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Die Prävalenz häuslicher Gewalterfahrungen in der untersuchten Stichprobe ist hoch. 

Die überwiegende Mehrheit der Kinder berichtet über Gewalt in der eigenen Familie. 

Stark vertreten sind dabei sowohl bezeugte Gewalterlebnisse, als auch Erlebnisse, bei  denen das Kind selbst Opfer von Gewalthandlungen wurde. Auch Formen psychischer  Gewalt wurden von vielen Kindern berichtet. Dass die Kinder insgesamt häufiger anga­

ben, von ihren Müttern geschlagen zu werden als von ihren Vätern, könnte daran liegen,  dass die Mütter als primäre Erziehungsfigur öfters zu hause sind als die Väter. Auffällig  ist, dass die Väter signifikant häufiger ihre Söhne schlagen als ihre Töchter. Die Mütter  schlagen tendenziell eher ihre Töchter als ihre Söhne, was kulturell bedingte Ursachen  haben könnte. Der Unterschied ist hier jedoch statistisch nicht signifikant.

Das insgesamt hohe Niveau häuslicher Gewalt kann ­ zu einem Teil ­ ebenfalls aus  kulturellen Gegebenheiten erklärt werden. Khamis (2000) erklärt, das Phänomen psy­

chischer Misshandlung überschneide sich zu einem großen Teil mit den Sozialisierungs­

methoden der arabischen Welt. Das allgemeine Beziehungsmuster zwischen Eltern und  Kindern bestehe in der arabischen Kultur zu großen Teilen aus Dominanz und Unter­

werfung, die als kindlicher Respekt vor den Eltern beschönigt würden. Unter westlichen  Standards würde ein solcher Erziehungsstil als psychische Misshandlung aufgefasst. Die  Erfassung psychischer Misshandlung hängt laut Khamis also ganz davon ab, von wem  und innerhalb welcher Kultur sie definiert wurde.

In wie weit die kulturellen Überlegungen über Sozialisierung in der arabischen Welt  auf das, eher dem persischen Kulturraum zuzuordnende Afghanistan übertragen werden  können, darf hinterfragt werden. Es gibt zwar viele kulturelle Gemeinsamkeiten wie  zum Beispiel der Islam als gemeinsame Religion, aber auch Unterschiede wie Sprache 

5.4 Diskussion - Gewalterfahrungen

und Ethnizität. Außerdem muss Khamis angelastet werden, dass er seine Aussagen auf  keinerlei vergleichende Prävalenzzahlen stützen kann. Weder für ehemalige Konfliktre­

gionen, noch für befriedete Länder gibt es zuverlässige Prävalenzstudien zu häuslicher  Gewalt. Es besteht ein überraschend großes Forschungsdefizit bezüglich dieser Frage. 

Bisherige Studien beschränken sich auf Aufzeichnungen sozialer Einrichtungen und re­

trospektive Befragungen von Erwachsenen und weisen dabei noch abweichende Defini­

tionen häuslicher Gewalt auf (Margolin & Gordis, 2000).

Insgesamt erfahren Jungen nicht nur signifikant mehr verschiedene Typen häuslicher  Gewalt als Mädchen, sondern geben auch signifikant mehr verschiedene Typen kriegs­

bedingter Gewalterfahrungen an. Obwohl die Kinder aufgrund ihres Alters die Jahre der  intensivsten kriegerischen Aktivitäten nicht selbst miterlebt haben, berichten sie den­

noch über zahlreiche verschiedene Formen kriegerischer Gewalt. Auch bei der zum  UCLA PTBS Index gehörenden Ereignisliste gaben Jungen signifikant mehr verschiede­

ne, potentiell traumatische Erlebnisse an als Mädchen. Eine mögliche Erklärung für das  Ungleichgewicht zwischen Jungen und Mädchen in dieser Stichprobe ist, dass Mädchen  in Afghanistan weniger häufig das Haus verlassen dürfen. Eine andere mögliche Erklä­

rung wäre, dass Mädchen, welche  die Schule besuchen dürfen, aus vergleichsweise  wohlhabenden Familien stammen und damit einem insgesamt geringeren Niveau von  Stressoren ausgesetzt sind.

5.5 PTBS

5.5.1 Prävalenz

Die PTBS­Prävalenz in der untersuchten Stichprobe ist mit fast 21% deutlich höher als  die in nicht von Krieg betroffenen Populationen. Breslau (2002) berichtet von PTBS­Le­

benszeit­Prävalenzen in der amerikanischen Bevölkerung zwischen 5% und 6% bei er­

wachsenen Männern und zwischen 10% und 14% bei erwachsenen Frauen. Davis & Sie­

gel (2000) berichten über PTBS­Prävalenzen von 6% bis 9% bei Kindern und Jugendli­

chen in westlichen Industrieländern. Perkonigg, Kessler, Storz & Wittchen (2000) be­

richten deutlich niedrigere PTBS­Prävalenzzahlen von 1% bis 2,2% bei einer Stichprobe 

von über 3.000 14­ bis 24­jährigen Deutschen. Die Kinder der vorliegenden Stichprobe  sind jünger als die Kinder dieser anderen Prävalenzstudien, daher sind die 21% PTBS­

Prävalenz in dieser Stichprobe als sehr hoch einzustufen. 

Die vorliegende Prävalenzrate ist vergleichbar groß mit den PTBS­Prävalenzen, die  Schauer et al. (eingereicht) aus Sri Lanka berichten (25%) und der, die Ruf et al. (2005)  an Flüchtlingskindern in Deutschland gemessen haben (20%). Die PTBS­Prävalenz die­

ser Stichprobe ist jedoch deutlich geringer, als diejenigen, die Schaal & Elbert (2006)  von ruandesischen Waisenkindern, und Thabet & Vostanis (2000) sowie Qouta et al.,  (2003) von palästinensischen Kindern berichten (41% bis 54%). Mit 84% noch einmal  deutlich höher lag die PTBS­Prävalenz in der Studie an irakischen Kinder von Dyregrov  et al. (2002). Diese hatten jedoch eine Stichprobe von Kindern untersucht, die alle ein  und denselben Bombenangriff erlebt hatten. Die Kinder der vorliegenden Studie haben  jedoch verschiedenste traumatische Erfahrungen gemacht, die auch schon länger zurück­

liegen konnten.

Auch die ruandesischen Kinder der Stichprobe von Schaal & Elbert (2006) hatten  alle ein gemeinsames traumatisches Ereignis, nämlich den Genozid und den gewaltsa­

men Tod ihrer Eltern erlebt. Dass die PTBS­Prävalenz der vorliegenden Studie nicht so  extrem hoch ist, wie in anderen, liegt wahrscheinlich auch daran, dass einige der Kinder  während der Kriegsjahre im Ausland gelebt haben und so vor den schlimmsten Kriegs­

geschehnissen verschont wurden. Daher weisen die Kinder auch eine relativ geringe An­

zahl verschiedener Erlebnisse kriegerischer Gewalterlebnisse auf.

Die Hypothese Nr. 1 wird somit bestätigt. Die PTBS­Prävalenz ist im Vergleich zu  anderen Populationen aus Ländern ohne kriegerische Konflikte deutlich erhöht.

Auffällig ist wieder der Unterschied zwischen Jungen und Mädchen. In den meisten  anderen Studien haben Mädchen eine höhere PTBS­Prävalenz als Jungen (Mertin & 

Mohr, 2000; Qouta, Punamäki & El Sarraj, 2003; Schaal & Elbert, 2006). Die signifi­

kant höhere Prävalenzraten von Jungen im Vergleich zu Mädchen dieser Stichprobe  leuchtet jedoch ein, wenn man berücksichtigt, dass diese Jungen auch signifikant mehr  traumatische Erfahrungen gemacht haben, als die Mädchen. 

5.5 Diskussion - PTBS

5.5.2 PTBS und gesundheitliche Beschwerden

Der signifikante Zusammenhang von PTBS und somatischen Beschwerden der Kinder  bestätigt Hypothese Nr. 2. Von PTBS betroffene Kinder weisen ein signifikant höheres  Niveau somatischer Beschwerden in den letzten 4 Wochen auf als Kinder ohne PTBS. 

Dieses Ergebnis stimmt überein mit den Ergebnissen aus der Literatur (Wagner et al.,  2000; Norris, Maguen, Litz, Adler et al., 2005; Schnurr & Green, 2003).

Betrachtet man die einzelnen Typen somatischer Beschwerden, so besteht ein signi­

fikanter   Zusammenhang   der   PTBS­Diagnose   mit   Kopfschmerzen,   unspezifischen  Schmerzen,   Fieber   und   Durchfall.   Gastrointestinale   Beschwerden   sind   neben   Kopf­

schmerz und unspezifischen Schmerzen, typische psychosomatische Beschwerden, wel­

che häufig in Zusammenhang mit Stress auftreten.

Es sind mehrere Arten kausaler Zusammenhänge zwischen PTBS und gesundheitli­

chen Beschwerden denkbar. Laut Dougall & Baum (2004) gibt es zum einen direkte  Auswirkungen der PTBS auf das Immunsystem, zum anderen sind auch verschiedene  indirekte Zusammenhänge möglich. Neuroendokrine und psychosoziale Variablen kön­

nen neben Verhaltensweisen, die der Gesundheit förderlich oder abträglich sind, als me­

diierende Faktoren zwischen PTBS und Gesundheit fungieren.

5.6 Zusammenhang von Krieg, häuslicher Gewalt