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Die Flexionsformen des italienischen Definitartikels

2.3 Phonologie und Morphologie

2.3.4 Die Flexionsformen des italienischen Definitartikels

Der deutsche klitische Definitartikel ist phonologisch auf ein Morphem reduziert, das bei der nicht klitischen Vollform des Definitartikels dem genus­, numerus­

und kasuskodierten Flexionssuffix entspricht. Das Flexionsparadigma des italie­

nischen Definitartikels zeichnet sich durch einen grundlegend anderen Aufbau aus. Die meisten Grammatiken der italienischen Gegenwartssprache, sowohl die wissenschaftlichen als auch die Schulgrammatiken, geben das Genus­Numerus­

Flexionsparadigma des definiten (‘articolo determinativo’) und indefiniten (‘arti­

colo indeterminativo’) Artikels in Form einer wortartenspezifischen Kreuztabelle wieder:93

(44) Artikel

def. indef.

M. F. M. F.

Sg. il, lo (l’) la (l’) un, uno una (un’)

Pl. i, gli le – –

92 Das Althochdeutsche war hingegen wie das heutige Italienische eine silbenbezogene Spra­

che (Nübling 2013: 21 f.).

93 Renzi/Salvi/Cardinaletti (Hgg.) (2001a) gehen nicht näher auf die morpho­phonologischen Varianten ein und verzichten auf eine systematische Darstellung. Eine mit (44) vergleichbare Darstellung findet sich z.B. bei Dardano/Trifone (2009: 150) und Serianni (2003: 163), auf den Definitartikel beschränkt bei Patota (2006: 57) und Prandi/de Santis (2011: 402).

Der Nachteil dieser Art der Darstellung ist, dass nur die morphologischen Genus­/

Numerus­Kodierungen, nicht aber die distributionellen Eigenschaften der (mor­

pho­phonologischen) Varianten des Artikels in Abhängigkeit der sie selegieren­

den (phonotaktischen) Faktoren abgebildet werden. Diese Faktoren müssen folg­

lich separat angegeben werden, wobei in vielen Grammatiken nicht trennscharf zwischen grapho­ und phonotaktischer Ebene unterschieden wird. Die Analyse der morpho­phonologischen Eigenschaften der Flexionsformen und ihrer Distri­

bution setzt die Betrachtung der bei Pro­ bzw. Ambiklise wirksamen morpho­

phonologischen Regularitäten voraus. Hierzu bedarf es zunächst eines genaue­

ren Blicks auf die italienische Silben­ und Wortphonologie:

Auf der Basis des hierarchischen Schemas von Nespor (2007: 158) kann mit einigen präzisierenden Modifikationen, die im Anschluss erläutert werden, fol­

gender Aufbau für native italienische Silben postuliert werden (fakultative Ele­

mente in Klammern):

C [≠ /z/] als erstes Geminatensegment

Die einfache, mit nur einem Konsonanten besetzte Koda gilt für die italienische Silbe als kanonisch. Einige nicht­native Wörter, die aber z.T. fester Bestandteil des Kernwortschatzes sind, weichen in Bezug auf Anzahl und Art der Konsonanten in der Koda vom obigen Schema ab (z.B. sport, film, club, smog, yogurt). Insbeson­

dere bei den Sibilanten, d.h. den koronalen Frikativen und Affrikaten, sowie den Approximanten gibt es zudem einige generelle, den Silbenbau betreffende distri­

butionelle Restriktionen:

Affrikaten:

Die stimmlose wortinitiale Affrikate /ts­/ ist stark im Rückgang begriffen und wird immer häufiger durch die stimmhafte Variante /dz­/ ersetzt (Canepàri 1999:

111 f.). Insgesamt ist die Anzahl kodifizierter Wörter, die nach orthoepischen Maß­

gaben die stimmlose Affrikate am Wortanfang verlangen oder zulassen, sehr gering. Durch die intervokalische Position, die sich durch vorausgehende Artikel oder ‘preposizioni articolate’ ergibt, ist die stimmlose Affrikate zudem einem zusätzlichen Sonorisierungsdruck ausgesetzt.

S-Komplexe:

Einen Spezialfall stellt /s/ dar, das im Italienischen einige idiosynkratische pro­

so dische Eigenschaften besitzt (Nespor 2007: 176 ff.). Dazu zählt u.a. die Möglich­

keit, als einziges Phonem in wortinitialer Silbe einem bikonsonantischen Onset vorausgehen zu können (strada /stra.da/). Das in (45) postulierte Silbenschema weist deshalb /s, z/ im Onset gesondert aus.94 In einem wortinitialen s­Komplex ist die phonemische Opposition /s/:/z/ aufgehoben, die Sonorität des Sibilanten richtet sich nach der des folgenden Konsonanten, z.B. [s]forzo, [z]degno (vgl. 49).

Die gestrichelte Linie im Silbenschema soll andeuten, dass /s, z/, sofern es das Onset nicht alleine besetzt, nach Möglichkeit anders silbifiziert wird. Die prosodi­

sche Struktur dieses s­Komplexes wird dann durch eine (ggf. wortübergreifende) Resilbifizierung vereinfacht, indem /s/ die Koda der vorausgehenden (offenen) Silbe besetzt, z.B. sulla strada → /ˌsul.las.ˈtra.da/. Da das Italienische eine Spra­

che ist, die generell und insbesondere im Wortauslaut zu offenen Silben ten­

diert, ist die beschriebene Resilbifizierung i.d.R. problemlos möglich. Davon ausgenommen sind nur Fälle, in denen dem s­Komplex keine Silbe vorausgeht, d.h. in absoluter Erststellung einer Äußerung (Strano! ‘Seltsam!’), oder wenn eine geschlossene Silbe vorausgeht (con scarso successo ‘mit geringem Erfolg’, un film strepitoso ‘ein großartiger Film’).

S­Komplexe resultieren regelmäßig aus Wortbildungen mit dem unsilbischen Präfix s­. Dieses produktive Präfix versieht nominale, adjektivische oder verbale Basen (und daraus abgeleitete Nominalisierungen) mit einer privativen (snoccio-lare ‘entkernen’), negativen (sfiducia ‘Misstrauen’) oder intensivierenden (slancio

‘Schwung’) Bedeutung. Schwarze (1995: 553) schließt als mögliche Basen für das s­Präfix alle Verben und Adjektive aus, die mit den Sibilanten /s­, ʃ­/ bzw. den Affrikaten /ʣ­, ʦ­, ʤ­, ʧ­/ beginnen. Diese Einschätzung ist in Bezug auf die Affri­

katen nicht korrekt, denn für alle vier finden sich Belege (vgl. 49). Die entspre­

chenden Derivate sind allerdings selten und nur die Kombinationen /s+ʤ­, s+ʧ­/

kodifiziert. Die Kombinationen /s+s­, s+ʃ­, s+z­, s+ʒ­/ sind ausgeschlossen.95

94 Auch im Dt. (und anderen Sprachen) wird die silbenphonologische Besonderheit von [s], komplexe Silbenränder bilden zu können, von Phonologen häufig mit Extrasilbizität in Verbin­

dung gebracht: [s] wird dann nicht als Teil der Silbe angesehen. Eine kurze Übersicht zur Diskus­

sion um extrasilbische Konsonanten liefert Hall (2011: 253ff.).

95 /ʒ/ ist kein Phonem des It. sondern kommt nur innerhalb der Affrikate /ʤ/ vor. /z­/ käme im Wortanlaut eines Basis­Verbs bzw. ­Adjektivs nur in Kombination mit stimmhaftem Konsonant vor (vgl. 49), was eine s­Präfigierung verhindern würde. Ebenfalls ausgeschlossen ist das s­Prä­

fix vor Vokal. Bei nominalen Basen sieht Schwarze (1995: 498) nur die Einschränkung hinsicht­

lich /s/ vor Vokal und /s­/.

Wortinitiale s­Komplexe bei Nomina und Adjektiven sind zwar deutlich selte­

ner als einfache Onsets, aber keineswegs marginal. Die Häufigkeitsverhältnisse wurden im Rahmen dieser Arbeit anhand des PAISÀ­Korpus korpusanalytisch überprüft. Es handelt sich um ein frei zugängliches, morphosyntaktisch anno­

tiertes Korpus von Internettexten (siehe 3.2.1). Der relative Anteil von Nomina und Adjektiven mit wortinitialen Graphemsequenzen, die auf der lautlichen Ebene s­Komplexen zugeordnet werden können (siehe 49), beträgt darin immerhin knapp 5% an der Gesamtanzahl aller Nomina­ und Adjektiv­Vorkommen (siehe Tab. 7). Es kann davon ausgegangen werden, dass s­Wortbildungen durch ihre Frequenz einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung der Allomorphie der Arti­

kel (def./indef.) und ‘preposizioni articolate’ leisten, da sie bei maskuliner Dekli­

nation die offensilbigen Varianten lo/gli bzw. uno selegieren.

Tab. 7: Häufigkeiten (in Mio. Wörter) von Nomina/Adjektiven mit wortinitialen s-Komplexen im PAISÀ-Korpus. Die Prozentangaben nehmen Bezug auf das jeweilige Verhältnis der Vorkommen mit/ohne wortinitiale s-Komplexe

Wortinitiale

Graphemsequenz POS-Tags96

Nomina und Adjektive (M./F.) Nomina und Adjektive (nur M.) s-Komplexe mit sb-, sc-, sd-,

sf-, sg-, sl-, sm-, sn-, sp-, sq-, sr-, st-, sv-, sw-,

sz-3,28 MW 4,9% 1,52 MW 4,7%

andere 63,89 MW 95,1% 30,84 MW 95,3%

Gesamt 67,17 MW 100% 32,36 MW 100%

Intrinsische Geminaten:

Einige Konsonantenphoneme werden als intrinsische Geminaten bezeichnet, da sie im Wortinnern postvokalisch97 nur als Geminaten vorkommen. Dazu zählen neben den Affrikaten /ʣ, ʦ/ auch der palatale Nasal /ɲ/ sowie die palatalen Approximanten /ʎ/ und regional98 /j/. Italienische Geminaten sind immer hetero­

syllabisch, z.B. sogno /ˈsoɲ.ɲo/:

96 Ohne die POS­Tag­Subklassen für Eigennamen, Abkürzungen und possessive Adjektive.

97 Postvokalisch bedeutet in diesem Kontext zugleich auch immer intervokalisch, da besagte Konsonanten im It. nicht präkonsonantisch vorkommen.

98 Das DiPI zählt /j/ in der neutralen it. Standardaussprache nicht zu den postvokalisch obliga­

torischen Geminaten. Phonologisch orientierte Arbeiten nehmen aber im Zusammenhang mit im It. wirksamen phonotaktischen Prinzipien immer wieder Bezug auf die regionale Verbreitung

(46) burocrazia /burokraʦˈʦia/ ‘Bürokratie’

gazza /ˈgaʣʣa/ ‘Elster’

sogno /ˈsoɲɲo/ ‘Traum’

aglio /ˈaʎʎo/ ‘Knoblauch’

aiuto /aˈjuto/, [ajˈjuto] ‘Hilfe’

Die obligatorische Längung dieser Konsonanten99 spielt für die Distribution der Definitartikel­Varianten und der ‘preposizioni articolate’ eine besondere Rolle, da im Rahmen der Klise mit dem adjazenten Ausdruck eine prosodische Einheit gebildet wird, die derselben Domäne angehört, innerhalb derer die intrinsische Gemination wirksam ist. Folgen /ʣ, ʦ, ɲ, ʎ/ und regional /j/ auf die Flexions­

suffixe /o, a, i, e/, werden die entstehenden Geminaten /ʣʣ, ʦʦ, ɲɲ, ʎʎ, jj/

heterosyllabisch:

(47) lo zio /loʦˈʦio, loʣˈʣio/ ‘der Onkel’

gli gnocchi /ʎiɲˈɲɔkki/ ‘die Klößchen’

Punta della Gliairetta /ˌdellaʎʎaiˈretta/ ‘Gliairetta­Spitze’

allo yogurt [ˌallojˈjɔgurt] ‘Jogurt­’

Approximanten:

Den palatalen /j/­Laut und den labiovelaren /w/­Laut klassifiziert Nespor inner­

halb des italienischen Phoneminventars als Halbkonsonanten, die weder silbisch (wie Vokale) noch konsonantisch (wie eigentliche Konsonanten) sind (2007: 53).

Canepàri (1999) und (2009) klassifiziert sie hingegen als konsonantische Phoneme und bezeichnet sie gemäß ihrer Artikulationsart, die durch eine vergleichsweise geringe Verengung des Stimmtraktes geprägt ist, als Approximanten (‘Näherungs­

laute’). Wortinitiale Approximanten sind anfällig für Variation in Bezug auf die Selektion des Definitartikels, wofür vermutlich unterschiedliche Silbifizierungs­

strategien verantwortlich sind (siehe 2.3.4.2).

von /VjjV/ (Kaschny 2011: 21; Lichem 1969: 97; Marotta 1993: 277). Canepàri (1999) verortet /Vj/ → [Vjj] schwerpunktmäßig im ‘Italiano regionale’ der zentral­östliche Gruppe (Latium inkl. Rom, Umbrien, Marken) sowie in einzelnen, geografisch nicht zusammenhängenden südit. Varietäten (Molise, Süd­Apulien, Teile Siziliens). Damit ist die diatopische Verbreitung der [j]­Gemination zwar eingeschränkt, aber nicht zuletzt durch ihre Präsenz in der Hauptstadt(region) keineswegs marginal.

99 Spricht man den it. Geminaten Phonemstatus zu (wie in einigen phonologischen Arbeiten), müssten sie als ambisyllabisch bezeichnet werden. In jedem Fall markieren sie, ähnlich wie dt.

ambisyllabische einfache Konsonanten, eine enge Verbindung zweier Silben.

Vokalelision:

Damit wird im Italienischen die obligatorische oder variable Tilgung unbetonter wortfinaler Vokale vor wortinitialen Vokalen bezeichnet, wodurch das Aufeinan­

dertreffen zweier adjazenter Vokale (Hiat) über eine Wortgrenze hinweg verhin­

dert wird (Garrapa 2011: 29). Die Regelhaftigkeit und phonologische Motivation des Phänomens ist Gegenstand einer ausführlichen Literatur (Finizio 1983; Van­

volsem 1983; Agostiniani 1989; Nespor 2009; Garrapa 2007, 2011). Beispiele für obligatorische Vokalelisionen betreffen u.a. den Definitartikel im M. und F. Sg., z.B. l’ (*il, *lo) amico, wobei von einer zugrunde liegenden Form lo (und nicht il) ausgegangen wird, deren finaler Vokal elidiert wird: lo → l’. Die mit dieser Annahme verbundene Problematik wird in Abschnitt 2.3.4.3 diskutiert.

Auch im F.Pl. kommen prävokalisch (meist vor /e­, ɛ­/) elidierte Formen vor.

Die Elision von le → l’ ist aber sehr selten und gilt sowohl mündlich als auch schriftlich als veraltet (Schwarze 1995: 28) bzw. auf die poetische Sprache beschränkt (Dardano/Trifone 2009: 153). In diesem Zusammenhang muss auch erwähnt werden, dass die prävokalische Elision im Sg. nur selten, speziell im F.Sg. aber mit steigender Tendenz, unterbleibt (Vanvolsem 1983).

2.3.4.1 Distributionsregeln

Die Distribution der Artikelformen ist allein durch Anwendung phonologischer Regeln nicht erklärbar, da diese nur im Zusammenhang mit bestimmten morpho­

logischen Kategorien angewendet werden (siehe ausbleibende Vokalelision im F.Pl.). Die traditionellen Genus­Numerus­Flexionsparadigmen wie in (44) geben aber nur die graphischen Formen an, ohne ihren phonotaktischen Kontext und ihre damit verbundenen distributionellen Eigenschaften zu berücksichtigen. Zu diesem Schluss kam bereits Romeo (1969), der einen aus damaliger Sicht neuen Ansatz verfolgte, indem er zur Beschreibung der italienische Artikel (def./indef.) nicht auf das traditionelle wortartenspezifische Flexionsparadigma zurückgriff, sondern eine konsequent synchrone morpho­syntaktische und phonotaktische Analyse der Artikel­Allomorphie durchführte. Sein Ansatz verlangt für jedes Arti­

kelmorphem bzw. Allomorph individuell formulierte, phonotaktisch konditio­

nierte Regeln, die sowohl Input als auch Output erfassen. Diese Präzision geht allerdings erkennbar zulasten der Beschreibungsökonomie.

Schwarze (1995) betreibt in seiner deutschsprachigen „Grammatik der italie­

nischen Sprache“ keine detaillierte morphologische Analyse, leistet aber mit erweiterten Genus­Numerus­Flexionsparadigmen für italienische Determinative einen innovativen grammatikographischen Beitrag. Er betrachtet die von ihm als

„Artikelwörter“ bezeichneten Artikel und Demonstrativa im Kontext der Nomi­

nalflexion, indem er sie denselben genusabhängigen Deklinationsklassen der

Nomina (o­ und a­Deklination) zuordnet (Schwarze 1995: 24). Zu diesem Zweck gibt er Stammformen für die Vertreter seiner Artikelwörter­Unterklassen an:

bestimmer Artikel (l­), unbestimmter Artikel (un­), partitiver Artikel (dell­), Demonstrativum der Nähe (quest­) und Demonstrativum der Ferne (quell­). Die Allomorphe der Artikelwörter werden als Abweichungen vom Grundschema beschrieben, wobei die vollen Formen, die einen Endungsvokal besitzen, den Kurzformen, die keinen Endungsvokal besitzen und nur im M. vorkommen, in komplementärer Distribution gegenüberstehen. Daneben gibt es auch Formen mit elidiertem Endung vokal, die von Kurzformen zu unterscheiden sind. Schwar­

zes Einzelparadigmen der Definit­ und Indefinitartikel können auch in einer ein­

zigen Kreuztabelle zusammengefasst werden:

(48) volle

Kurzform nicht elidiert elidiert

Sg. Pl. Sg. Pl. Sg. Pl.

bestimmter Artikel

M. l­o gli

l’ (gl’) il i

F. l­a l­e (l’)

unbestimmter Artikel

M. un­o

un

un

F. un­a un’

nach Schwarze (1995: 25 ff.)

Die Kurzform i und die volle Form gli des Definitartikels im M.Pl. werden bei Schwarze als unregelmäßig betrachtet und nicht weiter segmentiert. Die volle Form gli besitzt mit dem prävokalischen /ʎ/ und dem präkonsonantischen /ʎi/

zwei homographe,100 aber nicht homophone Allomorphe. Die Kurzform im M.Sg., die eigentlich l lauten müsste, „wird durch die lautlich vollere Form il“ (ebd.: 24) ersetzt. Eine orthographische Besonderheit weist die elidierte maskuline Form des Indefinitartikels un auf, da sie ohne Apostroph geschrieben wird. Die Analyse von Schwarze besitzt große Vorzüge, da sie die Flexion der Artikel insgesamt weniger idiosynktratisch erscheinen lässt und sie in den größeren Rahmen der Nominalflexion einzubetten vermag. Die phonotaktischen Kriterien für die Selek­

100 Die Norm sieht im M.Pl. nur eine fakultative Regel vor, die das Fehlen von /i/ durch den Apostroph gl’ anzeigt, sofern das nachfolgende Wort mit i­ beginnt (wodurch der Schreib­Hiat

­ii­ vermieden wird).

tion der Formen müssen allerdings auch in dieser Darstellung einzeln aufgelistet werden. Diesbezügliche Angaben fallen bei Schwarze recht knapp aus (1995: 25):

– die nicht­elidierte volle Form steht vor – /j/ (lo yacht /ˈjɔt/)

s­Komplex (lo zio /ˈdzio, ˈtsio/; la strada) – /ʃ/ (gli sci /ʃi/)

– die elidierte volle Form steht vor Vokal (l’amico/a) – in allen anderen Fällen steht die Kurzform (il).

Angaben zu selteneren Onsets (z.B. /ɲ­, ks­, pn­, w­/) werden nicht gemacht, dafür folgen detailliertere Hinweise zur Elision und damit verbundenen Varia­

tionsphänomenen. Es wird allerdings nicht ausreichend zwischen grapho­ und phonotaktischer Ebene unterschieden: Die Formulierung, „bei gli, degli, quegli kann die Elision stattfinden, wenn das folgende Wort mit dem Vokal i beginnt“

(ebd.: 27) ist irreführend, da sich diese Einschränkung offenbar nur auf die Ebene der Orthographie bezieht, d.h. auf den Schreibvokal <i>. Schwarze weist zwar darauf hin, dass die Elision lediglich vor i­ orthographisch gekennzeichnet wer­

den darf (gl’italiani vs. gli altri /ʎ­/), ohne Erwähnung bleibt jedoch der Umstand, dass gli, ­gli vor Vokal phonologisch generell als /ʎ­, ­ʎ­/ und nicht als /ʎi­, ­ʎi­/ in Erscheinung tritt. Für eine silbenphonologische Analyse ist diese Einschränkung aber entscheidend.

Eine nach Vollständigkeit strebende Übersicht der Distribution von Kurzform und voller Form (im M.) des Definitartikels bzw. der ‘preposizioni articolate’ sollte von vorne herein auch Variationsfälle und Fälle von sehr niedriger Frequenz auf­

nehmen, anhand derer sich phonologische und orthoepische (sowie graphemati­

sche und orthographische) Kriterien besonders gut veranschaulichen lassen. Die Belegliste in (49) bis (52) orientiert sich an den Regeln und Fallbeispielen aus Referenzgrammatiken (exemplarisch hierfür Dardano/Trifone 2009: 152 f.) sowie aus den linguistischen Arbeiten zum Thema (u.a. Migliorini 1967; Romeo 1969;

Stammerjohann 1973; Davis 1990; Marotta 1993), wobei hier ein besonderer Wert auf die vollständige Wiedergabe von möglichen (z.T. seltenen) Graphem­ bzw.

Phonemsequenzen gelegt wurde, die sonst nur zusammengefasst dargestellt wer­

den (als „/sC/“, „s + Konsonant“ etc.). Sofern nicht anders angegeben, wurden als Beispiele Wörter ausgewählt, die im DiPI (Canepàri 2009) und/oder in Zinga­

relli (2014) kodifiziert sind. Die Liste umfasst die wortinitialen Grapheme/Pho­

neme bzw. Graphem­/Phonem­Sequenzen mit Selektion der nicht elidierten vol­

len Artikelformen bzw. ‘preposizioni articolate’ (dello, alla, sugli etc.) sowie solche mit variierender Selektion (sofern die Selektion der Kurzform in den untersuchten Korpora auch belegt ist). Bei variierender Selektion sind deutlich frequentere Arti­

kelformen – ob normgerecht oder nicht – in der Liste unterstrichen:

(49) Sequenzen von initialem /s/ bzw. /z/ und anderen Konsonanten:

sb­ /zb­/ sbaglio, sbricciolo sc­, sch­ /sk­/ scherzo, scoglio, scritto squ­ /skw­/ squalo

sc­ /sʧ­/ scentrato, scervellato (auch: [ʃ­]) sd­ /zd­/ sdegno, sdraio

sf­ /sf­/ sforzo, sfreno sg­, sgh­ /zg­/ sgabuzzino, sghembo sg­, sgi­ /zʤ­/ sgelo, sgiudiziato siV­ /sjV­/ (il/lo) siero

sl­ /zl­/ slancio

sm­ /zm­/ smeraldo

sn­ /zn­/ snello

sp­ /sp­/ spazio, splendido, spreco sr­ /zr­/ sradicamento

st­ /st­/ stesso

sv­ /zv­/ svedese

sw­ /sw­/ Swatch, (il/lo) Swaziland (aber: il (*lo) suo­ /swɔ­, swo­/) sz­ /zʣ­, sʦ­/ szoccolare101

(50) andere Konsonantensequenzen:

ct­ /kt­/ cteno­

mn­ /mn­/ (il/lo) mnemo­

pn­ /pn­/ (il/lo) pneumatico ps­ /ps­/ (il/lo) pseudo­, psico­

pt­ /pt­/ (il/lo) ptero­

tl­ /tl­/ (il/lo) Tlingit ts­ /ts­/ (il/lo) Tsan, tsunami x­ /ks­/ xeno­

101 Wörter mit /zʣ­, sʦ­/ im Anlaut sind nicht kodifiziert. Bei dem Okkasionalismus szoccolare handelt es sich um ein Derivat des Verbs zoccolare (/ʣ­, ʦ­/) (‘mit Holzschuhen klappern’) mit intensivierendem s­Präfix. Belegt ist eine Nominalisierung des Verbs innerhalb eines humoristi­

schen, fiktiven Lexikoneintrags: „Lo szoccolare, ovvero il trascinare gli zoccoli, preferibilmente su terreno duro e rumoroso“ (Internetbeleg, www.fastidio.it/2008/03/26/sciabattare/, Stand:

23.8.2017) (‘Das Holzschuhklappern, oder auch das Mitschleifen der Holzschuhe, bevorzugt auf hartem und lautem Untergrund’).

(51) Konsonantenphoneme, die intervokalisch im Wortinnern nur als Gemina­

ten vorkommen:

gn­ /ɲ­/ gnomo

gl­, gli­ /ʎ­/ gliommero102 sc­, sci­ /ʃ­/ scemo, sciopero z­ /ʣ­/ zaino

z­ /ʦ­/ zio

(52) Approximanten:

iV­ /j­/ (lo/l’/il) iodio jV­ /j­/ jugoslavo

yV­ /j­/ yoghurt

w­ /w­/ Wyoming (aber: l’uo­ /wɔ­/)

2.3.4.2 Silbifizierung

Die Distribution der Artikelformen lässt in Verbindung mit den genannten Lau­

ten/Buchstaben bestimmte silbenphonologische Regularitäten erkennen. Viele silbenphonologische Arbeiten (z.B. Chierchia 1986; Davis 1990; Marotta 1993) gehen davon aus, dass die Selektion der bei Schwarze (1995: 24f.) als Kurz­ und Vollform bezeichneten Formen einerseits und der Vollform und elidierten Form andererseits von unterschiedlichen Silbifizierungsstrategien geleitet wird, die auf eine Optimierung von Silbenstrukturen abzielen:

– für die komplementäre Distribution von il/un und lo/uno im M.Sg. wird die Bevorzugung einer hetero­ oder tautosyllabischen Silbifizierung des Onsets der nachfolgenden Silbe verantwortlich gemacht, z.B.: il padre /il.ˈpa.dre/ vs. lo zio /loʣ.ˈʣi.o/, lo stesso /los.tes.so/

– für die komplementäre Distribution der offensilbigen lo/uno (M.Sg.), la/una (F.Sg.) gegenüber dem unsilbischen l’ bzw. der geschlossenen Silbe un/un’ (M./F.Sg.) ist das Vorhandensein bzw. die Abwesenheit eines Onsets bei der nachfolgenden Silbe aus­

schlaggebend, z.B.: la zia /laʣ.ˈʣi.a/ vs. l’altra /ˈlal.tra/

– für die komplementäre Distribution von gli /ʎi/ und gli /ʎ/ (beides M.Pl.) gilt eine Kom­

bination aus beiden vorgenannten Prinzipien, z.B.: gli sci /ʎiʃ.ˈʃi/ vs. gli altri /ˈʎal.tri/

Aus den phonotaktischen Gegebenheiten resultieren bei Proklise (in der NP) und Ambiklise (‘preposizioni articolate’ in der PP) des Definitartikels je drei Silben­

strukturtypen, die sich aus der unterschiedlichen Silbifizierung der nachfolgen­

102 Das Vorkommen von wortinitialem /ʎ­/ ist nahezu auf die Definitartikelform gli {M.Pl.} be­

schränkt. Das DiPI verzeichnet nur drei Lemmata mit /ʎ­/, bei denen es sich um die Eigennamen Gliaca (Ort in Sizilien), Gliairetta (Gletscher im Aostatal) und den Neapolitanismus gliommero (eine Gedichtform) handelt.

den Silbe ergeben: vor bedeckter Silbe ohne Resilbifizierung, vor offener Silbe (mit Tautosyllabierung im Sg.) und vor bedeckter Silbe (mit Tautosyllabierung des Konsonanten im wortinitialen Onset). Die folgende Tabelle gibt die Silbifizie­

rung des klitischen Definitartikels in Verbindung mit adjazenten Silben in der Notation der klassischen CV­Phonologie an. Die Differenziertheit der Strukturty­

pen nimmt mit zunehmendem Grad der Markiertheit der nachfolgenden Silbe ab, was als ikonisch betrachtet werden kann. Vor CV­Silben gibt es drei Genus­Nume­

rus­differenzierte Typen, zwei numerusdifferenzierende für das unmarkierte Non­Femininum und einen numerusunspezifischen Typ für das Femininum (Tab. 8α). Vor VC­Silben, die als silbenstrukturell markierter gelten als CV­Silben, gibt es zwei Typen, einen speziell für F.Pl. (Tab. 8β). Vor CV­Silben mit einem Re sil bi fi zie rung erfordernden C gibt es für beide Genera und Numeri nur noch einen einzigen Typ (Tab. 8γ).

Tab. 8: Silbenstrukturtypen des klitischen Definitartikels

a. Proklise b. Ambiklise (‘preposizioni articolate’)

α. nachfolgendes Onset besetzt (bedeckte Silbe) M.Sg.V C . β. nachfolgendes Onset unbesetzt (offene Silbe)

M.; F.Sg. C

Die Selektion bestimmter Artikelformen lässt sich allerdings nicht ausschließlich auf silbenphonologische Kriterien zurückführen. Diese sehen sich zudem einigen Schwierigkeiten ausgesetzt, da auch variierende Silbifizierungen auftreten, die die allgemeine Gültigkeit der oben postulierten Distributionsregeln – und damit ihr theoretisches Fundament – in Frage stellen. Zum Beispiel macht Bertinetto (2004) auf mehrere empirische Studien aufmerksam, die zu unterschiedlichen Ergebnissen in Bezug auf die Obligatorik einer tautosyllabischen Silbifizierung von s­Komplexen (49) kommen, womit die Silbifizierungsstrategie als treibende Kraft der Artikelselektion bei diesem Onset­Typ in Frage gestellt wird. Auch die Silbifizierung der Approximanten (52) bereitet Probleme. Die Norm schreibt die Selektion von lo/uno/gli (/ʎi/) vor /j­/ bzw. l’ vor /w­/ vor, obwohl für die tautosyl­

labische Silbifizierung von /j­/ in Fällen wie lo yoghurt [lo.ˈjɔgurt] und die Wahl des unsilbischen l’ vor besetztem Onset in Fällen l’uomo /ˈlwɔ.mo/ keine Notwen­

digkeit besteht und keine unmittelbar erkennbaren Vorteile damit verbunden sind. Die ausgeprägte Variation bei der Silbifizierung wortinitialer Approximan­

ten in der NP wird häufig als Ausdruck eines Konflikts betrachtet, der aus der Anwendung unterschiedlicher Prinzipien resultiert.

Strittig ist in diesem Zusammenhang, ob überhaupt eine phonologische Motivation zugrunde liegt oder nicht. Marotta (1993) kommt im Rahmen einer empirischen Studie zu dem Schluss, dass die lo­Selektion vor /j­/ nicht auf syn­

chron wirksamen phonologischen Regeln beruhen kann und vermutet dahin­

ter lediglich die Anwendung einer erlernten Grammatiknorm (ebd.: 277). Die Artikelselektion vor /w­/, die durch eine erhöhte Variabilität v.a. zwischen indigenen und nicht­indigenen Wörtern geprägt ist, führt sie hingegen auf phonologische Faktoren zurück (ebd.: 278). Keine Erwähnung finden bei ihr mögliche Faktoren, die sich durch die schriftsprachliche Ausrichtung ihres Test ergeben: Vor diesem Hintergrund könnten auch graphematische Faktoren relevant sein, die eine spezifische Artikelform vor bestimmten Graphem­

sequenzen unabhängig von der zugrunde liegenden phonetischen Realisie­

sequenzen unabhängig von der zugrunde liegenden phonetischen Realisie­