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abh¨ angigen S¨ atzen

2.1. Der Kontext als Frage

2.1.3. Sprachliche Markierung

Im vorherigen Abschnitt haben wir gesehen, dass f¨ur einen Satz wie (28) ohne Kon-text nicht entschieden werden kann, ob er zur Haupt- oder Nebenstruktur geh¨ort, ge-schweige denn, welche Art von Q mit der ¨Außerung beantwortet wird, falls diese zur Hauptstruktur geh¨ort. Erg¨anzen wir die ¨Außerung(28) nun um ein Fokusmerkmal,

welches im Deutschen durch einen Pitch-Akzent realisiert wird, wird die Anzahl der m¨oglichen Fragen, die durch die ¨Außerung beantwortet werden k¨onnen, eingegrenzt.

Der folgende Beispielsatz liefert zwar immer noch eine Antwort auf die beiden Fra-gen(30-b)und(30-c), er kann jedoch nicht mehr in einem Kontext ge¨außert werden, in dem Q =Wer isst kein Fleisch?.

(31) Tim isst kein [FLEISCHF].

Frage und Fokussierung sind immer komplement¨ar zueinander, indem eine Konsti-tuente, welche ein Fokusmerkmal tr¨agt, mit einem W-Wort in der entsprechenden Frage ¨ubereinstimmen muss. Aus diesem Grund bildet Satz (31)keine angemessene Antwort auf die FrageWer isst kein Fleisch?.7 Das Fokusmerkmal gibt folglich einen Hinweis darauf, wie die zu beantwortende Q lautet. Da der fokussierten Konstituen-te ein W-Ausdruck in der zu beantworKonstituen-tenden Frage entsprechen muss, kann Q auf diese Weise rekonstruiert werden. Dies ist insbesondere in F¨allen, in denen Q impli-zit ist, relevant. Zudem l¨asst sich feststellen, dass nur [+at-issue]-Inhalte fokussiert werden k¨onnen. Aus diesem Grund ist das folgende Beispiel, in dem die mit einem Fokusmerkmal versehene ¨Außerung Teil der Nebenstruktur ist, nicht wohlgeformt:

(32) Q: Was hast du gestern gemacht?

B: Ich war einkaufen und habe dann gekocht. #Eigentlich wollte ich Steaks

7In Abschnitt2.1.1haben wir gesehen, dass die Denotation eines Fragesatzes aus einer Menge an Alternativen besteht. Auch die Semantik von Fokussierungen wird mithilfe von Alternativen beschrieben (vgl. B¨uring 2003, Rooth 1985, Rooth 1992 und von Stechow 1990 sowie Kadmon 2001, 227ff und Krifka 2008 f¨ur einen ¨Uberblick). Die Grundidee der Alternativensemantik besteht darin, dass fokussierte Ausdr¨ucke neben ihrer Standardbedeutung einen zweiten, fo-kussemantischen Wert besitzen. Beispielsweise denotiert ein prosodisch markierter Fokustr¨ager wie in Beispiel(31)zus¨atzlich zu seiner gew¨ohnlichen Bedeutung eine Menge an Alternativen.

Die Konstituente, welche den Fokusakzent erh¨alt, ist dabei Tr¨ager eines Fokusmerkmals F. Das Fokusmerkmal zeigt an, dass zu seinem Tr¨ager eine Menge an Alternativen existiert, durch welche der fokussierte Ausdruck potentiell substituiert werden k¨onnte, und dass der fokussierte Ausdruck als ein Element dieser Alternativenmenge entnommen wurde. Um die gew¨ohnliche Intension eines Ausdrucks α wiederzugeben, wird die Notation [[α]]0 verwendet, wohingegen [[α]]f seine fokussemantische Bedeutung ausdr¨uckt, also eine Menge an Alternativen. Der fokus-sierte Ausdruck Fleisch uhrt beispielsweise eine Alternativenmenge wie in(i) dargestellt ein.

Die jeweilige Alternativenmenge wird dabei im Wesentlichen durch Faktoren wie Kontext und Relevanz definiert.

(i) [[FleischF]]f ={Fisch, Obst, Gem¨use, ...}

Nicht-fokussierte Ausdr¨ucke evozieren dagegen keine Alternativen. Fokussierung hat demnach eine einem Fragesatz verwandte Funktion, indem in beiden F¨allen auf eine Menge an Alter-nativen verwiesen wird. Aus diesem Grund existieren auch Ans¨atze, die Interaktion zwischen Fokus- und wh-Merkmal syntaktisch abzubilden (vgl. beispielsweise Grewendorf 2002 und Sa-bel 2006). Ein zentraler Unterschied zwischen Fragen und Fokussierung besteht nach Lohnstein (2013, 78) aber darin, dass mit der ¨Außerung einer Frage eine Alternativenmenge er¨offnet und vom Adressaten erwartet wird, diese Menge bis auf eine Alternative zu reduzieren. Dagegen ist es in Fokuskonstruktionen der Sprecher selbst, der die zutreffende Alternative benennt und alle anderen Alternativen ausschließt.

braten, aber Tim isst kein FLEISCHF. Deswegen habe ich dann Gem¨use-lasagne gemacht.

Da ein fokussierter Ausdruck immer einem W-Ausdruck entsprechen muss, kann er folglich auch nie [−at-issue] sein.

Am Beispiel der Fokussierung wird deutlich, dass anhand sprachlicher Mittel ange-zeigt werden kann, ob eine ¨Außerung oder ein ¨Außerungsteil [+at-issue]- oder [−at-issue]-Inhalt ausdr¨uckt. Ein Fokusmerkmal signalisiert die Zugeh¨origkeit zur Haupt-struktur und demnach gehen mit ihm auch Selektionsbeschr¨ankungen f¨ur m¨ogliche Kontexte einher. So beobachtet Onea (2011), dass ein fokussierter Ausdruck nur in bestimmten Kontexten verwendet werden kann, da durch das Fokusmerkmal der Typ der vorhergehenden Frage pr¨asupponiert wird. Wir k¨onnen also zwei Dinge festhalten, die eng miteinander zusammenh¨angen: (i) Anhand sprachlicher Mittel kann signalisiert werden, ob eine ¨Außerung bzw. ein ¨Außerungsteil zur Haupt- oder zur Nebenstruktur geh¨ort. (ii) Geh¨ort eine ¨Außerung zur Hauptstruktur, werden anhand sprachlicher Mittel Hinweise darauf gegeben, wie die Frage Q lautet, die die Außerung zu beantworten sucht. Daran, dass Satz¨ (31)immer noch als Antwort auf mehrere Fragen geeignet ist, wird jedoch auch ersichtlich, dass Q anhand derartiger sprachlicher Mittel nicht eindeutig markiert wird. Auch bei einem Satz wie (31) ist Q unterspezifiziert und muss kontextuell erschlossen werden. Somit liegt keine 1:1-Entsprechung zwischen dem Aussehen von Q und ihrer grammatischen Markierung vor. Zentral ist jedoch, dass es sprachliche Mittel wie die Fokusintonation in Beispiel (31) erm¨oglichen, einige m¨ogliche Fragen auszuschließen.8

Neben Fokusintonation existieren weitere Mittel, um die Zugeh¨origkeit zur Haupt-oder Nebenstruktur zu markieren. Onea (2011) macht beispielsweise darauf auf-merksam, dass die Verwendung des definiten Artikels ein Signal daf¨ur ist, dass die Existenz der entsprechenden Entit¨at nicht zur Debatte steht, und auch in der germa-nistischen Forschung zur Reliefbildung wird davon ausgegangen, dass die kommuni-kative Gewichtung anhand sprachlicher Mittel gekennzeichnet wird.9 So untersucht Hartmann (1984) die reliefbildende Funktion von Modalpartikeln und weist darauf hin, dass Parenthesen nur zum Ausdruck von Nebeninformationen geeignet sind. Zu einem ¨ahnlichen Schluss kommt auch Brandt (1989, 1996), die zeigt, dass der Inhalt von Parenthesen nie quaestiobezogen ist.

Wenn es um die sprachliche Markierung von (Nicht-)At-issueness geht, ist es wichtig, zwischen einem semantischen und einem pragmatischen Antwortbegriff zu

unter-8Die Aussage, dass nur [+at-issue]-Inhalte Fokusmerkmale tragen k¨onnen, muss allerdings einge-schr¨ankt werden. In Abschnitt2.1.2wurde bereits gezeigt, dass [-at-issue]-Inhalte wie appositive Relativs¨atze eine N-UDQ beantworten k¨onnen. In diesem Fall kann dieser Teil der Nebenstruk-tur auch fokussierte Teile enthalten wie in dem folgenden Beispiel:

(i) Q: Wo warst du?

B: Ich war mit Tim, der bl¨oderweise kein FLEISCHF isst, im Steakhaus.

9Hartmann (1984) argumentiert zudem, dass auch nicht-sprachliche Mittel der Reliefgebung die-nen k¨onnen.

scheiden (vgl. dazu u.a. Beispiel(21)). Eine ¨Außerung oder eine Teil¨außerung kann sprachlich als Teil der Nebenstruktur markiert sein, aber dennoch relevanten Inhalt bezogen auf die QUD ausdr¨ucken, worauf in Kapitel 2.2 noch anhand zahlreicher Beispiele eingegangen wird.

Auch die syntaktische Unterscheidung von Haupt- und Nebensatz wird h¨aufig als Mittel zur kommunikativen Gewichtung betrachtet. Beispielsweise geht von Stutter-heim (1989, 168) davon aus, dass Nebens¨atze nie relevante Informationen bezogen auf die jeweilige Q beinhalten. Damit folgt sie einer langen Tradition, welche in der alten schulgrammatischen Stilregel von Reiners (1951, 102) als

”Hauptsachen in Haupts¨atze, Nebensachen in Nebens¨atze“ zusammengefasst wird. Auch in der germanistischen Literatur zur Reliefgebung wird die kommunikative Relevanz von komplexen S¨atzen untersucht. Genau wie von Stutterheim (1989) kommen Bartsch (1978), Hartmann (1984) und Posner (1972) dabei zu dem Schluss, dass dem Unter-schied zwischen Haupt- und Nebensatz die Differenz zwischen Haupt- und Nebenin-formation entspricht. Da in diesen Texten angenommen wird, dass nur Haupts¨atze Tr¨ager des kontextuell relevanten Inhalts sein k¨onnen, wird geschlossen, dass die strukturelle Distinktion zwischen Haupt- und Nebensatz eindeutig die kommunika-tive Gewichtung markiert. Diese Annahme wird durch die Beobachtung gest¨utzt, dass die Verwendung eines Temporalsatzes in einem Kontext, in dem er ohne seinen Bezugssatz die bezogen auf Q relevante Information ausdr¨uckt, nicht angemessen ist, wie das folgende Beispiel belegt:10

(33) Q: War Peter gestern im Kino?

B: #Peter hat seine Mutter besucht, nachdem er im Kino war.

Der Ansicht, die kommunikative Gewichtung sei eindeutig durch die syntaktische Unterscheidung von Haupt- und Nebensatz bestimmt, widerspricht allerdings Hol-ler (2009), die zeigt, dass auch weil-S¨atze und weiterf¨uhrende Relativs¨atze alleini-ge Tr¨aalleini-ger der Hauptinformation sein k¨onnen.11 Auch Brandt (1989, 1996) kommt zu dem Ergebnis, dass die Gliederung in Haupt- und Nebens¨atze kein eindeutiges

10Die Verwendung eines Temporalsatzes im gleichen Kontext ist dagegen absolut wohlgeformt, wenn Q zuvor beispielsweise mit einemJa beantwortet wird:

(i) Q: War Peter gestern im Kino?

B: Ja, Peter hat seine Mutter besucht, nachdem er im Kino war.

In diesem Fall ist der Inhalt des Temporalsatzes zum ¨Außerungszeitpunkt nicht mehr Teil der Hauptstruktur, da die relevante Q ja schon gekl¨art ist (vgl. auch Beispiel (65) in Abschnitt 2.2.3).

11Statt aus der syntaktischen Struktur leitet Holler (2009) die Informationsgewichtung aus der diskurssemantischen Textstrukturierung im Rahmen derSegmented Discourse Representation Theory nach Asher/Lascarides (2003) ab. Entscheidend ist hierbei, dass ¨Außerungen entwe-der mit einer neben- oentwe-der einer Hierarchie stiftenden unterordnenden Diskursrelation mit dem vorhergehenden Diskurs verkn¨upft werden k¨onnen. Wird ein Nebensatz nun ¨uber eine nebenord-nende Relation wie beispielsweise R=Continuationangebunden, dr¨uckt er Hauptinformationen aus, andernfalls geh¨ort er zur Nebenstruktur.

Mittel zur Signalisierung von At-issueness ist.12 Dass auch Nebens¨atze ohne ihren Bezugssatz Tr¨ager von [+at-issue]-Inhalt sein k¨onnen, belegt das folgende Beispiel, in dem der restriktive Relativsatz die f¨ur die Beantwortung von Q relevante Infor-mation ausdr¨uckt (vgl. f¨ur ¨ahnliche Beispiele aus dem Englischen und Norwegischen Simons 2007 und Wiklund et al. 2009).

(34) Q: Welche Qualifikationen m¨ussen Bewerber mitbringen?

B: Die Firma sucht einen Mitarbeiter, der Chinesisch kann.

Wir k¨onnen demnach festhalten, dass es sich bei syntaktischer Subordination im Deutschen nicht um ein Mittel zur Markierung von [−at-issue]-Inhalten handelt.

Beispiel (33) hat aber auch gezeigt, dass zwei Arten von Nebensatztypen vonein-ander unterschieden werden m¨ussen, wenn es um die quaestiobezogene Gewichtung geht. Ob ein Nebensatz geeignet ist, ohne seinen Bezugssatz die zur Beantwortung von Q relevante Information auszudr¨ucken, h¨angt wesentlich vom Nebensatztyp ab.

Die Verwendung eines Temporalsatzes ist, wie in Beispiel (33) gezeigt, nicht wohl-geformt, wenn der Satz ohne seinen Bezugssatz Teil der Hauptstruktur ist, wohin-gegen dies f¨ur restriktive Relativs¨atze m¨oglich ist. Daraus ergibt sich die Frage nach dem Verhalten anderer Nebens¨atze. Dementsprechend werden in Abschnitt 2.2 ei-nige ausgesuchte Nebens¨atze exemplarisch daraufhin untersucht, ob sie ohne ihren Bezugssatz [+at-issue]-Inhalt ausdr¨ucken k¨onnen.

2.1.4. Zusammenfassung

Die wichtigsten Punkte des in diesem Abschnitt geleisteten ¨Uberblicks ¨uber das im Folgenden verwendete fragebasierte Diskursmodell werden im Folgenden noch einmal kurz zusammengefasst.

• Ein Diskurs dient in der Regel der Beantwortung einer expliziten oder impli-ziten Frage Q. Ist die Beantwortung von Q durch die Gespr¨achsteilnehmer als Diskursziel akzeptiert, unterliegen alle weiteren ¨Außerungen einer Relevanzan-forderung bezogen auf dieses Ziel.

12Stattdessen schl¨agt Brandt (1989, 1996) eine zweidimensionale Reliefgebung vor, bei der sie zwischen kommunikativer und quaestiobezogener Gewichtung unterscheidet. Dabei argumen-tiert sie, dass Subordination bei bestimmten Nebens¨atzen der kommunikativen Gewichtung dient, indem S weniger wichtige Informationen herunterstufen kann. Basierend auf dem vor al-lem phonologisch begr¨undeten Begriff der Informationseinheit unterscheidet sie zwei Arten von Nebens¨atzen. Bei Nebens¨atzen, die eine eigene Informationseinheit bilden, ist die Subordinati-on gewichtungsrelevant, da die im Nebensatz ausgedr¨uckte Informationseinheit im Verh¨altnis zum Matrixsatz heruntergestuft ist. Nebens¨atze dagegen, die mit ihrem Matrixsatz zusammen eine Informationseinheit bilden, k¨onnen auch die zentrale Information enthalten, hier ist die Subordination demnach nicht gewichtungsrelevant. Etwas problematisch ist dabei, dass der Be-griff der phonologisch basierten Informationseinheit fragw¨urdig ist und auch die Distinktion von kommunikativer und quaestiobezogener Gewichtung ist zweifelhaft, da ein systematischer Zusammenhang zwischen beiden besteht, wie Holler (2009) bemerkt.

• Relevanzanforderung f¨ur deklarative ¨Außerungen: Jede deklarative ¨Außerung muss mindestens eine partielle Antwort auf Q enthalten, d.h. den durch Q er¨offneten Alternativenraum mindestens um eine Alternative reduzieren.

• Relevanzanforderung f¨ur Fragen: Solange Q noch nicht komplett beantwortet ist, muss jede neue Frage Q’ eine Unterfrage von Q sein, oder die Beantwortung von Q’ muss auf eine andere Weise der Beantwortung von Q beitragen.

• Ausgenommen von der Relevanzanforderung sind ¨Außerungen der Nebenstruk-tur, welche bezogen auf Q keine relevante Information enthalten, sondern Kom-mentare, Begr¨undungen oder Hintergrundinformationen ausdr¨ucken. Die je-weils aktuelle Q bestimmt den Aufbau eines Diskurses, indem in Relation zu Q festgelegt wird, welche ¨Außerungen zur Haupt-, und welche zur Nebenstruk-tur geh¨oren. Hierbei ist es jedoch wichtig, zwischen einem semantischen und einem pragmatischen Antwortbegriff zu unterscheiden.

• Die jeweilige Q beeinflusst die Ausdrucksweise, da die Zugeh¨origkeit zur Haupt-oder Nebenstruktur mit der Verwendung bestimmter sprachlicher Mittel signa-lisiert wird.

• Indem die Zugeh¨origkeit zur Haupt- oder Nebenstruktur sprachlich markiert wird, werden auch Hinweise darauf geliefert, wie die jeweilige Q lautet. Aller-dings wird Q aufgrund solcher Markierungen nie eindeutig bestimmt, sondern ist unterspezifiziert und muss kontextuell erschlossen werden.

• [-At-issue]-Inhalte k¨onnen eine eigene Frage, eine Non-Under Discussion Ques-tion, beantworten und k¨onnen dann auch Fokusmarkierungen aufweisen.

• Bei der strukturellen Unterscheidung von Haupt- und Nebens¨atzen handelt es sich um kein eindeutiges Mittel zur Markierung von [+at-issue]- und [−at-issue]-Inhalten.