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Wie können die Schulchancen von Kindern mit Migrationshintergrund verbessert werden?

Im Dokument Umgang mit Heterogenität (Seite 61-65)

Die Chancen stehen schlecht für Kinder aus Zuwandererfamilien, in Deutschland einen höheren Schulabschluss zu erreichen. Das hat jetzt die PISA-Studie gezeigt. Die Bildungsbeteiligung von Jugendlichen bei denen kein Elternteil in Deutschland geboren wurde, bewegt sich sogar auf dem Niveau von 1970. Gut die Hälfte dieser Schülerinnen und Schüler besucht die Hauptschule, auf das Gymnasium schafft es nur jeder Siebte.

Gleichgültig, ob es sich dabei um Arbeitsmigranten aus Süd- und Südosteuropa, um deutschstämmige Aussiedler,

Bürgerkriegsflüchtlinge, Asylbewerber oder Zuwanderer aus der Europäischen Union und anderen Ländern handelt, für alle gilt gleichermaßen: Sprachkompetenz ist die Voraussetzung für eine angemessene Bildungsbeteiligung, die mangelnde Beherrschung der deutschen Sprache ist das alles entscheidende Hindernis, das

Schülerinnen und Schüler überwinden müssen. In Deutschland, das die Chancengleichheit zum zentralen Ziel seiner Bildungspolitik gemacht hat, scheitern laut PISA deutlich mehr Kinder und Jugendliche an dieser Aufgabe als in allen anderen OECD-Staaten.

Grund genug zu fragen, was denn getan werden kann, um die

Bildungschancen von Kindern mit Migrationshintergrund zu verbessern.

forum schule hat mit Fachleuten aus der Praxis gesprochen und gefragt, wo sie Handlungsbedarf sehen.

Horst Bartnitzky, Dezernent für Grundschulen und Migranten bei der Bezirksregierung Düsseldorf

Viele Kinder mit Migrationshintergrund haben ein dreifaches Handicap:

Erstens wachsen sie mit einer nicht-deutschen Sprache auf und sollen nun das Lesen in der fast fremden deutschen Sprache lernen. Zweitens

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erhalten sie in der Schule dafür nicht wesentlich mehr Zeit als die Kinder, für die Deutsch

Muttersprache ist. Drittens kommen viele Kinder aus schriftsprach-fernem Milieu und konnten kaum eine grundständige Lesemotivation

entwickeln, die Voraussetzung dafür ist, sich der Mühsal des ersten Lesens zu unterziehen. Was ist zu tun? Wenden wir die Handicaps ins Positive:

Lesen- und Schreibenlernen in der Sprache, die sie von Hause her kennen; Unterrichtszeit weit über die gültige Stundentafel hinaus; dabei viel Lesezeit auch zum freien Lesen, Lesezonen in der Schule, Lesestoff in beiden Sprachen. Und: Solche Leseförderung muss weit in die Sekundarstufe hinein fortgesetzt werden. (Vieles hiervon gilt übrigens nicht nur für Migrantenkinder!)

Martina Kleinewegen, Leiterin der Regionalen Arbeitsstelle zur

Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien (RAA) Mülheim an der Ruhr

Die schulischen Chancen von Migrantenkindern lassen sich vor allem durch eine möglichst frühe, bereits im Kindergarten beginnende strukturierte Vermittlung des Deutschen als Zweitsprache verbessern.

Dabei erweist sich die Einbeziehung der Eltern als großer Vorteil. In der Regel ist der Kontakt zwischen pädagogischen Fachkräften in Kindergarten und Schule und Migranteneltern äußerst dürftig und beschränkt sich oft auf negative Anlässe wie

Leistungsversagen oder Disziplinprobleme.

Konzepte, die Eltern einbeziehen und sie zu Partnern des Lernens machen, reichen von muttersprachigen Informationsabenden über Elterncafés bis hin zu so genannten Eltern- bzw.

Mütterschulen, in denen diese durch

Erfahrungsaustausch, konkrete Information, praktische Tipps Hilfen für die sprachliche Förderung im Elternhaus erhalten. Beispiel hierfür ist das "Rucksack"-Programm der nordrhein-westfälischen RAA, in dem Mütter zu semi-professionellen Sprachvermittlerinnen geschult werden.

Ein weiteres Projekt ist das "Styrumer Modell" in Mülheim an der Ruhr, bei dem sich Mütter deutscher wie zugewanderter Kinder mit

Sprachförderbedarf in der "Müttergruppe" treffen und dort den Unterrichtsstoff der Kinder sowie Methoden der Sprachförderung kennen lernen.

Christina Schichtel-Winkler, Didaktische Leiterin der Gesamtschule Duisburg-Marxloh

Ich unterrichte eine 5. Klasse mit 28 Schülerinnen und Schülern, 23

davon mit Migrationshintergrund. Trotz langjähriger Erfahrung mit solchen und ähnlichen Lerngruppen muss ich feststellen: Angesichts dieser Klassengröße ist es unmöglich, den Kindern ein konsequentes und umfassendes Sprachlernen zu ermöglichen. Nötig wären

individuelle Lernstandsdiagnosen und Lernentwicklungsplanungen, vor allem aber größere Redeanteile und Schreibanlässe in Dialogsituationen mit persönlichen

Rückmeldungen für jeden einzelnen. Klassen an solchen Standorten brauchen in der Regel besondere Klassengrößen. Lerngruppen mit jeweils etwa 15 Kindern sind angemessen. Doch wird der Unterricht nicht a priori besser, wenn die Klassen kleiner sind. Auch der Unterricht muss sich ändern. Deutsch wird normalerweise von ausgebildeten Fachlehrerinnen und Fachlehrern unterrichtet. Deutsch als Zweitsprache ist jedoch nur selten ein

Schwerpunktgebiet an der Uni und spielt in der 2. Phase der

Lehrerausbildung keine Rolle. Dies verschärft aber perspektivisch die Problemlage nochmals. Außerdem sind Fortbildungsangebote für

amtierende Lehrkräfte gekürzt worden. Sie müssen jetzt landesweit neu konzipiert und endlich wieder auf den Weg gebracht werden. Hinzu kommt ein dritter Punkt: Schulen mit hohem Migrantenanteil ziehen vor allem in schulscharfen Einstellungsverfahren zumeist den Kürzeren. Der Ruf des Stadtteils und das fehlende Renommee der Schule wirken als Ablehnungsgrund. Wir brauchen im Grunde Pädagogen, die bereit sind, an diesen Standorten mit den besonderen Bedingungen freiwillig zu arbeiten. Ich wünsche mir Lehrkräfte, die sich in beiden Sprachen uneingeschränkt und frei bewegen können. Und warum startet das Land nicht eine werbewirksame Initiative, die für pädagogisch Interessierte die Zukunftschancen und Arbeitsplatzperspektiven in den

Problemstadtteilen der Großstädte aufzeigt?

Marie-Luise Tigges, ehemals Leit- und Beratungsstelle für spätausgesiedelte und asylberechtigte junge Menschen in NRW, Paderborn

Seit Jahrzehnten besitzen internatsgestützte Förderschulen Erfahrungen in der Beschulung von jugendlichen Spätaussiedlerinnen und

Spätaussiedlern sowie anderen Zuwanderern, die als ältere

Seiteneinsteiger in die Bundesrepublik kommen. Die Praxis in diesem System zeigt, dass gute Lernfortschritte dann erzielt werden, wenn Kinder und Jugendliche in einer homogenen Gruppe unterrichtet werden.

Diese Homogenität bezieht sich auf das Alter, die Lernausgangslage sowie die Kenntnisse in der deutschen Sprache. In diesem „Schonraum“

trauen sich die Schülerinnen und Schüler ihren aktiven und passiven Wortschatz zu erproben und

zu erweitern. Denn erst wenn sie über einen soliden Grundstock an Deutschkenntnissen verfügen, überwinden sie auch ihre Hemmungen, mit anderen Deutsch zu sprechen. Diese Erfahrungen sollten in den einzelnen Schulamtsbezirken – ggf. auch bezirksübergreifend – stärker genutzt werden, als dies bisher der Fall ist. Das erfordert ein

abgestimmtes Aufnahmeverfahren der örtlichen Schulen sowie unter Umständen auch weitere Fahrtzeiten für die Schülerinnen und Schüler sowie höhere Fahrtkosten für die Kommunen.

Renate Militzer, Sozialpädagogisches Institut Köln

Seit einiger Zeit wird verstärkt darauf hingewiesen, dass Kinder aus zugewanderten Familien in besonderer Weise der Sprachförderung bedürfen. Die sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten von Kindern zu

entwickeln und zu pflegen gehört zu den Kernaufgaben des Kindergartens.

Sprachförderung ist ein zentrales Element der Arbeit von Erzieherinnen. Kindliche

Sprachprozesse zu unterstützen, bedeutet, Kindern auf der Basis ihrer individuellen

Möglichkeiten die für sie notwendige Förderung zukommen zu lassen. Ansatzpunkte für eine Sprachförderung sind von Kind zu Kind

unterschiedlich. Damit verbieten sich pauschale Förderprogramme oder Trainingskonzepte, die sich an alle Kinder einer Gruppe gleichermaßen richten. Anlass zu einer sprachlichen Förderung kann jedes Spiel oder jede Aktivität sein, soweit es die Situationen der Kinder zulassen. In ihrer Arbeit findet die Erzieherin eine Vielfalt an Materialien und Medien, die in den Spielsituationen für die Förderung der sprachlichen

Fähigkeiten genutzt werden können.

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Lesen Sie zu diesem Thema auch den Artikel "Herkunft prägt Zukunft" in dieser Ausgabe.

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Heft 1/2002

Vom schwierigen Umgang mit dem Thema Terrorismus

Nach den Anschlägen vom 11. September besteht die Gefahr, dass Lehrerinnen und Lehrer den konstruktiven Umgang mit Vielfalt aufgeben zugunsten einer unkritischen Harmonisierung von

Unterschiedlichkeit. Was wir jedoch brauchen, ist der offene Umgang mit Konflikten. Wie können Lehrerinnen und Lehrer in- und außerhalb des Unterrichts mit den Thema Terrorismus umgehen?

Längst nicht mehr dominant in den Schlagzeilen und Aufmachern der

Nachrichtensendungen ist der Terrorismus medial weitgehend

„abgearbeitet“: Die Bedrohung hat ein Gesicht bekommen, ihr wird mit militärischen und gesetzgeberischen, kriminalistischen oder

geheimdienstlichen und auch politischen Maßnahmen und Verfahren begegnet.

Wenn ein mutmaßliches Al Qaida-Mitglied von einer Hundertschaft in Mönchengladbach verhaftet wird, ein junger Araber Spezialsprengstoff in den Sohlen seiner Turnschuhe zu zünden versucht, wenn Selbstmord-Attentäter an jeder beliebigen Stelle Menschen töten können – und es z.B. in Israel auch tun –, wenn in den Medien über die „Liquidierung“

von Menschen durch gezielte Schüsse oder Raketenangriffe in den autonomen Palästinensergebieten berichtet wird und ein Terroranschlag auf das indische Parlament zur Kriegsandrohung an das Nachbarland führt, wenn gesetzliche Änderungen zur Fahndungserleichterung und vieles mehr beschlossen werden, dann werden einige Facetten der Konflikt- und Problemdimensionen offensichtlich, die Schule aufgreifen muss. Einige Aspekte sollen hier angesprochen werden.

Der „Kampf der Kulturen“ von Samuel Huntington steht seit dem vergangenen September auf den Bestsellerlisten, während Übergriffe auf Muslime und auf arabisch aussehende Menschen aus vielen

„zivilisierten“ Ländern gemeldet werden. Sogar in den multikulturellen Niederlanden zeigt sich, wie zerbrechlich das Miteinander der Kulturen

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