• Keine Ergebnisse gefunden

Fremdenindustrie und Markt der Imaginationen

Rezeption: Reiseerlebnis durch Bilder

2.6 Fremdenindustrie und Markt der Imaginationen

In der bisherigen Forschung zu Fotografie und Imagination wurde meines Erachtens zu wenig beachtet, dass die entworfenen Bilderwelten auch wesentlich von ökonomi-schen Faktoren geleitet waren. Inserate bildeten für Zeitschriften eine zentrale Ein-nahmequelle.179 Die Reiseindustrie war zu einem wichtigen Teil im Anzeigengeschäft geworden. Sogenannte Reisefeuilletons wurden als Beilage zu Zeitungen und Zeit-schriften versendet, so auch in Atlantis.180

Die Zusammenarbeit zwischen Inserenten und Zeitschrift ging im Falle von Atlan-tis gar so weit, dass bei den Inhalten auch auf die Wünsche der Inserenten eingegangen wurde oder Kollaborationen angeregt wurden.181 Die Redaktion von Atlantis baute ihre Verbindungen zur Fremdenverkehrsbranche in den ersten Jahren ihres Erschei-nens aus und bot den Leserinnen und Lesern in Zusammenarbeit mit einem Verlag von Reiseführern auch Dienste als Reisebüro an.182 Unter der Rubrik „Reisedienst At-lantis“ gab sie kostenlose Auskünfte zu Preisen, Devisenvorschriften oder Zugverbin-dungen und lieferte Ausflugstipps (Abb. 31). Daneben platziert fanden sich Inserate für kürzere Inlands- und mehrmonatige Auslandsreisen mit dem Dampfschiff. Die Angebote warben für kostspielige Gesellschaftsreisen nach Südafrika, Orientfahrten, Weltreisen und Fahrten nach Indien und Burma. Auch andere deutsche Zeitschriften wie etwa Velhagen & Klasings Monatshefte führten eigene Reisebüros. Johannes Graf hat darauf hingewiesen, dass dabei realwirtschaftliche Überlegungen im Vordergrund standen und nicht allein das Bedienen von Sehnsüchten des Publikums durch Bildberichte.183

178 Ders., Zeitgenosse, S. 214.

179 Gideon Reuveni, Reading, Advertising and Consumer Culture in Weimar Period, in: Karl Chris-tian Führer/Corey Ross (Hg.), Mass Media, Culture and Society in Twentieth-Century Germany, Basingstoke/New York 2006, S. 204–216, hier S. 207.

180 Johannes Graf, „Die notwendige Reise“. Reisen und Reiseliteratur junger Autoren während des Nationalsozialismus, Stuttgart 1995, S. 165.

181 Hürlimann, Zeitgenosse, S. 210.

182 Reisedienst Atlantis, in: Atlantis, H. 1, 1933, S. V.

183 Graf, Reise, 1995, S. 167.

In Atlantis erschienen Reisetipps mit Verweisen auf Gasthäuser, sehenswerte re-staurierte Kirchen, Neuerungen in Hotels, Hinweise zu Ausstellungen, Konzerten und neuen Zugverbindungen. Diese Berichte wiesen mit ihrem Fokus auf die Kunst- und Architekturgeschichte Verbindungen zu Stadtführern auf. Daneben pries Atlan-tis Reiseliteratur wie Reiseführer und Heimat- und Wanderbücher an. Inserate für Kuraufenthalte versprachen rasche Genesung für verschiedenste Leiden. Auch die Fotoberichte folgten einer touristischen Perspektive, wie bereits weiter oben ausge-führt wurde. Atlantis ausge-führte seine Leserinnen und Leser in Sakralbauten und zeigte in Detailaufnahmen deren Skulpturen und Gemälde. Die Bilder wurden zum Teil von typischen touristischen Standpunkten aus aufgenommen: Von Aussichtsplattformen, Anhöhen, Burgen und Landschaften; auch Szenen aus den Straßen einer Ortschaft waren beliebt.184

Verbindungen zwischen Kultur und Tourismus lassen sich auch bei verwandten Medien wie dem Lichtbildvortrag finden. Im Oktober 1924 hielt Hürlimann in der

184 [Diverse Fotografen], Bilder aus Schwaben, in: Atlantis, H. 5, 1942, S. 217–224.

Abb. 31 Inserat des Reisedienstes der Zeitschrift Atlantis, H. 12, 1934, S. XIV−XV.

Tonhalle Zürich einen Lichtbildvortrag mit dem Titel „Im Kampfgebiet Chinas“.185 Die Eintrittskarten dazu wurden, sicherlich nicht zufällig, über den Schweizer Reise-veranstalter Kuoni verkauft. Dass der Tourismus wesentlich visueller Natur ist, haben John Urry und Jonas Larsen in „Tourist Gaze“ gezeigt. Urry und Larsen betonen, dass Touristinnen und Touristen vor Ort verschiedene touristische Klischees und Zeichen, die bereits vorgeprägt sind, wahrnehmen.186 Das Gesehene wird zur Repräsentation von etwas bereits im Kopf Bestehendem. Reise- und Kulturzeitschriften waren und sind bis heute Teil einer diskursiven Aushandlung, was auf welche Weise als sehens-wert gilt. Im Gegensatz zum Tourismus produzierte die Zeitschrift keine physische Nähe. Über den subjektiven Reisebericht erhielten die Leserinnen und Leser jedoch eine durch die Autorin oder den Fotografen vermittelte Form des Erlebens und die Bilder führten nach Urry zu einer „imaginativen Mobilität“.187

Welche Destinationen beworben wurden, konnte sich in Windeseile ändern. Ab 1933 wurden Reisen ins Ausland aus Deutschland zusehends erschwert. Devisen-beschränkungen stellten selbst für Leute, die sich Reisen ins Ausland zuvor hatten leisten können, beinahe unüberwindbare Hürden dar.188 Für von Arbeitslosigkeit und Armut bedrängte Bevölkerungsgruppen waren Reisen ins Ausland weiterhin undenkbar. Kristin Semmens, die den kommerziellen Tourismus während des Nationalsozialismus untersucht hat, hält fest, dass ab diesem Zeitpunkt Inlandreisen gegenüber Auslandreisen zunahmen.189 Stets mussten sich Zeitschriften also auf Ver-änderungen in der Fremdenindustrie einstellen: 1933 sperrte ein Tausend-Mark-Vi-sum Reisen nach Österreich, was 1936 zum Teil wieder rückgängig gemacht wurde.190 1936 wurden Italien und seine afrikanischen Kolonien durch den Achsenvertrag wie-der zum Reisegebiet.

Berichte über weit entlegene Gebiete erfüllten in diesem Kontext vermutlich eine zweifache Funktion: Einerseits dienten sie dem Evozieren einer Reiselust und anderer-seits, und das würde Hürlimanns Erklärung der Popularität der Zeitschrift unterstüt-zen, die er in seiner Autobiografie vorbrachte, dass diese im unpolitischen „Weltbild“

der Zeitschrift fußte.191 Sie ersetzten das touristische Erlebnis durch ein mentales. Die Verbindung von Reise- und Kulturzeitschrift mit der Tourismusindustrie war eine

185 Inserat Rubrik „Theater & Konzerte“, in: NZZ, 01. 10. 1924, S. 8.

186 Urry/Larsen, Tourist, S. 17.

187 Ebd., S. 155–157.

188 Sachsse, Heimat, S. 129.

189 Kristin Semmens, Seeing Hitler’s Germany. Tourism in the Third Reich, Houndmills et al. 2005, S. 133, 137.

190 Sachsse, Heimat, S. 146.

191 Hürlimann, Zeitgenosse, S. 212.

ideale Liaison, denn beide Industrien benötigten positiv besetzte Bilder und griffen zum Teil auf ähnliche Motive zurück. Die Zeitschrift gewann Anzeigeneinnahmen, lieferte der Tourismusindustrie pittoreske visuelle Narrative zu bestimmten Regionen im In- und Ausland und half mit, neue Regionen als touristische Ziele zu erschließen.