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abh¨ angigen S¨ atzen

2.1. Der Kontext als Frage

2.1.2. Haupt- und Nebenstruktur

Klein/von Stutterheim (1992) und von Stutterheim (1989) beobachten, dass nicht alle in einem Diskurs gemachten ¨Außerungen und ¨Außerungsteile der Beantwortung der jeweiligen Q dienen, sondern auch andere Funktionen haben k¨onnen, wie zum Beispiel Bewertungen oder Kommentare auszudr¨ucken, oder zus¨atzliche Beschrei-bungen, Erkl¨arungen und andere Hintergrundinformationen zu liefern. Ein Text be-steht deswegen immer aus zwei Ebenen, einer Ebene an ¨Außerungen, die auf die Beantwortung von Q abzielen, und zus¨atzlich ¨Außerungen, welche dar¨uber hinaus weitere Informationen liefern. Von Stutterheim (1989) spricht in diesem Zusammen-hang von Haupt- und Nebenstruktur eines Textes. Eine andere Terminologie f¨ur den im Prinzip gleichen Sachverhalt benutzen Roberts et al. (2009) und Simons et al.

(2011), welche ¨Außerungen und ¨Außerungsteile, die die aktuelle Q beantworten, als [+at-issue]-Inhalte bezeichnen, wohingegen alle anderen ¨Außerungen [−at-issue]

sind. Im Folgenden werde ich die deutschen Begriffe Haupt- und Nebenstruktur syn-onym zu den Begriffen [+at-issue] und [−at-issue] verwenden.

Betrachten wir ein Beispiel aus von Stutterheim (1989, 181) zur Unterscheidung zwi-schen Haupt- und Nebenstruktur, und zwar einen Ausschnitt aus einer Erz¨ahlung.

Wesentliches Merkmal einer Erz¨ahlung ist nach Klein/von Stutterheim (1992, 69ff) die Tatsache, dass bestimmte Teilereignisse erz¨ahlt werden, welche Element einer ubergeordneten Ereignisstruktur sind und in einer zeitlichen Abfolge zueinander¨ stehen. Diese Beschreibung passt auf die S¨atze (22-a) und(22-c) des folgenden Bei-spiels, nicht aber auf Satz (22-b), der demnach der Nebenstruktur zuzuordnen ist.

(22) a. Klefisch verließ das Haus um sieben.

b. Gew¨ohnlich fuhr er mit dem Bus ins B¨uro.

c. Heute aber nahm er ein Taxi.

Das wesentliche Merkmal zur Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenstruktur in Erz¨ahlungen wie (22) besteht nach von Stutterheim (1989) darin, dass ¨

Auße-rungen der Nebenstruktur keine Verschiebung auf der Zeitachse bewirken, sie f¨ur die chronologische Abfolge also unerheblich sind. Dieses Merkmal eignet sich jedoch nicht f¨ur alle Textsorten als Unterscheidungskriterium zwischen Haupt- und Neben-struktur. So weist von Stutterheim (1989) selbst darauf hin, dass die chronologische Abfolge von Teilereignissen in nicht-narrativen Texten keine Rolle spielt. Betrachten wir dazu das folgende Beispiel aus Klein/von Stutterheim (1992, 73). Gegeben ist Q als Kontext. In diesem Fall dienen die kursivierten ¨Außerungen bzw. ¨Außerungsteile nicht der Beantwortung von Q, sondern liefern als Teil der Nebenstruktur zus¨atzliche Informationen (Kursivierung nach Klein/von Stutterheim 1992, 73). ¨Außerungen der Nebenstruktur kann dabei durchaus eine eigene Frage zugrundeliegen, worauf am Ende dieses Abschnitts noch genauer eingegangen wird - beispielsweise beantwortet der zweite kursivierte ¨Außerungsteil die implizite Frage Ist der Platz sch¨on?.

(23) Q: K¨onnen Sie mir sagen, wo das Goethehaus ist?

A: Ja, lassen Sie mich einen Moment ¨uberlegen. Ich war selbst letzte Wo-che dort. Ja, Sie gehen hier ungef¨ahr 300 Meter runter, dann gehen Sie hinter der Kirche links. Dann nochmal nach 300 Metern kommen Sie zu einem Platz, einem sehr sch¨onen Platz. Den ¨uberqueren Sie, gehen weiter und gehen dann nach rechts. Sie k¨onnen es wirklich nicht ver-fehlen.Dann ist es die zweite Straße links, und dann sehen Sie es schon.

Es ist gelb, so gelblich.Okay?

Da in diesem Fall keine chronologische Abfolge erkennbar ist, bleibt als Kriterium zur Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenstruktur lediglich die Frage, ob die jeweilige ¨Außerung der Beantwortung von Q dient. Dieses Kriterium ist nat¨urlich besonders in den F¨allen problematisch, in denen Q implizit ist.

Ganz ¨ahnlich definieren Simons et al. (2011) [+at-issue]-Inhalte im Gegensatz zu solchen Inhalten, die [−at-issue], also nicht Teil der Hauptstruktur, sind. Auch bei Simons et al. (2011) ist f¨ur die Definition vonAt-issueness das Konzept der Relevanz bezogen auf die jeweilige Q entscheidend. Dabei gilt nach Simons et al. (2011, 8):

(24) Relevance to the QUD

a. An assertion is relevant to a QUD iff it contextually entails a partial or complete answer to the QUD.

b. Aquestionis relevant to a QUD iff it has an answer which contextually entails a partial or complete answer to the QUD.

Anstatt At-issueness direkt f¨ur eine Proposition p zu bestimmen, schlagen Simons et al. (2011) vor, die Zugeh¨origkeit zur Hauptstruktur indirekt ¨uber die damit ver-bundene Entscheidungsfrage ?p zu definieren. ?p bezeichnet dabei bezogen auf eine Proposition p die Frage, ob p, das heißt, eine Aufteilung der Menge an Welten in solche, in denen p gilt, und solche, in denen ¬p gilt. Die Zugeh¨origkeit zur Haupt-struktur definieren Simons et al. (2011) dann wie folgt:

(25) Definition von At-issueness

A proposition p is at-issue relative to a question Q iff ?p is relevant to Q.

Betrachten wir mit dieser Definition im Hinterkopf noch einmal Beispiel(23). Nach Klein/von Stutterheim (1992, 73) ist der Satz p = Ich war selbst letzte Woche dort.

nicht Teil der Hauptstruktur, wenn Q = Wie komme ich von hier zum Goethehaus?

lautet. Auch nach der Definition von Simons et al. (2011) ist p nicht at-issue, da die Beantwortung der Frage ?p = War A letzte Woche im Goethehaus? keine relevante Information f¨ur die Beantwortung von Q enth¨alt. Genauer gesagt f¨uhrt die Beant-wortung von ?p zu keiner Reduktion der durch Q er¨offneten Alternativenmenge.

Nach der Bestimmung der Relevanz einer ¨Außerung bezogen auf eine Frage nach Higginbotham (1996) (vgl. (17)) liegt demnach eine irrelevante ¨Außerung vor, da die Zahl der in der Alternativenmenge enthaltenen Alternativen gleich bleibt (es gilt also Fall iii. aus (17), d.h. #(Π/A) = n). Das von Simons et al. (2011) vorge-schlagene Testverfahren liefert in diesem Fall demnach das gleiche Ergebnis, zu dem auch Klein/von Stutterheim (1992) kommen.

Kombinieren wir die Definition von At-issueness in (25) nach Simons et al. (2011) mit dem Verfahren zur Bestimmung der Informativit¨at einer Antwort nach Higgin-botham (1996) (vgl. (17)), erhalten wir die folgenden Zuordnungen:

(26) Zuordnung einer Proposition zur Haupt- oder Nebenstruktur:

i. Eine Proposition ist in einem Kontext, in dem Q = Π, genau dann Teil der Hauptstruktur, wenn #(Π/A) = 1 oder 1 < #(Π/A) < n.

ii. Eine Proposition ist in einem Kontext, in dem Q = Π, genau dann Teil der Nebenstruktur, wenn #(Π/A) = n.

Dies bedeutet, dass eine Proposition p nur dann [+at-issue]-Inhalt ausdr¨uckt, wenn die durch Q er¨offnete Alternativenmenge durch die ¨Außerung von p reduziert wird.

Bleibt die Anzahl der urspr¨unglichen Alternativen gleicht, k¨onnen wir dagegen da-von ausgehen, dass p [−at-issue]-Inhalt enth¨alt.

Die Behauptung, dass [-at-issue]-Inhalte anders als [+at-issue]-Inhalte nicht der Be-antwortung einer Frage dienen, wurde in der letzten Zeit jedoch h¨aufiger angefoch-ten. So zeigen Beaver (2012), Fabricius-Hansen (2013), Holler (2005) und Onea (2013) bezogen auf die diskursstrukturelle Funktion von appositiven Relativs¨atzen, dass diese eine eigene Frage beantworten und aus diesem Grund ¨Ahnlichkeiten mit selbstst¨andigen S¨atzen aufweisen k¨onnen, beispielsweise indem sie Fokusmarkierun-gen enthalten, worauf im folFokusmarkierun-genden Abschnitt noch Fokusmarkierun-genauer eingeganFokusmarkierun-gen wird. Al-lerdings handelt es sich dabei nicht um die dem Diskurs zugrundeliegende QUD und auch um keine Unterfrage, vielmehr beantworten appositive Relativs¨atze eine eigene Frage, ¨uber die Fabricius-Hansen (2013) aussagt, dass sie lokal relevant, aber nicht relevant bezogen auf die globale QUD ist. Beaver (2012) spricht in diesem Zusammenhang von einer Non-Under Discussion Question, kurz Non-UDQ, wobei dieser Begriff auch im Folgenden verwendet wird. Dass appositiven Relativs¨atzen

eine Frage zugrundeliegt, deren Beantwortung f¨ur den weiteren Diskursverlauf nicht relevant ist, zeigt sich auch darin, dass ihr Inhalt im Folgediskurs gew¨ohnlich nicht aufgegriffen oder weitergef¨uhrt wird, wie Onea (2013) beobachtet. Beispielsweise si-gnalisiert der Sprecher mit einer ¨Außerung wie(27-a), dass er nicht die Absicht hat, den im Relativsatz ausgedr¨uckten Inhalt zum Gegenstand des weiteren Diskurses zu machen, weswegen die Weiterf¨uhrung in(27-a), wohl aber die in (27-b), nicht ange-messen ist. Die Beantwortung der N-UDQ Seit wann kennst du Maria? in Beispiel (27-a)ist auf diese Weise in den Diskurs eingebaut, ohne den Haupterz¨ahlstrang zu st¨oren.

(27) a. Morgen gehe ich mit Maria, die ich ¨ubrigens schon seit dem Kindergar-ten kenne, ins Kino. ??Damals konnKindergar-ten wir uns aber nicht ausstehen.

b. Morgen gehe ich mit Maria ins Kino. Ich kenne sie ¨ubrigens schon seit dem Kindergarten. Damals konnten wir uns aber nicht ausstehen.

Bei der von appositiven Relativs¨atzen beantworteten N-UDQ handelt es sich ty-pischerweise um eine vom Matrixsatz derivierte Frage, Holler (2005) formuliert ei-ne m¨ogliche N-UDQ mit Welche Eigenschaften hat x noch?, eine andere denkbare M¨oglichkeit w¨are Wie ist meine pers¨onliche Einstellung zu x?. Onea (2013) f¨uhrt diesbez¨uglich den Begriff der Potential Questions ein, worunter solche Fragen fallen, die durch get¨atigte Assertionen erzeugt werden k¨onnen. Laut Onea (2013) sind alle Fragen, deren Pr¨asuppositionen durch die bereits get¨atigten Assertionen erf¨ullt sind, m¨ogliche Potential Questions.

Dass appositive Relativs¨atze der Beantwortung einer N-UDQ dienen, ist weitgehend akzeptiert, ob dies jedoch grunds¨atzlich f¨ur alle [-at-issue]-Inhalte gilt, ist von der Forschung noch zu untersuchen. Aber auch wenn einige oder m¨oglicherweise sogar al-le [-at-issue]-Inhalte der Beantwortung einer eigenen Frage dienen, sind sie dennoch Teil der Nebenstruktur. Am Beispiel der appositiven Relativs¨atze wird deutlich, dass deren Inhalt im Folgediskurs nicht weiter aufgegriffen werden soll, zudem wei-sen appositive Relativs¨atze typische Eigenschaften der Nebenstruktur auf, worauf in Kapitel 3noch genauer eingegangen wird.

Die Zugeh¨origkeit zur Hauptstruktur wird immer in Relation zu Q bestimmt. Pro-blematisch ist nun allerdings, dass die jeweils aktuelle Q in einem schriftlichen oder m¨undlichen Text sehr h¨aufig nicht explizit gegeben ist. Daraus ergeben sich im Wesentlichen zwei Fragen: (i) Mithilfe welcher Strategien k¨onnen sich die Diskurs-teilnehmer Q rekonstruieren? und (ii) Wie k¨onnen wir testen, ob eine ¨Außerung oder ein ¨Außerungsteil zur Haupt- oder zur Nebenstruktur geh¨ort, wenn Q impli-zit ist? Ob eine ¨Außerung Teil der Hauptstruktur ist, h¨angt zun¨achst einmal vom Diskurskontext und der entsprechenden Q ab. Dies bedeutet, dass f¨ur eine ¨ Auße-rung wie(28) kontextlos nicht bestimmt werden kann, ob diese zur Haupt- oder zur Nebenstruktur geh¨ort.

(28) Tim isst kein Fleisch.

Handelt es sich um eine Antwort auf die Frage Isst Tim Fleisch?, dann geh¨ort Satz (28) zweifelsohne zur Hauptstruktur. Wird der Satz dagegen in dem folgenden Kontext ge¨außert, ist sein Inhalt nicht relevant bezogen auf die aktuelle Q und demnach auch nicht Teil der Hauptstruktur.

(29) Q: Was hast du gestern gemacht?

A: Ich war einkaufen und habe dann gekocht. Eigentlich wollte ich Steaks braten, aber Tim isst kein Fleisch. Deswegen habe ich dann Gem¨use-lasagne gemacht.

Zudem kann aus einer ¨Außerung wie (28) ohne Kontext nicht ohne Weiteres rekon-struiert werden, wie die zu beantwortende Q lautet. Satz (28) liefert beispielsweise eine Antwort auf die Fragen in (30) und auf viele weitere.

(30) a. Wer isst kein Fleisch?

b. Worauf verzichtet Tim?

c. Was hast du gerade erfahren?

Allerdings beobachten Onea (2011) und von Stutterheim (1989), dass uns die Gram-matik anhand sprachlicher Mittel Hinweise darauf gibt, ob eine ¨Außerung relevant zur Beantwortung von Q ist oder nicht, und so auch indirekt Hinweise darauf, wie die zu beantwortende Q lautet. Die Art dieser sprachlichen Markierung ist Gegen-stand des folgenden Abschnitts.

Auch in der germanistischen Relieftheorie wird zwischen kommunikativ relevan-ten Haupt- und kommunikativ nicht-relevanrelevan-ten Nebengedanken unterschieden (vgl.

Bartsch 1978, Brandt 1989, Brandt 1996, Hartmann 1984, Posner 1972 und Wein-rich 1964). Im Unterschied zu dem hier vorgestellten fragebasierten Diskursmodell ist die Differenzierung zwischen Haupt- und Nebeninformationen in diesen Ans¨atzen jedoch intuitiver und in einem geringerem Maße operationalisierbar, da von keiner dem Diskurs zugrundeliegenden Frage ausgegangen wird. Es wird zwar ebenfalls angenommen, dass die kommunikative Relevanz eines Satzes nur relativ zu einem Kontext beschrieben werden kann, der Kontext als solcher bleibt aber anders als in fragebasierten Modellen, wo der Kontext einem durch eine Frage er¨offneten Al-ternativenraum entspricht, ein relativ vager Begriff. Eine Gemeinsamkeit zwischen Relieftheorie und dem hier vorgestellten fragebasierten Diskursmodell besteht je-doch darin, dass in beiden Ans¨atzen davon ausgegangen wird, dass die Informati-onsgewichtung anhand sprachlicher Mittel ausgedr¨uckt wird, worauf im Folgenden eingegangen wird.