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Klitische Verbindungen in der Präpositionalphrase

2.3 Phonologie und Morphologie

2.3.3 Klitische Verbindungen in der Präpositionalphrase

Bevor die phonologischen Voraussetzungen der Klise bei Vfn. und ‘preposizioni articolate’ detailliert diskutiert werden, wird zunächst ein Blick auf die typische Wortstellung in der PP geworfen: PPs sind in beiden Sprachen strukturell sehr ähnlich aufgebaut. Ihr Kopf ist die Präposition, die eine NP regieren kann (oder eine Pronominalphrase, Adverbphrase und im Italienischen auch eine Infinitiv­

konstruktion, vgl. (Schwarze 1995: 292; Zifonun/Hoffmann/Strecker 1997: 78).

Eine typische PP mit eingebetteter NP besitzt eine Phrasenstruktur wie in (28).

Die sprachspezifischen, optionalen (runde Klammern) pränominalen Erweite­

rungen von N, werden als (E) angegeben (z.B. Adjektive), wobei E1 den erweitern­

den Ausdruck bezeichnet, der adjazent zu Det steht.

(28) [PP P [NP Det (E1) (E2…En) N]]

Inwieweit die Bildung von PPs mit Präposition­Definitartikel­Enklisen mit von (28) abweichenden, komplexeren NP­Strukturen möglich ist, wird ausführlich im Kapitel Syntax (2.4) diskutiert.

Da es sich bei Präpositionen und Artikeln um Funktionswörter handelt, die geschlossenen Klassen angehören, ist die Anzahl möglicher P­Det­Kombinatio­

nen endlich.86 Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass nur wenige Präpositio­

nen besonders frequent sind, schrumpft zudem die Anzahl häufig verwendeter Kombinationen auf eine überschaubare Größe. Die am linken Rand der PP beson­

ders feste Abfolge einer kleinen Menge typischer Präpositionen und einer noch kleineren Menge von Artikelformen sorgt in beiden Sprachen für relativ kon­

stante phonologische Bedingungen bei der Bildung klitischer Verbindungen.

Eine Teilmenge von Präpositionen kann eine klitische Verbindung mit einzelnen nachfolgenden Determinativen eingehen, wobei die Präposition dann als Basis (P­Basis) fungiert, an die das Determinativ enklitisch angebunden wird. Hier­

bei sind die potenziellen Junkturen der Konstituenten des in (29) wiedergegebe­

nen PP­Strukturtyps von großer Bedeutung. X repräsentiert hierbei die adjazent zu Det stehende Wortform, also entweder das Kopfnomen N selbst oder die am weitesten links stehende Wortform einer Erweiterung E1 (z.B. ein attributives Adjektiv)

(29) P+Basis Det+klit X…

86 Im Dt. schränken die Rektionseigenschaften der Präposition die möglichen Kombinationen zusätzlich ein.

Eine Junkturtilgung bei Präposition­Artikel­Verbindungen ist potenziell an zwei Stellen möglich: Zum einen zwischen Präposition und Artikel und zum anderen zwischen Artikel und dem adjazenten nachfolgenden Ausdruck X:

P+Det+X →

(30) P+Det+X (keine Klise) (31) P+Basis=Det+klit+X (Artikel­Enklise) (32) P+Det+klit=X (Artikel­Proklise) (33) P+Basis=Det+klit=X (Artikel­Ambiklise)

Welche phonetischen Veränderungen mit der Junkturtilgung einhergehen bzw.

ausbleiben, ist sprachspezifischen Regeln unterworfen.

2.3.3.1 Italienisch

Der Definitartikel wird gemeinsam mit den adjazenten Ausdrücken zu einer prosodischen Konstituente gruppiert, nämlich dem phonologischen Wort oder – je nach Sichtweise – der von Nespor/Vogel (1986, 2007) und Hayes (1989) pos­

tulierten ‘clitic group’. Wie die folgenden Beispiele veranschaulichen, ist der italienische Definitartikel in PPs grundsätzlich ambiklitisch und es sind nur bestimmte morphologische Formen der beteiligten Präpositionen und Definit­

artikel kombinierbar:

(34) nell’acqua → [nel.ˈlak.kwa] P=Det=N ‘im Wasser’

(35) *nella acqua *[nel.la.ˈak.kwa] *P=Det+N (36) *ne (*in) l’acqua *[ne.ˈlak.kwa] *P+Det=N (37) *ne (*in) *la acqua *[ne.la.ˈak.kwa] *P+Det+N

Bei der Selektion von [l­] (in der NP) bzw. [­ll­] (postvokalisch in der PP) anstelle von [la­, ­lla­] (vgl. 34) wird in der italienischen Grammatik traditionell von Vokal­

elision87 (la→l’) ausgegangen, die auch bei anderen Funktionswörtern regelmä­

87 Das Konzept der Elision ist synchron betrachtet nicht unproblematisch. Es geht davon aus, dass l’, ­ll’ die vollen Formen lo, ­llo bzw. la, ­lla zugrunde liegen, die unter Anwendung des Eli­

sionsprozesses ihren vokalischen Silbenkern verlieren. Während dieser Vorgang beim Definit­

artikel und den ‘preposizioni articolate’ obligatorisch ist (*la/*nella acqua), ist dies in anderen grammatischen Kontexten nicht der Fall (le acque {F.Pl.}). Daneben ist aber auch ein Ansatz mög­

ßig Anwendung findet. Sie zielt unter dem Gesichtspunkt der Hiat­Vermeidung auf eine Optimierung von Silbenstrukturen ab (Garrapa 2011: 211; vgl. Venne­

manns (1986: 32 f.) „Präferenzgesetze für Silbenstruktur“). Auch die frequentes­

ten Artikelformen [il] {M.Sg.} und [la] {F.Sg.} werden als proklitisch angesehen, obwohl ihre rechten Morphemgrenzen keine Junkturtilgungen in Richtung des folgenden adjazenten Ausdrucks aufweisen.88 Dies wird dadurch begründet, dass italienische Artikel prosodisch nie eigenständig sind, sondern unter phonotakti­

schen Gesichtspunkten vom adjazenten Ausdruck – in Abhängigkeit der Beschaf­

fenheit dessen wortinitialer Silbe – selegiert werden. Diese Selektionsbedingun­

gen werden ausführlich in Abschnitt 2.3.4.1 beschrieben. Somit sind, zumindest für das Italienische, neben der Junkturtilgung noch weitere morpho­phonologi­

schen Kriterien zur Bestimmung der Klise notwendig. Charakteristisch für die

‘preposizioni articolate’ ist auch die Gemination der silbeninitialen Konsonanten an der P+Basis=Det+klit­Junktur, die sich auf zwei synchron wirksame phonologische Regeln zurückführen lässt: die intrinsische und die sog. syntaktische Gemination (‘raddoppiamento sintattico’).

I. Intrinsische Gemination:

Bestimmte Konsonantenphoneme, darunter der palatale Lateralapproximant [ʎ], werden im Italienischen intervokalisch immer geminiert (siehe 2.3.4). Die [ʎʎ]­

Geminate erscheint deshalb immer auch nach vokalisch auslautenden Präpositi­

onen in Verbindung mit der Definitartikelform gli:

(38) a, da, di, su + gli /ʎi/ → agli, dagli, degli, sugli /aʎʎ(i),89 daʎʎ(i), deʎʎ(i), suʎʎ(i)/

lich, der [l­, ­ll­] nicht als phonologisch aus [lo]/[la] abgeleitet betrachtet, sondern als genusun­

spezifische Allomorphe, die distributionell auf die prävokalische Position beschränkt sind. Tra­

ditionell von der Elision unterschieden – auch auf orthographischer Ebene durch Nicht­Setzung des Apostrophs – wird die Apokope (it. ‘troncamento’), weil sie nicht an die prävokalische Posi­

tion gebunden ist. Nicht ganz trennscharf (und im Ergebnis identisch) sind die Konzepte aller­

dings beim Indefinitartikel un {M.Sg.}, der sowohl vor Vokal als auch vor Konsonant (außer s­Komplex) vorkommt, in der italienischen Grammatiktradition aber als apokopierte (nicht als elidierte) Form von uno gilt.

88 Als Junkturtilgung kann allerdings die folgende Tautosyllabierung betrachtet werden: Folgt auf la ein s­Komplex, besetzt [s] die Silbenkoda des Definitartikels, wodurch divergierende Sil­

ben­ und Morphemgrenzen entstehen, z.B. [la+s.tes.sa].

89 Vor Vokal steht [­ʎʎ­] ohne [­i].

II. ‘Raddoppiamento Sintattico’ (RS):

Dieser Prozess operiert unabhängig von der intrinsischen Gemination und bewirkt die Gemination wortinitialer geminierbarer Konsonanten (ausgenommen s­Komplexe), wenn die vorausgehende wortfinale Silbe offen ist (Nespor 2007:

96). Die Geminate wird dabei heterosyllabisch auf die Silbenkoda der ersten und das Onset der zweiten Silbe verteilt. Meistens (aber nicht immer) handelt es sich bei RS auslösenden Wörtern um solche mit Hauptakzent auf der letzten Silbe (Oxytona). Auch einige Präpositionen bewirken RS, z.B.:

(39) a. a[+RS] casa → /akˈkaza/ ‘zuhause’

b. di[–RS] casa → /diˈkaza/ ‘nach Hause’

Aus Sicht der prosodischen Phonologie operiert RS innerhalb von – aber nicht zwischen – phonologischen Phrasen (φ), d.h. an den Junkturen zwischen pho­

nologischen Wörtern (ω): „[…] RS is a ω juncture rule that applies φ domain.“

(ebd.: 171). Neben den P­Basen a, da,90 su verursachen auch tra, fra, contra, sopra und zahlreiche Vertreter anderer Wortarten RS. Die Gemination des sil­

beninitialen [l] ist also kein auf die ‘preposizioni articolate’ beschränktes Phänomen.91

Heterosyllabische Gemination und anlautmaximierende Silbifizierung (vgl.

11) erweisen sich im Italienischen als prosodische Kohäsionsverfahren, die eine Verschiebung von Silben­ und Morphemgrenzen bewirken. Die Signalwirkung geht dabei nicht von einer Junkturtilgung im engeren Sinne, d.h. durch Auslas­

sung eines phonetischen Merkmals oder eines Phonems aus, sondern von der Divergenz der Silben­ und Morphemgrenze: nell’acqua → ne+l.l+ak.kwa.

Der für ‘preposizioni articolate’ typische Formbestand (2.3.4) zeichnet sich dadurch aus, dass er phonotaktisch adäquate Allomorphe für unterschiedliche lautliche Umgebungen bereitstellt. Phänomene wie die Anpassungen der Präpo­

sition (di, con, in, per → de­, co­, ne­, pe­) oder die Gemination in Verbindung mit Präpositionen, die (im heutigen Standard) kein RS (mehr) verursachen (di (de­) + la → della), sind das Resultat phonologischer Regeln, die in früheren Sprach­

perioden wirksam waren. Die entsprechenden Formen sind nicht aus synchron wirksamen phonologischen Regeln herleitbar. Bei der Resilbifizierung von Konso nanten, die an den Wort­/Morphemgrenzen angesiedelt sind, sowie bei

90 Da verursacht nicht in allen standardnahen Varietäten RS (Canepàri 2009: 52).

91 Die Orthographie berücksichtigt RS nicht konsequent, auch nicht (mehr) bei Präpositionen, vgl. fra/tra[+RS] ‘zwischen’: [ˈfralla, ˈtralla] → tra la, fra la vs. †fralla, †tralla. RS ist im Standard, nicht aber in nordit. Varietäten verbreitet.

der intrinsischen Gemination von [ʎ] handelt es sich hingegen um synchron wirksame, die Silbenstruktur auf der Äußerungsebene optimierende phonologi­

sche Regeln des modernen Italienischen, die auch nicht auf bestimmte gram­

matische Formen beschränkt sind, sondern generelle Gültigkeit besitzen. Die Gemination von [l] nach den RS­verursachenden Einsilbern a, da, su (tra, fra) ist ebenfalls eine vorhersagbare Konsequenz des RS und kein speziell die ‘preposi­

zioni articolate’ betreffender Vorgang. Die übrigen Präpositionen di, con, in, per verursachen zwar kein RS, ihre in den klitischen Verbindungen vorliegenden Stammvarianten de­, co­, ne­, pe­ besitzen allerdings formal alle typischen Merkmale von Wörtern, die im heutigen Italienischen RS verursachen – bis auf die Tatsache, dass es sich um keine freien Formen, sondern um gebundene Allo­

morphe handelt.

2.3.3.2 Deutsch

Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Deutschen und Italienischen ist der Umgang mit Junkturen. Innerhalb von NPs/PPs äußert sich dieser prosodische Kontrast beispielsweise dadurch, dass das Deutsche (eingeschränkt) zwar die Enklise, nicht aber die Ambiklise des Definitartikels zulässt (Junkturerhalt:

P=Det+X). Formseitig äußert sich das durch konvergierende Silben­ und Mor­

phemgrenzen (40)–(43) bzw. (optional) durch einen wortinitialen prävokalischen glottalen Verschlusslaut als Grenzsignal (17), (18):

(40) am Abend [ˌʔam.ˈʔaː.bn̩t] P=Det+klit+N (41) an dem Abend [ˌʔan.deːm.ˈʔaː.bn̩t] P+Det−klit+N (42) aufm Dach [ˌa͜u.fm̩.ˈdax] P=Det+klit+N (43) auf dem Dach [ˌa͜uf.deːm.ˈdax] P+Det−klit+N

Für eine Analyse der funktional­semantischen Unterschiede zwischen Enklise (40) und Nicht­Enklise (41) im Deutschen sei auf Abschnitt 2.5 verwiesen. Der entscheidende Unterschied zwischen beiden Sprachen ist, dass im Deutschen die Sequenz P+Det−klit grundsätzlich möglich und Det+klit nie ambiklitisch ist. Wäh­

rend das Deutsche die rechte (mit der Morphemgrenze zusammenfallende) Wort­

grenze aufrechterhält, walten im Italienischen obligatorische (vgl. 35, 36) wort­

übergreifende prosodisch­phonologische Prozesse, die zur vollständigen Tilgung der Wortgrenzen führen. Dieser augenscheinliche Kontrast zwischen deutschen und italienischen Präposition­Definitartikel­Enklisen lässt sich letztlich auf die unterschiedliche prosodische Typologie beider Sprachen zurückzuführen: Beide Sprachen können zwei prosodisch unterschiedlichen Grundstrukturen zugeord­

net werden, die sich als wort­ (Deutsch) bzw. silbenbezogen (Italienisch) charak­

terisieren lassen. Aus dieser Unterscheidung leiten sich auch zwei verschiedene Rhythmustypen ab (akzent­ vs. silbenzählend). Das silbenbezogene Italienische tendiert dazu, Silbenjunkturen zu profilieren, wohingegen das wortbezogene Neuhochdeutsche92 besonderen Wert darauf legt, Junkturen auf Morphem­ und Wortebene zu schärfen (Auer/Uhmann 1988; Auer 2001: 367; Nübling/Schrambke 2004: 284 f.; Nübling 2013: 17 ff.). Die silbenphonologischen Gesetzmäßigkeiten des Italienischen lassen seinem Sprachtyp entsprechend wenig Spielraum für eine Variation zwischen Enklise und Nicht­Enklise und einer darauf basierenden funktionalen Differenzierung (vgl. 35–37).