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Temporale und kausale Adverbials¨ atze im Vergleich

8.1. Interaktion mit Negation

Ein wesentlicher Punkt, in dem sich weil-S¨atze von Temporals¨atzen unterscheiden, betrifft ihr Verhalten in Bezug auf einen negierten Matrixsatz. Enth¨alt der Bezugs-satz eines weil-Satzes eine Negation, ist der Gesamtsatz ambig. Wie in zahlreichen Arbeiten beobachtet, hat eine ¨Außerung wie die folgende zwei Lesarten:

(297) Daniel ist nicht nach Italien gefahren, weil er sich erholen will.

Die Negation kann sich auf die kausale Relation zwischen den beiden Teils¨atzen beziehen. In diesem Fall ist Daniel nach Italien gefahren, der Grund f¨ur die Reise ist aber nicht die erhofte Erholung, sondern beispielsweise die Teilnahme an ei-ner Tagung. Die entsprechende Struktur ist in (298-a) dargestellt. Der Kausalsatz kann aber auch außerhalb des Skopus der Matrixnegation interpretiert werden (vgl.

(298-b)). Meistens wird dies begleitet durch eine kurze Sprechpause vor dem Kausal-satz sowie fallender Intonation am Ende des MatrixKausal-satzes. In diesem Fall ist Daniel anstatt nach Italien zu fahren, zu Hause geblieben, um sich zu erholen.

(298) a. ¬ weil’ (p, q) b. weil’ (p, ¬ q)

Die beiden Lesarten k¨onnen durch unterschiedliche Strategien voneinander isoliert werden. Beispielsweise kann einweil-Satz mit V2-Stellung nur außerhalb der Matrix-negation interpretiert werden, Lesart (298-a)ist nicht m¨oglich. Steht der Kausalsatz wie in dem folgenden Beispiel im Vorfeld, kommt ebenfalls nur Lesart (298-b) in Frage.

(299) Weil Daniel sich erholen will, ist er nicht nach Italien gefahren.

Enth¨alt der Matrixsatz dagegen ein Korrelat im Mittelfeld, kann sich die Negation nur auf die Kausalrelation beziehen (vgl. (300-a)). Dasselbe gilt, wenn der Satz mit sondern weitergef¨uhrt wird.

(300) a. Daniel ist nicht deswegen nach Italien gefahren, weil er sich erholen will.

b. Daniel ist nicht nach Italien gefahren, weil er sich erholen will, sondern weil er dort an einer Tagung teilnimmt.

Nach Johnston (1994, 146ff) kommt diese Ambiguit¨at durch unterschiedliche Ad-junktpositionen zustande. Eine ¨ahnliche Erkl¨arung f¨ur den Kontrast zwischen weil-S¨atzen mit VL- und solchen mit V2-Stellung findet sich in u.a. Antomo/Steinbach (2010), Breindl (2009), Holler (2008), Scheffler (2005) und Uhmann (1998), die eben-falls annehmen, dass die kausalen V2-S¨atze in einer h¨oheren syntaktischen Position stehen als die syntaktisch st¨arker integrierten weil-VL-S¨atze und aus diesem Grund nicht mehr im Skopus der Matrixnegation positioniert sind. Da die syntaktischen Details dieser Ans¨atze f¨ur die weitere Untersuchung nicht relevant sind, wird der Leser f¨ur mehr Informationen auf die genannten Titel verwiesen.

Was bedeutet nun diese Ambiguit¨at von Kausals¨atzen unter Negation f¨ur die Ana-lyse des semantischen Beitrags von weil? Aus der Tatsache, dass sich die Matrix-negation entweder auf die Hauptsatzproposition oder aber auf die kausale Relation beziehen kann, folgt, dass die Subjunktionweileine solche kausale Relation zwischen den beiden durch sie verbundenen Propositionen herstellt. Ansonsten w¨are Lesart (298-a), bei der die kausale Relation negiert wird, nicht m¨oglich. Bei der Subjunkti-onweil handelt es sich demnach um ein zweistelliges Pr¨adikat des Typs<t,<t,t>>, das die Hauptsatz- und die Nebensatzproposition als Argumente nimmt.

Johnston (1994, 182f) beobachtet nun f¨ur das Englische, dass sich temporale Adver-bials¨atze unter Negation anders verhalten als kausale. Dieselbe Beobachtung l¨asst sich auch f¨ur das Deutsche machen: Die f¨ur Beispiel (297)ausgemachte Ambiguit¨at tritt nicht auf, wenn ein Temporalsatz in einen negierten Satz eingebettet ist wie in dem folgenden Beispiel:

(301) Peter hat den Roman nicht fertiggestellt, bevor er krank wurde.

Anders als bei dem Hauptsatz-Kausalsatzgef¨uge in (297) ist es nicht m¨oglich, Bei-spiel(301)so zu interpretieren, dass die Hauptsatzproposition zutrifft. Eine analoge Lesart zu (298-a), bei der sich die Negation nicht auf die Hauptsatzproposition, sondern auf die semantische Relation zwischen den beiden S¨atzen bezieht, ist ausge-schlossen. Wenn die Subjunktion aber eine zweistellige temporale Relation zwischen Haupt- und Nebensatz ausdr¨ucken w¨urde, so m¨usste auch folgende Interpretati-on m¨oglich sein: Peter hat den Roman fertiggestellt und er wurde krank, aber die beiden Ereignisse stehen nicht in einer Relation der Vorzeitigkeit zueinander. Dass diese Interpretation (bei unmarkierter Intonation) nicht zug¨anglich ist, zeigt, dass keine temporale Relation zwischen den beiden S¨atzen, welche negiert werden k¨onn-te, eingef¨uhrt wird. Die entsprechende Struktur in(302) wird aus diesem Grund als ungrammatisch markiert:

(302) *¬ bevor’ (p, q)

Nun ließe sich einwenden, dass eine Interpretation wie(302), bei der die temporale Relation zwischen den beiden S¨atzen negiert wird, sehr wohl m¨oglich ist, wenn die Subjunktion stark betont wird wie in Beispiel(303).

(303) Peter hat den Roman nicht fertiggestellt, beVOR er krank wurde.

(302) ist jedoch keine geeignete Darstellung von Satz (303). Auffallend ist, dass die temporale Subjunktion stark betont werden muss, damit die Temporalrelation (scheinbar) negiert werden kann. Bezogen auf die kausale Relation in Beispiel (297) war dies dagegen nicht n¨otig, mehr noch, bei Normalintonation ist (298-a) sogar die pr¨aferierte Lesart f¨ur weil-VL-S¨atze. Wie sind ¨Außerungen wie (303) dann zu erkl¨aren? Aufgrund der starken Betonung der Subjunktion erscheint ein Ansatz auf-bauend auf der Alternativensemantik f¨ur fokussierte Ausdr¨ucke nach Rooth (1992) am vielversprechendsten (vgl. auch Rooth 1985, von Stechow 1990 sowie Kadmon 2001, 227ff f¨ur einen ¨Uberblick). Die Grundidee der Alternativensemantik besteht darin, dass fokussierte Ausdr¨ucke neben ihrer Standardbedeutung einen zweiten, fo-kussemantischen Wert besitzen (vgl. dazu auch die Darstellung in Abschnitt 2.1.3).

Beispielsweise denotiert ein prosodisch markierter Fokustr¨ager wie in dem folgenden Satz zus¨atzlich zu seiner gew¨ohnlichen Bedeutung eine Menge an Alternativen. Die Konstituente, welche den Fokusakzent erh¨alt, ist dabei Tr¨ager eines Fokusmerkmals F. Das Fokusmerkmal zeigt an, dass zu seinem Tr¨ager eine Menge an Alternati-ven existiert, durch welche der fokussierte Ausdruck potentiell substituiert werden k¨onnte, und dass der fokussierte Ausdruck als ein Element dieser Alternativenmenge entnommen wurde.

(304) Peter hat [MAX]F geschlagen.

Beispiel (304) kann nur in bestimmten Kontexten verwendet werden, da die ¨ Auße-rung unter anderen Bedingungen angemessen ist als die entsprechende ¨Außerung ohne Fokussierung. Der Satz ist beispielsweise geeignet, um einen Kontrast zu mar-kieren.

Um die gew¨ohnliche Intension eines Ausdrucks αwiederzugeben, wird die Notation [[α]]0 verwendet, wohingegen [[α]]f seine fokussemantische Bedeutung ausdr¨uckt, also eine Menge an Alternativen, wie wir bereits in Abschnitt 2.1.3 gesehen haben. Der fokussierte Ausdruck Max f¨uhrt beispielsweise eine Alternativenmenge wie in (305) dargestellt ein. Die jeweilige Alternativenmenge wird dabei im Wesentlichen durch Faktoren wie Kontext und Relevanz definiert. Nicht-fokussierte Ausdr¨ucke evozieren dagegen keine Alternativen.

(305) [[MaxF]]f = {Peter, Susanne, Tobias, ...}

Kehren wir zur¨uck zu Beispiel (303). Die stark betonte Subjunktion ist Tr¨ager eines Fokusmerkmals.

(306) Peter hat den Roman nicht fertiggestellt, [beVOR]F er krank wurde.

Als fokussierter Ausdruck verweist betontes bevor auf eine Alternativenmenge. Je nach Kontext kann dies H beispielsweise signalisieren, dass eine Alternative zu bevor aus der entsprechenden Menge eingesetzt werden muss. Die Alternativenmenge f¨ur fokussiertesbevor ist in(307-a)angegeben. Nicht-fokussiertesbevor er¨offnet dagegen nur eine Menge mit einem einzigen Element, wie in (307-b) dargestellt.

(307) a. [[bevorF]]f ={nachdem, als, ...}

b. [[bevor]]0 = {bevor}

Somit wird auch in ¨Außerung (303) nicht die temporale Relation zwischen Haupt-und Nebensatz negiert. Vielmehr wird die Subjunktion fokussiert, wodurch signa-lisiert wird, dass eine Alternativenmenge eine Rolle spielt. Beispielsweise kann der Satz auch weitergef¨uhrt werden, indem bevor mit einem anderen Element der Al-ternativenmenge kontrastiert wird:

(308) Peter hat den Roman nicht fertiggestellt, beVOR er krank wurde, sondern nachDEM er krank wurde.

S¨atze, in denen die temporale Subjunktion fokussiert wird, erinnern an die von insbesondere H¨ohle (1992) untersuchten Verum-Fokus-Konstruktionen. Auch in dem folgenden Beispiel aus H¨ohle (1992, 123) wird die Subjunktion betont, H¨ohle (1992) bezeichnet diese F¨alle als C-Verum-Fokus.

(309) A: Weißt du, ob Hanna k¨urzlich in Rom war?

B: Ich bin sicher, DASS sie mal in Rom war, aber ob das K ¨URZlich war, weiß ich nicht.

Spezifisch f¨ur Verum-Fokus ist, dass das Satzradikal h¨aufig im Kontext vorerw¨ahnt ist. Dies trifft ebenfalls auf einen Satz wie (303) zu. So f¨allt es schwer, sich einen Kontext zu ¨uberlegen, in dem das Satzmaterial von (303) nicht bereits gegeben ist, die ¨Außerung von(303)aber dennoch wohlgeformt ist. Vielmehr scheint es der Fall zu sein, dass S¨atze, in denen die temporale Subjunktion fokussiert wird, typischerweise

in solchen Kontexten verwendet werden, in denen ein Großteil der ¨Außerung bereits vorerw¨ahnt ist. Satz (303) bildet z.B. eine nat¨urliche Antwort in dem folgenden Kurzdialog:

(310) A: Zum Gl¨uck hat Peter den Roman beendet, bevor er krank wurde.

B: Peter hat den Roman nicht beendet, beVOR er krank wurde. Er hat es erst daNACH geschafft.

Es bestehen aber auch wesentliche Unterschiede zwischen S¨atzen wie (303) und Verum-Fokus-Konstruktionen. Die Betonung der Subjunktion in Beispiel(309)f¨uhrt dazu, dass das Zutreffen der entsprechenden Proposition hervorgehoben wird. H¨ohle (1992) nimmt diesbez¨uglich an, dass die fokussierte Subjunktion ein VERUM-Merk-mal tr¨agt (vgl. dazu auch B¨uring 2006). In Beispiel (303) wird das Zutreffen der entsprechenden Proposition aber gerade negiert. Zudem unterscheidet sich der fo-kussierte Ausdruckbevor von Ausdr¨ucken, die den Verum-Fokus bilden, darin, dass er eine Alternativenmenge evoziert. Die fokussierte Subjunktion dass in Beispiel (309) steht dagegen nicht im Kontrast zu anderen Alternativen.

F¨ur eine Erkl¨arung von Beispiel(303)unter Bezugnahme auf die Alternativenseman-tik spricht zudem, dass die Subjunktion weil nicht ohne Weiteres fokussiert werden kann, wenn der Kausalsatz im Skopus der Matrixnegation steht. So kann der folgende Satz nur bedingt die Lesart (298-a), hier wiederholt als (311-b), ausdr¨ucken.

(311) a. ?Jonas ist nicht nach Italien gefahren, WEIL er sich erholen will.

b. ¬ weil’ (p, q)

Dies liegt daran, dass zuweil in geringerem Maße geeignete Alternativen existieren als zu temporalen Subjunktionen, die zusammen eine Alternativenmenge bilden. In einem geeigneten Kontext kann weil allerdings mit obwohl kontrastieren:

(312) Jonas ist nicht nach Italien gefahren, WEIL er sich erholen will, sondern obWOHL er sich erholen will. Er muss dort schließlich arbeiten.

Wir k¨onnen festhalten, dass die temporale Relation zwischen Haupt- und Neben-satz nicht auf vergleichbare Weise negierbar ist wie die kausale Relation zwischen den beiden Teils¨atzen in (297). Satz (303) stellt dabei kein Gegenbeispiel zu dieser Beobachtung dar. Vielmehr zeigt die Fokussierung vonbevor in Verbindung mit der Negation an, dass beide Propositionen zutreffen, als Satzverkn¨upfung aber nicht das passende Element aus der Alternativenmenge gew¨ahlt wurde.

Aus der Beobachtung, dass Temporals¨atze in Verbindung mit Negation keine Ambi-guit¨at ausl¨osen, folgert Johnston (1994, 182f), dass temporale Subjunktionen anders als kausale keine semantische Relation einf¨uhren, welche im Skopus der Negation ste-hen k¨onnte. Im Gegensatz zuweilist eine temporale Subjunktion wiebevor einstellig und nimmt nur die von ihr eingef¨uhrte Proposition als Argument, um sie auf ein Zeitintervall abzubilden. Wie dies im Detail aussieht, wird im Zentrum von Kapitel 9.1 stehen. In diesem Abschnitt wird dann auch gezeigt, dass ein Satz wie (313)die folgende Interpretation erh¨alt: F¨ur das Zeitintervall, f¨ur das gilt, dass Mailin beim

Metzger war, existiert kein Ereignis, f¨ur das gilt, dass Jenny gelernt hat.

(313) Jenny hat nicht gelernt, w¨ahrend Mailin beim Metzger Peter war.

Die semantische Struktur eines Satzes wie (313) oder (301) entspricht also nicht einer relationalen Darstellung wie in (302), sondern eher einer (hier stark verein-fachten) Darstellung wie in (314), in der deutlich wird, dass der Temporalsatz einen temporalen Parameter t bzw. ein Intervall i liefert, in Bezug auf das der Matrixsatz interpretiert wird.

(314) ¬ qt

Aus dieser Analyse folgt, dass Temporals¨atze die gleiche Funktion wie andere Zeit-ausdr¨ucke wie beispielsweise Temporaladverbien oder Pr¨apositionalphrasen erf¨ullen.

Auch die Zeitausdr¨ucke in (315)dr¨ucken einen temporalen Parameter in Form eines Intervalls aus, bezogen auf das der Satz interpretiert wird.

(315) Jenny hat heute/in den Ferien/zwischen 2 und 3 Uhr nicht gelernt.

F¨ur die funktionale ¨Aquivalenz von temporalen Adverbials¨atzen und overten Be-schreibungen eines Zeitintervalls existieren zudem noch weitere Evidenzen, die in den folgenden Abschnitten diskutiert werden.

Das unterschiedliche Verhalten vonweil- und Temporals¨atzen unter Negation deutet darauf hin, dass temporale Subjunktionen anders als das kausale weil keine zwei-stellige Relation zwischen Haupt- und Nebensatzproposition herstellen. Ein weiterer Aspekt, der in die gleiche Richtung weist, besteht in dem unterschiedlichen Verhalten der beiden Adverbialsatztypen in Bezug auf Quantoren, das im folgenden Abschnitt dargestellt wird.