein weiterer Fehlanreiz besteht darin, dass die Finanzierung des baulichen Unterhalts nicht an Bio-diversitätskriterien gebunden ist. Während Strassenneubauten im Zug einer Umweltverträglichkeits-prüfung (UVP) oftmals mit Umweltauflagen verknüpft werden (gemäss Umweltschutzgesetz [USG]

und Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung [UVPV]; BAFU, 2009; ASTRA & BAFU, 2017), werden keine solche Auflagen und entsprechende Massnahmen für den baulichen Unterhalt des Strassennetzes erlassen. Bisherige Kompensationsmassnahmen (z.B. Grünbrücken) reichen bei weitem nicht aus, die negativen Effekte der Verkehrsinfrastruktur auf Biodiversität aufzuwiegen. Umweltauf-lagen beim Unterhalt könnten – gerade hinsichtlich knapper Flächen für die Umsetzung von ökologi-schen Kompensationsmassnahmen – die Schaffung von Ersatzflächen durch Überdachung oder Rück-bau von Strassen umfassen. Ausserdem werden Umweltmassnahmen häufig einmalig durchgeführt, für deren Pflege und sachgerechten Unterhalt fehlen dann aber die Mittel, so verschiedene ExpertIn-nen. Potentiale zur Verringerung biodiversitätsschädigender Wirkungen des Verkehrsnetzes werden also nicht oder nur unzureichend genutzt.

Tabelle 1: Strassenausgaben gemäss Infrastrukturrechnung 2017 (BFS, 2020a) Strassenausgaben in

Nationalstrassen28 2 199 14.2 260.7 569 779.7 575.6

Kantonsstrassen 3 064 27.7 278 824.5 369.8 1 367.2

Gemeindestrassen 3 161 22.9 67.4 915.9 238.8 1 916.4

Total 8 424.6 64.8 606.1 2309.4 1 388.3 3 859.2

Ausgaben für Landerwerb, Neu- und Ausbau von Strassen gelten wegen ihrer versiegelnden und frag-mentierenden Wirkung als stark biodiversitätsschädigend. 2017 wurden dafür CHF 2'980 Mio. ausge-geben (siehe Tabelle 1). In dieser Studie werden sie folglich als vollständig biodiversitätsschädigend eingestuft. Die Ausgaben für baulichen Strassenunterhalt allerdings werden je nach Umsetzung als biodiversitätsschädigend eingestuft.

Mögliche Lösungsansätze

Ein zentraler Fehlanreiz besteht darin, dass ein wesentlicher Teil der Verkehrsabgaben für den Ver-kehrsinfrastrukturausbau und -unterhalt bestimmt ist. Um diesen Fehlanreiz zu beenden, müsste in ei-nem ersten Schritt ein Teil der zweckgebundenen Mittel abgeschöpft werden. Dies würde den Ausbau verlangsamen und, je nach Verfügbarkeit der Gelder, unterbinden. Die abgeschöpften Mittel könnten statt in den Ausbau, für eine effizientere Nutzung des bestehenden Strassennetzes und für die Reduk-tion externer Kosten des Verkehrs verwendet werden.

28 Für das Jahr 2019 wurde vom Parlament ein Verpflichtungskredit von CHF 5'651 Mio. für das Nationalstras-sennetz beschlossen (Schweizerische Bundesversammlung, 2019).

45 Aktuell fliesst ein Teil der Einnahmen der LSVA (die zwei Bundesdrittel) und der SFSV (7 %) in Um-welt- und Landschaftsschutzmassnahmen. Damit werden zum Beispiel Lärmsanierungen von Eisen-bahnlinien durchgeführt, und der Schutz vor Hochwasser und weiteren Naturgefahren betrieben. Diese Massnahmen dienen nicht primär der Biodiversitätsförderung.

Es sind folgende Handlungsoptionen denkbar:

1. Aufhebung der Zweckbindung der Einnahmen aus dem Verkehr oder mindestens Zuführen eines Teiles der Einnahmen in den öffentlichen Haushalt

2. Verwendung der Einnahmen für eine effizientere Nutzung der Verkehrsinfrastruktur (z.B. techni-sche Lenkungssysteme, Massnahmen zur Erhöhung der Fahrzeugauslastung)

3. Plafonierung der Strassenfläche und Verwendung der Einnahmen aus dem Verkehr für Biodiversi-tätsziele im Bau und Unterhalt von Strasse und Schiene zur:

a) Erschliessung des grossen Potentials von Vernetzungskorridoren entlang von Strassen (wel-ches heute bereits teilweise genutzt wird)

b) Sanierung bestehender Strassenabschnitte nach Richtlinien des Bundes für die Umweltver-träglichkeitsprüfung (UVP-Richtlinien) (BAFU, 2009)

c) Schaffung und Unterhalt von Ersatzlebensräumen, z.B. mittels Überdachung neuer oder be-stehender Strassenabschnitten oder deren Rückbau

NAF Programm Agglomerationsverkehr

Einlagen im NAF (Nationalstrassen-, Agglomerationsverkehrsfonds) werden nebst dem Ausbau und Unterhalt des Nationalstrassennetzes auch für die Optimierung des Agglomerationsverkehrs verwen-det (Verordnung über die Verwendung der zweckgebundenen Mineralölsteuer und weiterer für den Strassenverkehr zweckgebundener Mittel [MinVV] Art. 1). Für Massnahmen von 2019-2022 hat das Parlament Beiträge aus dem NAF in Höhe von CHF 1'415 Mio. freigegeben (Eidgenössisches Depar-tement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation [UVEK], 2019). Der Beitragssatz des Bun-des beträgt 30-40 %, folglich belaufen sich die Gesamtinvestitionen für den Agglomerationsverkehr auf rund CHF 3'500-4'700 Mio. bzw. jährlich CHF 875-1175 Mio. Es werden Massnahmen zur besse-ren Abstimmung von Siedlung, motorisiertem Strassenverkehr, öffentlichen Verkehr sowie Langsam-verkehr gefördert. Dabei sind Umweltbelastung und Ressourcenverbrauch Vergabekriterien für För-dermittel.29 Ein Teil der Massnahmen geht mit zusätzlicher Versiegelung einher: Im öffentlichen Ver-kehr etwa durch Aus- oder Neubau von Tramlinien mittels Erstellung von neuen Trassees oder die Verbreiterung von Verkehrsknotenpunkten, im privaten motorisierten Verkehr durch Neuerschliessun-gen oder ErweiterunNeuerschliessun-gen von Strassen. Ein grosser Anteil der Fördermittel wird für SanierunNeuerschliessun-gen, Ver-kehrsberuhigung, -sicherung und -neugestaltung aufgewendet. Auch wenn das Programm des NAF die Verkehrssituation in Agglomerationen für verschiedene Verkehrsteilnehmende verbessert und auch Umweltaspekte zu den Förderkriterien gehören, so subventioniert es gleichwohl den Verkehr. Welche Anteile davon biodiversitätsschädigend sind, kann hier nicht quantifiziert werden.

29 Gemäss Bundesgesetz über die Verwendung der zweckgebundenen Mineralölsteuer und weiterer für den Strassen- und Luftverkehr zweckgebundener Mittel (MinVG) Art. 17d Abs. 2 sind Wirkungsziele: bessere Quali-tät des Verkehrssystems, mehr Siedlungsentwicklung nach innen, mehr Verkehrssicherheit sowie weniger Um-weltbelastung und Ressourcenverbrauch. Sie sind mit dem finanziellen Aufwand ins Verhältnis zu setzen.

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Im Folgenden werden am Beispiel Langsamverkehr Finanzströme und Wirkung aufgezeigt: Die zwi-schen 2019 und 2022 geplanten Massnahmen im Langsamverkehr werden von Bund, Kantonen und Gemeinden mit CHF 977 Mio. (davon CHF 352.3 Mio. Bundesanteil) veranschlagt (Schweizerischer Bundesrat, 2018a).

Der Langsamverkehr ist die biodiversitätsfreundlichste Verkehrsform, da sie weder eine verschmut-zende Wirkung hat, noch viel Fläche in Anspruch nimmt. Ein innerökologischer Zielkonflikt besteht insofern, als dass neu erstellte asphaltierte Velowege und -routen Habitate zusätzlich fragmentieren.

So wurden die kantonalen Veloförderprogramme und dabei insbesondere die Erstellung eines Velo-wegnetzes von Überland-Veloschnellrouten, welche nicht entlang oder auf bereits bestehenden Stras-sen verlaufen, mehrmals von Experten als Massnahmen erwähnt, welche die Zerschneidung von Le-bensräumen beschleunigen. Diese Programme werden aus dem Agglomerationsprogramm mitfinan-ziert.

Beispiel Kanton Luzern:

Der Kanton Luzern hat von den in den 1990er Jahren geplanten (und 2009 ergänzten) 415 km Radroutenki-lometern 2018 bereits 284 km gebaut, 130 stehen noch aus (Kanton Luzern, 2019a). Der Langsamverkehr wird im Kanton Luzern im Rahmen des Agglomerationsprogrammes mit einem pauschal mitfinanzierten Massnahmenpaket von CHF 13 Mio. von Seiten des Bundes gefördert. Dies entspricht – bei einem Förder-anteil von 35 % – einer Gesamtinvestition von CHF 102 Mio. (Schweizerischer Bundesrat, 2018a; Kanton Luzern, 2019b).

Mögliche Lösungsansätze

Das Programm Agglomerationsverkehr verfolgt das Ziel, Verkehr und Siedlung besser abzustimmen;

dabei werden auch Umweltaspekte berücksichtigt und der Langsamverkehr gefördert. Beim Ausbau des Velowegnetzes sollten Routen, die entlang bestehender Verkehrswege geführt werden, bevorzugt gefördert werden, und es sollten Beiträge für den Velowegausbau an biodiversitätsfördernde Kriterien geknüpft werden bezüglich Belag, Breite und Ersatzmassnahmen.

Das Agglomerationsverkehrsprogramm sollte auch vermehrt den Rückbau von Strassen finanzieren.

So sollte z.B. im Zuge von Massnahmen zur Ortsumfahrungen oder sonstiger Verkehrsberuhigung der Rückbau von Strassen(-abschnitten) vermehrt projektiert und in die Projektkosten einbezogen werden.

3.1.2 Der motorisierte Individualverkehr und Güterverkehr auf der Strasse