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Bühlers relativ späte Rezeption und die Entwicklung der modernen Pragmatik in der

3.   Die funktionale Betrachtung von Sprache: Von der Prager Schule bis zur sog

3.6.   Bühlers relativ späte Rezeption und die Entwicklung der modernen Pragmatik in der

Der Beginn der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts war in der germanistischen Sprachwissenschaft geprägt von der intensiven Rezeption der Saussureschen Strukturalen Sprachwissenschaft sowie der Chomskyschen Generativen Transformationsgrammatik; zwei sprachtheoretischen Ansätzen, die sich nicht auf Texte oder Corpora stützten, sondern vor allem durch die Ausblendung von kommunikativen Prozessen gekennzeichnet waren, die in Sprecher und Hörer ablaufen. Die frühen siebziger Jahre hingegen markierten den Anfang eines Umdenkungsprozesses, der nicht nur ein Wiederanknüpfen an die phänomenologische und gestaltpsychologische Tradition der dreißiger Jahre darstellte, sondern auch dem zu sehr idealisierten bzw. entpragmatisierten Sprachsystem der strukturalen Sprachwissenschaft oder der generativen Transformationsgrammatik die Realität des konkreten Sprachgebrauchs in ihren unterschiedlichsten Varianten und Variationen gegenübergestellte, demzufolge Sprache in bestimmten Situationen und zu bestimmten Zwecken untersuchte. Zu diesem zunächst zögernd, dann immer rascher wachsenden wissenschaftlichen Interesse an pragmatischen Fragestellungen seitens vereinzelter Sprachwissenschaftler kam die relativ späte Wiederentdeckung des weitgehend unbeachteten, doch als bahnbrechend gewürdigten Œuvres des lange in Vergessenheit geratenen K. Bühler; speziell der bis dato in ihrer Wirkung zunächst stark behinderten (vgl. Ehlich / Meng 2004) Sprachtheorie aus dem Jahre 1934 durch den Wiener Sprachpsychologen F. Kainz und deren 1969 erschienene Rezension durch den damaligen Berliner Sprachwissenschaftler Dieter Wunderlich (* 1937), die auf Interesse stießen. Dazu sagt K. Ehlich folgendes:

Die Bühlersche Rezeption nach 1965 zeigt vielmehr, dass entscheidende Entdeckungen Bühlers bis dahin keineswegs gewirkt hatten - nicht einmal latent.

Es ist das Zusammentreffen eines neuen Interesses an Sprache und einer nach Bühlers Tod endlich ‚zur Zeit’ kommenden Re-Publikation der Sprachtheorie, das sich als Kairos, als günstiger Zeitpunkt für eine neue und andere Lektüre erwies.(Ehlich, K.,2004:276)

Wer war also dieser K. Bühler?

B. studied medicine, psychology and philosophy at the universities of Freiburg im Breisgau and Strassburg. Beginning in 1905, he worked with psychologist O.

Külpe, founder of the ‚Würzburg school of thought psychology‘, then followed him to Bonn and later to Munich. In 1918, he was appointed professor of psychology, first at the University of Dresden, then from 1922 on at the University of Vienna. Under his direction, the Vienna Psychological Institute acquired international reputation and attracted foreign students and researchers.

In 1916, he married Charlotte B., a psychologist like himself and his most important collaborator. Because of Charlotte’s Jewish origin, the B. family had to leave Vienna in 1938 and emigrated to the USA, where B. taught at various universities and colleges. From 1945 on, the Bühlers continued working as psychologists in Los Angeles, and B. dedicated himself to research concerned with the semiotic regulation of living processes (1969).(Schlieben-Lange, B. / Friedrich, J., in: Stammerjohann, H. [ed.] 2008)

Aus dem obigen Zitat und wie bereits an früherer Stelle erwähnt, wird deutlich, dass Karl Bühler ein sprachwissenschaftlicher Außenseiter war, denn er war von der Ausbildung und dem Beruf her Psychologe und Mediziner; doch war ihm Interdisziplinarität selbstverständlich, gespeist aus genauer Kenntnis auch von Sprach- bzw.

Kommunikationswissenschaft und Philosophie. Dies erklärt die Vielschichtigkeit seines sprachtheoretischen, handlungstheoretischen und soziologischen Ansatzes;

Bühler, offenbar nicht nur ein äußerst innovativer und in einer außergewöhnlichen Weise stimulierender Wissenschaftler, sondern zugleich jemand, der ‚teamwork’ zu schätzen und für dieses wissenschaftsorganisatorische Voraussetzungen zu schaffen wusste, war auf einem inhaltlichen wie institutionellen Höhepunkt seiner Arbeit, als das politische Desaster über ihn und seine Frau hereinbrach. (Ehlich, K., 2004:273)

Damit sind die tragischen Ereignisse des Lebens von Bühler aufgerufen. Bühler war mit der Husserl-Schülerin, der Deutsch-Jüdin und Entwicklungspsychologin Charlotte Bühler, geb.

Malachowski (1893 - 1974) verheiratet. Doch aufgrund des von den faschistischen Barbaren ausgehenden, wachsenden politischen Drucks jener Zeit im Dritten Reich und in Österreich und seiner Konsequenzen für die Wissenschaft, musste das Ehepaar Bühler - wie viele deutsche Intellektuelle damals - im Herbst 1938 via Norwegen in die Vereinigten Staaten emigrieren, eine neue, fremde Wissenschaftskultur, wo ein wissenschaftlicher bzw.

psychologischer Diskurs herrschte, der weitgehend von (neo-)behavioristischen Strömungen dominiert war und wo beide Bühlers ihre wissenschaftlichen Tätigkeiten unter eingeschränkten Bedingungen fortsetzen konnten.

Überblickt man aber Bühlers akademische Tätigkeiten in den USA, so fällt auf, dass das erzwungene Aufgeben des von ihm seit 1922 besetzten Lehrstuhls für Sprachpsychologie an der Universität Wien - zu jener Zeit eine der modernsten Einrichtungen dieser Art weltweit - ein Absturz ins Nichts, das Versinken im Vergessen war46, das er nie verkraften konnte.

Anders als anderen deutschen Emigranten (Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Herbert Marcuse, Hannah Arendt, Charlotte Bühler, usw.), die zum Zeitpunkt ihrer Emigration noch relativ jung waren und rasch Anschluss fanden, gelang es dem fast schon sechzig Jahre alten Karl Bühler bei seiner Ankunft in Amerika, nicht zuletzt wegen Sprachproblemen, nicht, den Durchbruch zu schaffen bzw. Fuß zu fassen. Einer der Gründe dafür ist, dass er selber kaum auf seinen angestammten Feldern auf Englisch publizierte. Selbst nach dem Ende des zweiten Weltkrieges kehrte Bühler nicht nach Deutschland wieder zurück.

Im Zuge der Wiederentdeckung der überaus wichtigen Arbeiten von Bühler und vor allem mit der Rezension der Sprachtheorie durch Dieter Wunderlich wurde aber der Grundstein für eine neue linguistisch handlungstheoretische Forschungsrichtung gelegt, welche die Verwendung sprachlicher Mittel und Formen in erster Linie als Sprechhandlungen, als Aktualisierungen von Handlungsmustern versteht, mit denen eine subjektive Absicht und ein gesellschaftlicher Zweck umgesetzt werden (vgl. Ehlich / Rehbein 1979b, 1986). Gemeint ist hier die moderne Pragmatik, die später vor allem von Wunderlichs Schülern, K. Ehlich und J.

Rehbein, zu einer Diskursanalyse funktional-pragmatischer Prägung ausgearbeitet wurde47.

46 Erzwungenes Aufgeben, weil wenige Tage nach dem Anschluss, am 23. März 1938, das Institut nach einer Hausdurchsuchung von der Gestapo geschlossen und K. Bühler in „Schutzhaft“ genommen wurde. Seine Frau befand sich damals gerade auf einer Vortragsreise in Norwegen.

47 Hier verweise ich insbesondere auf Konrad Ehlich (2007), Sprache und sprachliches Handeln. Berlin, New York sowie auf Brünner, Gisela / Graefen, Gabriele (1994), Texte und Diskurse. Methoden und Forschungsergebnisse der Funktionalen Pragmatik. Opladen: Westdeutscher Verlag.