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Sprache als Mittel zur Objektivierung: Zum sozialkonstruktivistischen Ansatz von

4.   Sprache als mentale Verarbeitung von gesellschaftlicher Wirklichkeit: Von Wilhelm von

4.2.   Anteil der Sprache am Prozess der Konstruktion der sozialen Wirklichkeit: Zur

4.3.3.   Sprache als Mittel zur Objektivierung: Zum sozialkonstruktivistischen Ansatz von

Im Kontext von Strukturalismus, Poststrukturalismus und interpretativer Hermeneutik haben Ansätze zur Konstitution von Sinn im subjektiven Bewusstsein und zur Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit bzw. der institutionellen Ordnung, darunter auch Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit von P. Berger und T. Luckmann, Anfang der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts nicht nur verschiedene Paradigmen herausgebildet, sondern auch die theoretischen Perspektive der Sozialwissenschaft ebenso wie ihrer Nachbardisziplinen, darunter auch der Sprachwissenschaft, grundlegend verändert. Anders als bei Humboldt in den vorausgehenden Ausführungen sollte hier die Beschäftigung mit sprachsoziologischen Fragestellungen eher dazu dienen, die Prozesse und Inhalte der gesellschaftlichen Wissensvermittlung bzw. Prozesse der Externalisierung, Objektivierung und Internalisierung von gesellschaftlichen Wirklichkeiten bzw. Ordnungen besser zu beleuchten. Mit anderen Worten wird hier die These vertreten, dass die soziale Wirklichkeit nicht objektiv gegeben ist, sondern sozial konstruiert wird. Dabei spielt die Sprache als wirklichkeitsdefinierendes und wirklichkeitsveränderndes Regelsystem eine zentrale Rolle.

Dass die soziale Wirklichkeit eine kollektive bzw. eine von Menschen geschaffene und akzeptierte Wissenskonstruktion bzw. eine Sinnwelt ist, die in Prozessen interaktiver und kommunikativer Objektivierung entsteht, weiß man spätestens seit den Arbeiten des deutschen Philosophen Karl Marx (1818 - 1883). Wie wird ein bestimmtes menschliches und subjektives Wissen zu einer gesellschaftlich etablierten und sprachlich objektiven Wirklichkeit bzw. wie ist es möglich, dass subjektiv gemeinter Sinn zu objektiver Faktizität wird, ist eine der Grundfragen, wenn nicht die Grundfrage des sozialkonstruktivistischen Ansatzes von Berger und Luckmann. Sie gehen davon aus, dass soziale Wirklichkeit immer doppelt gefasst werden muss, nämlich als objektives Faktum und als subjektiv gemeinter Sinn. Das heißt, dass der Mensch als zoon politikon69 der Konstruktion einer intersubjektiven gesellschaftlich-kulturellen Umwelt bedarf, in der neue Erfahrungen gedeutet und mit Sinn

69 Nach Auffassung von Aristoteles ist der Mensch im Unterschied zu anderen Lebewesen wie Pflanzen und Tieren ein Gemeinschaftstier sowie ein sprachfähiges Lebewesen.

versehen werden. Die Wirklichkeit der Alltagswelt, die er dann als animal symbolicum70 erlebt, erfährt und wahrnimmt, wird vor allem durch die Kommunikation als sozialer Interaktion innerhalb einer Sprachgemeinschaft erzeugt; besser gesagt, in sozialen Diskursen fabriziert.

Als wichtigstes Kommunikationsmittel des Menschen, und zwar als einziges Element, das den gesellschaftlichen Wissensvorrat und menschliches Handeln, Institutionen (als verobjektivierte Wirklichkeiten) und soziale Legitimation verbindet, führen Berger und Luckmann, das meint zumindest der Berliner Soziologe und Theoretiker moderner Gesellschaften Hubert Knoblauch (* 1959), die sozial ausgehandelte Sprache - in ihrer bedeutungsobjektivierenden Darstellungsfunktion - an, von deren Zeichencharakter, wie schon bei Saussure und - in seiner Nachfolge - die Funktionalisten, sie auch ausgehen:

Unter den Objektivationen steht besonders die Signifikation im Vordergrund, d.h. jene Zeichenform, die als Index subjektiven Sinns fungiert. Theoretisch könnte auch hier jedes Zeichensystem diese Funktion erfüllen; faktisch jedoch, so stellen Berger und Luckmann fest, genießt die Sprache einen deutlichen Vorrang.(Knoblauch, H., 1995:42)

Die Sprache ist sozial im zweifachen Sinn: als ein Netz von Bedeutungsrelationen, das dem einzelnen historisch vorgegeben ist; und als Objektivierung von intersubjektiv gültigen, auf den einzelnen ‚Zwang‘

ausübenden Handlungs- und Erfahrungsschemata.(Luckmann, T., 1979:61) Eine sich daran ausrichtende soziologische Theorie der Kommunikation betrachtet die Sprache nicht nur unter dem Aspekt ihrer formalen Struktur, sondern muss auch versuchen, den Gesamtzusammenhang ihrer gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen, die Fülle ihrer sozialen Funktionen sowie ihre konkrete Einbettung in das soziale Handeln der Individuen zu erfassen (vgl. Luckmann 1980:34). Somit stellt die Sprache, als wichtigster Typ eines Zeichensystems, Fundament und Instrument eines kollektiven Wissensbestandes, in diesem

70 Angesichts seiner Notwendigkeit und sogar Fähigkeit zur Schaffung von Objektivationen, kann der Mensch materiellen und immateriellen Gegenständen einen Sinngehalt zuordnen. Deswegen bezeichnet ihn der deutsche Philosoph Ernst Cassirer (1874 - 1945) als animal symbolicum (Cassirer, E. 1960:40).

fortwährenden und dialektischen Prozess der Nomination71 und Schaffung von Bedeutung die soziale Welt auf die Füße und spielt damit eine wesentliche Rolle innerhalb des Sozialkonstruktivismus. In ihrer wirklichkeitsgenerierenden Funktion, die natürlich gleichzeitig ein Abstraktionsprozess ist, bringt sie auch subjektive Einstellungen der Sprecher zum Ausdruck und transzendiert dabei die Differenzen zu anderen Menschen und zu anderen Ebenen unterschiedlichster Wirklichkeiten (vergangene, gegenwärtige und zukünftig-mögliche). Das heißt, sie verbindet individuelle Sprechende mit einer historischen Gemeinschaft oder, wie etwa bei Mehrsprachigen, mit einer Reihe historischer Gemeinschaften. Zur fundamentalen Leistung bzw. Schlüsselrolle der Sprache innerhalb des Sozialkonstruktivismus schreiben Berger und Luckmann:

Unter den vielen Wirklichkeiten gibt es eine, die sich als Wirklichkeit par excellence darstellt. Das ist die Wirklichkeit der Alltagswelt. Ihre Vorrangstellung berechtigt dazu, sie als die oberste Wirklichkeit zu bezeichnen.

[…] ich erfahre die Wirklichkeit der Alltagswelt als eine Wirklichkeitsordnung.

Die Wirklichkeit der Alltagswelt erscheint bereits objektiviert, das heißt konstituiert durch eine Anordnung der Objekte, die schon zu Objekten deklariert worden waren, längst bevor ich auf der Bühne erschien. Die Sprache, die im alltäglichen Leben gebraucht wird, versorgt mich mit den notwendigen Objektivationen und setzt mir die Ordnung, in welcher diese Objektivationen Sinn haben. […] Auf diese Weise markiert Sprache das Koordinationssystem meines Lebens in der Gesellschaft und füllt sie mit sinnhaltigen Objekten.(Berger, P. / Luckmann, T., 1980:24ff.)

Dieser dialektische Prozess der Herstellung objektiver gesellschaftlicher Faktizität, in dessen Verlauf Individuen kognitive Muster entwickeln, welche die Wahrnehmung und Interpretation von Situationen beeinflussen, geschieht, laut Berger und Luckmann (wie auch Abbildung 6 zeigen soll), in drei simultan ablaufenden Phasen:

71 Die Nominationsforschung beschäftigt sich mit der Formierung und Entwicklung von sprachlichen Konzepten, mit deren Hilfe wir unsere Wirklichkeit erfahrbar machen und organisieren. Solche sprachlichen Konzepte entstehen auf verschiedene Weise: z.B. durch typisierende Benennung, Umschreibung, Übertragung von anderen Konzepten, Ausdifferenzierung vorhandener Konzepte usw. und sie werden in durch den unterschiedlichen Gebrauch in lexikalischen, grammatischen und pragmatischen Zusammenhängen weiter ausformuliert und verändert (vgl. Cherubim, D., 2003).

a) Die erste Phase ist die Externalisierung als Entäußerungsprozess eines subjektiv gemeinten Sinns (Berger / Luckmann 1969:53). Es ist in der Tat die Veräußerlichung eines bestimmten Wissens, das vorher im Besitz eines Sprechers war, wodurch es für einen Hörer möglich wird, die gleichen Erfahrungen nachzuvollziehen. Durch diese Phase, die den Ausgangspunkt sozialer Wirklichkeitskonstruktion markiert, tritt dann, meistens durch den Sprechakt, das Wissen außerhalb des eigenen Selbst und erscheint dem Subjekt als objektive Gegebenheit, d.h. als eine eigene Realität.

Indem der Mensch sich entäußert, errichtet er die Welt, in die hinein er sich entäußert.(Ebd.:112)

b) Die zweite Phase ist die Objektivation als Vergegenständlichungsvorgang, durch den die Produkte tätiger menschlicher Selbstentäußerung objektiven Charakter gewinnen und für mehrere Subjekte, auch für das sprechende Subjekt, Wirklichkeit werden (vgl.

Ebd.: 64ff.). Sie setzt ein, erst wenn die Entäußerung geschehen ist und bringt - zusammen mit der Internalisierung - das hervor, was wir als gesellschaftliche Wirklichkeit erfahren. Theoretisch könnte jedes Zeichensystem die Funktion von Objektivation erfüllen, faktisch jedoch, so stellen Berger und Luckmann fest, genießt die Sprache einen deutlichen Vorrang.

c) Die dritte und letzte Phase ist die Internalisierung (Aneignung des objektivierten Wissensvorrats in der Sozialisation, etwa in Form von Normen, Rollen und deren Verhaltensmustern) der gesellschaftlich konstruierten Wirklichkeit durch die Gesellschaftsmitglieder, die Berger und Luckmann als die „Einverleibung, durch welche die vergegenständlichte gesellschaftliche Welt im Verlauf der Sozialisation ins Bewusstsein zurückgeholt wird“ bezeichnen (vgl. Berger / Luckmann 1980:65).

Menschen werden somit Produkte der Gesellschaft, die sie selbst konstruieren;

Aufgrund von Externalisierung ist die Gesellschaft Produkt des Menschen.

Aufgrund von Objektivierung wird sie Wirklichkeit sui generis. Aufgrund von Internalisierung ist der Mensch Produkt der Gesellschaft.(Ebd. 20)

Abbildung 3: Prozess der sozialen Wirklichkeitskonstruktion nach Berger / Luckmann

Somit wird die sprachlich konstruierte Wirklichkeit immer schon eine geordnete und gedeutete, in Form von Erfahrungsschemata internalisiert und tradiert wird, in spezifischen öffentlichen Situationen an sich meistens sehr regulativ wirkt und demzufolge Sinn und Orientierungen in der Gesellschaft stiftet, die als selbstverständlich und allgemeingültig angenommen werden. Ganz im Gegenteil existiert die durch Kommunikation konstruierte Wirklichkeit, die dem sprechenden Subjekt dabei hilft, sich in sozialen und kommunikativen Situationen und Kontexten neu zurecht zu finden, nicht unabhängig und außerhalb des sprechenden Subjekts selbst, sondern sie ist immer schon durch Denkvorgänge geprägt. Das heißt, das sprechende Subjekt verlässt sich schon bei diesem Prozess der Wirklichkeitskonstruktion - wie wir es im nachfolgenden Abschnitt erfahren werden - auf die Aktivitäten seines Gehirns, angesehen als informationell geschlossenes System, in dem Wissen verarbeitet und Wirklichkeit konstruiert wird.

4.3.4. Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit als