2.3 PTBS in ehemaligen Kriegsgebieten
2.3.2 Risikofaktoren für PTBS bei Kindern
Obwohl sie in dieser Arbeit nicht ausgewertet werden können, sei erwähnt, dass es deut
liche Hinweise auf moderierende genetische Faktoren bei der individuellen Reaktion auf Gewalterfahrungen, und damit verbunden, bei der Entwicklung von PTBS gibt.
Caspi et al. (2002) untersuchten in einer Längsschnittstudie an über 500 männlichen Personen, von denen 8% im Alter zwischen 3 und 11 Jahren schwer misshandelt und 28% wahrscheinlich misshandelt wurden, die Rolle genetischer Polymorphismen in Zu
sammenhang mit der Frage, warum manche dieser misshandelten Jungen antisoziales Verhalten entwickeln und andere nicht. Ein Gen auf dem XChromosom, welches ver
antwortlich ist für die Expression von Monoaminooxidase A, stellte sich dabei als ein prädiktiver Faktor für die Entwicklung antisozialen Verhaltens heraus. Misshandelte Kinder mit einem Genotyp, der zu einem hohen Niveau von MonoaminooxidaseEx
pression führt, entwickeln mit geringerer Wahrscheinlichkeit antisoziales Verhalten als Kinder mit dem entsprechend anderen Genotyp. Bezüglich der Empfänglichkeit von Kindern auf äußerliche Angriffe kann der Genotyp demzufolge eine moderierende Rolle spielen.
In einer anderen Längsschnittstudie an der selben Stichprobe untersuchten Caspi et al. (2003) die Rolle eines Polymorphismus des 5HTT Gens bezüglich der Entwicklung von Depression in Folge von umweltbedingten Stresserfahrungen. Das 5HTT Gen spielt eine wichtige Rolle bei der Serotoninwiederaufnahme und hat sich ebenfalls als ein mo
derierender Faktor für die individuelle Reaktion auf äußerliche Angriffe herausgestellt.
Geschlecht
Die meisten Studien berichten über höhere Werte von Mädchen auf SelbstBerichtSka
len der Angst, Depression und Stressreaktionen in Folge traumatischer Ereignisse, als von Jungen (Yule, 1999). Laut Qouta, Punamäki & El Sarraj (2003) sind Mädchen emp
fänglicher für PTBSSymptome als Jungen. Mädchen leiden mehr an Intrusionen und zeigen mehr Vermeidungsverhalten und Hypervigilanz. An Kindern des mittleren Os
tens konnte diese Tendenz jedoch noch nicht nachgewiesen werden (Qouta, Punamäki &
El Sarraj, 2003). Bei Mertin & Mohr (2000) gab es einen signifikanten Zusammenhang von Geschlecht und dem PTBSSymptom der Hypervigilanz, welches bei 96% der Mäd
chen im Vergleich zu 75% der Jungen vertreten war. Schaal & Elbert (2006) berichten von einer fast doppelt so hohen PTBSPrävalenz bei Mädchen im Vergleich zu Jungen bei einer Stichprobe ruandesischer Waisenkinder.
Alter
Was den Einfluss des Alters der Kinder auf die Entwicklung einer PTBS betrifft, gab es in der bisherigen Forschung sehr widersprüchliche Ergebnisse. Auf der einen Seite wird argumentiert, jüngere Kinder seien im Vorteil aufgrund ihrer ungenaueren Wahrneh
mung und des schlechteren Verständnisses des traumatischen Ereignisses. Auf der ande
ren Seite heißt es, jüngere Kinder seien anfälliger für die Entwicklung von PTBSSym
ptomen aufgrund ihrer weniger effektiven Copingstrategien (Qouta et al. 2003). Margo
lin & Gordis (2000) führen an, dass besonders kleine Kinder die erlebte Gewalt und das damit verbundene Risiko noch nicht genügend verstehen können und daher in gewisser Weise vor den psychischen Folgen geschützt sind. In der Studie von Mertin & Mohr (2000) hatte das Alter der Kinder keinen signifikanten Effekt bezüglich der PTBSSym
2.3 Theorie - PTBS in ehemaligen Kriegsgebieten
ptomatik. Schaal & Elbert (2006) berichten dagegen von einer stärkeren PTBSSympto
matik bei Kindern, die zum Zeitpunkt des Traumas zwischen acht und dreizehn Jahre alt waren, verglichen mit Kindern, die zwischen drei und sieben Jahre alt waren.
Häusliche Gewalt
Famularo, Fenton & Kinscherff (1993) versuchten, die unterschiedlichen Effekte ver
schiedener Misshandlungsformen an Kindern in Hinblick auf die Entwicklung einer PTBS zu untersuchen. Dabei hatten Kinder, die sexuell missbraucht wurden oder die Zeugen von Gewalt innerhalb der Familie wurden, mit größerer Wahrscheinlichkeit eine PTBS entwickelt als Kinder, die andere Formen der Misshandlung erleben mussten.
63% der Kinder, die sexuell missbraucht wurden, erfüllten die Kriterien für eine PTBS.
Von den Kindern, die nicht sexuell missbraucht worden waren, wurde nur bei 28% eine PTBS diagnostiziert. 50% der Kinder, die Zeuge von Gewalt geworden waren, entwi
ckelten eine PTBS, verglichen mit 20% der Kinder, die nicht Zeuge von Gewalt gewor
den waren. Auch emotionale Misshandlung war ein signifikantes Kriterium für die Ent
wicklung einer PTBS. Physische Misshandlung oder Vernachlässigung waren dahinge
gen keine signifikanten Kriterien, um Kinder mit PTBS von solchen ohne zu unterschei
den.
GrahamBermann & Levandosky (1998), Kilpatrick & Williams (1997) und Lehman (1997) gehören zu den ersten Forschern, die PTBS speziell an Kindern untersuchten, die in ihren Familien Zeuge von Gewalt geworden waren. GrahamBermann & Levandosky (1998) untersuchten eine Stichprobe von 64 Kindern im Alter von sieben bis zwölf Jah
ren, die alle Zeugen emotionaler und physischer Gewalt gegen ihre Mutter geworden wa
ren. 13% dieser Kinder erfüllten alle Kriterien für eine PTBS. Kilpatrick & Williams (1997) zogen aus ihrer Untersuchung an 35 Kindern zwischen sechs und zwölf Jahren ebenfalls den Schluss, dass das Bezeugen häuslicher Gewalt als Stressor ausreichend stark sein kann, um PTBSSymptome bei Kindern auszulösen. In der Studie von Leh
mann (1997) hatten 56% der 84 untersuchten Kinder eine PTBS. GrahamBermann &
Levandovsky (1998) waren im Gegensatz zu Lehmann (1997) dazu in der Lage, physisch
missbrauchte Kinder gesondert zu betrachten, und fanden keinerlei signifikante Grup
penunterschiede zu Kindern, die selber nicht misshandelt wurden.
Ebenfalls den Zusammenhang von posttraumatischen Symptomen und häuslicher Gewalt untersuchten Mertin & Mohr (2002) an 56 Kindern, deren Mütter Zuflucht in Frauenhäusern SüdAustraliens gefunden hatten. Mertin & Mohr halten ein posttrauma
tisches StressNetzwerk für am besten geeignet, die Reaktionen von Kindern, welche Zeugen häuslicher Gewalt wurden, zu verstehen. 20% der 56 Kinder von Mertin &
Mohrs (2002) Stichprobe erfüllten die Kriterien einer PTBS Diagnose. Die häufigsten Symptome dieser Kinder waren unangenehme Gedanken, bewusste Vermeidung, Hyper
vigilanz und Schlafstörungen. Ebenfalls vertreten waren unangenehme Träume, Irritier
barkeit, Konzentrationsschwierigkeiten und eine erhöhte Schreckhaftigkeit. Die Kinder waren zwischen 8 und 16 Jahren alt, mit einem Durchschnittsalter von 10 Jahren. Eine Variable, die Mertin & Mohr zu folge wichtig zu erfassen sei, ist die psychische Ge
sundheit der Mütter und ihre emotionale Beziehung zu den Kindern, da der Mutter
KindBeziehung eine wichtige Pufferfunktion bei ehelichen Konflikten zukommt. Mer
tin & Mohr (2002) kommen ebenfalls zu dem Schluss, dass allein schon das Bezeugen häuslicher Gewalt ein ausreichender Stressor ist, um bei einem Kind eine PTBS auszu
lösen.
Kriegserlebnisse
Qouta, Punamäki & El Sarraj (2003) untersuchten die Prävalenz und die Prädiktoren von PTBS in Zusammenhang mit militärischer Gewalt. Die Stichprobe von Qouta et al.
(2003) bestand aus 121 palästinensischen Kindern und ihren Müttern. Die Kinder waren zwischen sechs und sechzehn Jahre alt. Zur Zeit der Interviews lag der letzte intensive Beschuss der Häuser und Zelte der betreffenden Familien durch die israelische Armee noch kein halbes Jahr zurück.
Qouta et al. verwendeten eine eigens entworfene Liste traumatischer Ereignisse, die typisch waren für die Zeit der „Al Aqsa Intifada“. Die abgefragten Ereignisse bestanden aus sieben Erfahrungen von militärischer Gewalt am eigenen Leib und fünf Erfahrun
gen, die anderen widerfuhren und von der befragten Person bezeugt wurden. Die PTBS
2.3 Theorie - PTBS in ehemaligen Kriegsgebieten
Symptome der Mütter wurden analog zu den DSMIII Kriterien abgefragt. Bei den Kin
dern wurde die „PynoosNader“Version des „ReactionIndex“ abgefragt (PTSD_RI).
Neben dem Beschuss ihrer eigenen Häuser gaben über 90% der befragten Kinder an, Opfer von TränengasAttacken und Zeuge von Schießereien und Beerdigungen gewor
den zu sein. Über 50% der Kinder hatten beobachtet, wie Fremde verletzt oder getötet worden waren. Zwischen den PTBSSymptomen der Kinder und denen ihrer Mütter gab es eine signifikant positive Korrelation. Mehr als die Hälfte der Kinder hatten schwere PTBSSymptome, und weniger als 2% hatten keine oder nur zweifelhafte Symptome.
Mädchen waren stärker von PTBSSymptomen betroffen als Jungen, es gab jedoch keine signifikanten Alterseffekte.
Die PTBSPrävalenz in der Stu
die von Qouta et al. beträgt 54%
und wird in Tabelle 3 mit anderen Prävalenzraten bei Kindern in ehe
maligen Krisengebieten verglichen.
Qouta erklärt die von ihm gefunde
ne hohe PrävalenzRate mit der noch sehr akuten und bedrohlichen Situation, in welcher die palästinen
sischen Familien leben. Die Forscher seien sich einig, dass die PTBS erst dann abnimmt, wenn das akute Trauma und die bedrohlichen Gefahren vorbei sind. (Qouta et al., 2003)
Thabet & Vostanis (1999) berichten über eine PTBSPrävalenz von 41% bei einer Stichprobe von 239 palästinensischen Kindern zwischen 6 und 11 Jahren. Die Gesamt
zahl traumatischer Erlebnisse eines Kindes war der beste Prädiktor für die Intensität der PTBSSymptome.
Thabet, Abed & Vostanis (2004) untersuchten die Komorbidität zu PTBS an einer Stichprobe von 403 palästinensischen Kindern aus dem GazaStreifen. Die Kinder hat
ten zahlreiche kriegerische Gewalterfahrungen direkt erlebt und indirekt über die Medi
en erfahren. Neben einem stark erhöhten Risiko für PTBS zeigten die Kinder auch ein
Autoren Stichprobe PTBS
Prävalenz
Laor et al., 1997 Israel 22 %
Schauer et al. Sri Lanka 25 %
Thabet & Vostanis,
1999 Palästina 41 %
Qouta et al., 2003 Palästina 54 %
Dyregrov et al., 2002 Irak 84 %
Tabelle 3: PTBSPrävalenzraten von Kindern aus Krisen
gebieten in verschiedenen Studien
hohes Risiko für Depressive Störungen. Häufig berichtete Symptome waren Schlafstö
rungen, somatische Beschwerden, gestörte Affekt und Impulskontrolle sowie Konzen
trationsschwierigkeiten.
Schauer et al. (eingereicht) berichten über erhöhte PTBSPrävalenzzahlen bei Kin
dern auf SriLanka, die Opfer militärischer Gewalt wurden. 92% einer repräsentativen Stichprobe von 420 Schulkindern hatte schwer traumatisierende Erfahrungen in Zusam
menhang mit Kampfhandlungen gemacht. 25% der Kinder erfüllten die Kriterien für eine PTBS. Ebenfalls erhöht waren die Werte für Depression und gesundheitliche Be
schwerden.