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Blick hinter die Kulissen und Dekadenz

Fotoberichte nutzten die Inszenierung von Wunderländern auch dazu, hinter die ver-meintlich märchenhaften Kulissen zu blicken. Emil Otto Hoppé stellte 1930 die Ent-stehung eines Fotoporträts des Maharana in den Fokus seines Bildberichts (Abb. 43, Abb. 44). Er zeigte, wie sich der Maharana Fateh Singh von Udaipur, dieser regierte im heutigen Rajastan von 1884 bis 1930, zum Fototermin begab.107 Mit seiner dunklen Kleidung hob sich der Maharana von der ihn begleitenden Dienerschaft ab. Im Ge-gensatz zum Maharaja von Patiala zeigte sich der Maharana schlicht gekleidet. Pfauen und Rehe besiedelten die Szene im Hintergrund. Der europäisch gekleidete Fotograf hatte sich bereits mit Kamera und Stativ installiert. Neben ihm lag, gut sichtbar, ein Tropenhut, das Erkennungszeichen europäischer Reisender in südlich-tropischen Gebieten. Vor der Aufnahme wurde der Herrscher von seinen Dienern hergerich-tet: „Zwei Kammerherren wedeln mit Handtüchern die Fliegen fort, ein dritter ord-net mit einem grossen Holzkamm den wallenden, zweigeteilten weissen Bart des Herrschers.“108 Der Fotograf stellte nicht die Repräsentation an sich – das

Maharana-phy 38/1 (2014), S. 56–72; Brian Stokoe, The Exemplary Career of E. O. Hoppé: Photography, Modernism and Modernity, in: History of Photography 38/1 (2014), S. 73–93.

104 Emil Otto Hoppé (Fotos), Märchenwelt. Beim Maharana von Udaipur, in: BIZ, 13. 04. 1930, hier S. 660.

105 Ebd., S. 661.

106 Marc Bloch hat den Glauben an die Wundertätigkeit und Sakralisierung von Königen in England und Frankreich untersucht, vgl.: Marc Bloch, Die wundertätigen Könige, München 1998. Vgl.

auch: Hans Hecker, Der Herrscher – Leitbild und Abbild. Eine Einführung, in: Ders. (Hg.), Der Herrscher. Leitbild und Abbild in Mittelalter und Renaissance, Düsseldorf 1990, S. 7–18.

107 Emil Otto Hoppé, Märchenwelt. Beim Maharana von Udaipur, in: BIZ, 13. 04. 1930, S. 659–661.

108 Ebd., S. 660.

Porträt –, sondern ihre Entstehung in den Vordergrund, formal unterstützt durch die Größe der Fotografien und die dicke Umrahmung der Aufnahme. In seinem „Ma-king-of“ ließ Hoppé die Betrachterin und den Betrachter hinter die Fassade des Herr-scherhofes blicken und nahm dem Porträt damit die Aura des Majestätischen.

Mit zwei Sondernummern griff die Zeitschrift Die Dame die Welt der Maharajas besonders prominent auf. 1932 widmete sie der „Hochzeit beim Maharadscha“ mit Fotografien Harald Lechenpergs das erste Sonderheft (Abb. 45–49).109 Auf dickem Pa-pier gedruckt und mit kunstvoll in Farbe gestalteten Titeln richtete sich Die Dame an ein gehobenes, weibliches Publikum.110 Die Ausrichtung auf eine weibliche und wohl-situierte Kundschaft mag auch erklären, weshalb die Zeitschrift den Reichtum und die Pracht indischer Maharajahöfe besonders in Szene setzte. Die Dame kann als Vor-109 Harald Lechenperg (Fotos)/Ayi Tendulkar (Text), Hochzeit beim Maharadscha, in: Die Dame,

15. 08. 1932, H. 24, Jg. 59, 15. 08. 1932, S. 2–13, 40–46. Vgl. auch: Alice Schalek (Fotos/Text), An den Höfen der Maharadschas und andere Wunder Indiens, in: Die Dame, 1929, H. 9.

110 Zur Zeitschrift Die Dame vgl.: Christian Ferber, Eine Dame mit drei Gesichtern, in: Ders. (Hg.), Die Dame. Ein deutsches Journal für den verwöhnten Geschmack 1912 bis 1943, Berlin 1980, S. 8–14.

Abb. 43 Emil Otto Hoppé (Fotos), Märchenwelt, in: Berliner Illustrirte Zeitung, 13. 04. 1930, S. 658−559.

läuferin von Modezeitschriften wie der französischen Vogue betrachtet werden. Ein Teil der Bilder generierte sich aus der bereits beschriebenen Motivik. Sie zeigen den Maharaja mit seinem Gefolge, einen Musiker, der ein gewaltiges Horn bläst und die Ankunft des Bräutigams auf einem geschmückten Elefanten.111 Es folgt eine doppel-seitige Aufnahme eines opulenten Festbanketts. Die männlichen Gäste sitzen auf dem Boden vor reichhaltig gefüllten Tellern. Ventilatoren in der Mitte des Raums sorgen für frische Luft, von der Decke hängen glitzernde Lüster. Auf Tüchern ausgebreitet liegen zahlreiche Geschenke, zum größten Teil Schmuck für die Braut. Märchenhaft wirkte eine Aufnahme eines in edlen Stoff gekleideten „Prinzen“ im Knabenalter, der sich in einem Sessel zum Schlafen gelegt hatte.

Die Aufnahmen brachen an mehreren Stellen mit den stereotypen Vorstellungen einer Maharaja-Hochzeit. Über dem Eingang des Palasts prangte in Leuchtschrift

„Long live the bridal couple“ (Abb. 46). Im Vordergrund zeichnete sich eine Schat-tenfigur mit Turban ab. Die elektrische Beleuchtung stellte die traditionell gekleidete Figur im Vordergrund sprichwörtlich in den Schatten. Nachtaufnahmen von derar-tigen Festivitäten waren zuvor noch nie erschienen. Die elektrische Beleuchtung des Palasts brach mit Vorstellungen einer vormodernen Welt und die an das Brautpaar gerichtete Grußbotschaft in Englisch verortete die Aufnahme im Kontext britischer Kolonialherrschaft.

Lechenperg erhielt außerdem Zugang zu den Innenräumen des Palasts, während sich die bisher besprochenen Berichte auf die Außenräume beschränkt hatten. Die

„European Ladies“ wohnten der Zeremonie in einem abgesperrten Bereich bei – er erinnert an einen Boxring (Abb. 49). Sie sitzen in eleganten Sommerkleidern und mit Hüten in einem Kreis auf einer Decke, ihre Rücken von Kissen gestützt. Die Bildun-terschrift betonte, dass es sich um einen privilegierten Platz handle, weil er unmit-telbar neben dem Zelt liege, in dem die Trauung stattfände. Es scheint, als diene die Bildunterschrift dazu, allfälligen Irritationen vorzubeugen, die von diesem eher unge-wohnten Bild europäischer Frauen hätte ausgelöst werden können. Im Vergleich dazu zeigte eine weitere Aufnahme die indischen Besucherinnen im Inneren des Frauenpa-lasts. Sie sitzen ebenfalls in verschiedenen, von Seilen abgetrennten Abteilen, jedoch dicht gedrängt. Die Bildunterschrift unterstreicht die Außergewöhnlichkeit dieser Aufnahme. Es sei wohl erstmals einem europäischen Fotografen gelungen, Zugang zum Frauenpalast zu erhalten und die Frauen zu fotografieren. Allerdings hätten sich viele Frauen mit ihren Kopftüchern vor der Aufnahme geschützt.

111 Harald Lechenperg (Fotos)/Ayi Tendulkar (Text), Hochzeit beim Maharadscha, in: Die Dame, 15. 08. 1932, S. 5–12.

Abb. 45 Titelseite der Zeitschrift Die Dame,

15. 08. 1932. Abb. 46 Harald Lechenperg (Fotos)/Ayi

Tendul-kar (Text), Hochzeit beim Maharadscha, in: Die Dame, 15. 08. 1932, o.S.

Abb. 47 Harald Lechenperg (Fotos)/Ayi Tendulkar (Text), Hochzeit beim Maharadscha, in: Die Dame,

Abb. 48 Harald Lechenperg (Fotos)/Ayi Tendulkar (Text), Hochzeit beim Maharadscha, in: Die Dame, 15. 08. 1932, S. 4–5.

Abb. 49 Harald Lechenperg (Fotos)/Ayi Tendulkar (Text), Hochzeit beim Maharadscha, in: Die Dame, 15. 08. 1932, S. 10–11.

Einzelne Fotografien Lechenpergs erlaubten dem Publikum neue Einblicke in die inoffizielle Seite der Feierlichkeiten. Der Fotograf richtete sein Objektiv auf die Diener, die sich bei ihrer Ankunft ihrer Schuhe entledigten und dabei kunstvoll die Tabletts auf einer Hand balancierten, und außerdem auf eine Reihe müder Palastwa-chen und Fahrer, die wartend vor Automobilen standen oder sich neben der goldenen Sänfte der Braut geduldeten. Den Bräutigam fotografierte Lechenperg nicht etwa auf dem Elefanten thronend, sondern beim etwas beschwerlichen Auf- oder Absteigen.

Er legte zudem Wert darauf, auf seinen Aufnahmen traditionelle und moderne Ele-mente miteinander zu verbinden. Ein Bus erwartete die weiblichen Gäste vor dem Frauenpalast, umrahmt von der orientalisch wirkenden Architektur des Palasts. Als Sichtschutz aufgehängte Tücher versperrten dem Fotografen den Blick auf die Frauen.

Der Text des Beitrags stammte von Ayi Tendulkar, einem aus der Provinz Bombay stammenden und in Deutschland tätigen Reisejournalisten und Akademiker, der mit der deutschen Schauspielerin, Autorin und Regisseurin Thea von Harbou liiert war.112 Auf literarische Art und Weise beschrieb er die Gedanken der zukünftigen aristo-kratischen Braut, die in Lechenpergs Bildern unsichtbar blieb. Ein weiteres Element, das die Bildgeschichte aussparte, war die britische Beteiligung an den Feierlichkeiten.

Lechenperg hatte zwar britische und südasiatische Gäste porträtiert und eine britische Nanny dabei gezeigt, wie sie die Kinder des Maharaja in ein Auto trägt.113 Auf die Pub-likation dieser Aufnahmen wurde jedoch verzichtet, möglicherweise deshalb, weil sie koloniale Hierarchievorstellungen umkehrten.

Es fällt auf, dass sich Ende der 1920er und zu Beginn der 1930er Jahre Fotobeiträge zu Maharajas häuften und dies mit dem Erstarken des nationalistischen Widerstands auf dem Subkontinent zusammenfiel. Die politischen Veränderungen scheinen die Popularität dieses mittelalterlich-monarchistisch gezeichneten Bildes südasiatischer Herrschaft verstärkt zu haben. Alice Schalek machte in ihren Texten vor allem poli-tisch-gesellschaftliche Veränderungen an der Figur des Maharaja fest. In ihrem Foto-buch „An den Höfen der Maharadschas“, das 1929 im Orell Füssli Verlag erschien, be-zeichnete sie die Maharajas als „aus dem Mittelalter übriggebliebene Erscheinungen“

und erachtete diese Welt als im Untergang begriffen.114 Mit ihnen würden die „letzten

112 Tendulkar besuchte die American Mission Highschool, studierte zwei Jahre an Gandhis Nationa-ler Universität in Ahmedabad; er kam 1923 nach Europa und besuchte hier die Universitäten in Göttingen, Paris und Berlin. Zwischen 1929 und 1932 war er als Reiseschriftsteller in Deutsch-land tätig. 1936 promovierte er zur Sterblichkeit in Indien an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin: Ayi Ganpat Tendulkar, Sterblichkeit in Indien, Berlin 1936.

113 Die erwähnten Aufnahmen Lechenpergs sind in der Datenbank von Ullstein Bild online abruf-bar, vgl. dazu: Bild Nr. # 00344009, Ullstein Bild, https://www.ullsteinbild.de, Stand: 03. 01. 2018.

114 Alice Schalek, An den Höfen der Maharadschas, Zürich/Leipzig 1929, S. 9.

wirklichen Grandseigneurs aus der Geschichte verschwinden“. Die Bilder erhielten dadurch eine nostalgische Dimension. Schalek stellte einen Zusammenhang zwischen dem materiellen Überfluss an den Maharajahöfen und einer „Ungeheuerlichkeit der Armut ihrer Untertanen“ her. Die finanziellen Machenschaften der Maharajas seien undurchsichtig und letztendlich müsse die arme Bevölkerung für die Aufwendungen der Höfe aufkommen. Schalek bemerkte kritisch, dass die Maharajas zwar „Erwar-tungen von Exotik und Phantastik“ erfüllten, jedoch auf politischer Ebene die demo-kratische Regierungsform noch nicht erreicht hätten.115 Das Erstarken des indischen Nationalismus schien das Weiterexistieren der als „vormodern“ imaginierten Maha-rajas in Frage zu stellen.

In der Schweiz gelangten in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre vermehrt Foto-grafien von städtischer und ländlicher Arbeitslosigkeit und Entbehrung in die illus-trierte Presse.116 Die Arbeitslosigkeit stieg von 0,4 Prozent im Jahr 1929 innerhalb von sieben Jahren auf 4,8 Prozent an.117 In Deutschland betrug sie 1932 30 Prozent.

Dadurch prallte der Reichtum südasiatischer Eliten nicht nur mit Bildern von Armut der Bevölkerung des Subkontinents, sondern auch mit Darstellungen trister Lebens-bedingungen in Europa zusammen. In Verbindung mit diesen Fotografien wurden die Figur des Maharajas und die Hofkultur zu einem Sinnbild für Reichtum, gesellschaft-liche Verantwortungslosigkeit und Dekadenz. Gleichzeitig aber können die Bilder auch so gelesen werden, dass sie einem europäischen Publikum in Zeiten wirtschaftli-cher Sorgen das Bildangebot einer Welt lieferten, die scheinbar unberührt von diesen Beeinträchtigungen und märchenhaft entrückt erschien.