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Ein weiterer Bestandteil der sozialraumorientierten Sozialen Arbeit kann das Prinzip der Neuen Steuerungen gesehen werden. Steuerungstechniken müssen verwendet werden, um einen Wirksamkeitsnachweis zu ermitteln. Die Steuerungstechnik des „Controlling“ hilft der sozialraumorientierten Sozialen Arbeit einzuschätzen, wie nahe man seinen gesteckten Zielen gekommen ist, bzw. ob die Ziele vollständig erreicht wurden (Früchtel et al. 2010: 23).

Der bisherige Konsens, beziehungsorientierte und interaktive Soziale Arbeit anhand von Begleit- und Evaluationsforschung zu bewerten, wird teilweise durch neue Steuerungstechniken ersetzt bzw. ergänzt. Die betriebswirtschaftlich inspirierte Steuerungstechnik wie das „Controlling“ hilft dabei, eigene Arbeitsschritte zu reflektieren und einzuschätzen.

„Es [die Steuerungstechnik „Controlling“] systematisiert die sowieso hochreflexive Arbeit von Sozialarbeitern, verallgemeinert Einzelreflexionen auf den Abstraktionsebenen ‚Team‘, ‚Abteilung‘

und ‚Organisation‘, ist ein partizipativer Lernprozess für Leitung und Mitarbeiter, Profis und Betroffene und trägt zur Qualitätsentwicklung bei“ (Früchtel et al. 2007: 245).

2.2.2. Sozialraumorientierte Soziale Arbeit und Radikalisierungsprävention

Sozialraumorientierte Soziale Arbeit sieht sich mit Menschen konfrontiert, die (unter anderem) durch sozialräumliche Faktoren in Misslagen geraten sind und Unterstützung benötigen. Es gilt, den Sozialraum zu nutzen und zu gestalten, Ressourcen auszuschöpfen und Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Sozialraumorientierte Soziale Arbeit beschäftigt sich mit menschlichem Handeln und gesellschaftlichen Dynamiken, die den Sozialraum schaffen. Nicht vorhandene Teilhabeprozesse an der Schaffung des Sozialraums führen oft zur Abwendung der Mehrheitsgesellschaft. Menschen, die sich von der Mehrheitsgesellschaft abwenden und (oftmals) keinen Platz in dieser haben, neigen dazu, sich radikale Ideologien anzueignen. Die vorangegangenen Problemlagen stellen für die sozialraumorientierte Soziale Arbeit den zentralen Anknüpfpunkt dar. Oftmals greift die sozialraumorientierte Soziale Arbeit auf die Prävention zurück, die vorbeugend agiert um gewisse Problemlagen gar nicht erst entstehen zu lassen. Zudem können Problemlagen aufgedeckt und bearbeitet werden (vgl. Böllert 1995:

147ff).

Radikalisierungsprävention stellt eine Möglichkeit dar, die dem Phänomen Extremismus entgegenwirken kann. Prävention soll demnach verhindern, dass Menschen von definierten Normen abweichen und somit unerwünschte individuelle, soziale oder gesellschaftliche Zustände und Entwicklungen entstehen (vgl. Reicher 2015: 245). In diesem Zusammenhang muss Prävention immer auch als Herrschaftsinstrument und kritisch gesehen werden, denn individuelle Hilfen werden mit gesellschaftlichem Wohlbefinden verknüpft. Gesellschaftliche Normen und Werte werden durchgesetzt und abweichendes Verhalten von Menschen wird normiert (vgl. ebd.: 245). Prävention wird in einem pädagogischen Präventionsverständnis in drei Präventionsebenen eingeteilt (vgl. Yildirim 2016: 12). Zu diesen drei Ebenen wird im Laufe

23 des Kapitels Bezug genommen und die Rolle der sozialraumorientierten Sozialen Arbeit erarbeitet.

Um über Radikalisierungsprävention zu sprechen, muss jedoch vorab gesagt sein, dass das Feld der Radikalisierungsprävention gegen religiös begründeten Extremismus noch nicht lange eine Disziplin ist, die in der Sozialen Arbeit in Österreich berücksichtigt wird. Die damaligen militärischen Erfolge des sogenannten Islamischen Staates und die Verkündung des „Kalifats“ am 29. Juni 2014 durch Abu Bakr Al-Baghdadi führten dazu, dass westliche Länder feststellen mussten, dass sich immer mehr Jugendliche für eine Ausreise nach Syrien interessieren, um sich dort dem „heiligen Krieg“ anzuschließen. Auch in Österreich nahm man diese Entwicklung zur Kenntnis und weitete die Angebote einer Radikalisierungsprävention aus (vgl. Toprak, Witzel 2017, zit. n. Kiefer 2017: 121f).

Vor allem bei Jugendlichen sind die Felder der Schulsozialarbeit, die offene Kinder- und Jugendarbeit (OKJA), das sozialraumorientierte Streetwork und die mobile Jugendarbeit mit dem Thema des religiös begründeten Extremismus und damit einer religiösen Radikalisierungsprävention konfrontiert. Desweiteren setzen sich Felder wie Jugendcoaching, Bewährungshilfe und Jugendgerichtshilfe mit dem Phänomen auseinander und können Betroffenen in einem pädagogischen Präventionsverständnis auf unterschiedlichen Ebenen Unterstützung anbieten (vgl. Reicher 2015: 246).

Neben der Ausweitung von Radikalisierungsprävention wurde in Österreich im Dezember 2014 die Beratungsstelle Extremismus vom Träger bOJA (Bundesweites Netzwerk Offene Jugendarbeit) installiert. Die Beratungsstelle

„[...] richtet sich an Angehörige und Bezugspersonen von vermeintlich radikalisierten Personen und bietet Beratung online, telefonisch und persönlich an. Die BeraterInnen helfen, Situationen richtig einzuschätzen und unterstützen falls erforderlich bei der Umsetzung eines Unterstützungsumfeldes für eine umfassenden Deradikalisierungsprozess“ (Reicher 2015: 247).

Zudem gibt es weitere Kontaktstellen, die sich mit dem Phänomen der islamistischen Radikalisierung auseinandersetzen. Hierzu zählen beispielsweise die Kontaktstelle der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ). Seit 1. Januar 2018 betreibt die IGGÖ eine Deradikalisierungsstelle die aus einem interdisziplinären Team von Sozialarbeiter*innen, Islamwissenschaftler*innen und Psycholog*innen... besteht. Gleichzeitig soll die Kontaktstelle ein entschlossenes Zeichen gegen alle Formen von Extremismus sein (vgl. Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich 2018).

Auch die Stadt Wien entwickelte im Jahr 2014 eine Strategie gegen Extremismus und Abwertungsideologien. Das Wiener Netzwerk Demokratiekultur und Prävention (WND) arbeitet mit bereits bestehenden Einrichtungen und Strukturen die verantwortlich für die Betreuung, Beratung und Bildung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind.

Im Wiener Netzwerk für Demokratiekultur und Prävention arbeiten verschiedene Magistratsabteilungen sowie die Abteilung Recht, Psychologie, Schulsozialarbeit und die Wiener Polizei zusammen (vgl. Kinder- und Jugendanwaltschaft).

Neben professioneller Beratung hat die Radikalisierungsprävention der Offenen Kinder- und Jugendarbeit (OKJA) eine besondere Rolle. Die OKJA agiert in Lebenswelten und sozialen

24 Situationen von gefährdeten Jugendlichen und jungen Erwachsenen und kann dadurch den Zugang zu Betroffenen herstellen. Die OKJA kann frühzeitig individuell passende Präventionsmaßnahmen setzen und in problematischen Lebenssituationen angemessen intervenieren (vgl. Yildirim 2016: 15).

In der Sozialpolitik, der Sozialen Arbeit und der Pädagogik hat sich eine Dreiteilung des Begriffs Prävention durchgesetzt. Anschließend an die Impulse des Mediziners Georges Caplan wird die „[...] Minimierung allgemeiner Gesundheitsgefährdungen [...]“ (Scherr 2006, zit. n. Ziegler 2006: 146f) als primäre Prävention gesehen. Früherkennung und -behandlung als selektive und somit sekundäre Prävention. Die tertiäre Prävention konzentriert sich auf die Minimierung von Chronifizierungen, Folgeschäden und Rückfällen. Um das ursprünglich aus dem Gesundheitswesen stammende Präventionsmodell auf die Sozialpolitik und Soziale Arbeit zu übertragen, kann man festhalten, dass allgemeine Formen sozialpolitischer Einflussnahme als primäre Prävention gesehen, „[...] frühzeitige‘ Formen der Behandlung und Betreuung der sekundären und Maßnahmen zur Besserung und Nacherziehung der tertiären Prävention zugeordnet“ (ebd.:146f) werden können.

In diesen unterschiedlichen Ebenen gibt es eine Vielzahl von Ansätzen und Maßnahmen, die eingesetzt werden können und Anwendung finden (vgl. Yildirim 2016: 15). Die unterschiedlichen Ebenen werden in die universelle, die selektive und die indizierte Ebene aufgeschlüsselt. Die folgende Grafik zeigt die Gliederung nach bestimmten Zielgruppen.

Abbildung 1: Präventionspyramide (vgl. Sucht Schweiz 2013: 2)

2.2.2.1. Universelle Ebene – primäre Prävention

Primäre Prävention richtet sich nicht an eine bestimmte Zielgruppe, sondern versucht alle gesellschaftlichen Gruppen anzusprechen. Im Vordergrund steht nicht das Verhindern von unerwünschten Entwicklungen, sondern die Stärkung von bereits vorhandenen und erwünschten Haltungen. Lebensbedingungen (vor allem von Jugendlichen) sollen stabilisiert werden. Die universelle Prävention setzt auf soziale Räume, in denen sich Menschen aus

25 unterschiedlichen Milieus und verschiedener Herkunft treffen können (vgl. ebd.: 2). Die universelle Prävention konzentriert sich auf die Vermittlung von Einstellungen und Weltbildern.

Durch die erste Ebene der Prävention sollen Werte und Weltbilder gefestigt werden, „[...] die der Förderung von Lebensbedingungen und sozialen Kompetenzen, die der gesellschaftlichen Entwicklung im Sinne mehrheitlich geteilter Normen, dienen“ (Reicher 2015: 246).

Ein weiterer Aspekt universeller Prävention ist, dass der Fokus nicht auf eventuellen Defiziten der Individuen liegt. Vorhandene Ressourcen werden genutzt, um positive Entwicklungsprozesse zu fördern und diese zu stabilisieren. Durch die Vermittlung von Einstellungen und Werten soll die Partizipation der Jugendlichen gefördert werden, was ein wichtiger Baustein für spätere gesellschaftliche Teilhabe ist. Maßnahmen der universellen Prävention zielen darauf ab, dass Jugendliche einen selbstbewussten Entwicklungsprozess mit gefestigten und gewünschten Einstellungen und Werten durchlaufen. Eine gelungene primäre Prävention stärkt die Resilienz von Kindern und Jugendlichen gegen einen Radikalisierungsprozess. Kinder und Jugendliche sollen in ihrer Persönlichkeit gestärkt werden, was zu einem geringeren allgemeinen Risiko für Radikalisierungsanfälligkeit führt (vgl. Yildirim 2016: 12). Norbert Herriger fasst die primäre Prävention wie folgt zusammen:

„Aufklärung, Anleitung und Beratung sind die zentralen Angebotsformen der primären Prävention, die dazu befähigen sollen, potentiell abweichendes Verhalten ohne die Zuhilfenahme von Angeboten staatlicher Instanzen bewältigen zu können“ (Böllert 1995, zit.

n. Herriger 1986: 7f).

Primäre Prävention versucht immer eine nicht selektierte Personengruppe zu erreichen. Dies gelingt in Bezug auf Jugendliche vor allem in der Schule und im Feld der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. Die Institution Schule, die schon lange nicht mehr nur einen Bildungsauftrag, sondern auch einen Erziehungsauftrag hat, kann gute Rahmenbedingungen schaffen, um Entwicklungsprozesse zu fördern, Werte und Einstellung zu reflektieren und zu festigen und einen Raum kreieren, in dem Diskussion und Austausch stattfinden können (vgl. Sucht Schweiz 2013: 2).

Neben der Schule ist auch die Offene Kinder- und Jugendarbeit ein Feld, das primäre Prävention leisten muss. Die OKJA „[...] hat das Ziel, Jugendliche dabei zu begleiten, in der Gesellschaft bewusst und aktiv mitzuwirken [...]“ (Reicher 2015: 246).

Grundstein der Arbeit der OKJA sind fünf Prinzipien: Die Prinzipien der Offenheit, der Freiwilligkeit, der Partizipation, der Lebenswelt- und Sozialraumorientierung und der Geschlechtergerechtigkeit. Diese Prinzipien tragen dazu bei, dass die OKJA eine breite Zielgruppe erreicht und nicht selektiv Menschen ansprechen kann (vgl. Katzlinger 2015: 17).

2.2.2.2. Selektive Ebene – sekundäre Prävention

Im dreigeteilten Präventionsmodell spricht man von sekundärer Prävention, wenn „[...] sich präventive Maßnahmen – ganz gleich ob es sich um ‚beratende‘ oder ‚bessernde‘ Maßnahmen handelt – auf spezifische Akteur*innen richtet [...]“ (Scherr 2006, zit. n. Ziegler 2006: 147). Ab diesem Zeitpunkt spricht man von sogenannten gefährdeten Risikogruppen. Die sekundäre Prävention greift durch frühzeitige Interventionen gegenüber Menschen, die bestimmte

26 Risikofaktoren aufweisen, ein (vgl. ebd.: 147). Reingard Knauer vertritt die Meinung, dass Risikofaktoren dazu führen können, dass sich abweichendes Verhalten entwickeln kann (vgl.

Ceylan, Kiefer 2013, zit. n. Knauer 2006: 3).

Sekundäre Prävention soll Unterstützung in schwierigen Lebensphasen und -situationen anbieten und richtet sich immer an identifizierte Personengruppen. Selektive Prävention soll problematischem Verhalten und von gesellschaftlichen Normen abweichendem Handeln gegenüberstehen (vgl. Reicher 2015: 247). Dennoch muss auf eine Dichotomie der sekundären Prävention geachtet werden. Maßnahmen können direkter oder indirekter Natur sein. Direkte Maßnahmen richten sich, wie bereits beschrieben, an identifizierte Personengruppen. Indirekte Maßnahmen hingegen richten sich an Personen, die in engem Kontakt zur identifizierten Personengruppe stehen und mit dieser interagieren. Als indirekte Maßnahme der sekundären Prävention können beispielsweise Fortbildungen für Fachkräfte, die direkten Kontakt zu gefährdeten Menschen haben gesehen werden. Zudem wird das Beratungsangebot für Familienangehörige, Lehrer*innen, Sozialarbeiter*innen... zu den indirekten Maßnahmen der sekundären Prävention gezählt (vgl. Ceylan, Kiefer 2013: 112).

In wenigen Worten kann gesagt werden, dass sekundäre Prävention Maßnahmen umfasst, die einen ersten Radikalisierungsprozess frühzeitig erkennen und bearbeiten. Es wird zielgruppenspezifisch gearbeitet und in erster Linie mit Menschen, die einer gewissen Risikogruppe zugeordnet werden können (vgl. Yildirim 2016: 13).

Die im Dezember 2014 gegründete Beratungsstelle Extremismus kann als Instrument der sekundären Prävention gesehen werden. Schlüsselpersonen, die mit gefährdeten Menschen arbeiten oder eine andere Beziehung zu Betroffenen pflegen, werden beraten, um Situationen besser einschätzen zu können und sonstige Unterstützung zu erhalten (vgl. Reicher 2015:

247). Desweiteren kann im Bereich der Offenen Kinder- und Jugendarbeit mit Maßnahmen der sekundären Prävention gearbeitet werden. Besonders Jugendzentren können Schwerpunkte in ihrer Arbeit setzen und Risikogruppen ein Angebot bieten, welches aktuelle Themen aufgreift und bearbeitet (vgl. Herlyn et al. 2003: 115f). Eine weitere wichtige Säule im Feld der Radikalisierungsprävention ist die Schulsozialarbeit. Auftretende Themen von Schüler*innen können im schulsozialarbeiterischen Kontext individuell und spezifisch bearbeitet werden. Auch Thomas Schmidinger teilt die Meinung, dass insbesondere das Feld der Schulsozialarbeit sowie die OKJA einen bedeutsamen Teil zur sekundären Prävention beitragen und auf dieser Ebene einiges bewirken können (vgl. Schmidinger 2015: 114).

2.2.2.3. Indizierte Ebene – tertiäre Prävention

Die letzte Ebene der Prävention richtet sich an Menschen, die sich aktuell in manifesten Problemlagen befinden und hat zum Ziel, weitere Eskalationen (meist Straftaten) zu verhindern. Die tertiäre Prävention versucht Menschen aus extremistischen Systemen herauszulösen und eine Lebenssituation zu schaffen, die sich an gewollten, gesellschaftlichen Normen orientiert. Im Gegensatz zur sekundären Prävention, die sich mit Menschen mit Problemrisiko auseinandersetzt, werden „[...] Interventionen, die auf einer Problemdiagnose aufbauen, als ‚tertiäre Prävention‘ verstanden“ [...] (Scherr 2006, zit. n. Ziegler 2006: 147).

27 Herausforderungen der tertiären Prävention ist oftmals die Suche nach Zugängen zur Zielgruppe, da diese oftmals sehr aufwendig ist und über mehrere Jahre andauern kann.

Zudem sind Umorientierungsprozesse immer sehr langwierig und mit einem hohen Kosten- und Betreuungsaufwand verbunden (vgl. Yildirim 2016: 14).

Wie auch bei der sekundären Prävention kann zwischen indirekten und direkten Maßnahmen unterschieden werden. Zu den direkten Maßnahmen kann die Arbeit im Aussteiger*innenprogramm gezählt werden. Direkte Maßnahmen basieren auf einem direkten Kontakt zu Menschen, die zur Gruppe der Personen mit manifestem Risikoverhalten gezählt werden. Indirekte Maßnahmen umfassen, wie auch in der sekundären Prävention, Fortbildungen, Beratung von Angehörigen oder Vernetzungsmaßnahmen, die zur langfristigen Resozialisierung beitragen (vgl. Ceylan, Kiefer 2013: 114).

Maßnahmen der tertiären Prävention werden nicht mehr gesetzt, um einer eventuellen Radikalisierung vorzubeugen, sondern um weitere Straftaten bzw. eine weitere Eskalation der Situation in einem bereits sehr weit fortgeschrittenen Radikalisierungsprozess zu verhindern.

Die tertiäre Prävention konzentriert sich auf die ideologische Deradikalisierung, die individuelle Resozialisierung und Reintegration (vgl. Reicher 2015: 246).

Sowohl Holger Ziegler als auch Fabian Reicher vertreten die Meinung, dass der Präventionsbegriff kritisch gesehen und betont werden muss, dass Prävention mit Zuschreibungen arbeitet. Zudem, so Ziegler, sei der Präventionsbegriff in der Sozialpolitik, Sozialen Arbeit und Pädagogik nicht in der Lage, präventive Interventionen analytisch klar trennen zu können. Er bemängelt vor allem, dass „[...] sich personenbezogene soziale Dienste handlungspraktisch vor allem im Bereich der ‚sekundären‘ (und ‚tertiären‘) Prävention bewegen [...] (Scherr 2006, zit. n. Ziegler 2006: 147). Vor diesem Hintergrund definiert Ziegler Prävention wie folgt:

„Prävention bezeichnet Eingriffe in einen Geschehensablauf (Interventionen), die systematisch mit dem Ziel verbunden werden, die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines antizipierten, unerwünschten Phänomens zu reduzieren. Prävention ist damit eine Intervention in Phänomene, die als Risiko thematisiert werden: Sie richten sich nicht direkt auf ein Problem als solches, sondern auf die Wahrscheinlichkeit seines Auftretens. Präventiv sind demnach alle Interventionen, gleich welchen Inhalts, die auf einer ‚risikokalkulatorischen‘ Antizipation einer künftigen Entwicklung basieren, die verhindert werden soll“ (ebd.: 147f).

Während die primäre Prävention mit einer nicht selektierten Personengruppe arbeitet, werden sowohl bei der sekundären als auch bei der tertiären Prävention Zielgruppen oder Einzelpersonen identifiziert. Auf Grundlage dieser Gruppen oder Einzelpersonen werden Maßnahmen entwickelt und angewendet. Dass die sekundäre und die tertiäre Prävention mit Zuschreibungen arbeiten, bei denen Zielgruppen problematisiert werden oder ein zukünftiges problematisches Verhalten angenommen wird, wird oftmals kritisch gesehen. Zudem muss man sich die Frage stellen, welche gesellschaftlichen Institutionen Prävention implizieren, auf welcher Grundlage und von wem problematisches Verhalten definiert wird. Im Fall der islamistischen Radikalisierung kann man festhalten, dass der öffentliche Diskurs starken Einfluss hat. Negativzuschreibungen und eine Verschärfung des Diskurses allgemein dem Thema Islam gegenüber, haben Einfluss auf gesellschaftliche Zuschreibungsprozesse und auf

28 für problematisch empfundene soziale Dynamiken. Islamistische Terrorakte und populistische mediale Berichterstattung tragen dazu bei, dass der Diskurs verschärft wird und sich Menschen in ihrer subjektiven Sicherheit bedroht fühlen. Die Sozialpolitik und insbesondere die Soziale Arbeit reagieren auf gesellschaftliche Stimmungsbilder und öffentliche Diskurse, indem sie präventiv intervenieren (vgl. Böllert 1995: 121ff).

Für Michaela Glaser benötigt Prävention in allen Fällen eine besondere Begründung und Legitimation. Sie vertritt wie Holger Ziegler auch die Meinung, dass Prävention ein Eingriff in das Leben der Betroffenen ist. Weiters sieht Ziegler eine besondere Gefahr, wenn nicht ausreichend zwischen verfassungskonformer radikaler Gesellschaftskritik und menschen- und verfassungsfeindlichen Handlungen differenziert wird (vgl. Glaser et al. 2011: 17).