• Keine Ergebnisse gefunden

2.2 Die Österreichische Schule der Nationalökonomie

2.2.3 Grundprinzipien österreichischen Denkens

2.2.3.7 Abgrenzung zur Neoklassik

Österreicher lehnen auch das neoklassische Axiom des rationalen, seinen Nutzen maximierenden Homo Oeconomicus ab.175 Zwar können Ökonomen nach österreichischer

166 vgl. Butler, S. 22

167 vgl. Butler, S. 44

168 vgl. Butler, S. 44

169 Mises, L.: Human Action. A Treatise on Economics. Volume 2, Neuauflage, Indianapolis: 2007, S. 270

170 vgl. Mises, Human Action, S. 275

171 vgl. Butler, S. 45

172 vgl. Mises, Human Action, S. 270f

173 Mises, Human Action, S. 269

174 vgl. Mises, Human Action, S. 278

175 vgl. Butler, S. 23

Sicht nicht den Nutzen einzelner Personen direkt beobachten, aber durch die Wahlhandlungen dieser Personen lässt sich ein Bild über die Präferenzen zeichnen.176 Durch diesen Denkansatz konnte Menger das bis heute in der Ökonomik höchst bedeutsame Prinzip des Grenznutzens entdecken, so Butler.177

Mengers Konzept des Grenznutzens fußt dabei auf der Theorie der wirtschaftlichen Güter verschiedener Ordnung.178 Unter wirtschaftlichen Gütern erster Ordnung versteht Menger Konsumgüter, also Güter, welche subjektiv die menschlichen Bedürfnisse direkt befriedigen und die deshalb im subjektiven und spezifischen Kontext jeder Handlung das letztendliche Ziel darstellen, das der Handelnde erreichen will.179 Dieses Ziel ist jedoch nur auf Zwischenetappen erreichbar.180 Menger spricht von wirtschaftlichen Gütern höherer Ordnung, wobei gilt: je höher die Ordnung, desto weiter entfernt von den Konsumgütern.181De Soto erklärt:

„Jeder Mensch, indem er handelt, versucht bestimmte Ziele zu erreichen, die er entdeckt hat und die aus irgendeinem Grund wichtig für ihn sind. Die subjektive Wertschätzung, psychologisch mehr oder weniger intensiv, die der Akteur einem Ziel verleiht, wird Wert genannt, Mittel ist alles, was der Akteur subjektiv für geeignet hält, um ein Ziel zu erreichen. Die subjektive Wertschätzung, die der Akteur dem Mittel in Abhängigkeit des Wertes des Ziels zuschreibt und mit deren Hilfe er glaubt sein Ziel zu erreichen, wird Nutzen genannt.”182

Im Unterschied zur Neoklassik betonen die Österreicher, dass der Nutzen immer höchst abhängig ist von den jeweiligen Umständen.183 Eine Regenjacke zum Beispiel dürfte von den meisten Menschen eine höhere Wertschätzung erhalten, wenn es regnet, als wenn die Sonne scheint. Das heute in den Lehrbüchern verwendete Prinzip von Indifferenzkurven ist aus österreichischer Sicht deshalb irreführend.184 Gegen diese Kritik kann man natürlich einwerfen, dass die neoklassische Sicht sich auf „Ceteris-Paribus-Aussagen” beschränkt und der Vorwurf der Österreicher deshalb nicht sticht.

Dass Vertreter der Österreichischen Schule ihre Kritik an der Neoklassik trotzdem aufrecht erhalten, liegt an der grundsätzlich unterschiedlichen Herangehensweise bei der Analyse volkswirtschaftlicher Zusammenhänge. So lehnen sie etwa die Idee des „perfekten

176 vgl. Butler, S. 27

177 vgl. Butler, S. 28

178 vgl. De Soto (2007), S. 54

179 vgl. De Soto (2007), S. 54

180 vgl. De Soto (2007), S. 54

181 vgl. De Soto (2007), S. 54

182 De Soto (2007), S. 54f

183 vgl. Butler, S. 29

184 vgl. Butler, S. 29

Wettbewerbs”, welche die Basis der modernen Lehrbücher der Mikroökonomie bildet, ab.185 Wettbewerb funktioniere gerade deshalb, weil er nicht perfekt sei – weil Produzenten, Produkte und Konsumenten heterogen sind und eben nicht homogen.186

In der Regel geht die moderne Mikroökonomik wie folgt vor: Sie nimmt zunächst perfekten Wettbewerb als Basis an. Dann fragt sie, unter welchen Bedingungen dieser Wettbewerb gestört werden könnte. Als Beispiele dienen sogenannte externe Effekte, monopolistische Strukturen oder asymmetrische Informationen. Diese Hindernisse für den Wettbewerb dienen dann wiederum als Argumente für staatliche Eingriffe. Butler schreibt:

„It makes people imagine that markets in the real world are somehow 'imperfect' and that steps must be taken to remove imperfections. It imagines that suppliers are identical, that there are no barriers to entry for new suppliers, and that profits will be whittled down by competition to some just-profitable level. So when people see that in the real world there are barriers to entry, that suppliers are not identical, and that some entrepreneurs enjoy large profits, they regard these as 'market failures' that have to be corrected.”187

So soll nach neoklassischer Auffassung der Staat als wohlwollender Diktator auftreten und etwa mithilfe einer so genannten Pigou-Steuer (benannt nach Arthur Cecil Pigou) externe Effekte wie Umweltverschmutzung internalisieren und auf diese Weise die Gesamtwohlfahrt erhöhen. Es kommt dabei nicht auf die Erzielung von Einnahmen für den Staat an, sondern auf die Lenkungswirkung der Steuer. Vor allem Ökosteuern, also Abgaben auf Benzin und Energie, können aus neoklassischer Sicht mit der Pigou-Steuer gerechtfertigt werden. Der Staat als wohlwollender Diktator führt also eine Steuer ein. Erst diese Steuer sorgt in diesem neoklassischen Modell dafür, dass der Markt effizient wird.

Aus Österreichischer Sicht ist diese Denkart abzulehnen, denn der Markt gilt in dieser Denktradition gerade als höchst effektiv, weil er die Unterschiede der Marktteilnehmer koordiniert, und nicht von homogenen Produzenten und Nachfragern ausgeht.188 Staatliche Eingriffe in dem Markt sind aus österreichischer Sicht deshalb abzulehnen.

Das unterschiedliche Verständnis des Preismechanismus beschreibt Butler wie folgt:

„In a market with millions of products traded, there will be price avalanches coming from various directions, through which producers and consumers each have to navigate across a busy station concourse, when thousands of other people are all rushing in different directions. It is a very complex process, a social

185 vgl. Butler, S. 39

186 vgl. Butler, S. 47

187 Butler, S. 39

188 vgl. Butler, S. 39

process in which people's changing value judgements will be decisive – not a process that can be described and predicted mathematically.”189

Noch deutlicher wird der Unterschied in der Frage der Information. Neoklassische Mikroökonomen beschäftigen sich in zahlreichen Modellen mit der Frage unvollständiger Informationen, und wo diese zu Marktversagen führen und deshalb staatliche Eingriffe gerechtfertigt sind. Der Ökonom Joseph Stiglitz erhielt für seine Arbeiten auf diesem Gebiet zusammen mit George Akerlof und Michael Spence im Jahr 2001 den Preis für Wirtschaftswissenschaften der schwedischen Reichsbank in Gedenken an Alfred Nobel („Wirtschaftsnobelpreis“). Anwendung finden diese Modelle zum Beispiel auf dem Markt für Versicherungen. Für Österreicher liegt gerade in der Tatsache, dass das Wissen verteilt ist, also bei niemandem vollständig vorhanden ist, das wesentliche Argument für den Markt als Koordinationsmechanismus. Noch einmal Butler:

„Much information is partial, fragmentary, inaccurate, conflicting, diffused, personal, costly to obtain and difficult to pass on. And it is because information is imperfect that markets work better than any other form of economic organisation.”190

Vor allem bei Hayek spiegelt sich in dieser Sicht der Bezug zur Klassik wider. In seinem Werk „Der Weg zur Knechtschaft” stellte er dem Kapitel „Planwirtschaft und Demokratie”

folgendes Zitat von Adam Smith voraus:

„Ein Staatsmann, der es sich einfallen ließe, Privatleuten darüber Vorschriften zu machen auf welche Weise sie ihre Kapitalien verwenden sollen, würde sich nicht allein eine höchst unnötige Sorge aufladen, sondern sich auch eine Autorität anmaßen, die keinem Senat oder Staatsrate, geschweige denn einem einzelnen Manne, ruhig anvertraut werden könnte und die nirgends so gefährlich sein würde wie in der Hand eines Mannes, der töricht und dünkelhaft genug wäre, um sich für fähig zu halten, sie auszuüben.”191

Während die neoklassische Mikroökonomie den Konsumenten statische und – im Basismodell – konvexe Präferenzen unterstellt, die der Konsument genau kennt, distanziert sich die Österreichische Schule von diesem Bild des Homo Oeconomicus: Die Präferenzen der Konsumenten sind bei Österreichern weder gegeben noch konvex. Nicht einmal der individuelle Verbraucher selbst mag sich dabei seiner eigenen Präferenzen völlig bewusst sein.192 Wie schon dargestellt, wird der Wettbewerb deshalb als Entdeckungsverfahren verstanden, auch in Bezug auf die eigenen Präferenzen.

189 Butler, S. 42

190 Butler, S. 58

191 Smith, Adam, zitiert nach: Hayek: Der Weg zur Knechstschaft, Neuauflage München: 2009, S. 82

192 vgl. Butler, S. 50

Folgerichtig besteht auch der Prozess der Investition von Kapital nicht darin, eine durch den Markt determinierte Rendite, einen „normalen Gewinn”, zu generieren; vielmehr wird Investition als sehr komplexes, riskantes Verfahren verstanden, indem die Zeit zeigt, ob ein Entrepreneur mit seinen Entscheidungen richtig lag, schließlich liegt zwischen dem Zeitpunkt der Investition und dem Zeitpunkt, an dem die ersten Gewinne eingefahren werden können, in der Regel eine gewisse Spanne.193 Für Nicht-Ökonomen mag es banal klingen, für Neoklassiker stellt es ihre Modellwelt in Frage: „However, the key thing about production, according to the Austrians, is that it takes time.”194

In diesem Sinn ist jede Produktion immer Spekulation.195 Es kann sogar noch einen Schritt weiter gegangen werden: Jede Handlung ist Spekulation.196 Die gesellschaftliche Funktion des Gewinns liegt nach Österreichischer Lesart darin, Anreize zu geben für die Übernahme von Risiken.197 Nur durch diese Übernahme von Risiken kann der Lebensstandard der Bevölkerung, der Konsumenten also, steigen.198

Ein weiterer fundamentaler Unterschied zwischen Österreichischer Schule und Neoklassik besteht in der Verwendung der komparativen Statik, wie sie in den grundlegenden neoklassischen Modellen angewandt wird. Hintergrund ist, dass es bei solchen Modellen keinen sequenziellen Ablauf von Entscheidungen gibt. In den grundlegenden mikroökonomischen Modellen wird in der Regel ein Gleichgewichtspunkt von Angebot und Nachfrage bestimmt. Für das Modell ist es aber völlig unerheblich, wie auf dem Markt dieser Punkt erreicht wird. Der sequenzielle Ablauf von Entscheidungen ist aber ein wesentliches Merkmal der Österreichischen Denkschule, die ja den Wettbewerb als Entdeckungsverfahren sieht und der zum Beispiel die Theorie eines Gleichgewichtspreises fremd ist.199 Kein Wunder, dass das walrasianische Gleichgewichtsmodell etwa bei Böhm-Bawerk wenig Anklang fand.200 Böhm-Bawerk lehnte auch die Zinstheorie eines John Bates Clark, die den Zins als Grenzprodukt des Kapitals versteht, entschieden ab: Damit könne nicht erklärt werden, warum die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Unternehmern nicht dazu führt, dass der Gegenwartswert der Kapitalgüter auf dem Markt dazu tendiert, identisch zu sein mit dem Wert des erwarteten Produkts, womit keine Wertdifferenz zwischen Kosten und Produkt im Verlaufe des Produktionsprozesses bestünde.201

193 vgl. Butler, S. 50f

194 Butler, S. 43

195 vgl. Butler, S. 51

196 vgl. Butler, S. 52

197 vgl. Butler, S. 51f

198 vgl. Butler, S. 53

199 vgl. De Soto (2007), S. 74

200 vgl. De Soto (2007), S. 68

201 vgl. De Soto (2007), S. 74

2.3 Gemeinsamkeiten von Österreichischer und Freiburger Schule

ÄHNLICHE DOKUMENTE