• Keine Ergebnisse gefunden

2.2  Kinder und familiäre Gewalt

2.2.1  Definition

In der Regel wird unterschieden zwischen Gewalt, die ein Kind als direktes Opfer er­

fährt, und Gewalt zwischen Familienmitgliedern des Kindes, die das Kind bezeugt. Des  weiteren können Gewalterfahrungen in physische, psychische und sexuelle Gewalt un­

terteilt werden. Hinzu kommt passive Gewalt in Form von psychischer oder physischer  Vernachlässigung.

Die Definition kindlicher Gewalterfahrungen ist keineswegs trivial, sondern zum  Teil sehr umstritten. Juristische Definitionen gewalttätigen Verhaltens beschränken sich  beispielsweise oft auf direkt ausgeübte physische und sexuelle Gewalt oder lebensbe­

drohliche Vernachlässigung, während die klinische Forschung auch rein verbal ausgeüb­

te oder nur bezeugte Gewalterfahrungen als schädlichen Einfluss auf die Entwicklung  des Kindes berücksichtigt. (Fantuzzo & Mohr, 1999).

Laut Tolan, Gorman­Smith & Henry (2006) konzentriert sich der Hauptstreitpunkt  bei der Definition familiärer Gewalt darauf, ob sie gleichzusetzen ist mit Missbrauch  oder Misshandlung, und ob alle möglichen Arten von Gewalt mit eingeschlossen werden  sollen, oder nur besonders schwerwiegende. Eine Eingrenzung der Definition auf physi­

sche Gewalt halten Tolan, Gorman­Smith & Henry jedoch für zu eng, da zahlreiche For­

men der Gewalt, wie das Ausüben von Zwang, Vernachlässigung und verbale Misshand­

lungen ausgeschlossen würden, die jedoch genauso schädlich für das Kind sein können  wie die Folgen physischer Gewalt. Als weiteres Definitionsproblem führen Tolan, Gor­

man­Smith & Henry die Frage an, ob in der Gesellschaft übliche Formen von Gewalt,  wie zum Beispiel körperliche Bestrafung von Kindern oder Gewalt unter Geschwistern,  in die Definition mit aufgenommen werden sollen oder nicht.

Fantuzzo & Mohr (1999) konzentrieren sich auf bezeugte Gewalt zwischen Ehepar­

tern und nennen als eine mögliche Definition häuslicher Gewalt Muster tätlichen und  Zwang ausübenden Verhaltens zwischen Partnern, die sowohl physische, psychische und  sexuelle Übergriffe, als auch ökonomische Zwangsmittel beinhalten können. Fantuzzo 

& Mohr bemängeln, dass die schädlichen Folgen bezeugter familiärer Gewalt an Kin­

dern bislang von Forschung und Politik sträflich vernachlässigt wurden.

Margolin & Gordis (2000) fassen theoretische und empirische Literatur zum Thema  Gewalt an Kindern und deren Folgen zusammen. Sie unterscheiden drei Arten von Ge­

walterfahrungen, die Kinder machen können: Kindesmisshandlung, Gewalt in der Ge­

meinschaft und Gewalt zwischen den Eltern. Die Gemeinsamkeit aller dieser Arten von  Gewalterfahrung ist, dass sie die direkte Umgebung des Kindes von einem sicheren Zu­

fluchtsort zu einem unsicheren Ort machen, und dass sie das Potential der Eltern ver­

mindern, für das physische und psychische Wohlbefinden ihres Kindes zu sorgen. 

Lange Zeit von vielen Forschern, Politikern und Klinikern übersehen wurde laut  Khamis (2000) das Phänomen der psychischen Misshandlung. Psychische Misshandlung  wird nach Khamis als häufigste Form der Misshandlung angesehen und ist in ihrem zer­

2.2 Theorie - Kinder und familiäre Gewalt

störerischen Einfluss auf das Leben von Kindern am gravierendsten. Psychische Miss­

handlung   wird   konzeptualisiert   als   wiederkehrende   Muster   im   Verhalten   der   Erzie­

hungspersonen, die dem Kind das Gefühl geben, wertlos, ungeliebt, fehlerhaft oder un­

gewollt zu sein. Psychische Misshandlung kann aus verbalen Attacken, aber auch aus  Unterlassungshandlungen bestehen. (Khamis, 2000)

Die Weltgesundheitsorganisation benutzt folgende weit umfassende Definition von  Kindesmisshandlung: 

„Child abuse or maltreatment constitutes all forms of physical and / or  emotional ill­treatment, sexual abuse, or neglect or negligent treatment or  commercial or other exploitation, resulting in actual or potential harm to  the child's health, survival, development or dignity in the context of a re­

lationship of responsibility, trust or power.“ (WHO 2002) 2.2.2 Prävalenzraten häuslicher Gewalt

So viele Definitionen häuslicher Gewalt es gibt, so viele verschiedene Prävalenzraten  werden epidemiologische Studien hierzu auch ermitteln. Fantuzzo & Mohr (1999) be­

richten, dass ­ unter anderem aus diesem Grund ­ bislang keine wissenschaftlich verläss­

lichen Prävalenzzahlen für von Kindern bezeugte familiäre Gewalt existieren. 

Laut Tolan, Gorman­Smith & Henry (2006) kommt ebenfalls erschwerend die Unei­

nigkeit unter den Forschern hinzu, an welcher Art von Stichproben Prävalenzraten häus­

licher Gewalt erhoben werden sollten (repräsentative Stichproben der Normalbevölke­

rung oder Stichproben vulnerabler Gruppen). 

Bei der nordamerikanischen Bevölkerung berichten Tolan, Gorman­Smith & Henry  über Prävalenzraten von Kindesmisshandlung von 1,2%. Diese Zahl basiert auf Berich­

ten von dortigen offiziellen und sozialen Einrichtungen. Über 60% dieser Kinder wur­

den  vernachlässigt,  19%  wurden  körperlich  misshandelt,  10%  wurden  sexuell   miss­

braucht und 5% wurden emotional misshandelt. Untersuchungen an ausgewählten, vul­

nerablen Populationen ergeben dagegen erwartungsgemäß höhere Zahlen und variieren  zwischen 3% und 36%. (Tolan, Gorman­Smith & Henry, 2006)

Khamis (2000) untersuchte die Prävalenz psychischer Misshandlung von Kindern in  palästinensischen Familien, welche kriegerischer und politischer Gewalt ausgesetzt wa­

ren. Es wurden Interviews mit 1.000 Kindern im Alter von 12 bis 16 Jahren durchgeführt  und soweit möglich auch mit ihren Eltern. 16,4% der Kinder können als psychisch miss­

handelt betrachtet werden. 14,1% der Kinder gaben an, in ihrer Familie auch physisch  misshandelt worden zu sein.

2.2.3 Risikofaktoren für häusliche Gewalt

Tolan, Gorman­Smith & Henry (2006) fassen die Literatur über die wichtigsten Risiko­

faktoren   für   häusliche   Gewalt   zusammen:   Als   ein   wichtiger   Prädiktor   gewalttätiger  Übergriffe in der Familie stellen sich dabei mentale Krankheiten wie Angststörungen,  Depression, Persönlichkeitsstörungen und Substanzabhängigkeiten heraus. Die wichtigs­

ten Umweltfaktoren, die häusliche Gewalt vorhersagen, sind Armut und Stress.  

In Khamis (2000) Studie an palästinensischen Kindern wendeten Familien mit zwei  Eltern und Familien aus Flüchtlingslagern mehr psychische Gewalt gegen ihre Kinder  an, als Familien mit nur einem Elternteil oder Familien aus ländlichen und städtischen  Gebieten. In Familien, die an Armut litten, kam es mit größerer Wahrscheinlichkeit zu  psychischer Misshandlung an Kindern als in Familien, die über ein genügend großes  Einkommen verfügten. Ebenso Prädiktoren für psychische Gewalt waren Ungleichheit  der Geschlechter, strenge Disziplin und das Fehlen elterlicher Unterstützung. Die psy­

chische Misshandlung der Kinder ging einher mit anderen Formen der Misshandlung  wie körperlicher Gewalt und Kinderarbeit. Hochgehaltene traditionelle Familienwerte  dagegen gingen einher mit weniger psychischer Misshandlung der Kinder.

2.2.4 Auswirkungen von Gewalt an Kindern

Laut Margolin & Gordis (2000) bestehen die unmittelbaren Reaktionen der Kinder auf  alle Formen der Gewalt aus den Gefühlen der Hilflosigkeit, Angst, Wut und Erregung. 

Gewalt gegen Kinder berührt nicht nur deren physische Gesundheit und Sicherheit, son­

dern auch ihr psychisches Anpassungsvermögen, ihre sozialen Beziehungen und ihre  schulischen Leistungen. Auch Terr (1991) berichtet von beeinträchtigten kognitiven und  schulischen Leistungen in Folge von erlebter Gewalt. In Khamis (2000) Studie waren 

2.2 Theorie - Kinder und familiäre Gewalt

schlechte Schulleistung der Kinder eng mit dem Auftreten psychischer Misshandlung in  der Familie verbunden. Schauer, Elbert, Schauer, Huschka et al. (eingereicht) berichten  ebenfalls über verminderte Schulleistung und kognitive Fähigkeiten bei Kindern, die  Opfer militärischer Gewalt auf Sri­Lanka geworden sind.

Dieser negative Einfluss geht über emotionale und behaviorale Störungen hinaus  und beeinflusst auch das Selbstbild der Kinder, ihre Sicht der Welt, ihre Vorstellungen  von Sinn und Bedeutung des Lebens, ihre Erwartungen an die Zukunft und nicht zuletzt  ihre eigene moralische Entwicklung. Der Einfluss solcher Gewalterfahrungen reicht weit  in die Zukunft der Kinder hinein und betrifft sie auch dann noch, wenn sie erwachsene  Mitglieder der Gesellschaft geworden sind. (Margoling & Gordis 2000).

Kinder sind besonders empfindlich für die Folgen von Gewalt, weil die Gewalterfah­

rung das „Timing“ typischer Entwicklungsverläufe durcheinander bringen kann. Zum  einen kann Gewalt in primären Effekten resultieren, wie erhöhter Ängstlichkeit, Depres­

sion und PTBS­Symptome (Thabet, Abed & Vostanis, 2004;  et al.). Zum anderen lösen  diese primären Effekte wiederum sekundäre Reaktionen aus, indem sie Entwicklungsab­

läufe   der   Kinder   unterbrechen   oder   verzögern.   Regressions­Symptome   können   z.B. 

Bettnässen, erhöhte Trennungsangst oder verminderte Verbalisierung sein. Verminderte  soziale Fertigkeiten oder beispielsweise Konzentrationsstörungen in der Schule sind  weitere mögliche Folgen. (Joshi & Lewin, 2004; Quota, Punamäki & El Sarraj, 2003)

Wenige Studien setzen die Folgen von kindlichen Gewalterfahrungen in den Kontext  verschiedener Ethnien und Kulturen. Dies ist umso bedauerlicher, als Normen, Vorstel­

lungen und Werte, die im Zusammenhang mit Gewalt stehen, von Kultur zu Kultur sehr  unterschiedlich sein können. Nicht nur die Schwelle zwischen akzeptierter und misshan­

delnder körperlicher Bestrafung liegt in verschiedenen Kulturen sehr unterschiedlich,  sondern auch die jeweiligen Familienstrukturen und sonstigen Erziehungsstile. (Margo­

lin & Gordis, 2000)

Mertin & Mohr (2002) bestätigen Margolin & Gordis darin, dass Kinder, welche  Opfer von häuslicher Gewalt wurden, vermehrt emotionale, kognitive und Verhaltens­

Probleme aufweisen. Aggression und antisoziale Verhaltensweisen gehören zusammen 

mit Ängstlichkeit, Inhibierung, geringer Sozialkompetenz und Depression zum Verhal­

tensbild dieser Kinder. Gewalt und Gewalt­tolerierendes Rollenverhalten scheinen sich  beim Älterwerden bis in die Erwachsenenbeziehungen hinein zu erhalten. (Mertin & 

Mohr, 2002)

Bisher gibt es nur wenige Längsschnittstudien, die den Einfluss von kindlichen Ge­

walterfahrungen untersuchen. Rogosch et al. (1995) zeigen den Zusammenhang von frü­

her Misshandlung und späteren Problemen in Peer­Beziehungen.  Miller (1999) beob­

achtete bei einer Stichprobe sozial benachteiligter Jungen aus einem Stadtgebiet ein er­

höhtes Risiko negativen Verhaltens, wenn bezeugte Gewalterfahrungen in der sozialen  Umgebung vorlagen. 

Widom (1995) demonstrierte den so genannten „Cycle of Violence“ an einer Stich­

probe von 1.575 Kindern, die über einen Zeitraum von 20 Jahren hinweg untersucht  wurden. Kinder, welche vor ihrem 12. Lebensjahr physisch oder sexuell misshandelt  oder vernachlässigt worden waren, wurden später mit größerer Wahrscheinlichkeit we­

gen delinquentem Verhalten von der Polizei festgenommen und zeigten mehr kriminel­

les, gewalttätiges Verhalten als die Kontrollgruppe. 

Solche Längsschnittstudien erlauben zwar Rückschlüsse auf zeitliche Zusammen­

hänge, sind jedoch nicht in der Lage, echte Kausalzusammenhänge aufzuzeigen. Da man  das Auftreten und die Dosierung von Gewalt nicht im experimentellen Kontext kontrol­

lieren kann, ist es prinzipiell nur möglich, empirische und zeitliche Zusammenhänge –  niemals jedoch Kausalzusammenhänge – aufzuzeigen.

Psychobiologische Effekte

Perry (1997) erläutert verschiedene Wege, mittels derer sich Gewalterfahrungen auf die  kindliche Neurobiologie auswirken können. Das kindliche Gehirn ist aufgrund seiner  hohen Plastizität extrem empfindlich für Umwelteinflüsse. Das chronische Erleben von  Gewalt kann aufgrund zu intensiver Stimulation bestimmter Hirnregionen zu einer ab­

normalen neurologischen Entwicklung führen. Die Auswirkungen von Gewalt beein­

flussen das Erregungsniveau eines Kindes und ihre Fähigkeit, angemessen auf Stresssi­

tuationen zu reagieren. Außerdem berichtet wird von Veränderungen des allgemeinen 

2.2 Theorie - Kinder und familiäre Gewalt

Erregungsniveaus, gesteigertem Muskeltonus, erhöhtem Schreckreflex, Schlafstörungen  und abnormalen cardiovaskulären Regulationsmechanismen bei Kindern, die traumati­

schen Erlebnissen ausgesetzt waren. (Perry, 1997; Prasad, 2000)

De Bellis (2001) hält psychobiologische Veränderungen des kindlichen Gehirns auf­

grund erlebter Gewalt für eine wesentliche Komponente einer komplexen Entwicklungs­

störung, welche einen Risikofaktor für eigenes gewalttätiges Verhalten darstellt und so­

mit zu einem intergenerationalen Zyklus der Gewalt führen kann. De Bellis & Putnam  (1994) berichten von erhöhter Catecholaminaktivität und einem übererregten Dopami­

nergen System, das in Zusammenhang steht mit dem posttraumatischen Stresssymptom  der Hypervigilanz. 

Chronischer  Stress  scheint zu einer Dysregulation der  so genannten  HPA­Achse  („hypothalamic­pituitary­adrenal“) zu führen. Diese stellt eines der wichtigsten Stress­

Regulations­Systeme   dar   und   wird   über   Feedback­Mechanismen   so   gesteuert,   dass  Stress zuerst zu einem Anstieg der Cortisol­Produktion führt, aber anschließend ein ne­

gativer Feedback­Mechanismus zu einem erniedrigten Cortisol­Spiegel führt (Nelson & 

Carver, 1998). Ebenfalls verbunden mit Stress und traumatischen Ereignissen ist eine  abnormale Funktion der so genannten HPGH­Achse („hypothalamic­pituitary­growth  hormone“). Dies kann zu Verzögerungen und Störungen des pubertären Wachstums füh­

ren. Beginn der Pubertät und sexuellen Verhaltens können von traumatischen Ereignis­

sen verschoben werden, die Forschungsergebnisse  sind jedoch noch nicht eindeutig be­

züglich der Richtung, in welche die Verschiebung stattfindet. (De Bellis & Putnam,  1994)

Des weiteren führt Prasad (2000) zahlreiche weitere neuroendokrine Dysregulatio­

nen in Zusammenhang mit kindlichen Gewalterfahrungen und PTBS an, unter anderem  bezüglich der Neurotransmitter Noradrenalin, Serotonin und Dopamin. Auf nähere De­

tails soll im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht weiter eingegangen werden.

2.3 PTBS in ehemaligen Kriegsgebieten

Zu PTBS allgemein

Zur Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) wurden innerhalb der Arbeitsgruppe,  in der diese Arbeit entstand, bereits viele Studien und Arbeiten veröffentlicht, so dass an  dieser Stelle ausdrücklich auf eine detaillierte Schilderung des Konzeptes verzichtet  wird und nur die wichtigsten Eckdaten genannt werden.

Laut DSM­IV gehört die PTBS zur Gruppe der Angststörungen und wird durch fol­

gende drei Symptomgruppen gekennzeichnet: Wiedererleben, Vermeidung und ein er­

höhtes Erregungsniveau.  Zur Diagnose bedarf es sechs Kriterien. Kriterium A erfordert  das Erleben eines traumatischen Ereignisses, von dem Gefahr für Leib oder Leben aus­

geht, und auf das mit großer Furcht, Hilflosigkeit und Entsetzen reagiert wird. Die Kri­

terien B, C und D beziehen sich auf die Symptome des Wiedererlebens, der Vermeidung  und der Übererregung. Das Kriterium E verlangt eine Dauer der Symptomatik über  einen Zeitraum von mindestens vier Wochen, und das Kriterium F erfordert das Vorhan­

densein von funktionellen Einschränkungen psychosozialer Art. (APA, 1994)

Die neuere Forschung zu PTBS betrachtet diese vor allem als eine Gedächtnisstö­

rung. Die pathologisch veränderte Organisation der Gedächtnisinhalte ist auf physiologi­

scher Ebene insbesondere in Form von veränderten Strukturen des medialen temporalen  Lappens und des limbischen Systems gekennzeichnet. Außerdem kommt es zu den be­

reits im Kapitel über die psychobiologischen Effekte von Gewalt erwähnten Verände­

rungen hormoneller Regulierungssysteme. (Elbert & Schauer, 2002; Prasad, 2000; Nel­

son & Carver, 1998; De Bellis & Putnam, 1994)

Für detaillierte Informationen bezüglich der PTBS sei außerdem auf Yule (1999)  verwiesen. Epidemiologische Untersuchungen über PTBS in der Normalbevölkerung  veröffentlichte unter anderem Breslau (2001, 2002). Neuroanatomische Korrelate zu  PTBS und Untersuchungen mittels Bildgebender Verfahren untersuchte Bremner (1999,  2002). Einen Überblick über verschiedene psychologische Modelle zu PTBS verschaf­

fen Brewin & Holmes (2003).

2.3 Theorie - PTBS in ehemaligen Kriegsgebieten

PTBS und gesundheitliche Beschwerden

Eine Untersuchung an einer Stichprobe von 2.301 Veteranen des Golf­Kriegs ergab er­

höhte Prävalenzen von neurologischen, kardiovaskulären, gastrointestinalen und mus­

koskeletalen Beschwerden bei PTBS­Erkrankten. Weibliche Veteranen berichteten dabei  von signifikant mehr gesundheitlichen Problemen als männliche (Wagner et al., 2000). 

Auch Norris, Maguen, Litz, Adler et al. (2005) konnten einen Zusammenhang von phy­

sischer Gesundheit und PTBS­Symptomen nachweisen. Ein besonders starker Prädiktor  für gesundheitliche Symptome war dabei die Übererregungs­Symptomatik. Chandler  (2005) untersuchte PTBS­Diagnosen und PTBS­Symptome als mediierende Variablen  zwischen Trauma und physischer Gesundheit. Der Grad von der Gesundheit abträgli­

chem Verhalten war direkt verbunden mit der Schwere des erlebten Traumas. PTBS­

Symptome waren abermals ein Prädiktor für gesundheitliche Beschwerden. Für detail­

lierte Informationen bezüglich des Zusammenhangs von PTBS und gesundheitlichen  Beschwerden siehe auch Schnurr & Green, 2003.

PTBS bei erwachsenen Überlebenden organisierter Gewalt Zur Prävalenz von PTBS in Krisengebieten wurden viele Studien mit Erwachsenen ver­

öffentlicht. Zu diesen soll hier nur in aller Kürze etwas gesagt werden, da die vorliegen­

de Arbeit den Fokus vor allem auf Kinder legt. 

De Jong, Komproe & Ommeren (2001, 2003) haben in einer Studie 3.048 Personen  aus den ehemaligen Konfliktregionen Algerien, Kambodscha, Äthiopien und Palästina  untersucht und dabei die Prävalenz von Affektstörungen, somatoformen Störungen und  PTBS untersucht. Es handelt sich um Populationen mit sehr geringem Einkommen, die  Krieg, kriegerische Konflikte oder Massengewalt erlebt haben. Untersucht wurden nur  Personen über 16 Jahren. PTBS und an­

dere Angststörungen waren am häufigs­

ten vertreten. Gewalterfahrungen in Ver­

bindung   mit   bewaffneten   Konflikten  waren dabei mit einem besonders häufi­

gen Auftreten von Störungen verbunden. 

PTBS­Prävalenz

Algerien 37,4%

Kambodscha 28,4%

Äthiopien 15,8%

Gaza 17,8%

Tabelle 1: PTBS­Prävalenz in verschiedenen Stich­

proben (de Jong et al. 2001)

Die PTBS­Prävalenzraten der vier Stichproben sind in Tabelle 1 dargestellt. Die vier  verschiedenen Populationen zeigten jeweils unterschiedliche Muster von Risikofaktoren  für PTBS. Dies könnte ein kulturspezifischer Effekt sein, und man könnte daraus schlie­

ßen, dass PTBS­Symptome in unterschiedlichen Populationen von unterschiedlichen de­

terminierenden Faktoren herrühren. 

De Jong et al. (2001) erwäh­

nen   weitere   epidemiologische  Studien,   welche   die   PTBS­

Prävalenz   in   verschiedenen  Flüchtlingspopulationen   erhe­

ben   sollten.   Deren   Ergebnisse  sind in Tabelle 2 dargestellt. 

Lopes Cardozo et al. (2000) untersuchten an einer Stichprobe von 1.358 Kosovo­Al­

banern die Prävalenz von PTBS­Symptomen und anderen psychischen Störungen. Die  befragten Personen waren mindestens 15 Jahre alt und hatten 1998 und 1999 den Bür­

gerkrieg und das Einschreiten der NATO­Truppen erlebt. 17,1% der Befragten erfüllten  die DSM­IV Kriterien für PTBS. Es gab einen signifikanten linearen Zusammenhang  zwischen der psychischen Gesundheit und der Anzahl traumatischer Erlebnisse. 43% 

der Befragten hatten unspezifische psychische Probleme. 

Da die PTBS ­ geschichtlich betrachtet ­ als „Vietnam­Veteranen­Syndrom“ entdeckt  wurde, war der Zusammenhang dieser Störung mit Krieg und Gewalt schon immer ge­

geben und wird kaum mehr angezweifelt. In so gut wie allen Populationen aus aktuellen  und ehemaligen Krisengebieten wurden jedenfalls erhöhte Prävalenzraten von PTBS ge­

funden. (Siehe auch Neuner, Schauer, Karunakara, Klaschnik et al., 2004)

Annahme von PTBS als Störung mit interkultureller Validität Yule   (1999)  beschreibt   von  interkulturellen  Unterschieden  bei   der  Entwicklung   von  PTBS. Beispielsweise zeigte sich schon bei Vietnam­Veteranen, dass Soldaten hispani­

scher Abstammung eine deutlich höhere PTBS­Prävalenz zeigten als alle anderen Ethni­

en. Auch bei der Symptomatisierung gibt es kulturelle Besonderheiten. Wardak (1993) 

Studie Land PTBS­

Prävalenz

Mollica et al. 1993 Kambodscha 15%

El Sarraj et al. 1996 Gaza 20%

Somasundaram & 

Sivayokan 1994 Sri Lanka 14%

Tabelle 2: PTBS­Prävalenzraten weiterer Studien (de Jong et al.,  2001)

2.3 Theorie - PTBS in ehemaligen Kriegsgebieten

stellte bei der afghanischen Bevölkerung fest, dass diese ähnlich wie andere orientali­

sche Kulturen zu starker Somatisierung emotionaler Probleme neigen. Des weiteren  stellte  er fest, dass Schuldgefühle, Suizidgedanken, Suizidversuche  und das  Weinen  beim männlichen Geschlecht weitgehend von soziokulturellen Faktoren verhindert wer­

den. Der Islam verbietet Selbstmord als eine kriminelle Handlung, so dass die betroffe­

nen Menschen kaum offen von Suizidgedanken sprechen würden, selbst wenn sie wel­

che haben sollten.

Trotz solcher kultureller Besonderheiten geht die vorliegende Arbeit von PTBS als  einem interkulturell validen Konzept aus. Die Tatsache, dass PTBS zahlreiche neurophy­

siologischen Korrelate hat, belegt, dass jeder Mensch daran erkranken kann, egal in wel­

cher Kultur er aufgewachsen ist (Elbert, Schauer, Neuner, Wienbruch et al., 2003; Elbert 

& Schauer, 2002; Bremner, 1999, 2002; Prasad, 2000; De Bellis, 2000; Nelson & Car­

ver, 1998). 

Dennoch sei darauf hingewiesen, dass die interkulturelle Validität noch nicht von al­

len Seiten her anerkannt ist und bestimmte Kritiker wie Summerfield (2001) sogar das  gesamte PTBS­Konzept für ein soziopolitisches Konstrukt halten.  

PTBS bei Kindern

Die Erkenntnis, dass Kinder ebenso wie Erwachsene an PTBS leiden können, wird heut­

zutage nicht mehr bezweifelt, ist aber noch relativ neu. Die Kriterien nach DSM­IV für  PTBS bei Kindern unterscheiden sich nur geringfügig von denen für Erwachsene. Bei­

spielsweise dürfen Albträume und Intrusionen unspezifisch und nicht Trauma­zentriert  sein. Die Symptomatik des Wiedererlebens zeigt sich bei kleinen Kindern oft in Form  von repetitivem Nachspielen des Erlebten. (APA 1999)

Mertin & Mohr (2002) stellen bezüglich der Diagnose von PTBS die unreflektierte  Übernahme der DSM­IV Kriterien von Erwachsenen für Kinder in Frage. In einem  Überblick über die vorhandenen Studien stellen sie jedoch jene PTBS­Symptome dar,  die bei Kindern zuverlässig erfasst werden konnten. Dazu gehören Wiedererleben durch  intrusive   Gedanken,   unangenehme   Träume   bezüglich   des   traumatischen   Ereignisses  oder generalisiert auf andere Ängste und Gefahren, sowie kognitive und behaviorale 

Vermeidung. Symptome der Empfindungs­ und Gefühllosigkeit („numbing“) werden  von Kindern dagegen weniger häufig berichtet als von Erwachsenen. Ein gesteigertes  Erregungsniveau wird bei Kindern in Form von Hyperaktivität, Konzentrations­ und 

Vermeidung. Symptome der Empfindungs­ und Gefühllosigkeit („numbing“) werden  von Kindern dagegen weniger häufig berichtet als von Erwachsenen. Ein gesteigertes  Erregungsniveau wird bei Kindern in Form von Hyperaktivität, Konzentrations­ und