Die Stichprobe bestand aus einer randomisierten Gruppe afghanischer Schulkinder aus dem Dashti Barchi Distrikt in Kabul im Alter von 7 bis 14 Jahren. Die Interviews fanden in zwei Grundschulen statt. Da die Schulen in Afghanistan nach Geschlechtern getrennt sind, kamen die 165 Jungen ausschließlich von der „Abdul Raheem Shaheed“Jungen
Schule und die 122 Mädchen von der „Zainab Kobra“MädchenSchule. Insgesamt han
delte es sich um 287 Kinder, von denen nach Abschluss der „Screening“Interviews 49 Kindern ein zweites Mal von klinischen Experten befragt wurden, um die erhobenen Daten zu validieren.
3.1.1 Dashti Barchi Distrikt
Kabul ist die Hauptstadt Afghanistans und mit knapp drei Millionen Einwohnern ver
schiedenster Ethnien auch die größte Stadt des Landes. In den letzten Jahren hat die Ein
wohnerzahl durch die Zuwanderung von Flüchtlingen stetig zugenommen. Die Stadt ist sehr dicht bewohnt und liegt in einer fruchtbaren Ebene, umringt von hohen Bergen. Ka
bul ist ein strategisch zentraler Punkt Afghanistans und war während der letzten kriege
rischen Jahrzehnte immer wieder stark umkämpft. Große Teile der Stadt bestehen noch aus Ruinen, und die Spuren des Krieges sind allgegenwärtig.
Der Dashti Barchi Distrikt liegt am Rande Kabuls, und stellt insofern einen Spezial
fall dar, als dass er fast hauptsächlich von Hazara bewohnt wird. Zudem leben die Be
wohner Dashti Barchis selbst für afghanische Verhältnisse in besonders großer Armut, so dass die Stichprobe daher insgesamt als selektiv angesehen werden muss. Ursprüng
lich war eine repräsentative Stichprobe an mehreren Schulen in verschiedenen Stadttei
len Kabuls geplant. Diese konnte aus logistischen und sicherheitstechnischen Gründen so jedoch nicht erhoben werden.
3.1.2 Zustand der Schulen und Situation der Lehrkräfte
Die beiden Schulen, insbesondere die „Abdul Raheem Shaheed“ JungenSchule, waren in einem desolaten Zustand. Die hygienischen Einrichtungen waren völlig ungenügend, und das Mobiliar der viel zu kleinen Klassenzimmer war – wenn überhaupt vorhanden –
3.1 Methoden - Stichprobenbeschreibung
zum größten Teil beschädigt. Schlimmer jedoch als die mangelhafte Ausstattung der Schulen war das extreme Verhältnis von Lehrer und Schülerzahl. Die „Abdul Raheem Schaheed“Schule wurde zum Zeitpunkt der Interviews von ca. 21.000 Jungen besucht.
Diese gewaltige Zahl konnte nur mittels eines Systems bewältigt werden, das die Kinder in drei Schichten für nur jeweils zwei Stunden zum Unterricht kommen ließ. Der Unter
richt wurde von nur 222 Lehrern erteilt, die somit im Durchschnitt 290 Schüler pro Tag betreuten. Ältere und erfahrenere Lehrer unterrichteten pro Tag bis zu 600 Schüler.
Viele der Lehrer kamen während der Interviews auf die klinischen Ex
perten zu, um sie um Hilfe für ihre eigenen psychischen Probleme zu bitten. Dies führte dazu, dass am Rande der Untersuchung ein Grup
peninterview zur Sondierung der psychischen Gesundheit der Lehrer durchgeführt wurde. Von 47 Lehrern erfüllten 15 (32%) alle Kriterien für eine PTBS. Im Schnitt wurden dabei von jedem Lehrer fünf traumatische Ereignisse genannt.
Obwohl die Lehrer ihre Schüler offiziell nicht schlagen dürfen, ge
hört die Prügelstrafe leider noch zum Alltag in Afghanistan. Während der Dauer der ca.
zweiwöchigen Untersuchung wurden mehrere Kinder so schwer von Lehrern geschla
gen, dass sie medizinisch versorgt werden mussten. Aufgrund des akuten Lehrermangels werden jedoch nicht einmal diese besonders gewalttätigen Lehrer vom Unterricht sus
pendiert.
In der „Zainab Kobra“ MädchenSchule waren die Verhältnisse weniger extrem.
Ausländische Hilfsorganisationen hatten sich dieser Schule angenommen und für eine
Abbildung 6: Unterricht im Freien an der "Abdul Raheem Shaheed" JungenSchule (Quelle: vivo)
annehmbar gute Ausstattung gesorgt. Das Mobiliar war in einem guten Zustand, die Räume waren hell und sauber und an mehreren Stellen auf dem Schulgelände waren Brunnen zur Trinkwasserversorgung angelegt worden. Die Kinder wurden im Rahmen des selben Schichtsystems jedoch ebenfalls nur zwei Stunden pro Tag unterrichtet.
3.1.3 Soziodemographische Daten
Wie in Tabelle 5 zu sehen ist, bestand die Stichprobe zu 90,2% aus Hazara. Die Kinder waren im Schnitt 11 Jahre alt (7 bis 14 Jahre; SD = 1,69). 30% von ihnen hatten sich für mindestens ein Jahr als Flüchtling im
Ausland aufgehalten (meistens in Pakis
tan oder im Iran). Von denjenigen Kin
dern, die im Ausland waren, hatten Jun
gen durchschnittlich 4,4 Jahre (SD = 2,2) und Mädchen 3,4 Jahre (SD = 2,7) dort verbracht.
Die durchschnittliche Haushaltsgröße war 8,2 bei den Jungen und 8,8 bei den Mäd
chen (Bereich für die gesamte Stichprobe: 3 bis 30; SD = 3,1). Die durchschnittlich ver
fügbaren Räume für die Familien waren im Schnitt 2,6 bei den Jungen und 2,9 bei den Mädchen (Bereich für die gesamte Stichprobe: 1 bis 14; SD = 1,8).
Wie in Abbildung 7 zu sehen ist, haben 9%
der Kinder keinen Vater mehr, und 4% der Kin
der haben ihre Mutter verloren. Jungen sind da
bei häufiger Waisen als Mädchen. In Abbildung 8 werden die durchschnittlichen Besitzgüter dar
gestellt. Mädchen haben dabei signifikant mehr Besitzgüter angegeben als Jungen. Jungen gaben durchschnittlich 11,5 eigene Besitztümer an (Schuhe, Bücher und Spielzeug; SD = 7,2) und Mädchen 14,4 (SD = 7,4). Die Jungen hatten im Schnitt 3,5 Jahre lang die Schule besucht (Be
Häufigkeit Prozent
Pashtun 2 ,7
Tadschik 15 5,2
Hazara 259 90,2
Andere 11 3,8
Tabelle 5: Ethnische Zugehörigkeit
Abbildung 7: Verlust der Eltern (in Prozent) Mutter tot Vater tot
50%
Mädchen Jungen
3.1 Methoden - Stichprobenbeschreibung
reich von 1 bis 8 Jahren; SD = 1,3), die Mädchen im Schnitt 4,1 Jahre lang (Bereich 1 bis 7 Jahre; SD = 1,1).
3.1.4 Geschlechtsspezifische Unterschiede
Viele der erhobenen demographischen Daten deuteten auf ein sozioökonomisches Un
gleichgewicht zwischen Jungen und Mädchen in der Stichprobe hin. Die Mädchen gaben signifikant mehr Besitzgüter an (p < 0,01) und schienen daher aus wohlhabenderen Fa
milien zu kommen. Außerdem haben sie signifikant weniger Typen erlebter Gewalter
fahrungen angegeben (sowohl häusliche als auch kriegsbedingte Gewalt; p < 0,01). Für die weiteren Analysen erscheint es daher sinnvoll, die Ergebnisse für Jungen und Mäd
chen jeweils getrennt zu berichten.
Abbildung 8: Durschnittliche Anzahl an verschiedenen Besitzgütern Spielzeug
eigene Bücher eigene Schuhe eigene Kleidungsstücke Autos Fahrräder Fernseher Radiogeräte Bücher im Haus Anz. Betttücher Anz. Kissen Anzahl Betten Kochutensilien Töpfe Haustiere Geschäft Gemüsegarten Fleischmahlzeiten / Woche eigenes Haus Anz. Räume
16
Mädchen
Jungen