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Nach der Rechtschreibreform (1995–2013)

2.2 Orthographie und Graphematik

2.2.1.5 Graphische Variation von auf + m

2.2.1.6.3 Nach der Rechtschreibreform (1995–2013)

Mit der Reform69 der deutschen Rechtschreibung wurde auch die Apostrophset­

zung reformiert, ein Zeichensetzungsbereich, der, wie in den vorausgehenden

69 Das neue amtliche Regelwerk lag 1995 zum Beschluss vor, die zwischenstaatliche Erklärung über die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung wurde 1996 unterzeichnet.

Abschnitten gezeigt wurde, im Rechtschreibduden „über die Zeit hin durch nicht­

amtliche Zusätze aufgeschwellt“ (Mentrup 1993: 130) wurde. Wo in amtlichen und nicht­amtlichen Regeln noch von Lauten die Rede war, bezieht sich der neue amt­

liche Regeltext konsequent auf Buchstaben und damit auf die Schriftebene: „Mit dem Apostroph zeigt man an, dass man in einem Wort einen Buchstaben oder mehrere ausgelassen hat.“ (Regeln 2006: 100). Was die Schreibregeln für Präpo­

sition­Definitartikel­Enklisen betrifft, stellt die reformierte Zeichensetzung einen Rückschritt in Bezug auf Explizitheit dar. Der knappe Hinweis im alten amtlichen Regelwerk, der einige exemplarische Verteter der Gruppe nannte, wurde in der Neuregelung ersatzlos gestrichen. Auf die explizite Nennung einer eigenen Fall­

gruppe, die von der allgemeinen Auslassungsregel ausgenommen ist, wurde ganz verzichtet. Stattdessen wurden zwei andersgeartete Fallgruppen angesetzt:

eine mit obligatorischer (§96) und eine mit fakultativer Apostrophsetzung (§97).

Zu den Fällen mit obligatorischer Apostrophsetzung zählen „Wörter mit Aus­

lassungen, die ohne Kennzeichnung schwer lesbar oder missverständlich sind“, d.h. der Apostroph soll der graphischen bzw. grammatischen Disambiguierung dienen. Von den angeführten Beispielen ist für die Schreibung der Präposition­

Definitartikel­Enklisen eines von besonderer Relevanz: „… ’s ist schade um ihn.“

(Regeln 2006: 100). Ein isolierter Konsonantenbuchstabe wie <s>, der hier ein klitisches Pronomen repräsentiert, würde ohne die graphische Markierung der Auslassung mutmaßlich als schwer lesbar empfunden werden. Im Falle des Defi­

nitartikels käme man vermutlich zu einem ähnlichen Urteil, wenn die Regel auf die enklitischen Formen =m, =n, =r, =s (ohne Apostroph mit Spatium davor und danach) angewendet werden würde, womit – dieser Regelinterpretation folgend – Schreibvarianten wie auf m unzulässig wären.

Gemäß der neuen amtlichen Regelung könnten Enklisen auch den Fällen zugeordnet werden, bei denen der Gebrauch des Apostrophs als Auslassungszei­

chen für einen oder mehrere Buchstaben innerhalb eines Wortes dem Schreiben­

den freigestellt ist:

(21) §97 Man kann den Apostroph setzen, wenn Wörter gesprochener Sprache mit Auslassungen bei schriftlicher Wiedergabe undurchsichtig sind.

[…] mit’m Fahrrad (Regeln 2006: 100)

Mit der fakultativen Apostrophsetzung lizenziert die amtliche Regelung also auch die Schreibung von Enklisen ohne Apostroph, wenn diese, im Umkehrschluss zur Formulierung in §96 (bzw. §97), sowohl gut lesbar als auch unmissverständlich (und optional: „durchsichtig“) sind. Damit unterscheidet sich die Regel im Ergeb­

nis nicht wesentlich von der aus dem Jahr 1901, mit dem Unterschied, dass ent­

sprechende Beispiele weder im Regeltext noch im Wörterverzeichnis auftauchen.

Damit überlassen die Normgeber die Enkliseschreibungen im sprichwörtlichen Zweifelsfall weitgehend dem sprachlichen Usus und seinen Kodifizierern. Das zitierte Beispiel mit’m dient hier als Präzedenzfall für nicht­grammatikalisierte Präposition­Definitartikel­Enklisen des vorwiegend mündlichen Sprachge­

brauchs, die verschriftet ohne Setzung des Apostrophs mutmaßlich als undurch­

sichtig betrachtet werden würden. Der Hinweis im Regeltext auf den medialen Geltungsbereich „schriftliche Wiedergabe“ erlaubt einen Bezug auf graphemati­

sche Transparenz: Der Schreiber hat die Möglichkeit, die Silbizität des Nasals bzw. den Morphemschnitt durch den Einsatz des Apostrophs zu markieren (siehe 2.2.1.3). Dies liegt aber im Ermessensspielraum des Schreibenden, denn die Apo­

strophsetzung ist in diesen Fällen fakultativ.

Der Rechtschreibduden basiert seit der 21. Auflage von 1996 auf den refor­

mierten amtlichen Rechtschreibregeln. Von den partiellen Änderungen der amt­

lichen Regelung in den Folgejahren (vgl. Heller 2004; Güthert 2006, 2011) waren

§96 und §97 nicht betroffen. In Duden (1996: 23) wurde die amtliche Formulie­

rung bei der Regel zur obligatorischen Apostrophsetzung übernommen und geringfügig präzisiert. An der Auslegung der im amtlichen Regeltext mittlerweile verschwundenen Anmerkung zu den „Verschmelzungen“, die der Rechtschreib­

duden zu Beginn des 20. Jahrhunderts übernommen und mit den Jahren ausge­

baut hatte, wurde auch im Reformduden und den folgenden Auflagen festgehal­

ten. Dadurch besitzt die Regel seitdem den Status eines nicht­amtlichen Zusatzes.

Sie greift wie in den vorigen Auflagen die Gruppe der Präposition­Definitartikel­

Enklisen auf und legt fest, bei welchen allgemein üblichen Vertretern der Gruppe auf eine Kennzeichnung mit Apostroph „in der Regel“ (1996: 23) verzichtet wer­

den kann. Das relativierende „in der Regel“ kann sowohl als Ausdruck einer libe­

raleren Haltung gegenüber der Variantenbildung verstanden werden, als auch schlichtweg auf den Status der Regel als nicht­amtlich hinweisen. Die Liste der Beispiele hat im Vergleich zur Vorgängerauflage wieder stärker nur exemplari­

schen Charakter und ist noch unvollständiger (es fehlen ums und zum). Im Wör­

terverzeichnis wurden erstmals auch die apostrophlosen Schreibungen von aufm, aufn und ausm (neben auf’m, auf’n, aus’m) aufgenommen und als von der Dudenredaktion empfohlene Varianten ausgewiesen. Bisher nicht aufgenommen wurden nach wie vor viele den­Enklisen, z.B. ausn/aus’n, fürn/für’n, durchn/

durch’n. Diese Regeln und Lemmata geben auch den Stand der 26. Auflage des Rechtschreibduden wieder (Duden 2013), die die Grundlage einer vollständigen Inventarisierung der Präposition­Artikel­Enklisen im Kapitel 3.1.1.1 bildet.

Betrachtet man die Kodifizierungsgeschichte der Präposition­Artikel­Enkli­

sen im 20. Jahrhundert, so fällt auf, dass die grammatikographische, ortho epi­

sche und orthographische Auseinandersetzung mit den Formen trotz ihrer teil­

weise beachtlichen Variationsbreite insgesamt eher spärlich ist. Eine gerichtete Einflussnahme der Normkodifizierer auf Präposition­Definitartikel­Enklisen ist zeitweise für einen Teil des Variationsspektrums erkennbar. Dazu gehört, dass einzelne Formen von den Normgebern als „mundartlich“, „umgangsprachlich“,

„unüblich“ oder gar „unschön“ etikettiert wurden, woraus dann eine diamediale Differenzierung resultierte: In den Jahrzehnten der Gültigkeit der alten Recht­

schreibung konzentrierte man die Bemühungen erfolgreich darauf, Präposition­

Definitartikel­Enklisen, die auf den konzeptionell mündlichen Sprachgebrauch beschränkt sind, von den schriftsprachlich etablierten Formen unterscheidbar zu machen (wobei der Apostroph als Marker am geeignetsten erschien), und somit aus der geschriebenen Hochsprache als Domäne der konzeptionellen Schriftlich­

keit fernzuhalten. Die Nachwirkungen dieser normativen diaphasisch­diamedia­

len Selektion spiegeln sich zum Beispiel in Ängsten vor Sprachverfall wider, wenn diese Grenzen aufzuweichen drohen:

Aber es ist ja auf nichts mehr Verlaß: Der neue Duden erlaubt sogar ausdrücklich, daß man statt ‘auf dem’ ‘aufm’ sagt, ja sogar schreibt, oder auch ‘auf’m’. Und wie man hört, gibt es Sekretärinnen, die solches in offizielle Briefe schreiben und sich dann aufn Duden berufen.

(Die Presse, 6.5.2000, Auszug aus einem Leserbrief)

Gleichzeitig bestand und besteht in diesem Zusammenhang nach wie vor ein gewisser Bedarf an normativen Vorgaben zur Verschriftungspraxis v.a. eben dort, wo konzeptionell mündliche Texte schriftlich verfasst werden. Die Kodifi­

zierung von Schreibvarianten ohne Apostroph, die im Zuge der Rechtschreibre­

form vorgenommen wurde (obwohl die besagten Varianten nie explizit unzuläs­

sig waren), kann als Versuch gedeutet werden, den Schreibern die Möglichkeit zu geben, dort wieder eine orthographische Konstanz (vgl. überm/übern/übers, vorm/vorn/vors, aufm/aufn/aufs) herzustellen, wo sie durch die partielle Bevor­

zugung der Apostrophschreibung de facto verloren gegangen ist: bei der Schrei­

bung von enklitischen Verbindungen. Eine Verschlechterung der Schreibsilben­

graphie wird hierfür in Kauf genommen. Abschließend stellt sich nun noch die Frage, welchen Status die jeweiligen Schreibvarianten im tatsächlichen Gebrauch durch die Sprachgemeinschaft haben. Eine Antwort hierauf kann mit­

hilfe korpusanalytischer Methoden gegeben werden. Die Durchführung und die Ergebnisse entsprechender Korpusrecherchen werden im empirischen Teil besprochen (3.2).