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Sadhus: Faszinosum oder falsche Heilige?

Als Gegenfigur zum Maharaja bauten die Illustrierten den indischen Eremiten auf, der vielfältige Bezeichnungen erhielt: „Bettler, Fakir, Pilger, Büsser – die Uebergänge zwischen diesen Gruppen eindrucksvoller indischer Gestalten sind fließend und für den Fremden nicht leicht zu erkennen“, so die Berliner Illustrirte Zeitung 1932.129 Sad-hus repräsentierten die asketisch-spirituelle Seite indischen Lebens, im Gegensatz zur Opulenz und der als verschwenderisch beschriebenen Lebensweise des Maharajas.

Auch hier schwankte die Darstellung zwischen der Inszenierung einer märchenhaften Figur und deren Infragestellung.

Hinduistische sadhus fanden primär in sitzender oder liegender Haltung Darstel-lung, meist wurden sie bei der Meditation repräsentiert.130 Besonders beliebt waren Aufnahmen, die den Asketen in möglichst außergewöhnlichen Posen wie im Kopf-stand, in einem Dornenbett liegend oder mit im Boden vergrabenem Kopf zeigten (Abb. 51, Abb. 52). In der Mehrheit waren die sadhus lediglich mit einem Leinentuch um die Hüfte sowie Ketten um den Hals bekleidet. Ihre langen Haare trugen sie offen oder nach hinten gebunden. Zeichen aus heller Asche auf den Körpern der sadhus markierten religiöse Zugehörigkeiten.131

Anhand der Bildberichte über die sadhus lassen sich meines Erachtens europäische Normvorstellungen über die Rolle des Individuums innerhalb einer Gesellschaft ab-lesen. Beiträge stellten die religiöse Legitimität der Figuren in Frage, indem sie den Begriff des Heiligen in Anführungszeichen setzten.132 Mithilfe der Darstellung von sadhus kritisierten sie religiöse Praktiken der indischen Bevölkerung im Allgemeinen.

Alice Schalek betrachtete „die Verschwendung von Zeit und Geld, die die Durchfüh-128 Alice Schalek (Fotos/Text), Indien feiert. Hochzeit am indischen Fürstenhof zu Patiala, in: SIZ,

09. 09. 1931, S. 1398–1400.

129 Harald Lechenperg (Fotos), Kongress der Büsser, in: BIZ, 23. 10. 1932, S. 1376–1377, hier S. 1376.

130 BIZ, 19.  04.  1925, Titelblatt; H.  M.  Ahmad (Fotos), Was denken sich diese Leute?, in: BIZ, 19. 01. 1939, S. 75.

131 Martin Hürlimann (Fotos/Text), Im Lande der Heiligen, in: SIZ, 13. 12. 1928, S. 1693.

132 Ebd.

rung religiöser Bräuche fordert“ als eines der schlimmsten Übel der indischen Gesell-schaft.133 Als nutzlos beschrieb auch ein Beitrag in der Schweizer Illustrierten Zeitung von 1940 die fehlende gesellschaftliche Funktion der sadhus: „Eine nutzlose Masse von 700 000 ‚Heiligen‘, Gauklern, Quacksalbern, Fakiren und Bettlern durchzieht das Land und lebt einzig und allein vom Aberglauben und von der Unwissenheit und

133 Alice Schalek (Fotos/Text), Heilige, Pilger und Bettler in Indien, in: BIZ, 05. 08. 1928; vgl. auch:

Harald Lechenperg (Fotos), Kongress der Büsser, in: BIZ, 23. 10. 1932, S. 1376–1377.

Abb. 51 Berliner Illustrirte Zeitung, 19. 04. 1925, Titel-seite.

Dummheit der Land- und Stadtbevölkerung.“134 Deren Existenz schädige den Ruf des Subkontinents als Stätte des Geistes. Die als übermäßig und omnipräsent beschrie-bene Durchdringung des Subkontinents durch die Religion erscheint in dieser Sicht-weise als Hauptursache für gesellschaftliche Probleme und als Hemmnis für sozialen Fortschritt. Die Reiseschriftstellerin Vendla von Langenn meinte in der Berliner Il-lustrirten Zeitung 1938 kurzum, dass Indien eine Welt sei, zu welcher „der technik-134 M. Klaiber, 3500 Kilometer unterwegs durch Indien. Ein Schweizer Kaufmann will in seinen

Ferien das wirkliche Indien kennenlernen, in: ZI, 20. 09. 1940, S. 1029.

Abb. 52 Alice Schalek (Fotos/

Text), Heilige, Pilger und Bett-ler in Indien, in: Berliner Il-lustrirte Zeitung, 05. 08. 1928, S. 1371.

gläubige Europäer nur schwer einen Zugang findet“.135 Die Figur des sadhus wurde als Gegensatz zu einer als aufgeklärt, säkularisiert und rationalisiert imaginierten euro-päischen Lebensweise konstruiert.

Die Lebensform des Asketen stieß auch bei der eingangs dieses Kapitels erwähnten Anna Martin auf Abwehr: „Der Lächerlichkeit wäre bei uns verfallen, wer Weib und Kind, Haus und Hab verließe, um bettelnd von Ort zu Ort zu ziehen.“136 Autorinnen und Autoren interpretierten die Lebenshaltung der sadhus als Untätigkeit und Nutz-losigkeit. Parallelen zur Geschichte der Askese in europäisch-christlichem Kontext blieben erstaunlicherweise aus. Figuren wie Niklaus von Flüe hätten sich als Vergleich angeboten, der ebenfalls Frau und Kinder zugunsten seiner Einsiedlerschaft verließ und der in der Schweiz im Ersten Weltkrieg und in der Folge als Schutz- und Frie-denspatron verehrt wurde.137

Yogi

Dass die Figur des Yogis durchaus auch auf Faszination stieß, zeigen Fotoberichte, die insbesondere die durch Yogaübungen erreichte außerordentliche Körperbeherr-schung herausstreichen. Die Berliner Illustrirte Zeitung zeigte in „Artist oder Erleuch-teter?“ 1937 verschiedene Yogaposen, aufgenommen vom bekannten deutschen Fo-tografen Umbo (Otto Maximilian Umbehr, 1902–1980) (Abb. 53).138 In der zentralen Aufnahme sitzt Yogi Vithaldas, – der das sogenannte Hatha-Yoga praktizierte –, im Lotussitz, eine Hand an der Stirn, die zweite vor dem Bauch. In den Bildlegenden be-schrieb der Yogi die Funktionen und Wirkungsweisen der demonstrierten Körperhal-tungen und ließ damit erstmals einen Yogi selbst zu Wort kommen. Im Kommentar wurden die religiösen Hintergründe des Yoga als für Europäer unzugänglich beschrie-ben: „Wir wissen genau, dass die Yoga-Praxis, aus dem religiösen Fundament indi-scher Weltanschauung erwachsen, auf die Erneuerung dieses religiösen Fundaments zielend, nicht übertragbar ist.“ Dass in der Weimarer Republik eine

Auseinanderset-135 Vendla von Langenn, Das gibt es nur in Indien, in: BIZ, 13. 10. 1938, S. 1618.

136 Anna Martin (Fotos/Text), Indienfahrten einer Schweizerin. Ernstes und Heiteres aus dem indi-schen Religionsleben, in: SIZ, 03. 02. 1927, S. 136–137.

137 Louis Fehr, Fakire. Die sonderbaren Heiligen des Orients, in: SIZ, 21. 10. 1926, S. 1232–1233. Zur Verehrung von Bruder Klaus vgl.: Georg Kreis, Schweizer Erinnerungsorte. Aus dem Speicher der Swissness, Zürich 2010, S. 47–58.

138 Umbo (Fotos), Artist oder Erleuchteter?, in: BIZ, 11. 11. 1937, S. 1680–1681.

Abb. 53 Umbo (Fotos), Artist oder Erleuchteter?, in: Berliner Illustrirte Zeitung, 11. 11. 1937, S. 1680–

1681.

Abb. 54 Hokuspokus aus Indien, in: Schweizer Illustrierte Zeitung, 07. 01. 1931, S. 38−39.

zung mit Yoga und auch Kurse stattfanden, hat Mathias Tietke gezeigt.139 Auch wich-tige Vertreter der NSDAP standen Yoga durchaus offen gegenüber. Darauf verweist mitunter, dass Umbos Aufnahmen von Yogi Vithaldas 1941 in der NS-Propaganda-Auslandszeitschrift Signal erschienen. Signal zeigte den Yogalehrer, wie er eine junge Frau im Yoga unterrichtete. Yoga als „Abtötung des Körpers“ und als „Selbstvernich-tung“ werde den Europäern „immer fremd bleiben“, Yoga als Körperübung sei aller-dings „seit geraumer Zeit von uns erkannt“. Die Körperbeherrschung des Yoga passte in nationalsozialistische Vorstellungen eines gesunden und ästhetischen Körpers im Dienste der Nation.140