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Pr¨ asuppositionen m¨ ussen im Common Ground gegeben seinsein

Brueckenverb Semifaktiv

4.1. Distinktive Merkmale von Pr¨ asuppositionen

4.1.2. Pr¨ asuppositionen m¨ ussen im Common Ground gegeben seinsein

Pr¨asuppositionen m¨ussen nicht nur wahr sein: Seit den Untersuchungen von Stal-naker (1974) wird ebenfalls davon ausgegangen, dass Pr¨asuppositionen bereits ge-gebene Informationen ausdr¨ucken. Jede ¨Außerung wird vor dem Hintergrund des Common Ground gemacht. Dieser bezeichnet die Menge an Propositionen, welche die Konversationsteilnehmer als gegeben akzeptieren und ¨uber deren Zutreffen kei-ne Diskussion notwendig ist. Der Common Ground umfasst die Menge an Welten, f¨ur die gilt, dass die akzeptierten Propositionen in ihnen wahr sind, das sogenannte Kontextset (vgl. dazu u.a. Karttunen 1974 und Stalnaker 1974, 1978). Der Common Ground bestimmt nun, was gesagt wird: Eine assertive ¨Außerung zielt auf ein Com-mon Ground-Update ab. Akzeptieren die ¨ubrigen Diskursteilnehmer eine assertierte Proposition von S, so wird diese dem Common Ground hinzugef¨ugt. Bezogen auf das Kontextset bedeutet dies, dass alle Welten, die mit dieser neu hinzugef¨ugten Annah-me nicht kompatibel sind, entfernt werden. Mit der ¨Außerung einer Frage dagegen

fordert S den Gefragten dazu auf, den Common Ground seinerseits um die gew¨unsch-te Information zu erweigew¨unsch-tern bzw. mitzugew¨unsch-teilen, welche Welgew¨unsch-ten aus dem Kongew¨unsch-textset zu entfernen sind (zur Semantik von Fragen vgl. u.a. Altmann 1993, Bierwisch 1980, Brandt 1992, Groenendijk/Stokhof 1985, Hamblin 1958, Hamblin 1973, Higginbo-tham 1996, Karttunen 1977, Lohnstein 2000, Lohnstein 2013, Reis/Rosengren 1991, Reis 1992 und Truckenbrodt 2004). Das Konzept der pragmatischen Pr¨asupposition fußt nun auf der Intuition, dass Pr¨asuppositionen Informationen ausdr¨ucken, die zum ¨Außerungszeitpunkt bereits Teil des Common Ground sind. Ein Satz wie der folgende pr¨asupponiert beispielsweise, dass jemand den Kuchen aufgegessen hat. Die durch den Spaltsatz ausgel¨oste Pr¨asupposition stellt Anforderungen an den Com-mon Ground, in dem die pr¨asupponierte Proposition bereits enthalten sein muss.

Das Kontextset darf zudem nur aus solchen Welten bestehen, in denen die Proposi-tion wahr ist.

(147) Es war nicht Georg, der den Kuchen aufgegessen hat.

Jemand hat den Kuchen aufgegessen.

Etwas pr¨asupponieren bedeutet demzufolge, etwas als Teil des Common Ground zu behandeln. Dementsprechend definieren u.a. Karttunen (1974) und Stalnaker (1974) Pr¨asuppositionen als Anforderungen an den Kontext (vgl. auch Beaver 2001, Heim 1983 und Schlenker 2008).

Handelt es sich nun bei der Anforderung an den Common Ground um ein geeignetes Kriterium zur Unterscheidung zwischen pr¨asupponierten und nicht-pr¨asupponier-ten Inferenzen? Ein pragmatischer Pr¨asuppositionsbegriff w¨urde vorhersagen, dass pr¨asupponierte Bedeutungsaspekte immer eine im Common Ground bereits enthal-tene Information ausdr¨ucken. Dass dies nicht auf alle [−at-issue]-Inferenzen zutrifft, haben wir bereits in Abschnitt 3.1.1 gesehen. Hier wurde argumentiert, dass ap-positive Relativs¨atze nicht pr¨asupponiert sind, obwohl sie immer [−at-issue]-Inhalt ausdr¨ucken, da sie keine im Kontext vorerw¨ahnte Information ausdr¨ucken k¨onnen, wie bereits Holler (2005, 54) und Roberts et al. (2009) gezeigt haben. Die entspre-chenden Beispiele aus (96) werden im Folgenden noch einmal wiederholt:

(148) a. #Ein Mann k¨usste eine Frau und diese Frau, die er ¨ubrigens k¨usste, war verheiratet.

b. Jap ist gerade in Indonesien. #Jap, der (¨ubrigens) gerade in Indone-sien ist, f¨ahrt gerne ans Meer.

Die Beispiele zeigen, dass anhand der Common Ground-Anforderung prinzipiell zwi-schen Pr¨asuppositionen und anderen [−at-issue]-Inferenzen unterschieden werden kann. Appositive Relativs¨atze projizieren genau wie pr¨asupponierte S¨atze, zudem k¨onnen sie nicht die aktuell relevante Q beantworten, im Unterschied zu Pr¨asuppo-sitionen darf ihr Inhalt aber nicht vorerw¨ahnt sein.

Zur Ermittlung von Pr¨asuppositionen ist die Beobachtung, dass diese immer bereits Bekanntes ausdr¨ucken, jedoch nur bedingt geeignet. So besteht h¨aufig eine Diskre-panz zwischen dem, was die Diskursteilnehmer als Teil des Common Ground

be-trachten, und dem, was ein Sprecher pr¨asupponiert. Anders formuliert sind Pr¨asup-positionen zum ¨Außerungszeitpunkt nicht immer schon bekannt, sondern k¨onnen durchaus auch neue Informationen enthalten, ein Punkt, dem in der Akkommo-dationsforschung Rechnung getragen wird. Nehmen wir beispielsweise an, dass der folgende Satz als Antwort auf die Frage, was man als gr¨oßte pers¨onliche Leistung im vergangenen Jahr betrachtet, ge¨außert wird. In einer solchen Situation muss die Pr¨asupposition keineswegs bereits Teil des Common Ground sein.

(149) Ich habe mit dem Rauchen aufgeh¨ort.

Ich habe geraucht.

Ein weiteres prominentes Beispiel f¨ur eine informative Pr¨asupposition bilden Ver-wendungen definiter NPn ohne vorherige Einf¨uhrung durch ein indefinites Anteze-dens. Die NP meine Tochter in (150) pr¨asupponiert, dass S eine Tochter hat. Der Satz kann nun aber ohne Weiteres in einem Kontext ge¨außert werden, in dem die Pr¨asupposition noch nicht Teil des Common Ground ist.

(150) Ich muss heute leider fr¨uher gehen, meine Tochter ist krank.

S hat eine Tochter.

Nach Schwarz (1998, 468) handelt es sich dabei keineswegs um marginale Ausnah-men, sondern vielmehr um die zahlenm¨aßig h¨aufigste Art der Verwendung von de-finiten NPn. ¨Uber 60 Prozent aller definiten NPn sollen demnach in Texten ohne Einf¨uhrung durch ein indefinites Antezedens verwendet werden. F¨ur eine pragmati-sche Pr¨asuppositionstheorie, deren Hauptaussage darin besteht, dass Pr¨asuppositio-nen immer im Common Ground gegeben sind, stellen derartige F¨alle eine Herausfor-derung dar. Verwendungen von definiten NPn ohne Antezedens werden gew¨ohnlich unter dem Begriff des Bridging analysiert. Eine wichtige Beobachtung hierbei ist, dass eine definite NP ohne indefinites Antezedens ¨uber eine Relation mit dem vor-herigen Kontext verbunden werden muss (vgl. dazu u.a. Asher/Lascarides 1998a, Burkhardt 2005, Clark 1975, Geurts 2011 und Schwarz 2000). Beispielsweise kann die NP der Gitarrist in dem folgenden Beispiel unter Bezug auf das indirekte Ante-zedens Konzert interpretiert werden.31

(151) Ich war gestern auf einem Konzert. Der Gitarrist hat sich st¨andig verspielt.

Auch faktive Komplements¨atze, welche in der Literatur unkontrovers als pr¨asuppo-niert angesehen werden, k¨onnen eine neue Information einf¨uhren. Die ¨Außerung des folgenden Satzes w¨are laut Roberts et al. (2009) sogar markiert, wenn die eingebet-tete Proposition bereits im Common Ground gegeben w¨are.

31Burkhardt (2006) hat gezeigt, dass sich solche Verwendungen definiter NPn im EEG-Experiment

¨ahnlich wie diskursneue Referenten verhalten, indem sie eine verst¨arkte P600 ausl¨osen. Dies widerspricht der Ansicht, derzufolge Pr¨asuppositionen immer gegeben sein m¨ussen. Gleichzeitig konnte Burkhardt (2006) aber auch nachweisen, dass gebridgte NPn auch Eigenschaften mit bekannten Referenten teilen, indem sie eine abgeschw¨achte N400 aufzeigen.

(152) We regret to inform you that your project has not been selected for further review.

Auch sententiale Pr¨asuppositionen k¨onnen demnach ¨ahnlich wie definite NPn ver-wendet werden, ohne im Common Ground gegeben zu sein. U.a. Irmer (2009) ar-gumentiert dabei daf¨ur, dass Bridging-Relationen nicht nur bei der Referenz auf Entit¨aten, sondern auch bei der Referenz auf Ereignisse eine Rolle spielen k¨onnen.

Asher/Lascarides (1998b) und Asher/Lascarides (2003) formulieren die Idee, dass alle informativen Pr¨asuppositionen wie definite NPn ¨uber eine Relation mit einem indirekten Antezedens verkn¨upft werden m¨ussen, um interpretierbar zu sein, im Rahmen der Diskursrepr¨asentationstheorie SDRT aus, was im folgenden Abschnitt noch genauer diskutiert wird.

Abgesehen von Untersuchungen zu definiten NPn liegen bislang keine systematischen Korpusstudien dar¨uber vor, wie h¨aufig Verwendungen von informativen Pr¨asuppo-sitionen sind. Dies liegt wohl daran, dass sich nur sehr schwer untersuchen l¨asst, ob der Inhalt von beispielsweise einem faktiven Komplementsatz gegeben ist oder nicht. So besteht der Common Ground ja nicht nur aus bereits gemachten ¨ Außerun-gen, sondern auch aus situativem, Kontext- und Weltwissen. Beispielsweise kann die durch ein faktives Verb ausgel¨oste Pr¨asupposition in A’s ¨Außerung in (153) auch deiktisch verankert werden.

(153) Kontext: A kommt in den Flur und sieht, dass B gerade seinen Mantel anzieht.

A: Ich bedaure, dass du schon gehst.

Gauker (1998) sieht in der Existenz informativer Pr¨asuppositionen einen Grund, Common Ground-Theorien zur Beschreibung von Pr¨asuppositionen generell zu ver-werfen. Andere dagegen sehen darin kein grunds¨atzliches Problem, sondern versu-chen stattdessen, diese Verwendungen als Sonderf¨alle zu analysieren. Informative Pr¨asuppositionen werden hierbei typischerweise unter dem Begriff der Akkommoda-tion behandelt. Lewis (1979, 340) schreibt hierzu:

”If at time t something is said that requires presupposition P to be acceptable, and if P is not presupposed just before t, then -ceteris paribus and within certain limits - presupposition P comes into existence at t.“

F¨uhrt eine pr¨asupponierte Proposition eine neue Information ein, f¨ugen die Diskurs-teilnehmer diese demnach gew¨ohnlich ohne umst¨andingen Grounding-Prozess dem Common Ground hinzu. Zu kl¨aren ist dabei, welches die Bedingungen sind, unter denen eine Pr¨asupposition akkommodiert werden kann.

Um den pragmatischen Begriff der Sprecherpr¨asupposition trotz der genannten Ge-genbeispiele aufrechtzuerhalten, ver¨andert u.a. Stalnaker (1974) den Gegebenheits-begriff dahingehend, dass eine Pr¨asupposition gegeben sein muss oder zumindest von S als gegeben dargestellt wird. Bezogen auf Beispiel (149) bedeutet dies, dass die pr¨asupponierte Proposition S hat geraucht von S als gegeben dargestellt wird, auch wenn sie noch nicht zum Wissen von A geh¨ort. Eine solches Vorgehen ist vor

allem dann m¨oglich, wenn die Information nebens¨achlich und zu einem gewissen Grad erwartbar ist und demnach ein umst¨andlicher Grounding-Prozess umgangen werden kann.

Die pragmatische Pr¨asuppositionstheorie muss in der Lage sein, vorherzusagen, un-ter welchen Umst¨anden die Akkommodation einer Pr¨asupposition m¨oglich ist und wann nicht. Untersuchungen zu diesem Punkt liegen insbesondere f¨ur die Verwen-dung von gebridgten NPn vor. Die DiskursanbinVerwen-dung von satzwertigen Pr¨asuppo-sitionen ist dagegen weniger gut untersucht und soll am Beispiel von temporalen Adverbials¨atzen in Teil III diskutiert werden.

Stimmt der Common Ground-Ansatz, d.h., dr¨ucken Pr¨asuppositionen tats¨achlich eine gegebene Information aus oder m¨ussen andernfalls akkommodiert werden, soll-ten sich Beispiele konstruieren lassen, in denen Akkommodation nicht m¨oglich ist.

Hierzu f¨uhrt von Fintel (2000) den Pr¨asuppositionausl¨oser too an, der nie akkom-modiert werden kann. So kann in dem folgenden Beispiel die durch too ausgel¨oste Pr¨asupposition nicht verarbeitet werden, wenn sie sich nicht auf eine bereits bekann-te Information im Common Ground bezieht:

(154) John can’t come to the meeting tonight. He is having dinner in New York, too.

Als Kritikpunkt k¨onnte man an dieser Stelle anf¨uhren, dass es sich bei too, oder analog dazu beim deutschen auch, um einen Ausdruck handelt, der semantisch un-terspezifiziert ist und aus diesem Grund ¨ahnlich wie Pronomen nie akkommodiert werden kann. Andere Pr¨asuppositionen, wie beispielsweise faktive Komplements¨atze, verf¨ugen dagegen ¨uber einen reichen semantischen Inhalt, so dass Akkommodation meist m¨oglich ist. Die Frage ist nun, ob sich auch f¨ur solche Pr¨asuppositionen Kon-texte finden lassen, in denen eine Akkommodation unm¨oglich ist. Bekannt sind die Beispiele, in denen der Gebrauch einer definiten NP ohne Antezedens ausgeschlossen ist. In dem folgenden Beispiel kann keine Relation zwischen dem Arzt und dem Dis-kurskontext hergestellt werden, weswegen der zweite Satz in diesem Zusammenhang keine wohlgeformte ¨Außerung bildet.

(155) Ich war gestern auf einer Hochzeit. #Der Arzt trug einen gelben Anzug.

Auch in dem folgenden Beispiel kann die durch den Spaltsatz ausgel¨oste Pr¨asuppo-sition Jemand hat den Kuchen aufgegessen ohne weiteren Kontext nicht akkommo-diert werden.

(156) A: Was ist passiert?

B: #Es war Klaus, der den Kuchen aufgegessen hat.

Die Beispiele zeigen, dass Akkommodation nicht immer m¨oglich ist. Das spricht daf¨ur, dass Pr¨asuppositionen tats¨achlich einem Common Ground-Constraint unter-liegen. Die F¨alle, in denen sie informativ sind, d.h. neue Informationen einf¨uhren, unterliegen strengen Bedingungen. Der Prozess der Akkommodation ist demnach keineswegs eine Reparaturstrategie, die in allen F¨allen herangezogen werden kann,

in denen eine scheinbare Ausnahme zur Theorie vorliegt. Im Gegenteil - eine aus-gereifte Akkommodationstheorie sollte in der Lage sein, die F¨alle vorherzusagen, in denen die Verwendung eines Pr¨asuppositionsausl¨osers zu Unregelm¨aßigkeiten f¨uhrt.

Die Beobachtung, dass Pr¨asuppositionen bereits im Common Ground gegeben sind, eignet sich nur bedingt zur Abgrenzung von [−at-issue]-Inhalten. Wir k¨onnen zu-mindest festhalten, dass Inferenzen, die wie appositive Relativs¨atze nicht vorerw¨ahnt sein k¨onnen, eindeutig nicht pr¨asupponiert sind. Dies ist im Einklang mit der An-nahme, dass nur eine Untermenge der [−at-issue]-Inferenzen pr¨asupponiert ist. Um-gekehrt kann aber nicht geschlossen werden, dass nur S¨atze, die eine bereits gegebe-ne Information ausdr¨ucken, pr¨asupponiert sind. Als Kriterium zur Ermittlung von Pr¨asuppositionen ist die pragmatische Anforderung an den Common Ground dem-nach nicht pr¨azise genug, da zahlreiche F¨alle von informativen Pr¨asuppositionen, deren Inhalt akkommodiert werden muss, vorliegen. Um dennoch zwischen Pr¨asup-positionen und nicht-pr¨asupponierten ProPr¨asup-positionen unterscheiden zu k¨onnen, ist es wichtig, die dem Prozess der Akkommodation zugrundeliegenden Regeln heraus-zuarbeiten. Pragmatische Ans¨atze sind da h¨aufig nicht pr¨azise genug, indem sie davon ausgehen, dass erwartbare, unkontroverse Informationen einfach akkommo-diert werden (so beispielsweise Lewis 1979). Eine genaue Ausbuchstabierung der Regeln, welche die Akkommodation von Pr¨asuppositionen restringieren, wird erst in der anaphorischen Pr¨asuppositionstheorie geleistet, welche im Folgenden disku-tiert wird.