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2.3 Phonologie und Morphologie

2.3.5 Die Flexionsformen des deutschen Definitartikels

2.3.5.1 Analyse der Artikelformen

2.3.5.1.2 das und des

Die insgesamt sehr hohe Token­Frequenz von das ist auf die selbstständig prono­

minale Verwendung von Vollformen zurückzuführen; der dazu im Vergleich geringe Anteil transkribierter Reduktionsfomen steigt erheblich, wenn nur die

determinativische Verwendung zugrundegelegt wird.136 Als einzige der unter­

suchten Formen entspricht bei das die häufigste Transkriptionsform des nicht der Standardlautung. Die FOLK­Recherche hat ergeben, dass die Reduktionsform des (46,9%) sogar häufiger als die standardlautliche Realisierung das (45,3%) tran­

skribiert wurde. Im Korpus sind 93,0% der transkribierten des keine Genitivfor­

men, sondern eine Nominativ­/Akkusativformen im Neutrum. Als phonetische Realisierungen für Reduktionsformen von das kommen [dɛs, dəs] in Frage (vgl.

auch Schaub 1979: 79). Der Formzusammenfall von das und des in der gesproche­

nen Sprache verläuft parallel zum Kasussynkretismus der pronominalen Dekli­

nation (/­əs/ → {N.Sg.Nom./Akk.}/{M./N.Sg.Gen.}), d.h. die Zentralisierung des Stammvokals führt zu einem Synkretismus, der – genau wie bei der pronomina­

len Deklination – die nicht­dativischen Kasus in einer einzigen Flexionsform ver­

eint: das, des → [dɛs]/[dəs].

Die relative Häufigkeit des Genitivartikels des beträgt in Bezug auf alle Wort­

tokens des FOLK­Korpus nur 0,09%. Damit ist er noch sehr viel seltener als in Korpora geschriebener Gegenwartssprache (DeReKo), wo er einen Durchschnitts­

wert von 0,7% erreicht.137 In FOLK liegt auch keine nennenswerte Zahl von Tran­

skriptionsvarianten vor, die von der standardnahen Vollform abweichen. Diese Variationsarmut und niedrige Frequenz lässt sich sicherlich mit dem sprachge­

schichtlich gut dokumentierten Rückgang der Genitiv­Verwendung (Polenz 1999:

345) in Verbindung bringen. In diesem Zusammenhang muss auch berücksichtigt werden, dass die Formen [dɛs, dəs] im gesprochenen Deutsch in erster Linie als N.Sg.Nom./Akk.­Form (das) identifiziert werden (Tab. 14).

Schaub will in ihrem Korpus für gesprochene Sprache auch Belege für [­əs]

(mit Schwa) als enklitische Form des Genitivartikels gefunden haben (1979: 83).

In FOLK gibt es hierfür keinen einzigen (korrekt transkribierten) Beleg. An diesen Befund schließen sich einige Überlegungen zum Status der Klitisierung des Geni­

tivartikels des im gesprochenen Deutsch an: Die Silbizität des Artikelrests in Vfn.

136 Die Recherche erfolgte ohne Einbezug von POS­Tags, da diese zu hohe Fehlerquoten aufwie­

sen. Insbesondere bei den Belegen von das liegt häufig eine selbstständig pronominale (keine determinativische) Verwendung vor. Da Pronomina betonbar sind, unterliegen sie Reduktions­

prozessen seltener als Determinative. Bei stark reduzierten Pronomina ist im Einzelfall theore­

tisch auch nicht mehr entscheidbar, welcher pronominalen Subklasse (Anapher, Deixis etc.) der Beleg zuzuordnen ist. Mit Ausnahme der das­Formen ist der Anteil selbstständig pronominaler Verwendung insgesamt eher gering.

137 In den größeren (>0,1 MW) DeReKo­Teilkorpora schwanken die Token­Häufigkeiten von des textsortenabhängig zwischen 0,3% (Belletristik des 20. und 21. Jahrhunderts: Diverse Schriftstel­

ler) und 1,19% (Herausgebertexte zum Korpus Biografische Literatur).

ist bei Schaub im Falle des /­s/ an Erhalt bzw. Ausfall des Schwas geknüpft:138 Bei P­Basen, die auf [t] <­d, ­t> enden, transkribiert Schaub immer [­əs], z.B. anhand’s [anhantəs] (Schaub 1979: 84). Diese sind allesamt Genitivpräpositionen, d.h. es kommt als Vollform nur des (und nicht: das) in Betracht. Alle Vorkommen sind bei Schaub heterosyllabisch, obwohl hier aus phonotaktischer Sicht auch eine tautosyllabische Enklise von /­s/ (statt [­əs]) möglich wäre. Bei Enklisen mit Akk.­

P­Basen (außer nach wortfinalem /s/) geht sie hingegen immer von einem Schwa­

Ausfall aus (z.B. durchs [dʊrçs]). Diese komplementäre Distribution ließe den (von ihr nicht geäußerten) Schluss zu, dass sich die klitischen Formen im N.Akk.

und M./N.Gen. durch den Erhalt des Schwas morphologisch unterscheiden. Ob Akk.­P­Basen in gleicher phonotaktischer Umgebung ebenfalls heterosyllabische Enklisen bilden, lässt sich aber in Ermangelung von Akk.­P­Basen mit silbenfina­

lem Dental nicht überprüfen. Eine abweichende Silbifizierung von genitivischem [­s] kann auch deshalb nicht beobachtet werden, da in Schaubs Korpus alle belegten P­Basen mit möglicher Genitivrektion auf [s] oder [t] enden. Schaub weist darauf hin, dass der wortfinale Dental [t] <­d, ­t> eine progressive Assimila­

tion des silbeninitialen Dentals eines nicht­klitischen des begünstigt, sodass kli­

tische und nicht­klitische Realisierung in diesen Fällen phonetisch schwer zu unterscheiden sind (ebd.: 78). Diese Assimilation ist an ein erhöhtes Sprechtempo geknüpft, eine Form wie [anhantəs] mit vollständigem d­Schwund dürfte in lang­

samer Sprechweise kaum akzeptabel sein. Um zu testen, ob hier tatsächlich eine Stammtilgung nach dem Vorbild des enklitischen Definitartikels in Verbindung mit P­Basen vorliegt, oder „nur“ eine unspezifische lautliche Vereinfachung der (schnell gesprochenen) Umgangslautung, müsste festgestellt werden, ob [dɛs, dəs] nicht unter diesen Bedingungen generell (und nicht nur in der PP) nach sil­

benfinalem [t] zu [əs] reduziert wird.

Während im Mhd. und Fnhd. der enklitische Genitivartikel noch etwas häu­

figer vorkam, scheint eine vollständige, tautosyllabische Klise des Genitivarti­

kels im heuten Deutsch nicht mehr möglich zu sein. Nübling spricht in diesem Zusammenhang von Degrammatikalisierung (Nübling 2005: 123). Die Gründe hierfür sind bei der extrem niedrigen Frequenz des Genitivs im gesprochenen

138 Schaub folgt dem von Satzphonetikern angenommenen Modell eines mehrstufigen Reduk­

tionsprozesses, z.B. die [ˈdiː > di > dɪ > də > (ə)] (Gnutzmann 1975: 19). Ihrer (phonetischen) Per­

spektive folgend geht das Schwa in [­əs], z.B. nach einem Sibilant, wo es aus phonotaktischen Gründen benötigt wird, nicht auf eine Epenthese (vgl. Eisenberg 2006a: 129), sondern auf eine Nicht­Tilgung zurück. Morphologisch lässt sich die Reduktion als Tilgung des Stamm­Mor­

phems beschreiben. Betrachtet man den Vokal als Teil des Stamms dV­, bleibt nur das Flexions­

suffix ­s übrig. In dieser Sichtweise wäre das Erscheinen des Schwas nach Sibilant also epenthetisch.

Deutsch zu suchen. Der Rückgang der Gebrauchsfrequenz und der Reduktion/

Enklise (sowohl schriftlich als auch mündlich) geht maßgeblich auf syntakti­

sche Sprachwandelprozesse zurück: Zum einen spielt hier der allmähliche Abbau des Genitivs als Objektkasus eine entscheidende Rolle, zum anderen der Stellungswechsel vom prä­ zum postnominalen Genitiv (Nübling 2013: 107 ff.), der den Genitivartikel (einer attributiven NP) aus einer Position verdrängte, die satzphonetisch die lautliche Reduktion begünstigt (linker Teil des Mittelfelds).

Die funktionalen Eigenschaften genitivischer NPs mit Definitartikel (vgl.

2.4.3.2.1) sind im heutigen Deutsch zu spezifisch um noch Reduktionsformen oder Enklisen des Definitartikels (wieder) zu generieren, geschweige denn zu etablieren.