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Psychiatrische Einrichtungen existieren in Afghanistan in keiner nennenswerten Anzahl  und befinden sich in einem meist desolaten Zustand. Es gibt einen großen Mangel an  psychiatrisch   ausgebildetem   Personal.   Die   chronische   psychische   Erkrankung   weiter  Teile der Bevölkerung wurde über Jahrzehnte hinweg nicht beachtet (Lopes Cardozo,  Bilukha, Gotway, Crawford et al., 2004).

Lopes Cardozo et al. (2004) berichten über eine weit angelegte Untersuchung der  psychischen Gesundheit der Bevölkerung Afghanistans. Im Unterschied zu anderen Stu­

dien wurde nicht nur eine bestimmte Region Afghanistans, sondern das ganze Land bei  der Auswahl der Stichprobe von 707 Haushalten berücksichtigt. Befragt wurde eine re­

präsentative und in mehreren Stufen randomisiert ausgewählte Stichprobe von Afgha­

nen, die mindestens das 15. Lebensjahr vollendet hatten. Ziel der Studie war es, die psy­

chische Gesundheit der Bevölkerung in Bezug zu kriegsbedingt erlittenen psychischen  Traumata zu erfassen. Behinderte und nicht­behinderte Personen wurden dabei getrennt 

erfasst. Die Befragung beinhaltete neben Skalen zur psychischen Gesundheit auch so­

ziodemographische Daten wie Alter, Ethnizität und Schulbildung, Coping­Mechanis­

men der psychischen Gesundheit, früher diagnostizierte psychische Krankheiten, Dro­

genmissbrauch sowie Hass­ und Rachegefühle. Verwendet wurden Standardinstrumente  wie die „Hopkins Symptom Checklist­25“ und eine angepasste Version des „Harvard  Trauma Questionnaire“. Die Instrumente wurden in zwei der lokalen Sprachen übersetzt  (Pashto und Dari). 

19,3% der nicht­behinderten Personen gaben eine von einem Arzt oder einem ande­

rem Gesundheitsspezialisten diagnostizierte psychische Krankheit an. Keiner der Be­

fragten gab an, Alkohol zu konsumieren. Diazepam und das Schnüffeln von Klebstoffen  und Lösungsmitteln gehörten zu den häufigsten angegebenen konsumierten Drogen. In  einem Land, in dem der Opium­ und Cannabis­Anbau florieren, ist dies ein überra­

schendes Ergebnis und nur durch Antworten der Befragten im Sinne der sozialen Er­

wünschtheit bzw. der Angst vor Strafverfolgung zu erklären. 7% der Befragten gaben  mindestens 11 traumatische Erfahrungen an. 38% hatten 0 bis 3 traumatische Erfahrun­

gen gemacht. 35% hatten 4 bis 7 traumatische Erfahrungen. Etwa ein Drittel der nicht­

behinderten Befragten gab an, Bombardierungen durch die Koalitions­Truppen erlebt zu  haben, von Taliban oder anderen Gruppen geschlagen worden zu sein und in Flücht­

lingscamps zu leben. Der am häufigsten angegebene Coping­Mechanismus war Beten  und das Lesen des Koran. Solche religiösen Praktiken erwiesen sich statistisch als ein  bedeutender protektiver Faktor vor der Entwicklung einer PTBS. 42% der Befragten  hatten PTBS­Symptome. 68% der nicht­Behinderten hatten Depressionssymptome und  72% der nicht­Behinderten hatten Angstsymptome. Unter den nicht­behinderten Perso­

nen waren multiple traumatische Ereignisse mit höheren Angst­Werten und niedrigeren  Werten des sozialen Funktionierens verbunden. Die Prävalenz von PTBS­Symptomen,  Depression und Angststörungen sind selbst für ein Kriegsgebiet sehr hoch. Frauen hat­

ten noch gravierendere Werte als Männer, was angesichts ihrer sozialen Stellung und der  Restriktionen, denen sie unterliegen, nicht verwundert. (Lopes Cardozo et al., 2004)

2.4 Theorie - Psychische Gesundheit in Afghanistan

Scholte et al. (2004) untersuchten die Anzahl traumatischer Ereignisse, die Präva­

lenz von PTBS­Symptomen, von Depression und von Angststörungen an einer Stichpro­

be von 1.011 Afghanen über 14 Jahren in Nangarhar, einer Provinz im östlichen Afgha­

nistan. In dieser Provinz nahm die Taliban­Bewegung ihren Anfang. Sie gehört zu einem  größtenteils von Pashtunen besiedelten Gebiet.  

Innerhalb der letzten 10 Jahre gaben 43,7% der Befragten an, zwischen 8 und 10  traumatische Ereignisse erlebt zu haben. 14,1% gaben mehr als 11 an. 38,5% gaben star­

ke Depressionssymptome an, 51,8% Symptome von Angststörungen und 20,4% starke  PTBS­Symptome. Frauen hatten eine höhere Prävalenz als Männer. Mehr Symptome  waren mit einer größeren Zahl traumatischer Ereignisse verbunden. Die wichtigsten  Ressourcen für emotionale Unterstützung waren Religion und Familie. 96% der Männer  und 69% der Frauen berichteten, physisch gesund zu sein. 22% der Frauen und 16% der  Männer berichteten, von einem Mediziner eine psychische Krankheit diagnostiziert be­

kommen zu haben. 22,6% der Befragten klagten über unzureichende medizinische Ver­

sorgung.  

Scholte et al. (2004) verwendeten ebenfalls den „Harvard Trauma Questionaire“ 

(HTQ) und die „Hopkins­Symptom Checklist“ (HSCL­25). Die Prävalenzrate für psy­

chische Krankheiten ist bei Scholte et al. niedriger als bei Lopes Cardozo et al. (2004),  welche ihre Daten ein Jahr zuvor in ganz Afghanistan erhoben hatten. Eine mögliche Er­

klärung hierfür ist, dass die konservative pashtunische Bevölkerung weniger von den Ta­

liban malträtiert wurde als die Bevölkerungsgruppen in Zentral­ und Nordafghanistan. 

Außerdem gab es in Nangarhar weniger kontinuierliche Kampfhandlungen als in ande­

ren Teilen des Landes. Die Stichprobe von Scholte et al. enthält einen größeren Anteil  urbaner Bevölkerung. Die Stadt Jalalabad wurde im Vergleich zu Kabul relativ ver­

schont. 

Scholte et al. geben zusammenfassend die Ergebnisse zweier weiterer epidemiologi­

scher Studien in Afghanistan an, die in Tabelle 4 dargestellt sind.

Studie Stichprobe Ergebnisse UNICEF 1997 310 Kinder und 

Jugendliche  (8­18  Jahre) in Kabul

80% zeigten Trauer, Angst und die Unfähigkeit,  sich im Leben zurecht zu finden.

40% hatten einen Elternteil verloren

67% hatten Leichen oder Leichenteile auf der  Straße gesehen.

Médecins sans 

Frontières 1999 Provinz Herat erhöhte psychosomatische Probleme, Ängstlichkeit,  Depression und häusliche Gewalt

Tabelle 4: weitere epidemiologische Studien in Afghanistan (aus Scholte et al., 2004)

Rasekh et al. (1998) untersuchten eine Stichprobe 160 afghanischer Frauen, die zu  Taliban­Zeiten in Kabul gelebt hatten oder die nach Pakistan geflohen waren. Erhoben  wurde die PTBS­Prävalenz, sowie die „Hopkins Symptoms Checklist­25“ (HSCL­25),  um Symptome von Depression und Angststörungen zu erfassen. Die am häufigsten be­

richteten   medizinischen   Beschwerden   waren   Muskel­   und   Gelenkschmerzen   (49%),  Verdauungsbeschwerden (32%), gynäkologische Probleme (23%) und chronische Kopf­

schmerzen (19%). 77% der Frauen berichteten über erschwerten Zugang zu medizini­

scher Versorgung und 20% gaben an, überhaupt keinen Zugang zu medizinischer Ver­

sorgung in Kabul gehabt zu haben. 81% der Frauen gaben an, eine Verschlechterung ih­

rer psychischen Gesundheit während des letzten Jahres in Kabul beobachtet zu haben. 

42% der Frauen erfüllten die DSM­IV Kriterien für eine PTBS, 97% die für eine De­

pression und 87% hatten signifikante Angst­Symptome. 94% berichteten über signifi­

kante Intrusions­Symptome und 95% berichteten von erhöhtem Arousal. Frauen, die  nach Pakistan geflüchtet waren, hatten einen schlechteren psychischen und physischen  Gesundheitsstatus als Frauen, die in Kabul verblieben waren. 69% der befragten Frauen  gaben an, dass sie oder ein Familienmitglied von Taliban in Kabul festgehalten oder ver­

haftet worden waren. Gründe für solche Verhaftungen konnten zum Beispiel das Nicht­

beachten der Kleiderordnung sein, das Tragen eines zu kurzen Bartes, aber auch das  Fliegenlassen eines Spielzeugdrachens, Musik zu einer Hochzeit zu spielen oder das  bloße Lachen in der Öffentlichkeit. 16% der Frauen gaben an, ein oder mehrere Famili­

enmitglieder durch eine Landminenexplosion verloren zu haben. 23% berichteten von  Verletzungen an Familienmitgliedern durch Landminen.

2.4 Theorie - Psychische Gesundheit in Afghanistan

Kalafi, Hagh­Shenas & Ostovar (2002) untersuchten eine Stichprobe Afghanischer  Flüchtlinge in Shiraz im Iran auf ihre psychische Gesundheit. Die 81 befragten Personen  waren zwischen 18 und 68 Jahre alt mit einem mittleren Alter von 29,0 Jahren (SD =  9,9). 34,6% der befragten Personen hatten psychische Probleme von klinischem Rang. 

Die iranische Bevölkerung der selben Region zeigt im Vergleich dazu lediglich eine  Prävalenzrate zwischen 12,5% und 16,7%. Von den geschätzten 6 bis 7 Millionen afgha­

nischen Flüchtlingen flohen etwa 1 Million in den Iran. Die tatsächliche Anzahl liegt  vermutlich weit höher, da viele nicht registriert sind. Der Iran teilt 945 km gemeinsamer  Grenze mit Afghanistan. Man spricht sehr ähnliche Sprachen, die Religion ist auch hier  der Islam und das Klima ist vergleichbar zu dem in Afghanistan. Dennoch leben die  meisten afghanischen Flüchtlinge dort unter sehr widrigen Bedingungen und verdienen  sich ihr Geld über schlecht bezahlte Schwarzarbeit.

Malekzai, Niazi, Paige, Hendricks et al. (1996) untersuchten 30 erwachsene Mitglie­

der einer afghanischen Flüchtlingsgemeinschaft in den Vereinigten Staaten auf PTBS. 

Verwendet wurden in Pashtu und Dari übersetzte Versionen des CAPS­1 Interviews (ba­

sierend auf den DSM­III Kriterien). 50% der interviewten Personen erfüllten die Krite­

rien für eine PTBS. Je älter die untersuchten Personen waren, desto höher war die Wahr­

scheinlichkeit für eine PTBS­Diagnose. Als einziges Item des CAPS­1 Interviews stellte  sich die Frage nach dem Gefühl der verkürzten Lebensspanne als für die afghanische  Kultur nicht geeignet heraus, da sie konsequent mit dem Verweis auf die alleinige All­

macht Allahs, über die Lebensspanne zu bestimmen, beantwortet wurde.