• Keine Ergebnisse gefunden

3.3. Methodenwahl und -begründung

3.5.1. Leitfadengestützte Expert*inneninterviews

Die Befragung von Experten eignet sich in diesem Fall besonders, da das vorab erstellte Kategoriensystem durch unterschiedliche Perspektiven der Experten* umfassend beleuchtet werden kann. Die aus dem Interview mit Pedro gewonnen sozialräumlichen Kategorien

50 werden mit Hilfe des leitfadengestützten Expert*inneninterviews weiter behandelt und erforscht. Denn nur,

„...die unmittelbar Beteiligten haben dieses Wissen, und jeder von ihnen hat aufgrund seiner individuellen Position und seiner persönlichen Beobachtungen eine besondere Perspektive auf den jeweiligen Sachverhalt“ (Gläser/Laudel 2009: 11).

Ein besonderes Augenmerk wurde auf die Auswahl der Interviewpartner* gelegt.

Unterschiedliche Professionen der Interviewpartner* ermöglichen eine differenzierte und breite Sichtweise auf den Forschungsgegenstand. Die ausgewählten Experten können mit unterschiedlichen Hintergründen, Rollen und Zugängen eine vielfältige Behandlung des Themas gewährleisten.

Die Fragen des ausgearbeiteten Leitfadens beziehen sich auf die in Kapitel 3.4.2.3. bereits erwähnten sozialräumlichen Kategorien. Die Experteninterviews thematisieren die Kategorien und beleuchten diese aus unterschiedlichen Perspektiven. Der Leitfaden wurde dennoch sehr offen gestaltet. Zunächst wurden offene Fragen gestellt, die den Interviewpartnern* die Möglichkeit geben, einen allgemeinen Überblick zum Thema der islamistischen Radikalisierung zu geben. Im Laufe des Interviews wurden an das bisher Erwähnte angepasste Fragen zu den sozialräumlichen Kategorien gestellt. Das leitfadengestützte Interview als ein Teil der qualitativen Forschung „...bietet durch die spezifische Form der Vorbereitung (der Leitfaden) hinreichend Möglichkeiten, theoretische Vorüberlegungen in der Erhebung zu berücksichtigen“ (ebd.: 115).

Die vier Experten*interviews wurden persönlich durchgeführt und mittels Tonbandaufnahme aufgezeichnet. Unter Anwendung des Transkriptionsprogrammes f5 und den Transkriptionsregeln von Dressing und Pehl wurden die Gespräche niedergeschrieben2. 3.5.1.1. Beschreibung des/r Interviewpartner*in und -situation

Durch ein bereits im Jahr 2013 geführtes Praktikum bei „Backbone 20 – mobile Jugendarbeit“

konnte der Interviewer den ersten Kontakt zu Fabian Reicher herstellen. Die erneute Kontaktaufnahme im Jahr 2018 fand über einen E-Mail-Kontakt statt. Fabian Reicher, der mittlerweile bei der Beratungsstelle Extremismus arbeitet, erklärte sich sofort für ein Interview bereit und stellte zudem den Kontakt zu Pedro her. Schon vor dem Interview mit Pedro wurde das Thema der Masterarbeit und die Themenbereiche der Interviews mit Fabian Reicher besprochen und teilweise gemeinsam erarbeitet. Das Interview mit Fabian Reicher fand am 18. Oktober 2018 statt und wurde in den Räumlichkeiten der Beratungsstelle Extremismus im zweiten Wiener Gemeindebezirk abgehalten. Das Gespräch dauerte 26 Minuten und 13 Sekunden und fand in sehr entspannter Atmosphäre statt. Als betreuender Sozialarbeit von Pedro konnte Fabian Reicher eine spannende Perspektive einbringen. Seine zusätzlich umfassende Expertise im Themengebiet stellt einen wichtigen Teil des Forschungsbeitrags dar. Der Kontakt zu Felix Lippe konnte über eine Freundin des Interviewers hergestellt werden.

Der Interviewer kontaktierte den wissenschaftlichen Mitarbeiter des österreichischen Instituts für internationale Politik via Sprachnachrichtendienst WhatsApp. Durch seine Erfahrungen als Mitarbeiter im Verein Turn – für Gewalt und Extremismusprävention kann Felix Lippe ebenso einen wichtigen und umfassenden Beitrag zur Forschung leisten. Das Interview fand beim ersten persönlichen Treffen statt und wurde in angenehmer Atmosphäre abgehalten. Durch sein Grundstudium der Psychologie konnte er psychologische Aspekte im

51 Radikalisierungsprozess miteinfließen lassen. Das Gespräch wurde in 35 Minuten und 15 Sekunden durchgeführt.

Über die österreichische Journalistin und Publizistin Livia Klingl konnte der Kontakt zu Ramazan Demir hergestellt werden. Der islamische Religionspädagoge und Imam greift auf acht jährige Erfahrung als ehrenamtlicher Gefängnisseelsorger zurück und gehört heute zu den Ehrenvorsitzenden der islamischen Gefängnisseelsorge in Österreich. Zudem unterrichtet er an der KPH Wien/Krems. Der erste Kontakt konnte über das Soziale Netzwerk Facebook aufgebaut werden und Ramazan Demir stimmte sofort einem Interview zu. Die Räumlichkeiten des Instituts islamischer Religion stellten sehr gute Rahmenbedingungen für ein angenehmes Gespräch, das sich über 16 Minuten und 41 Sekunden erstreckte. Die Beschäftigung als Gefängnisseelsorger macht Ramazan Demir zu einem interessanten Interviewpartner mit umfassender Expertise.

Der österreichische Politikwissenschaftler, Kultur- und Sozialanthropologe Thomas Schmidinger forscht an der Universität Wien und unterrichtet an zwei Fachhochschule in Vorarlberg und Oberösterreich im Fach Soziale Arbeit. Zudem ist Schmidinger unter anderem Vorstandsmitglied der im Nahen Osten tätigen Hilfsorganisation LEEZA und der Gesellschaft für kritische Antisemitismusforschung. Weiters kann er auf Erfahrung als Beirat des Österreichisch-Irakischen Freundschaftsvereins Iraquna zurückgreifen. Der Erstkontakt fand über eine E-Mail des Interviewers statt und Thomas Schmidinger erklärte sich für ein Interview bereit. Aufgrund vieler Termine konnte das Interview allerdings erst drei Monate nach dem Erstkontakt durchgeführt werden. Die umfassende, fachliche Expertise von Thomas Schmidinger war dem Interviewer sehr wichtig und stellt einen bedeutenden Beitrag zur Forschung dar. Das Gespräch fand in einem Café nahe der Universität im neunten Wiener Gemeindebezirk statt und vollzog sich über 21 Minuten und 32 Sekunden.

3.5.1.2. Datenauswertung der Expert*inneninterviews mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring

Nach der Transkription der Expert*inneninterviews wurden diese mittels qualitativer Inhaltsanalyse13 ausgewertet. Grundvoraussetzung für die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring ist ein Kommunikationsmittel, welches in diesem Fall die gemeinsame Sprache darstellt. Um leitfadengestützte Expert*inneninterviews mittels qualitativer Inhaltsanalyse auszuwerten, gibt eine systematische Vorgehensweise Struktur, welche in der folgenden Abbildung aufgeschlüsselt und im nächsten Kapitel Schritt für Schritt beschrieben wird.

13 Siehe Anhang

52

Abbildung 2: Ablauf qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (vgl. Mayring 2008: 54).

Die qualitative Inhaltsanalyse beinhaltet unterschiedliche Vorgehensschritte im Auswertungsprozess und unterscheidet sich somit von anderen hermeneutischen Verfahren.

Der vorgegebene Ablauf strukturiert den Auswertungsprozess und ermöglicht damit, „[...] dass auch andere die Analyse verstehen, nachvollziehen und überprüfen können“ (Mayring 2008:

12). Zudem zeichnet sich die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring durch eine an die Theorie angelehnte Vorgehensweise aus. Der Auswertungsprozess bezieht sich direkt auf die Forschungsfrage der Arbeit und die Ergebnisinterpretation. Im Gegensatz zu reinen Textanalysen werden bei der qualitativen Inhaltsanalyse Kommunikationsprozesse miteinbezogen und Rückschlüsse auf unterschiedliche Aspekte der Kommunikation gezogen (vgl. ebd.: 13).

Wie in Abbildung 2 zu sehen ist, liegt der Fokus der qualitativen Inhaltsanalyse auf einem Kategoriensystem. Aufbauend auf den gewonnen sozialräumlichen Kategorien vom narrativen Interview mit Pedro, konnte dieses Kategoriensystem vorab gebildet werden (vgl. Mayring 2007: 43).

„Das Kategoriensystem (als die Zusammenstellung aller Kategorien) ist das eigentliche Instrumentarium der Analyse. Mit ihm wird das Material bearbeitet und nur die Textstellenberücksichtigt, die sich auf die Kategorien beziehen“ (Baur, Blasius 2014: 544).

In einem weiteren Schritt werden relevante Abschnitte des Interviews extrahiert und den einzelnen Kategorien zugeordnet. Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Kategoriensystem als geschlossen und unveränderbar gilt. Tauchen wichtige neue Aspekte in den ExpertInneninterviews auf, kann das Kategoriensystem erweitert bzw. verändert werden (vgl.

Gläser. Laudel 2009: 200f).

53 Die Bildung eines Kategoriensystems vor dem Interview stößt häufig auf Kritik. Die Befürchtung, wesentliche Aspekte, auf Grund dieser deduktiven Vorgehensweise zu übergehen, besteht nicht zu Unrecht. Um diese Kritik zu vermeiden und im Forschungsvorhaben keine relevanten Aspekte unbeachtet zu lassen, wurden die Interviews unabhängig von dem Kategoriensystem einzeln durchleuchtet. Für neue relevante Themengebiete können neue Kategorien erstellt werden, um auch diese in der Analyse zu berücksichtigen und zu analysieren. In einem nächsten Schritt werden die Textpassagen aus dem Interview den unterschiedlichen Kategorien zugeordnet. Natürlich passen nicht alle Passagen exakt zu einer Kategorie. Es kann vorkommen das Textpassagen mehreren Kategorien zugeordnet werden müssen, da sie für verschiedene Kategorien von Bedeutung sind. Die Interpretation der Ergebnisse orientiert sich an der systematischen Vorgehensweise der qualitativen Inhaltsanalyse, allerdings wurden auch Verknüpfungen zur Grounded Theory gemacht. Im Gegensatz zur qualitativen Inhaltsanalyse werden bei dieser Methode die Konzepte „hinter“ den Daten analysiert und erfasst. Diese Verknüpfung wurde durchgeführt um sicherzustellen, dass keine relevanten Informationen, aufgrund des zuvor gebildeten Kategoriensystems, verloren gehen (vgl. ebd.: 208f).

3.5.1.3. Ablaufmodell leitfadengestützte Expert*inneninterviews

Im Folgenden wird das Vorgehen der Datenauswertung anhand der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring beschrieben. Die Vorgehensweise orientiert sich am Ablaufmodell nach Mayring (2015), Abweichungen sind in den unterschiedlichen Schritten beschrieben und durch das Forschungsdesign begründet.

Festlegung des Materials

Bei der Festlegung des Materials handelt es sich um vier qualitative Expert*inneninterviews die in Form von leitfadengestützten Interviews durchgeführt wurden. Die Interviews wurden mit folgenden InterviewpartnerInnen geführt:

Interviewpartner 1: Fabian Reicher, Sozialarbeiter bei bOJA – Bundesweites Netzwerk Offene Jugendarbeit.

Interviewpartner 2: Felix Lippe, Mitarbeiter im OIIP – Österreichisches Institut für internationale Politik. Thematische Expertise: Islamismus, Islamistische Bewegungen.

Interviewpartner 3: Ramazan Demir, Ehrenvorsitzender der islamischen Gefängnisseelsorge in Österreich, islamischer Religionspädagoge und Dozent an der KPH Wien/Krems.

Interviewpartner 4: Thomas Schmidinger, Politikwissenschaftler und Kultur- und Sozialanthropologe an der Universität Wien.

Analyse der Entstehungssituation

Die Interviews konnten durch die freiwillige Bereitschaft der Interviewpartner*innen geführt werden. Es wurde darauf geachtet, dass unterschiedliche Professionen mit unterschiedlichen Perspektiven interviewt wurden. Eine Vielzahl an unterschiedlichen Institutionen, die sich mit dem Thema der islamistischen Radikalisierung beschäftigen wurden, kontaktiert. Dabei haben mehrere angefragte Kontaktpersonen ein Interview abgesagt. Auffallend ist vor allem, dass staatliche Institutionen wie beispielsweise das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung oder die Polizeidirektion, die unter anderem im Netzwerk Demokratiekultur und Prävention (WND) mitarbeitet, ein Interview verweigert haben. Es ist

54 festzuhalten, dass es kein Interesse an der Beteiligung dieser Forschung seitens staatlicher Institutionen gibt. Obwohl von Verfassungsschützer*innen immer wieder betont wird, dass interdisziplinäres Handeln bei präventiven Maßnahmen wichtig sei, scheint es, als ob interdisziplinäres Forschen keine große Bedeutung zugesprochen wird.

Der Kontakt zu Fabian Reicher und Felix Lippe konnte über persönliche Beziehungen hergestellt werden. Der Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger und der Islamwissenschaftler Ramazan Demir wurden über E-Mails und Facebook Nachrichten erreicht und haben einem Interview zugestimmt.

Die Interviews fanden in Form von strukturierten Leitfrageninterviews statt, deren Formulierung und Struktur von Interview zu Interview variierten. Die Länge der Interviews lag zwischen 15 und 45 Minuten.

Interviewpartner Interviewlänge

Fabian Reicher 26:13 Minuten

Felix Lippe 35:15 Minuten

Ramazan Demir 16:41 Minuten

Thomas Schmidinger 21:32 Minuten

Tabelle 1: Übersicht der durchgeführten Experteninterviews

Das Interview mit Fabian Reicher fand in den Räumlichkeiten der Beratungsstelle Extremismus im zweiten Wiener Gemeindebezirk statt. Felix Lippe wurde in seinem eigenen Büro im Österreichischen Institut für internationale Politik im neunten Wiener Gemeindebezirk interviewt. Das Interview mit dem Islamwissenschaftler Ramazan Demir wurde im 23. Wiener Gemeindebezirk durchgeführt und fand in den Räumlichkeiten des Instituts islamischer Religion statt. Thomas Schmidinger wurde im Café Maximilian ebenfalls im neunten Wiener Gemeindebezirk, befragt.

Formale Charakteristika des Materials

Alle durchgeführten Interviews wurden nach Absprach mit einem Aufnahmegerät aufgenommen und anschließend nach Transkriptionsregeln von Dressing und Pehl transkribiert.

Verwendete Kürzel im Transkript:

B. = interviewte Person I. = Interviewer*in (...) = Pause

(unv.) = unverständlich (hl) = holt Luft z.B. = zum Beispiel

xxx = anonymisierte Namen von Orten und Personen

Richtung der Analyse

Es ist wichtig herauszufinden in welche Richtung die Aussagen der Experten analysiert werden. Die Masterarbeit untersucht sozialräumliche Faktoren in Wien, die zu einer islamistischen Radikalisierung führen können. Die Fragen des Leitfadens beziehen sich auf die vorab gewonnenen sozialräumlichen Kategorien. Die Experten sollten dabei Einschätzungen und Wertungen zu ebendiesen sozialräumlichen Kategorien geben. Die Aussagen sind auf die Gewichtung der unterschiedlichen sozialräumlichen Kategorien analysiert worden. Es wurde darauf geachtet, inwieweit sich Aussagen unterscheiden und welche Meinungen von mehreren Interviewpartner*innen besonders betont werden. Auch wenn sich die sozialräumlichen Kategorien in dieser Masterarbeit auf das Fallbeispiel Pedro beziehen, so können grundsätzlich Parallelen zu anderen Fällen gezogen werden.

55 Theoretische Differenzierung der Fragestellung

„Theorien, so wird häufig gesagt, würden das Material verzerren [und] den Blick zu sehr einengen“ (Mayring 2008: 57). Um das Thema der islamistischen Radikalisierung umfassend zu erforschen, bedarf es einer theoretischen Differenzierung der Fragestellung. In dieser Forschungsarbeit wird deswegen der Fokus auf die Biographie von Pedro und dessen Erfahrungen gelegt. Die Experten werden zu, von Pedro Erfahrenem befragt und sollen Einschätzungen und Wertungen zu diesen Erfahrungen geben. Professionelle Expertise wird mit sozialräumlichen Erfahrungen von Pedro verknüpft, um einen Forschungsfortschritt zu erreichen. Die ausschließliche Fokussierung auf ein theoretisches Grundgerüst zu diesem Thema ist nicht ausreichend, um den Forschungsgegenstand angemessen zu erforschen.

Die Masterarbeit soll sozialräumliche Faktoren in Wien analysieren, die zu einer islamistischen Radikalisierung führen können. Hierzu ist es wichtig, zu erfassen, in welchen sozialen Räumen sich Menschen aufhalten und was für Möglichkeiten bestehen, sich ebendiese anzueignen. Im weitesten Sinn muss dabei bedacht werden, was für Handlungsmöglichkeiten die sozialraumorientierte Soziale Arbeit hat, um sozialräumliche Verhältnisse zu verbessern und Möglichkeiten zu eröffnen. Wie kann es gelingen, sozialräumliche Angebote zu schaffen, dass das Phänomen der islamistischen Radikalisierung minimiert werden kann und Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten für Menschen entstehen.

Bestimmung der Analysetechnik(en) und Festlegung des konkreten Ablaufmodells Die qualitative Inhaltsanalyse zeichnet sich unter anderem dadurch aus, „[...] dass die Analyse in einzelne Interpretationsschritte zerlegt wird, die vorher festgelegt werden“ (Mayring 2008:

59). Der wissenschaftliche Anspruch wird durch diese systematische Vorgehensweise garantiert und ermöglicht einen Zugang, der „[...] nachvollziehbar und intersubjektiv überprüfbar [...]“ (ebd.: 59) ist.

In der Forschungsarbeit wird eine adaptierte Form der qualitativen Inhaltsanalyse verwendet, denn die Kategorienbildung wurde schon vorab durchgeführt. Das narrative Interview mit Pedro konnte verwendet werden, um sozialräumliche Kategorien zu bilden, die in weiterer Folge von Experten behandelt werden. Bei der Bestimmung der Analysetechnik unterteilt sich dieser Punkt in drei weitere Schritte: die Explikation, die Strukturierung und die Zusammenfassung. Im ersten Schritt wird weiteres Datenmaterial zur Seite gezogen, um bestimmte Textstellen genauer analysieren und beschreiben zu können. Explikation meint in diesem Schritt die genaue Beschreibung von Textstellen mit Hilfe unterschiedlicher Quellen.

Bei der Strukturierung werden Daten strukturiert und herausgefiltert. Die herausgefilterten Daten werden unterschiedlichen Kategorien zugeordnet. Im letzten Schritt werden thematische Aspekte zusammengefasst und auf einer abstrakten und überschaubaren Ebene präsentiert. Im Rahmen dieser Forschungsarbeit werden Daten den bereits gewonnen Kategorien zugeordnet und zusammengefasst. Anschließend werden diese Daten abstrahiert und in einem weiteren Schritt generiert (vgl. ebd.: 59).

Definition der Analyseeinheiten

Die Analyse der Daten wird in drei Einheiten unterteilt: die Kodiereinheit, die Kontexteinheit und die Auswertungseinheit.

Die Kodiereinheit legt fest, welches das Minimum an Materialbestand sein darf, was zur Auswertung hinzugezogen wird und wie klein Textteile sein dürfen, um Kategorien

zuzuordnen. Die Kontexteinheit konzentriert sich auf das andere Extrem und behandelt die Größe eines Materialbestandteils, die unter einer Kategorie verläuft.

Die Auswertungseinheit bestimmt die Reihenfolge der Textpassagen, die auszuwerten sind.

Bei der Analyse dieser Arbeit wurden die Fragen, die sich direkt auf die gewonnenen sozialräumlichen Kategorien beziehen, nach und nach ausgewertet. Anschließend wurden

56 die unterschiedlichen Antworten verglichen und in Bezug gesetzt. Kodiereinheit und

Kontexteinheit mussten nicht berücksichtigt werden, da die gestellten Fragen einen direkten Bezug zu den sozialräumlichen Kategorien hatten. Alle Antworten konnten den Kategorien zugeordnet und ausgewertet werden (vgl. Mayring 2008: 53).

Analyseschritte mittels des Kategoriensystems

Zusammenfassung Explikation Strukturierung

Wie bereits mehrfach erwähnt, zeichnet sich die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring besonders durch die Entwicklung eines Kategoriensystems aus. Das Kategoriensystem soll Analyseschritte erleichtern und nachvollziehbarer machen. Dabei ist jedoch wichtig, dass es keine klare Bestimmung gibt, wie das Kategoriensystem zu bilden ist (vgl. Mayring 2008: 44).

Abgestimmt auf das Forschungsvorhaben können Kategoriensysteme unterschiedlich ermittelt werden. Mayring beschreibt jedoch eine „analytisch-zergliedernde Vorgehensweise“ die anzustreben ist. Vorteil dieser Vorgehensweise ist das Zusammenführen von Inhalten, das Vergleichen und Abschätzen wird erleichtert (vgl. ebd.: 43f.). In dieser Masterarbeit wurde die Strukturierung gewählt.

„Ziel der Analyse [Strukturierung] ist es, bestimmte Aspekte aus dem Material herauszufiltern, unter vorher festgelegten Ordnungskriterien einen Querschnitt durch das Material zu legen oder das Material aufgrund bestimmter Kriterien einzuschätzen“ (Mayring 2007: 58).

Eine deduktiv-induktive Vorgehensweise wurde herangezogen, um alle relevanten Textpassagen den Kategorien zuordnen zu können. Da das Hauptkategoriensystem bereits vorab bestimmt wurde, spricht man in der Theorie von einer deduktiven Kategorienbildung.

Durch die deduktive Kategorienbildung konnten jedoch nicht alle reduzierten Textpassagen den Hauptkategorien zugeteilt werden. In einem weiteren Schritt wurde ein induktives Kategoriensystem in Form von Subkategorien gebildet (vgl. Mayring 2016: 12ff).

Code Kategorien Subkategorien

C1 Die Familie Dysfunktionale Beziehung Rebellisches Verhalten Emanzipation

Emotionale Bindung Isolierung

Abhängigkeit

C2 Die Schule Schulischer Misserfolg Gruppendynamik Perspektivlosigkeit Ausgrenzung

C3 Der Freundeskreis Gegenseitiges Beeinflussen C4 Der geographische Raum Bezirke

Parks

C5 Die „Straße“ Lebensraum

Kleinkriminelle Szene Gruppenzugehörigkeit Anerkennung

C6 Moschee/Gebetsräume Prävention

57 Moscheen an ATIB

angebunden

Schutz Abgrenzung Einschlägige

Gebetsräume

Aufenthalts- und Lebensraum Attraktives Angebot

Salafistische Propaganda Vernetzung

Isolierung C7 Religion/religiöse Praxis Identität

Zugehörigkeit Spiritualität C8 Soziale Netzwerke Propaganda

Vernetzung/Austausch Verschiebung

C9 Freizeitbeschäftigung Team-Building Attraktives Angebot Beziehungsaufbau C10 Soziale Arbeit/ Soziales

Angebot

Prävention Deradikalisierung

Tabelle 2: Kategoriensystem zur Auswertung der qualitativen Experteninterviews

Um die Nachvollziehbarkeit und die Zuordnung zu den unterschiedlichen Kategorien und Subkategorien zu veranschaulichen wurde mittels Definition der Kategorien, Kodierregeln und Ankerbeispielen ein Kodierleitfaden14erstellt. Die Ergebnisse der Auswertung werden mit der Analysetechnik „skalierende Strukturierung“, im Kapitel 3.5.2.4. Beantwortung der Forschungsfrage, dargestellt.

Rücküberprüfung des Kategoriensystems an Theorie und Material

Das erstellte Kategoriensystem wurde mit verwendeter Theorie abgeglichen und auf Relevanz überprüft. In verschiedenen Vorgesprächen mit den Experten konnte ebenfalls die Relevanz des erstellten Kategoriensystems überprüft werden. Sowohl Theorie als auch die unterschiedlichen Experten bestätigten die Richtigkeit des Kategoriensystems. Es muss aber im speziellen Fall dieser Forschungsarbeit festgehalten werden, dass sich die Kategorien auf Erfahrungen eines Aussteigers der salafistisch-djihadistischen Szene in Wien beziehen.

Ebendiese Kategorien sollen ausgewertet werden.

Interpretation der Ergebnisse in Richtung der Hauptfragestellung

Die gewonnen Ergebnisse beziehen sich direkt auf die sozialräumlichen Faktoren und sollen eine Einschätzung der Bedeutung von sozialräumlichen Faktoren im islamistischen Radikalisierungsprozess liefern. Durch professionelle Expertise der Experten kann die Forschungsfrage beantwortet werden. Zur Veranschaulichung wurde eine Tabelle im Kapitel 3.5.2.4. Beantwortung der Forschungsfrage erstellt, die die Ergebnisse skalierend darstellt.

14 Siehe Anhang

58

3.5.2. Ergebnisse leitfadengestütztes Interview

Im folgenden Kapitel werden die Ergebnisse der ausgewerteten qualitativen Interviews präsentiert. Die Einschätzungen der Experten werden für jede Kategorie zusammengefasst und gegenübergestellt. Die Beschreibung der Ergebnisse dient dem Überblick, inwieweit sich Einschätzungen unterscheiden und wo ähnliche Einschätzungen getroffen wurden.

3.5.2.1. Beschreibung der Ergebnisse

Die Familie

Alle interviewten Experten sind sich einig, dass die Familie als sozialräumliche Kategorie eine besondere Rolle im Radikalisierungsprozess einnimmt. Thomas Schmidinger und Ramazan Demir haben die Beobachtung gemacht, dass in vielen Familien, in denen sich zumindest ein Familienmitglied radikalisiert, eine Vorbildfigur fehlt. In den meisten Fällen gibt es im Familienkonstrukt keine Vaterfigur bzw. wenn, dann eine dysfunktionale Beziehung zum Vater (vgl. I:4/ Z:33f). Felix Lippe berichtet von vielen Fällen, in denen die Familie als emotionaler Anker für Betroffene von islamistischer Radikalisierung gesehen werden kann. Oftmals ist gerade die Familie der ausschlaggebende Faktor, wieso Betroffene ihre geplante Ausreise nach beispielsweise Syrien oder andere einschlägige Pläne absagen bzw. doch nicht durchführen. Zudem berichtet er ausschließlich von Familien, in denen die islamistische Radikalisierung klar abgelehnt wird. Allerdings erzählt der Mitarbeiter des österreichischen Instituts für internationale Politik auch von Einzelfällen, in denen Kinder schon im frühen Alter mit islamistischer Propaganda konfrontiert werden und in denen die Eltern den Weg in die Radikalisierung vorgeben. Es wird von Fällen berichtet, bei denen sich ganze Familien dazu entscheiden, nach Syrien auszureisen um sich dort dem Djihad anzuschließen. Hier wird Kindern, auf Grund ihres jungen Alters, keine andere Wahl gelassen, als mit der Familie mitzuziehen (vgl. I:2/ Z:53f). Der Sozialarbeiter Fabian Reicher sieht in der Familie ebenfalls eine zentrale Kategorie im Radikalisierungsprozess. Viele Jugendliche mit muslimischem Hintergrund sehen im radikalen Islamismus eine Form der Rebellion gegen ihre Eltern. Er

Alle interviewten Experten sind sich einig, dass die Familie als sozialräumliche Kategorie eine besondere Rolle im Radikalisierungsprozess einnimmt. Thomas Schmidinger und Ramazan Demir haben die Beobachtung gemacht, dass in vielen Familien, in denen sich zumindest ein Familienmitglied radikalisiert, eine Vorbildfigur fehlt. In den meisten Fällen gibt es im Familienkonstrukt keine Vaterfigur bzw. wenn, dann eine dysfunktionale Beziehung zum Vater (vgl. I:4/ Z:33f). Felix Lippe berichtet von vielen Fällen, in denen die Familie als emotionaler Anker für Betroffene von islamistischer Radikalisierung gesehen werden kann. Oftmals ist gerade die Familie der ausschlaggebende Faktor, wieso Betroffene ihre geplante Ausreise nach beispielsweise Syrien oder andere einschlägige Pläne absagen bzw. doch nicht durchführen. Zudem berichtet er ausschließlich von Familien, in denen die islamistische Radikalisierung klar abgelehnt wird. Allerdings erzählt der Mitarbeiter des österreichischen Instituts für internationale Politik auch von Einzelfällen, in denen Kinder schon im frühen Alter mit islamistischer Propaganda konfrontiert werden und in denen die Eltern den Weg in die Radikalisierung vorgeben. Es wird von Fällen berichtet, bei denen sich ganze Familien dazu entscheiden, nach Syrien auszureisen um sich dort dem Djihad anzuschließen. Hier wird Kindern, auf Grund ihres jungen Alters, keine andere Wahl gelassen, als mit der Familie mitzuziehen (vgl. I:2/ Z:53f). Der Sozialarbeiter Fabian Reicher sieht in der Familie ebenfalls eine zentrale Kategorie im Radikalisierungsprozess. Viele Jugendliche mit muslimischem Hintergrund sehen im radikalen Islamismus eine Form der Rebellion gegen ihre Eltern. Er