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Grammatiken des 17. Jahrhunderts

Johannes Kromayers „Deutsche Grammatica“ von 1618 beschreibt die Präpo­

sition­Definitartikel­Enklise wieder mithilfe der griechischen Terminologie, verwendet aber statt Synärese den Begriff Krasis (gr. κρᾶσις ‘Mischung’). Im engeren Sinne wird darunter, ähnlich der Synärese, die Fusion zweier heterosyl­

labischer Vokale zu einem einzigen Silbenkern verstanden. Auch hier wird der Begriff auf Fälle mit damit in Verbindung stehenden Konsonantentilgungen ausgedehnt:18

(8) Es werden auch offt durch eine Figur / die heiſt Craſis / zwey Woͤrtlin zuſammen gemenget / durch außlassung eines oder des andern Buch­

ſtabens.

(Kromayer 1618: 85)

Als Beispiele folgen einfache Nominalphrasen (ohne Kontext) jeweils unter Angabe der entsprechenden Vollform­Sequenz, die hier in (9) nur in unklaren Fällen angegeben wird. Die Liste enthält sowohl Präposition­Definitartikel­Enkli­

sen als auch verschiedene Silbenkürzungen:

(9) Vom Vater, Fuͤrm Thor, Im Himmel, Auſſerm Walde, Am Berge, Bey eim Buͤrger (für: Bey einem Buͤrger), Einsmahl (für: Eines mahl), Den Schuͤlern (für: Denen Schuͤlern), Der Bruͤder (für: Derer Bruͤder), Zum Vater, Ins Hauß, Uberm Erdreich.

(Kromayer 1618: 85f.)

Neu hinzu gekommen sind bei Kromayer also außerm, ins und überm, bei fürm handelt es sich um eine Variante von vorm.

18 Krasis (port. crase) hat sich in der portugiesischen Grammatikschreibung als Terminus für die Lautreduktion [ɐ] + [ɐ­] → [ɐ] etabliert, die bei der klitischen Verbindung der Präposition a [ɐ]

mit auf [ɐ­] anlautenden Artikeln und Pronomina eintritt. Orthographisch wird sie durch den Gravis markiert, z.B. <a> + <a­> → <à>/<à­>, z.B. à praia ‘zum Strand’, àquele ‘zu jenem’.

Johann Bellins „Syntaxis Præpoſitionum Teutonicarum“ von 1661 verwendet im Einklang mit den sprachpolitischen Zielen des 17. Jahrhunderts ausschließlich deutsche Termini. Bellin erwähnt auch den Zusammenhang zwischen Kasusrek­

tion und Enklisebereitschaft des Definitartikels, wenn er insbesondere Präpositi­

onen mit Akkusativ („klagendung“), Dativ („naͤmendung“) oder beide Kasus als diejenigen hervorhebt, die mit dem Artikel („geſchlaͤchtworte“) „in eine ſilbe zu wachsen“ pflegen (Bellin 1661: 76). Seine Liste ist sehr umfangreich, aber den­

noch nur exemplarisch gedacht („[…] und andere mer“). Sie umfasst auch den­

Enklisen, bei denen die Silbe in der Schrift vollständig getilgt wird:

(10) An / fuͤr / an den. Das Roͤmiſche reiche mus

bleiben bis an juͤngſten tag / Lut. Forrede ůber Dan. 2.

[…] In / fuͤr / in den. Wän dein folk auszeucht in ſtreit / 1. Koͤn. 8.v.44.

(Bellin 1661: 76)

Diese den­Enklisen mit anschließender Tilgung sind in den genannten Beispie­

len mit in (an, von) graphisch nicht von Artikellosigkeit zu unterscheiden, vgl.

in  Streit (10). Neben in/an sind auch hinterm, übers und widers erstmals aufgeführt.19

Von Justus Georg Schottel, dem „bedeutendsten deutschen Sprachwissen­

schaftler des 17. Jh.“ (Polenz 1994: 152), wurde die 1460 Seiten starke „Ausfuͤhrliche Arbeit Von der Teutschen Haubt Sprache“ (1663) verfasst. Schottel war Mitglied der ‘Fruchtbringenden Gesellschaft’, die sich nach dem Vorbild der italienischen

‘Accademia della Crusca’ die Sprach­ und Dichtungspflege in kulturpatriotischem Sinne auf die Fahnen geschrieben hat (Gardt 1999: 104 f.). Die Darstellung der Präposition­Definitartikel­Enklisen ist in Schottels Grammatik allerdings eher konventionell gehalten und geht nicht über die entsprechenden Darstellungen bei Clajus, Kromayer und Bellin hinaus.20 Er geht zweimal auf die Ausdrucks­

19 Außerdem bei Bellin (1661): am, aufm, aufs, beim, im, ins, vom, zum, zun, zur.

20 Auch die bereits von Clajus (1578) erwähnten Verkürzungen den (denen), der (derer), eim (ei-nem) und eins (eines) werden bei Schottel in einem eigenen Abschnitt behandelt. Hier sticht eine möglicherweise beabsichtigte Diskrepanz ins Auge. Während die deutschsprachige Erläuterung

„man ſchreibt und ſagt oftmals […]“ (Schottel 1663: 229) neutral formuliert ist, wird die Verkür­

zung in der anschließenden lat. Zusammenfassung des Abschnitts überraschenderweise als Re­

gelverstoß beurteilt: „Rigor Grammaticus autem truncationem dictionum non admittit.“ (ebd.)

„Die Strenge der Grammatik erlaubt die Verstümmelung der Rede aber nicht.“

klasse ein, sehr ausführlich im Kapitel „De Articulo“ (Schottel 1663: 229f.) und sehr knapp im Kapitel „De Syntaxi Articulorum“ (ebd.: 703). Im Kapitel zum Arti­

kel unterscheidet er systematisch die drei Fälle, bei denen auch „die letzte Letter des Vorwortes […] weggeworffen“ wird (ebd.: 230), also am, im und vom, von den anderen, bei denen der Wegfall nur die ersten beiden Buchstaben des Artikels betrifft. Wie schon Bellin wählt Schottel (nur im Kapitel „De Articulo“) als Bei­

spiele vollständige Belege aus unterschiedlichen Quellen und beschränkt sich nicht auf die kontextlose Angabe von Präposition­Artikel­Sequenzen bzw. einfa­

chen NPs. Darunter befinden sich – neben Originalzitaten aus Werken von Luther, Opitz, Sidney (Übersetzung der „Arcadia“) und dem Lehnrecht – fast ausschließ­

lich (satzförmige) Phraseologismen, z.B. „Alte Leute ſuchen ihre Stärke im war­

men Bier/im Bette und hinterm Ofen“. Im Abschnitt zu am, im und vom ergänzt Schottel nun auch fast zu jedem Beleg die dazugehörige Vollform­Sequenz in Klammern. Bezeichnenderweise fehlt die Angabe der Vollform nur in einem Fall:

bei dem im Fnhd. grammatikalisierten am­Superlativ, der zu Schottels Zeit bereits nicht mehr mit an dem variiert haben dürfte (Fuhrhop/Vogel 2010: 89). Allerdings können auch bei einigen anderen Sätzen, zumindest aus heutiger Sicht, die ange­

gebenen Vollform­Sequenzen am/im/vom nicht einfach ersetzen, siehe „[…] den machet es zum Narren/(zu dem)“ (Schottel 1663: 230). Erläuterungen zu den unterschiedlichen Funktionen des enklitischen Definitartikels und seiner Voll­

form im Rede­/Textzusammenhang (vgl. 2.5.4) sind in den Grammatiken des 17. Jahrhunderts noch nicht zu finden. Bisher nicht genannte Präposition­Definit­

artikel­Enklisen sind bei Schottel fürn, durchs, ausm und nachm.21 Prosodisch aufschlussreich ist auch der Verzicht auf das Dativ­e nach der enklitischen Form im Beispiel „Nachm Jahr/nach dem Jahre“.

In „Der Teutschen Sprache Grundrichtigkeit und Zierlichkeit“ von 1672 geht Christian Pudor ausführlich auf eine Vielzahl von sehr unterschiedlichen phono­

logischen, morphologischen, syntaktischen und lexikalischen Phänomenen ein, die er „zierliche Zusammenziehung“ bzw. „Contractio“ und „Laconische Art“

nennt. Diese werden u.a. nach ihrem Wohlklang beurteilt, wobei als Kriterien hier­

für sowohl Silbenoptimierung (G(e)lücke aber nicht Gmahl) als auch morphologi­

sche Transparenz (Grade aber nicht greiniget) erkennbar sind (Pudor 1672: 97). Die starke Adjektivflexion (Er ist guter Natur für einer guten Natur) wird mit der Auslas­

sung des Artikels um „eine kurtze Rede zu machen“ begründet. Pudor erwähnt außerdem es­Pronomenenklisen mit pronominalen (dirs) und verbalen (sie habens) Basen. Obwohl im Wortartenteil zuvor Pronomen („Vornennwort“) und

21 Schottel (1663: 229f.) führt darüber hinaus: ins, aufs, zum, zur, beym, hinterm.

Artikel („Geschlechtswort“) klar unterschieden wurden, listet er hier unter Prono­

men systematisch die Formen der, das, dem, den auf und nennt Beispiele für kliti­

schen Verbindungen. Er gibt hierbei keine Formen an, die nicht schon in anderen Grammatiken erwähnt wurden,22 darunter auch die den­Enklise in (für in den), für die er Opitz zitiert: „In Grund verderbet / fuͤr in den Grund“ (Pudor 1672: 106).

Im Grammatikteil „Kurze Lehrschrift Von der Hochteutschen Sprachkunst“

in Kaspar von Stielers Hauptwerk „Der Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs“ (1691), einem umfangreichen Wörterbuch, wird nur kurz auf Prä­

position­Definitartikel­Enklisen eingegangen. Stieler war wie Schottel Mitglied der ‘Fruchtbringenden Gesellschaft’. Im Kapitel zum „Vorworte“ (= Präposition) (Stieler 1691: 187–190) unterscheidet er zwischen Stamm­ und gedoppelten Vor­

wörtern. Bei ersteren handelt es sich um primäre Präpositionen, bei den „gedop­

pelten“ um Präpositionaladverbien, andere Adverbien und Präposition­Definit­

artikel­Enklisen. Erstmals wird auch übern angegeben. Unter den sonstigen Formen23 sticht der besondere Fall vons (für von das) hervor, bei dem ähnlich der Genitivenklise in (7) der von der Präposition geforderte Kasus nicht mit dem des Definitartikels übereinstimmt. Erwähnenswert ist zudem, dass der Purist Stieler den „Brunnquell der Verdoppelung“ aller Art als besonders positiv hervorhebt, weil eine Satzstruktur ohne solche Verdichtungen „ganze Buͤcher Papier einne­

men wuͤrde“ (ebd.: 189).

Nicht explizit thematisiert werden Präposition­Definitartikel­Enklisen in Gueintz’ „Deutscher Sprachlehre Entwurf“ (1641).