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Im Blaumann an der Werkbank Das Lehrerbetriebspraktikum

Im Dokument Umgang mit Heterogenität (Seite 79-83)

Raus aus der Schule, rein in den Betrieb: Lehrerbetriebspraktika erweitern den Horizont und erhöhen die Glaubwürdigkeit.

Welche Erfahrungen haben Lehrerinnen und Lehrer gemacht?

Was haben sie mitgenommen in ihren Schulalltag? Und wie sollte das Praktikum aufgebaut sein, damit es Sinn macht?

Ihr eigenhändig gefeiltes Metallkästchen hat Elvira Spohr aufgehoben.

„Jetzt weiß ich, wie wichtig sorgfältiges und genaues Arbeiten für Industriemechaniker ist.“ Die Lehrerin an der Ursula-Kuhr-Hauptschule in Köln-Heimersdorf absolvierte ihr einwöchiges Betriebspraktikum bei den GEW (Gas-, Elektrizitäts- und Wasserwerken) in Köln. Wie ihre Schülerinnen und Schüler im Praktikum lernte sie in der

Metallwerkstatt, ein Kästchen nach Plan herzustellen und einen Würfel aus Kupferdraht zu löten. Einen Tag lang informierte sie sich im Lager über die computergesteuerte so genannte Chaoslagerhaltung: „Früher war das Muskelarbeit, heute reine Logistik.“ Als eine Herausforderung empfand Elvira Spohr es, als sie an einem Einstellungstest für

Industriemechaniker teilnehmen durfte. Dabei fühlte sie sich „furchtbar“

und litt unter „Versagensangst“. Seitdem kann sie sich noch besser in ihre Schülerinnen und Schüler hineinversetzen. Im Unterricht legt sie verstärkt Wert auf simulierte Testsituationen – und auf Fächer wie Geometrie und die Grundrechenarten, „egal, was im Lehrplan steht, denn sonst haben die Kinder keine Chance.“

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Zu ihren wichtigsten Erkenntnissen gehörte die hohe Wertschätzung von Tugenden wie Pünktlichkeit, Sauberkeit, Freundlichkeit. Apropos Zuverlässigkeit: Von den sechs bei den GEW zum Einstellungstest geladenen Jungen erschienen nur vier, davon zwei verspätet.

Elvira Spohr wollte einmal den Praktikumsalltag ihrer Schülerinnen und Schüler erleben und dazu ein präziseres Bild gewinnen von den

Anforderungen in deren künftigen Lehrberufen. „Dann bin ich als Lehrerin doch viel glaubwürdiger.“

Die „Beratungskompetenz beim Prozess der Berufswahlorientierung zu erhöhen“ ist eines der formulierten Ziele des Runderlasses des

Bildungsministeriums zur Berufswahlorientierung vom 23. September 1999. Das Lehrerbetriebspraktikum gibt es schon lange, „durch den Erlass wurde es auf `festere Füße` gestellt“, so Gudrun Ramthun, Geschäftsführerin des Studienkreises Schule/Wirtschaft NRW in

Düsseldorf. Wie häufig diese Fortbildung in Anspruch genommen wird, ist regional unterschiedlich. Städte wie Aachen oder Bielefeld haben z.B.

eine lange Tradition. Mitverantwortlich für die Organisation sind die in jedem Schulamtsbereich gegründeten „Beiräte Schule und Beruf“. Diese Beiräte setzen sich zusammen aus Vertretern der verschiedenen

Schulformen, der IHK, der Handwerkskammern, der Gewerkschaften, des Arbeitsamtes und der Arbeitgeberverbände. Ihre Motivation, sich in diesem Feld zwischen Schule und Berufsleben zu engagieren, ist u.a.

„die Klage der Firmen, dass viele Schüler gar nicht wissen, worauf sie sich bewerben“, erläutert Andreas Willmes, der im Beirat Schule und Beruf in Gelsenkirchen die Arbeitgeberverbände vertritt. Seine

Beobachtung: Bei vielen Jugendlichen herrschten „falsche oder nur sehr vage Vorstellungen“ vor von den Inhalten des künftigen

Ausbildungsplatzes, und „das Lehrerbetriebspraktikum schließt diese Lücke zwischen Lehrplan und realer Berufs- und Arbeitswelt“.

Nicht alle Praktikanten stehen während ihrer Fortbildung auch wirklich an der Werkbank. Denn obwohl der Erlass ausdrücklich „eigene

Mitarbeit“ in den Betrieben vorsieht, sind auch andere Varianten denkbar. In dienstleistungs- und entscheidungsorientierten Berufen beispielsweise ist die praxisnahe Mitarbeit nur schwer zu realisieren. „In einem Konzern wie ABB ist die Arbeit so hochkomplex, da ist man eher

`Sand im Getriebe`“, sagt Elke Kettel-Rulcovius, die gemeinsam mit der Berufsberaterin Ingrid Hackner vom Arbeitsamt Essen ein

fünftägiges Praktikum bei dem internationalen Technologie-Konzern in Essen ableistete. Die Lehrerin des Krefelder Ricarda-Huch-Gymnasiums entschied sich bewusst gegen die „Arbeit an der Werkbank“, da ihr die Schlüsselloch-Perspektive zu wenig Überblick bot: Sie erhielt Einblick in allgemeine Zusammenhänge, aktuelle Entwicklungen und betriebliches Arbeiten bei ABB über Hospitationen und Interviews mit

Gesprächspartnern aus der Entscheidungsebene. Elke Kettel-Rulcovius ist von den Ergebnissen ihres Praktikums begeistert. Dabei hebt sie besonders die Bedeutung von Schlüsselqualifikationen hervor: soziale

Kompetenz, Kritikfähigkeit, Zeitökonomie. Dem Bedarf an einem

Trainingsfeld für eben diese Qualifikationen werde die Schule mit ihrem meist stoff- und fachorientierten Frontalunterricht häufig nicht gerecht.

Die Fähigkeit zu Kritik und Selbstkritik, Teamfähigkeit,

Kompromissfähigkeit, all das übt Elke Kettel-Rulcovius mit ihren

Schülerinnen und Schülern verstärkt in Projekten und bezieht sie in die inhaltlichen Planungen und vor allem das Zeitmanagement ein: „Mit dieser Transparenz verpflichte ich auch mich selbst.“ Ihre Schülerinnen und Schüler reagieren auf das Engagement ihrer Lehrerin mit einer entsprechend motivierten Mitarbeit. Sie formulieren Ziele, sammeln selbstständig Materialien und werden so zu Experten in den jeweiligen Themenbereichen. „Jetzt kann ich die Belohnungsmomente des

Lehrberufs wieder besser erkennen“, so Elke Kettel-Rulcovius` Fazit.

Wie lang sollte ein Lehrerbetriebspraktikum dauern?

Über eine sinnvolle Dauer des Lehrerbetriebspraktikums gehen die Meinungen allerdings auseinander. Drei oder fünf Tage? Vielleicht auch nur zweitägige Hospitationen? In der Praxis werden gegenwärtig eher kürzere Praktika organisiert. So lädt der Beirat Schule und Beruf in Gelsenkirchen zu einem zweitägigen Berufserkundungsseminar für Lehrer aller Schulformen ein und informiert dabei über den

Wirtschaftsmarkt Emscher-Lippe. Das Schulamt Bielefeld bietet im Herbst wieder ein dreitägiges Praktikum an, eingerahmt von zwei Seminaren, Vorträgen von hochrangigen Unternehmern und einer halbtägigen Betriebserkundung in der gewählten Firma. „Drei Tage kompakt reichen im Hinblick auf den Unterrichtsausfall. Das kann man ja ruhig zwei- oder dreimal machen, denn wir bieten jedes Mal einen anderen Schwerpunkt an“, so Ulrich Wenzel vom Schulamt Bielefeld.

Für ein erfolgreiches Praktikum, egal welcher Dauer, ist es sinnvoll, sich vorher über die eigenen Erwartungen und Ziele klar zu werden, ein Gespräch mit der Personalabteilung zu führen und eventuell im Internet Fakten über den Betrieb zu recherchieren. Denkbar ist auch, wie Elke Kettel-Rulcovius, das Praktikum zu zweit zu machen: „Wir nutzten die Vorteile der Teamarbeit bei der Vor- und Nachbereitung. Und in unseren Gesprächen mit den Mitarbeitern von ABB konnten wir die

Informationsdichte zu zweit besser festhalten und analysieren.“ Die Nachbereitung umfasst einen Erfahrungsbericht und eine Diskussion mit Kollegen aus Schule und Berufsberatung: Die Eindrücke gewinnen an Klarheit und relativieren sich manchmal auch, Umsetzungsstrategien für die Schule werden erarbeitet.

Übrigens: Den Einstellungstest für Industriemechaniker hat Elvira Spohr bestanden.

Isabel Niehues

Weitere Informationen zum Artikel

Der Runderlass des nordrhein-westfälischen Bildungsministeriums (MSWF) vom 23. September 1999: "Berufswahlorientierung in der Sekundarstufe I, in der gymnasialen Oberstufe und im Berufskolleg"

ist über die Homepage des MSWF zu finden (Pfad: "Schule",

"Informationen für Lehrerinnen und Lehrer").

Das Schulamt der Stadt Bielefeld organisiert im Herbst 2002 (ein genauer Termin steht noch nicht fest) in Kooperation mit der Bielefelder Initiative Berufsausbildung ein dreitägiges

Lehrerbetriebspraktikum zum Thema PC-Einsatz am Arbeitsplatz.

Ansprechpartner: Ulrich Wenzel, Tel.: (0521) 51-2345

Der Beirat Schule und Beruf Gelsenkirchen veranstaltet am 6./7. März 2002 ein zweitägiges Berufserkundungsseminar für Lehrkräfte aller Schulformen.

Ansprechpartner: Andreas Willmes, Tel.: (0209) 945040

Das Arbeitsamt Essen vermittelt Kontakte zu Betrieben, die Praktika für Lehrkräfte anbieten. Wenn genügend Anmeldungen vorliegen, sollen Vor- und Nachbereitung gemeinsam durchgeführt werden.

Ansprechpartnerin: Ingrid Hackner: Tel.: (0201) 181-2141, E-Mail: Ingrid.Hackner@arbeitsamt.de

Gemeinsame Forderungen und Vorschläge der ARBEITGEBER KÖLN und des DGB Köln:"Fit für Ausbildung und Beruf - Die Qualifikationen von Schulabgängern verbessern" - vom Nov. 2000, aber noch immer aktuell!

Hier finden Sie Berichte über Lehrer-Betriebspraktika an der Ursula-Kuhr-Schule in Köln.

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Heft 1/2002

Reise zum Mittelpunkt der Nanowelt

Im Dokument Umgang mit Heterogenität (Seite 79-83)