• Keine Ergebnisse gefunden

Komplemente von Adjektiv-/Partizipialphrasen

I. Syntaktische und morphologische Pseudo-Korrespondenz:

2.4.3.2.3 Komplemente von Adjektiv-/Partizipialphrasen

Bei dem dritten hier diskutierten Typ von NP­Vorfeldbesetzung handelt es sich um Adjektiv­ oder Partizipialphrasen, die ein Kasuskomplement besitzen, das in Form einer NP mit Definitartikel realisiert wird und dem Adjektiv/Partizip bzw. dessen zusätzlichen Erweiterungen (Adverbphrasen oder Intensitätspar­

tikeln) vorausgeht (130a; vgl. auch Abb. 6b). Wird die übergeordnete NP1 ohne Artikel verwendet, z.B. wenn N1 ein Stoffname oder indefinit pluralisch ist, steht der Definitartikel der untergeordneten NP2 am linken Rand von NP1 (130b):

(130) a. [eine [[dem Menschen]NP2 ähnliche]ADJP Tiergattung]NP1 b. [∅ [[dem Menschen]NP2 ähnliche]ADJP Tiergattungen]NP1

Dieser spezifische, aber im schriftsprachlichen Deutsch keineswegs seltene Fall einer NP­Vorfeldbesetzung ist für die vorliegende Fragestellung relevant: Regiert eine Präposition eine artikellose NP wie in (130b), deren NP­Vorfeld durch eine NP mit Definitartikel als Kasuskomplement einer Adjektiv­ bzw. Partizipialphrase besetzt ist, besteht Adjazenz zwischen der Präposition und dem phrasenstruktu­

rell tiefer eingebetteten Definitartikel, vgl.:

(131) zuvor wurden diese Medikamente aber natürlich [an dem Menschen gene­

tisch ähnlichen Tiergattungen] getestet.

(Internetbeleg, Team Probanden Studien 2007)

Nur wenige Adjektive fordern ein Kasuskomplement; den häufigsten Typ des Adjektivkomplements stellt das Präpositivkomplement dar. Besonders hervorzu­

heben sind aus diesem Grund die Partizipien, da ihnen der Valenzrahmen des jeweils zugrunde liegenden Verbs vererbt wird und auf diese Weise ein breites Spektrum möglicher Kasuskomplemente (und anderen Komplementklassen) in die Partizipialphrase eingebracht wird. Einige Belege für entsprechende PPs mit dem Partizip I der Verben entsprechen, gehören und schonen:

(132) a. Es handelt sich um viergeschossige Wohnblocks [in dem Bauhaus ent­

sprechenden Formen.]

(DeReKo, Hanseviertel (Erfurt), In: Wikipedia, 2011)

b. Die Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen hat der ÖSAG […] unter Vorschreibung [von dem Naturschutz entsprechenden Auflagen] den positiven Bescheid zugestellt.

(DeReKo, Salzburger Nachrichten, 26.7.2000)

(133) a. Schon 2011 hatte Venezuela von der Fed die Auslieferung [von dem Land gehörenden 160 Tonnen Gold] verlangt, was vier Monate gedau­

ert hatte.

(Internetbeleg, Singer 2014)

b. Kraft guten Glaubens kann ein gesetzliches Unternehmerpfandrecht [an dem Besteller nicht gehörenden Sachen] nicht erworben werden.

(Leitsatz zum BGH­Urteil vom 21.12.1960, BGHZ 34,153)

(134) a. Alle Standfüße verfügen [über den Bodenbelag schonende Gummi­

schoner].

(Internetbeleg, www.cardiofitness.de/1981c3422/Tuff­Stuff­CG­7503­

Multipresse.htm, Stand: 27.7.2017)

b. Die Verkehrswirtschaft hat in Deutschland laufend viele Milliarden [in das Klima schonende technologische Lösungen] investiert und wird dies auch weiter tun.

(Internetbeleg, Pressemitteilung Deutsches Verkehrsforum 2007)

Im Unterschied zur DPK erweitert hier NP2 nicht die von der Präposition unmit­

telbar regierte NP1, sondern eine Adjektiv­/Partizipialphrase, die selbst als Erweiterung zu NP1 fungiert. Damit ist NP2 im Vergleich phrasenstrukturell um eine Ebene tiefer eingebettet als die Possessor­NP in DPKs. Zwischen den le xikalischen Köpfen ihres unmittelbaren Regens (Adjektiv/Partizip) und des unmittelbaren Dependens der Präposition (N1) besteht weder Identität noch eine prädiktable, konstruktionsspezifische semantische Relation wie die der Zugehö­

rigkeitsrelation in DPKs. Ihre Positionierung am linken Rand ist rein wortstel­

lungsbedingt und strukturell nicht mit der Determinativposition der übergeord­

neten NP1 gleichzusetzen. Tritt zu NP1 ein Determinativ hinzu, steht dieses links von NP2 (vgl. 130a). In diesem Punkt unterscheidet sich diese NP­Vorfeldbeset­

zung wesentlich von DPKs, bei denen die linke Possessor­NP – jedenfalls nach Fürsprache durch die meisten Analysen – die Determinativposition der Gesamt­

NP einnimmt.

Van Riemsdijks generativ ausgerichteter Ansatz beschreibt die Enklise des Definitartikels als Head­Movement­Phänomen, das im Deutschen eine Kombina­

tion aus einem syntaktischen („D­to­P raising“) und morpho­phonologischen Reduktionsprozess darstellt (1998: 661). Ausgangspunkt seiner Analyse ist die Eigenschaft der dativischen Possessor­NP, innerhalb der DPK eine Spezifikator­

Position195 einzunehmen. Definitartikel, die zu Komplementen von Adjektiv­bzw.

Partizipialphrasen im NP­Vorfeld gehören, haben keine Spezifikatorposition in Bezug auf die übergeordnete, von der Präposition regierte NP inne und blockie­

ren aus diesem Grund eine Bewegung des DP­Kopfes hin zur Präposition. Tat­

sächlich scheinen PPs mit phrasenübergreifenden Präposition­Definitartikel­

Enklisen bei Komplementen von Adjektiv­/Partizipialphrasen grundsätzlich zu ungrammatischen Strukturen zu führen, wie entsprechend modifizierte PPs vor­

angegangener Belege zeigen:

(135) a. *am Menschen genetisch ähnlichen Tiergattungen testen b. Wohnblocks *im Bauhaus entsprechenden Formen

c. unter Vorschreibung *vom Naturschutz entsprechenden Auflagen d. die Auslieferung *vom Land gehörenden 160 Tonnen Gold e. Unternehmerpfandrecht *am Besteller nicht gehörenden Sachen f. *ins Klima schonende Lösungen investieren

g. *übern Bodenbelag schonende Gummischoner verfügen

Bei komplexen NPs (NP1) mit linkserweiternden NP­förmigen Komplementen von Adjektiven/Partizipien (NP2) stellt die fest verankerte, unbesetzte Determinativ­

position am linken Rand des NP1­Vorfelds scheinbar eine unüberwindbare Bar­

riere für klitische Verbindungen zwischen Präposition und NP2­Definitartikel dar, was van Riemsdijk (1998: 655) als starke Evidenz für eine syntaktisch motivierte Enkliserestriktion wertet.

Aus Sicht der unternommenen Analyse spielt auch hier der „Aufprall“ von grammatischen Kategorien die entscheidende Rolle. Wie in Kapitel 2.3.3 erläu­

tert, werden klitische Verbindungen im Rahmen dieser Arbeit als (prosodische) Junkturtilgungen verstanden. Syntaktische Phrasengrenzen zeichnen sich i.d.R.

dadurch aus, dass sie mit einem Bestand von prosodischen Junkturen zusam­

195 Vgl. [DP [Spec,DP [DP [D dem][Ni Bürgermeister]]] sein Gehalt] (van Riemsdijk 1998: 658). Dieser generative Ansatz basiert auf der Annahme von Determinansphrasen (DP­Analyse). Im Detail verschiedene, aber vergleichbare generative Ansätze verfolgen auch Haider (1992), Olsen (1996), Kappus (1999), Karnowski/Pafel (2004). Für eine Zusammenschau unterschiedlicher generativer und nicht­generativer Ansätze zum Thema siehe Zifonun (2003) und (2005).

menfallen, die den Parsingprozess unterstützen. Unter solchen funktionalen Gesichtspunkten kann erwartet werden, dass gerade beim Vorhandensein von strukturellen Ambiguitäten, die die Konstituentenanalyse während der Sprach­

rezeption – und damit den Verstehensprozess – gefährden, keine Junkturtilgun­

gen vorgenommen werden. Bei festen Wortverbindungen und DPKs besteht eine solche Gefahr nicht, da ihre Strukturen formseitig stark fixiert sind, d.h. die feste, lineare Abfolge der Stellungseinheiten ist ein hinreichend deutliches Erkennungsmerkmal.

Betrachtet man Artikellosigkeit als das Nicht­Erscheinen eines morpholo­

gisch overten {Def.}­ bzw. {Indef.}­kodierten Determinativs an der dafür vorgese­

henen Position, was funktional der Kennzeichnung der Zugehörigkeit von N1 zu einem bestimmten Indefinitheitstyp196 dient, so lässt sich die Enkliserestriktion wie folgt erklären: Die durch Artikellosigkeit ausgewiesene Indefinitheitslesart und ein morphologisch overt {Def.}­kodiertes Enklitikon können nicht in ein und derselben phonologischen Wortform, d.h. die unbesetzte Det­Position von NP1 inkorporierend, vereint werden. In den Beispielen (135a–g) liegt also ein „Definit­

heitsaufprall“ vor, der eine Parallele zum Kasusaufprall von am, im aufweist: Bei Komplementen von Adjektiven/Partizipien geht der Konflikt allerdings nicht von den Rektionseigenschaften der Präposition und der Kasusmarkierung des enkli­

tischen Definitartikels aus, sondern von der Eigenschaft der Leerstelle (unbe­

setzte NP1­Determinativposition), Indefinitheit zu kennzeichnen, und der Definit­

heitsmarkierung des enklitischen Definitartikels:

(136) über [ˈyːbɐ]: [ˈyːbɐ] + ∅{Indef.} + [n] {Def.} … ↛ [ˈyːbɐ||n] …

Eine klitische Kette wie über=n=s ([ˈyːbɐ|n|s] … ← [ˈyːbɐ] + [n]{Def.} + [s]{Def.} …) auf der Basis eines konstruierten Beispiels wie über den das (??überns) Klima scho-nenden Energiemix ohne Definitheitsaufprall unterläge dieser Restriktion zwar nicht, scheint aber aus einem anderen Grund die Grenzen der Akzeptabilität zu überschreiten: Das Enklise­Verbot bei solchen tiefer eingebetteten Komplemen­

ten gilt auch deshalb, weil N2 (z.B. Bauhaus, Naturschutz, Klima etc.) aus stilisti­

schen Gründen die Bildung einer NP mit Reduktion des Definitartikels nicht

196 Hierbei handelt es sich nicht um eine einzige Lesart. Welche Charakterisierung von Indefi­

nitheit ein Kopfnomen durch die Determinativlosigkeit der NP erfährt, hängt u.a. von seiner se­

mantischen Subklasse ab. Die verschiedenen semantischen Merkmale, die durch Determinativ­

losigkeit ausgedrückt werden, sollen hier unter dem Label {Indef.} zusammengefasst werden, ohne dass damit die Existenz einer entsprechenden grammatischen Kategorie postuliert werden soll.

zulässt – selbst dann nicht, wenn die semantischen Kriterien hierfür gegeben wären (nicht­phorischer Gebrauch, siehe 2.5.4). In der Schriftsprache, in der die­

ser Typ von NP­Vorfeldbesetzung gebräuchlich ist, sind NPs mit Klitika/Reduk­

tionsformen des Definitartikels bzw. Indefinitartikels, nicht akzeptabel (*s’Klima,

*n’Bodenbelag). Aus diesem Grund wäre auch eine Analyse von über=n in (135g) als Präposition­Indefinitartikel­Enklise (über einen Bodenbelag schonende Gummischoner verfügen) nicht akzeptabel. Folgende Konstituentenstrukturana­

lysen sind demnach ebenfalls auszuschließen:

*[in [∅[[s=Klima] schonende] Lösungen]]

*[über [∅[[n=Bodenbelag] schonende] Gummischoner]].

2.4.4 Zusammenfassender Vergleich Deutsch/Italienisch

Das Bezugsnomen des ambiklitischen Definitartikels in italienischen PPs ist immer zugleich Kopf der regierten NP. Eine diesbezügliche Ambiguität oder ein Definitheitsaufprall ist im Italienischen daher ausgeschlossen. Im Deutschen sind Präposition­Definitartikel­Enklisen nicht nur dort anzutreffen, wo hohe lexi­

kalische und syntagmatische Festigkeit herrscht (am­Superlativ, feste Wort­

verbindungen) oder syntaktisch besonders transparente Verhältnisse herrschen (einfache NPs). Ihre Bildung kann unter bestimmten Umständen auch bei kom­

plexen NP­Vorfeldern, wo die klitische Verbindung mehrere syntaktische Einbet­

tungsebenen umspannt, zu mehr oder weniger akzeptablen Sätzen führen. Dies ist letztlich auf die im Vergleich zum Italienischen geringere syntagmatische Fixiertheit deutscher PPs zurückzuführen, die dadurch verursacht wird, dass der Kopf der regierten NP und das zur Präposition adjazente Bezugsnomen des Defi­

nitartikels nicht immer identisch sein müssen. Bei speziellen NP­Erweiterungsty­

pen, nämlich den NP­förmigen Komplementen von Adjektiven/Partizipien inner­

halb artikelloser NPs sowie DPKs mit direktivem an/in, werden die Grenzen der Grammatikalität von Präposition­Definitartikel­Enklisen eindeutig überschrit­

ten. Die dort herrschenden Enklise­Verbote erweisen sich als morpho­semantisch bedingte, konstruktionsspezifische Phänomene, die im Rahmen dieser Analyse als Kasusaufprall bzw. Definitheitsaufprall bezeichnet werden. Die syntagmati­

sche Fixiertheit italienischer NPs/PPs ist das Resultat ihrer eingeschränkten prä­

nominalen Erweiterungsmöglichkeiten und dürfte die Grammatikalisierung der

‘preposizioni articolate’ stark begünstigt haben. Die syntagmatische Flexibilität deutscher NPs/PPs erlaubt hingegen komplexe NP­Vorfeldbesetzungen. Der Par­

singprozess ist in diesen Fällen jedoch auf eindeutige Phrasengrenzenmarkie­

rungen angewiesen, was die Bildung von Vfn. z.T. blockiert. Das Nebeneinander

klitischer und nicht­klitischer Varianten, das sich aus Enkliserestriktionen (auf unterschiedlichen Ebenen) ergibt, bietet zugleich aber auch ein Potenzial für die semantisch­funktionale Differenzierung.