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Bildband als langlebiges visuelles Medium

Gibt es weitere Gründe für die Produktion eines derart von der Gegenwart losgelösten Narrativs in Hürlimanns Bildband? Wie die Kulturanthropologin Elizabeth Edwards in ihren Arbeiten richtungsweisend gezeigt hat, beeinflusst die Materialität einer Fo-tografie deren Rezeption in entscheidender Weise.169 Sie plädiert dafür, die Fotogra-fie nicht mehr allein als zweidimensionales, sondern als dreidimensionales Objekt zu untersuchen, das Bild und Gegenstand zugleich ist.170 Die Fotografie als Objekt ist dabei nie neutraler Träger einer Bildbotschaft, sondern prägt diese wesentlich mit. In der Fotoschachtel aufbewahrt, in einem Fotoalbum, gerahmt in einem Museum an einer weißen Wand, in einer illustrierten Zeitschrift auf dünnem Papier oder in einem

167 Valentin Groebner, Die Aussicht von gestern. Tourismus, Alltag und das Unsichtbare, in: Daniel Gaberell (Hg.), Mein Luzern, Bern 2012, S. 39–52, hier S. 39.

168 Hägele, Foto-Ethnographie, S. 143.

169 Elizabeth Edwards, Photography and the Material Performance of the Past, in: History and The-ory 48 (2009), S. 130–150, hier S. 135–137.

170 Elizabeth Edwards/Janice Hart, Introduction. Photographs as Objects, in: Dies. (Hg.), Photo-graphs, Objects, Histories on the Materiality of Images, London 2010, S. 1–15, hier S. 1–3.

schweren Buch: Der Präsentationskontext ist nicht zufällig, sondern meist Resultat durchdachter Entscheidungen.

Der Bildband war von seiner Materialität her dazu konzipiert, Zeit zu überdauern.

Die großformatigen Bände von Orbis Terrarum (31 x 24,5 cm) waren in Leinen oder Halbleder gebunden erhältlich. Eine ornamentale Prägung in Gold in Form eines Ele-fanten zierte den Einband des Indienbuches. Das feste Papier verstärkte das gediegene Erscheinungsbild. Als Objekt besaß der Bildband Gewicht und musste zur Lektüre auf einem Tisch oder auf dem eigenen Schoß abgelegt werden. Während Fotoreportagen in illustrierten Zeitschriften eine prägnante Form aufwiesen, war der Bildband eine umfangreiche Bilderzählung.171 Die Reihenfolge der Betrachtung war im Bildband durch die Reihung der Bilder vorgegeben. Die Durchsicht von mehr als 300 Aufnah-men erforderte Zeit.

Für die Wirkung der Bilder war auch die Art des Drucks entscheidend. Die Orbis-Terrarum-Bände waren im Kupfertiefdruckverfahren gefertigt, einem der modernsten maschinellen Druckverfahren, das als besonders hochwertig galt. Ab 1910 machten auch erstmals Massenmedien wie Zeitungen und Zeitschriften vom Schnelltiefdruck Gebrauch.172 In den 1920er Jahren etablierte sich der Kupfertiefdruck neben der Au-totypie als Drucktechnik für Bildbände.173 Die Zürcher Druckerei Gebrüder Fretz AG zeichnete verantwortlich für den Druck der Orbis-Terrarum-Bände. Die Zusammen-arbeit des Wasmuth Verlags mit einer der renommiertesten Schweizer Druckereien für Fotografie und Grafik hatte Hürlimann angeregt. Fretz erweiterte den Betrieb 1922 um eine Tiefdruckabteilung.174 Otto Lilien schätzt, dass bis 1920 weltweit gegen 60 Firmen mit Rollenrotationstiefdruckmaschinen beliefert worden waren.175 Fretz gehörte zu den wenigen Druckereien, die früh auf dieses Verfahren setzten. Für Otto Krüger – Direktor der grafischen Abteilungen des Verlagshauses F. A. Brockhaus – gab es um 1937 kein anderes Druckverfahren, mit „dem grosse Auflagen illustrierter Drucksachen unter Verwendung billigster Papiere so gut und zu so niedrigen Preisen hergestellt werden“ konnten.176

171 Dewitz/Lebeck, Kiosk, S. 112.

172 Frank Heidtmann, Wie das Photo ins Buch kam, Berlin 1984, S. 725–729.

173 Otto Krüger, Satz, Druck, Einband und verwandte Dinge. Ratgeber für Drucksachenbesteller und Facharbeiter, Leipzig 1937, S. 60.

174 Hans Rudolf Schmid, Aus der Werkstatt des Druckers. Festschrift zum 75jährigen Bestehen der Firma Gebr. Fretz AG, Zürich, Zürich 1935, S. 23.

175 Otto M. Lilien, Die Geschichte des industriellen Tiefdruckes 1920–1970, Frankfurt a. M. 1978, S. 12.

176 Otto Krüger, Die Illustrationsverfahren. Eine vergleichende Behandlung der verschiedenen Re-produktionsverfahren, ihrer Vorteile, Nachteile und Kosten, Leipzig 19292, S. 259.

Trotz der scheinbar niedrigen Produktionskosten wurde der Kupfertiefdruck we-gen seiner außergewöhnlichen ästhetischen Qualität geschätzt. 1923 lobte die von Fretz gedruckte Zeitschrift für bildende und angewandte Kunst (Das) Werk das neue Druckverfahren als „vornehm“.177 Auch einem Laien falle sofort der Verzicht auf das glänzende Kunstdruckpapier mit störenden Lichtreflexen auf. Dadurch wirkten die Bilder plastischer und wärmer. So könne der Kupfertiefdruck „unstreitig als das schönste einfarbige Druckverfahren gelten“.178 Dem Publikum war die Wirkung von Kupfertiefdrucken bereits von Kunstreproduktionen bekannt, deren hochwertige Geltung auf die Fotografie übertragen wurde. Auch aus heutiger Sicht bestechen die Drucke durch ihre plastische Wirkung, die Matthias Christen treffend als „haptische Qualität“ beschrieben hat.179

Der materiellen Dauerhaftigkeit sollte im Bildband auch auf inhaltlicher Ebene Rechnung getragen werden, was ein entscheidender weiterer Grund dafür gewesen sein kann, auf Aktualitätenfotografie zu verzichten. Der Verlag wollte mit Orbis Ter-rarum erklärtermaßen „etwas Endgültiges“ schaffen.180 Die Reihe warb damit – meist wurden die Bände auf das Weihnachtsgeschäft hin lanciert –, dass es sich bei den Bän-den um Geschenke mit bleibendem Wert handle. Der britische Fotograf Martin Parr hat für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts festgehalten, dass Bildbände im Ver-gleich zu Ausstellungen länger im kulturellen Bewusstsein bleiben würden: „The book survives, whereas the exhibition disappears“.181 Im Gegensatz dazu erschienen illust-rierte Zeitschriften in regelmäßigen, relativ kurzen Abständen und konnten dement-sprechend aktualitätsnaher berichten. Während die auf dünnem Papier gedruckten illustrierten Magazine wohl nach einiger Zeit entsorgt wurden und bald die nächste Nummer folgte, war der hochwertige Bildband für die repräsentative bildungsbürger-liche Bibliothek prädestiniert. Gemäß Wasmuths Werbematerial gehörten die Bände zudem in jede öffentliche und Schulbibliothek.182

177 Die Text-Illustration, in: (Das) Werk. Schweizerische Monatsschrift für bildende und angewandte Kunst 10/3 (1923), S. XLVIII.

178 Ebd.

179 Matthias Christen, Nomades du Soleil, in: Pfrunder, Fotobücher, S. 196–203, hier S. 201.

180 Historisches Archiv des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in der Deutschen Nationalbi-bliothek, HA/BV 12: Wasmuth Verlag, Werbeprospekt, Orbis Terrarum. Die Länder der Erde im Bild, [um 1924].

181 Martin Parr, Martin Parr, in: Chris Boot (Hg.), Magnum Stories, London 2004, S. 346–353, hier S. 347.

182 Historisches Archiv des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in der Deutschen Nationalbi-bliothek, HA/BV 12: Wasmuth Verlag, Werbeprospekt des Wasmuth Verlag, [um 1925].