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Schumpeter hatte offenbar nicht das Bedürfnis, ein vollendetes in sich geschlossenes Theoriegebäude zu schaffen. In seiner Bonner Abschiedsrede im Jahr 1932 sagte er vor seinen Studenten:

„Ich wünsche nie, Abschließendes zu sagen. Wenn ich eine Funktion habe, dann die, Türen nicht zu- sondern aufzumachen, und niemals habe ich das Bestreben gehabt, so etwas zustande zu bringen wie eine Schumpeterschule. Es gibt sie nicht, und es soll sie nicht geben, sondern ich will nur, wie es mir die Stunde zuführt, Anregungen geben – gute, wenn es geht, und schlechte, wenn es nicht anders geht.“375

Wie in Bonn, so scharte Schumpeter auch in Harvard, wo er ab dem Jahr 1932 lehrte und forschte, einen illustren Kreis von begeisterten post-graduate Studenten und jungen Wissenschaftlern um sich, unter anderem die späteren Nobelpreisträger Paul Samuelson, Wassily Leontief und James Tobin, aber auch „linke“ Ökonomen wie Paul Sweezy oder Richard Goodwin.376 Dabei war Schumpeter selbst – wie Seifert betont – ein erklärter Gegner der Politik von Präsident Franklin D. Roosevelt.377

Obwohl Schumpeters Werke überwiegend ökonomische Titel tragen und er an der Harvard University im Fachbereich Wirtschaftswissenschaft lehrte, kann er nicht nur als Ökonom gesehen werden. Er übernahm Max Webers Konzept der „Sozialökonomik“, die bei Schumpeter vier Fundamente umfasste: Wirtschaftsgeschichte, Statistik, Theorie und Wirtschaftssoziologie.378 Schumpeter selbst sah dabei die Wirtschaftsgeschichte als am bedeutsamsten an.379

Schumpeter hat sich vor allem am Ende seines Lebens darum bemüht, anhand eines breiten geschichtlichen Verständnisses, das über die Wirtschaftsgeschichte hinausgeht, die verschiedenen Zweige der Sozialwissenschaften zu verbinden. Gegen Ende seines Lebens schrieb er:

„Der geschichtliche Überblick darf nicht auf rein wirtschaftliche Fakten beschränkt bleiben, sondern muss unbedingt auch ‚institutionelle’ Fakten widerspiegeln, die nicht rein wirtschaftlicher Natur sind; damit erschließt er den besten Weg zum Verständnis dafür, wie wirtschaftliche und nichtwirtschaftliche

375 Schumpeter, A.: Bonner Abschiedsrede 1932, zitiert nach: Seifert, E.: Einführung. Joseph Alois Schumpeter: Zu Person und Werk, in: Schumpeter, J.: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 8. Auflage, Tübingen: 2005, S. 13

376 vgl. Seifert, in: Schumpeter (2005), S. 11

377 vgl. Seifert, in: Schumpeter (2005), S. 10

378 vgl. Seifert, in: Schumpeter (2005), S. 13

379 vgl. Seifert, in: Schumpeter (2005), S. 13

Fakten ineinandergreifen, oder wie die verschiedenen Sozialwissenschaften ineinandergreifen sollten.“380

Für Schumpeter war das freie Unternehmertum und die Chance eines jeden, Unternehmer zu werden, entscheidend für ökonomische Prosperität. Gleichzeitig argumentierte er, sei freies Unternehmertum nur in einem freiheitlichen politischen System möglich.381 Damit zeigt sich eine klare Übereinstimmung mit Hayek und Eucken. Vor allem mit Hayeks Vorstellung der spontanen Ordnung gibt es darüber hinaus eine weitere Parallele. Diese findet sich in Schumpeters bereits erwähnten Konzept der „schöpferischen Zerstörung“, das für ihn das wesentliche Faktum des Kapitalismus ist.382 Deshalb sei ein stabilisierter Kapitalismus ein Widerspruch in sich.383 Allerdings war Schumpeter – wie in folgenden Kapiteln noch gezeigt wird – zumindest gegen Ende seines Lebens kein glühender Verteidiger der marktwirtschaftlichen Ordnung. Im Gegenteil: Er sagte voraus, dass das kapitalistische System in ein sozialistisches übergehen wird. Wie diese späten Aussagen zu werten sein werden, wird noch zu diskutieren sein.

Schumpeter hat anders als Hayek das neoklassische Paradigma niemals verworfen, sondern hochgeschätzt.384 Dennoch kommt er bereits im Jahr 1911 laut Röpke und Stiller zu viel radikaleren Schlüssen als in späteren Werken, die er entschärft habe – wohl auch zum Wohle seiner Karriere.385 Röpke und Stiller schreiben:

„Niemand – auch heute nicht – der so argumentiert wie Schumpeter 1911, hätte auch nur im entferntesten die Chance, einen Professorenruf zu erlangen.“386

Röpke und Stiller betonen, dass in Schumpeters Theorie zwei Parallelwelten existieren, nämlich der statische (stationäre) Kreislauf und das Innovationssystem, wobei beide miteinander verkoppelt sind.387 Die Aussagefähigkeit der Neoklassik endet für Schumpeter dort, wo das Innovationssystem beginnt.388 Schumpeter baut damit auf den Erkenntnissen der Österreichischen Schule auf und nimmt in gewisser Weise das vorweg, was bei Hayek

„Anmaßung von Wissen“ heißt.389

Schumpeter geht es um die Frage, weshalb sich Gesellschaften und Volkswirtschaften entwickeln. Im statischen System – also der neoklassischen Modellwelt – ändert sich im

380 Schumpeter, J.: Geschichte der ökonomischen Analyse, Bd. I, 1965, S. 43, zitiert nach: McCraw, T.: Joseph A. Schumpeter.

Eine Biographie. Übersetzt von Gerstner und Hein, Hamburg: 2008, S. 294

381 vgl. McCraw, S. 180

382 vgl. Schumpeter (2005), S. 138

383 vgl. McCraw, S. 15

384 vgl. Röpke, J. u. Stiller, O.: Einführung zum Nachdruck der 1. Auflage Joseph A. Schumpeters „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“, in: Röpke, J. u. Stiller, O. (Hg): Joseph Schumpeter: Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. Nachdruck der 1. Auflage von 1912, Berlin: 2006, S. XI

385 vgl. Röpke, J. u. Stiller, O, S. XIf

386 Röpke, J. u. Stiller, O, S. XII

387 vgl. Röpke, J. u. Stiller, O, S. XVII

388 vgl. Röpke, J. u. Stiller, O, S. XVII

389 vgl. Röpke, J. u. Stiller, O, S. XVII

Gleichgewichtszustand des Marktes oder einer Volkswirtschaft im Grunde nichts, solange nicht von außen eine ökonomische Störung erfolgt.390 Das ökonomische System selbst verfügt also über keine Impulse oder Mechanismen für Veränderungen.391 Diese können in der neoklassischen Modellwelt allenfalls von außen angestoßen werden, von Faktoren und Mechanismen jenseits der reinen Ökonomie des Gleichgewichts, so Schumpeter.392 Ein Beisiel hierfür könnte technischer Fortschritt sein, der exogen auf die neoklassische Modellwelt wirkt.

Es gibt aber neben diesem statischen System eben noch das Phänomen der Entwicklung, einen entwicklungstheoretischen Ast, die Innovationslogik.393 Die Entwicklung stört dabei das statische Gleichgewicht und führt somit auch nicht einfach ein dynamisches Gleichgewicht einfach fort, wie es die heutigen neoklassischen Wachstumsmodelle („steady-state“) suggerieren.394 Entscheidend sind also nicht makroökonomische Größen wie Investitionen und Spartätigkeit, sondern der Grad der Unternehmertätigkeit.395

390 vgl. Röpke, J. u. Stiller, O, S. XVIIf

391 vgl. Röpke, J. u. Stiller, O, S. XVIII

392 vgl. Röpke, J. u. Stiller, O, S. XIXf

393 vgl. Röpke, J. u. Stiller, O, S. XXIV

394 vgl. Röpke, J. u. Stiller, O, S. XXIV

395 vgl. Röpke, J. u. Stiller, O, S. XXIV

3.3 Schumpeters grundsätzliche Ansätze in Abgrenzung zu Eucken

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