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Rassismus und Anti-Bias-Training aus Kritisch- Kritisch-psychologischer Sicht

Im Dokument Von Honig und Hochschulen (Seite 160-180)

JANNE MENDE

Pädagogische Konzepte, die die Problematik von Rassismus und Diskrimi-nierung angehen wollen, müssen sich zwangsläufig – wollen sie erfolgreich sein – mit den Gründen für rassistisches bzw. diskriminierendes Verhalten beschäftigen. Theoretische Ansätze, die sich mit dieser Begründung ausei-nandersetzen, lassen sich grob in zwei allgemeine Richtungen klassifizieren:

Auf der einen Seite stehen die psychologischen und psychologisierenden Er-klärungen, die das Problem auf frühkindliche, familiäre oder „natürlich“ e-xistierende (xenophobe) Muster zurückführen und somit pathologisieren und irrationalisieren. Die zweite Richtung, die soziologische, greift zu allgemein-gesellschaftlich gehaltenen sozialisationsbedingten oder milieutheoretischen Erklärungsansätzen. Die Frage, wer in welcher Situation tatsächlich auf dis-kriminierende Handlungsmuster zurückgreift und aus welchen Gründen, ist damit noch nicht beantwortet, da die Vermittlung zwischen der gesellschaft-lichen und der individuellen Ebene nicht in den Blick gerät. Die Kritische Psychologie leistet die unabdingbare Erarbeitung dieser Vermittlung und trägt somit zu einem pädagogischen antirassistischen Anspruch bei. Da das Anti-Bias-Konzept ebenfalls für sich in Anspruch nimmt, die gesellschaftli-che Ebene und deren Bezug zu individuellem Verhalten hinreigesellschaftli-chend zu the-matisieren, soll im Folgenden eine mögliche Vermittlung der beiden Ansätze kritisch überprüft werden. Dafür ist es zunächst notwendig, einige Grundbe-grifflichkeiten der Kritischen Psychologie zu erarbeiten, die daraufhin an-hand der Problematik von Rassismus und Antirassismus konkretisiert wer-den.

Zum Mensch-Welt-Zusammenhang in der Kritischen Psychologie

Der Kritischen Psychologie liegt die zentrale marxsche Erkenntnis zugrunde, dass der Mensch als Teil von gesellschaftlichen Verhältnissen betrachtet werden muss. Die Gesellschaft wird weder nur als gegebene Umwelt gefasst,

die auf die Menschen determinierend einwirkt (wie in der traditionellen Psy-chologie), noch als bloßes Erwartungsgeflecht, in welches man sich hinein entwickeln muss (wie es in einigen soziologischen Rollentheorien vertreten wird). Vielmehr wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der Mensch auch Produzent seiner Lebensbedingungen ist, also „sowohl unter gesell-schaftlichen Bedingungen steht wie auch selbst diese Bedingungen schafft“

(Holzkamp 1987: 13). Die Komplexität dieses wechselseitigen Doppelpro-zesses muss eingehend analysiert werden. Als Wissenschaft vom Menschen leistet die Kritische Psychologie diese Aufgabe vom Standpunkt des Sub-jekts.

Dies setzt die Annahme voraus, dass grundsätzlich jedes Handeln subjektiv begründet und daher auch nachvollziehbar ist. Das heißt, niemand handelt bewusst gegen ihre oder seine eigenen Interessen. Dieser Ansatz ist nicht zu verwechseln mit rationalen Handlungstheorien, die menschliches Handeln an einer von außen gesetzten Vernunft messen und Irrationalität (in Form von Emotionen, Ängsten etc.) als Gegenpol dieser Vernunft aufmachen. Begrün-detes Handeln bezieht sich zwar auf die Umweltgegebenheiten, aber auf eine spezifisch vermittelte Art und Weise. Der jeweils zugängliche Ausschnitt der real gegebenen objektiven83 gesellschaftlichen Bedingungen beinhaltet öko-nomische, kulturelle und symbolische Bedeutungen. Zu diesen sowie zu sich und seinen Mitmenschen muss man sich irgendwie verhalten. Bestimmte Bedeutungen determinieren das Handeln nicht, sondern werden als Hand-lungsmöglichkeiten aufgefasst. Das Individuum entwickelt aus der von ihm erfahrbaren Konstellation von Bedingungen und nach seiner jeweiligen Be-dürfnis- und Interessenlage heraus Handlungsprämissen. Daraus ergibt sich eine prinzipielle Handlungsverstehbarkeit. Der Zusammenhang zwischen je mir und meiner Umwelt ist also nicht auf ein bloßes Reiz-Reaktionssystem oder Bedingungs-Ereignisschema beschränkt, sondern es wird von einem Begründungsdiskurs ausgegangen, einer Diskursform, in der Menschen ihr Handeln vor sich selbst rechtfertigen. Intentionales Handeln ist, ob reflektiert oder spontan, ob überlegt oder emotional, subjektiv begründet, und dieser Zusammenhang von Prämissen und Gründen ist prinzipiell nachvollziehbar.

Der Begründungsdiskurs ist, da es um je meine Gründe geht, „notwendig immer ‚erster Person’, impliziert also den ‚Subjektstandpunkt’. [Dieser] ist entsprechend nicht einfach mein Standpunkt, sondern ‚je mein’ Standpunkt, also als „verallgemeinerter Subjektstandpunkt“ eine spezielle Modalität des

83 „Die Gesellschaftsform geht mithin, obgleich stets subjektiv vermittelt, und deshalb immer nur in dialektischer Angehensweise ‚durch’ das Subjekt ‚hindurch’ erfahrbar, nicht im Subjektiven auf und wird in diesem Sinne

‚objektiv’ genannt.“ (Holzkamp 1972: 115)

sozialen und sachlichen Wirklichkeitsaufschlusses. [Es geht demnach] um die Formulierung von ‚Prämissen-Gründe-Zusammenhängen innerhalb von bestimmten Bedeutungskonstellationen als Inbegriff der jeweiligen ‚Prämis-senlage’, wie sie von je mir erfahren wird.“ (Holzkamp 1996: 118)

Damit ist eine wissenschaftliche Psychologie vom verallgemeinerten Stand-punkt des Subjekts möglich. Hierfür müssen sowohl die objektiven, histori-schen, gesellschaftlichen Bedingungen als auch der subjektive Möglichkeits-raum und biographische Dimensionen betrachtet werden.

Hervorzuheben sind hier mehrere Punkte: Es geht nicht darum, menschliches Handeln als rational oder irrational einzustufen, sondern die Prämissen für ein jeweiliges Verhalten zu erörtern. Somit wird das Subjekt nicht zum blo-ßen Objekt der Verhältnisse oder zur irrational, unbegründet Handelnden de-gradiert und als potenzielle VerständigungspartnerIn und Verantwortliche für ihr Handeln ausgeschlossen. Vor diesem Hintergrund ist jederzeit die Mög-lichkeit eröffnet, sich zu den Verhältnissen, mit denen man konfrontiert ist, bewusst zu verhalten, d.h. es gibt immer Handlungsalternativen. Gleichzeitig findet Handeln in einem bestimmten Kontext statt, einige Handlungsoptio-nen sind näher gelegt als andere, da sie (zumindest mittelfristig) konflikt- oder risikofreier sind. Dies führt zu der Frage der Art der Handlungsoptio-nen.

Die Grundkategorie der Kritischen Psychologie für die Herstellung des Zu-sammenhangs zwischen individueller und gesellschaftlicher Lebenstätigkeit ist das Konzept der Handlungsfähigkeit. Personale Handlungsfähigkeit wird als „gesamtgesellschaftlich vermittelte Verfügung über die eigenen Lebens-bedingungen“ (Holzkamp 1985: 239) gesehen. Da menschliche Existenz ge-sellschaftlich ist, bedeutet sie die Überschreitung von unmittelbaren Lebens-zusammenhängen hin zur Teilhabe an der Verfügung über den gesellschaftli-chen Gesamtprozess (Markard 2002: 1174f). Es geht also um die Möglich-keit der Einflussnahme auf die für eine Person relevanten Lebensbedingun-gen, was generell nur im Zusammenschluss mit anderen möglich ist, soll es nicht auf Kosten anderer geschehen. Persönliche Lebensqualität ist in dem Moment beeinträchtigt, in welchem man den Verhältnissen oder Situationen ausgeliefert ist. Beispielsweise leidet man bei Hunger nicht nur an dem sinn-lich-vitalen Mangel, sondern ebenso sehr an der an spezifische Handlungs-behinderungen geknüpften Ohnmacht, sich nicht aus der Hunger-Situation befreien zu können (Holzkamp 1987: 14). Somit kann Handlungsfähigkeit als Versuch der Überwindung dieser Ausgeliefertheit als ein primäres menschliches Lebensbedürfnis gefasst werden. Ob es als Bedürfnis subjektiv zur Geltung kommt, ist damit allerdings noch nicht gesagt: „Wir können den

Menschen nicht vorschreiben, welche Bedürfnisse sie haben sollen. Wenn jemand tatsächlich glaubt, unter diesen oder jenen Bedingungen in der bür-gerlichen Gesellschaft zurechtzukommen oder leben zu können, dann ist es ja in Ordnung. Aber wir glauben, daß dieses Zurückstecken und Sicheinrich-ten für die meisSicheinrich-ten Betroffenen selbst widersprüchlich und auf Dauer auch unerträglich ist. Im Grunde merken die Menschen, daß dies ‚nicht alles wesen sein kann’. Dieses erfahrene Ungenügen muß zur Artikulation ge-bracht werden. Aber wo kein Ungenügen erfahren wird, kann auch nichts ar-tikuliert werden.“ (Holzkamp 1984: 30)

An dieser Stelle wird deutlich, dass subjektive Befindlichkeit nicht einfach nur innerlich oder psychisch bedingt, sondern Ausdruck konkreter Lebens-bedingungen und des Grads der eigenen Einflussnahme auf diese ist (Holz-kamp 1987: 15).

Die historisch konkrete gesellschaftliche Bezugsebene erfordert, Hand-lungsmöglichkeiten immer in ihrem Verhältnis zu Handlungsbehinderungen zu betrachten. In der bürgerlichen Gesellschaft gerät man mit seinem Bestre-ben, seine Verfügungsgewalt über die Verhältnisse, in denen man lebt, aus-zudehnen, in Widerspruch zum herrschenden System. Es existiert zwar ein historisch neuer Freiheits- und Handlungsspielraum, allerdings zielt der Li-beralismus nicht tatsächlich darauf ab, die individuelle Handlungsfreiheit zu erweitern.84 Die bürgerliche Freiheit existiert in unterschiedlichem Maße für unterschiedliche Gruppierungen und nur innerhalb fester Grenzen. So lange diese nicht angetastet werden, kann man sich frei fühlen. Es besteht daher ei-nerseits die Möglichkeit, die Grenzen zu überschreiten und dabei vermutlich Risiken einzugehen; andererseits kann versucht werden, sich innerhalb der gegebenen Grenzen so frei wie möglich zu entfalten. Diese zwei Möglichkei-ten werden als verallgemeinerte und als restriktive Handlungsfähigkeit kate-gorisiert. Bei der letzteren werden bloß zugestandene Möglichkeiten genutzt und nahe gelegte Denkformen reproduziert. Sie ist nicht selten die einfachere Handlungsoption, zumindest kurzfristig mehr Freiheiten gewährend und si-cherer, insofern also subjektiv funktional. Jedoch ist sie letztendlich der Ver-such eines Arrangements mit den herrschenden Instanzen und bedeutet die

84 Freiheit ist „weder eine anthropologische Konstante noch eine historische Universalie, die von unterschiedli-chen gesellschaftliunterschiedli-chen Ordnungen eingeschränkt oder respektiert wird; sie läßt sich nicht in quantitativen Beg-riffen messen, sondern bezeichnet ein gesellschaftliches Verhältnis. […] Die Eigenart liberaler Regierungsfor-men sieht Foucault darin, daß diese eine äußere Regulation durch ein inneres Produktionsverhältnis ersetzen.

Der Liberalismus beschränke sich nicht auf eine einfache Garantie von Freiheiten (Marktfreiheit, Privateigen-tum, Meinungsfreiheit etc.), die unabhängig von der Regierungspraxis bestehen; vielmehr organisiere er die Be-dingungen, unter denen Individuen von diesen Freiheiten Gebrauch machen können. In diesem Sinn steht die Freiheit der Subjekte einer liberalen Regierung nicht entgegen, sondern bildet deren notwendige Grundlage, sie ist keine natürliche Ressource, sondern ein künstliches Produkt der Regierungspraxis […].“ (Lemke 2004: 89f)

Verfestigung der eigenen Eingebundenheit in die freiheitsbeschneidenden Verhältnisse. In der restriktiven Handlungsfähigkeit ist daher stets ein Mo-ment der Selbstschädigung enthalten. Diese MoMo-mente müssen verdrängt werden und gehen in das Unbewusste ein. Die bewusste Reflexion dieser Momente ist die Voraussetzung für eine verallgemeinerte Handlungsfähig-keit. Mit der Perspektive auf Verhältnisse, in denen „die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller“ (Marx) ist, wird versucht, die Verfügung über die eigenen Lebensbedingungen zu erweitern.

Die Verwirklichung dieser Perspektive muss antizipiert werden können, da-mit die erweiterte Handlungsfähigkeit subjektiv funktional wird und Aus-sichten auf Risiken wie Unsicherheit und Bestrafung nicht überwiegen. Er-möglicht werden kann dies durch kollektive Zusammenschlüsse, in welchen man eine überindividuelle Gegenmacht gewinnt, die die Gefährdetheit der je individuellen Existenz aufhebt.

Mit dem Begriffspaar restriktive/ verallgemeinerte Handlungsfähigkeit sollen weder bestimmte Menschen, noch soziale Kategorien oder historische Epo-chen der einen oder anderen Kategorie zugeordnet werden. Vielmehr handelt es sich um ein analytisches Konzept, mit dessen Hilfe bestimmte Begrün-dungsmuster in konkreten aktuellen Situationen, mit denen sich prinzipiell jedeR konfrontiert sehen kann (je meine Situation), aufgeschlüsselt werden können (Holzkamp 1990: 38; 1985: 370).

Rassismus

Eine in den Sozialwissenschaften weit verbreitete psychologisierende Sicht-weise auf Rassismus, die diesen auf Triebe, „Fremdheit“ der Opfer oder per-sönliche Schicksale zurückführt, blendet gesellschaftliche Ursachen aus ihrer Analyse aus. Soziologische Ansätze, welche die soziale Lage und/ oder Ideo-logie bestimmter Gruppen als Erklärung heranziehen, vernachlässigen die Verknüpfung zwischen gesellschaftlichem und individuellem Rassismus. Ei-ne adäquate Rassismusanalyse sollte aber erklären könEi-nen, warum bspw.

Menschen aus ähnlichen Milieus zu unterschiedlichen politischen Einstel-lungen kommen. Die gesellschaftlichen, alltäglichen Strukturen sowie das Denken und Handeln der Menschen, vor allem aber die Art der Vermittlung zwischen beiden müssen sowohl in die Theorie als auch in die Forschung eingehen. Dies kann nicht auf eine einfache eklektizistische Weise gesche-hen, die sich wahlweise bei den Sozial- und Subjektwissenschaften bedient, sondern es bedarf eines kategorialen Rahmens, der die besondere Wechsel-seitigkeit des Mensch-Welt-Verhältnisses reflektiert und das Bewusstsein

da-für schafft, dass sich die Menschen zu ihren Bedingungen auf die eine oder andere Art und Weise verhalten können (Fried 2002: 120). Konkret heißt dies für eine psychologische Untersuchung des Rassismus, dass an erster Stelle die Erforschung gesellschaftlicher objektiver Strukturen stehen muss, um die in ihnen geformten objektiven Gedanken, historisch spezifischen I-deologien und Bedeutungsmöglichkeiten zu erfassen, da eine Bedingungs-Bedeutungs-Begründungs-Analyse die Kenntnis der Bedingungen voraus-setzt.85 Um aber individuelle Probleme nicht als bloße Konkretisierung all-gemeiner Verhältnisse stehen zu lassen, verläuft der Forschungsgang sodann umgekehrt: von der Problematik persönlichen Handelns und Denkens zur schrittweisen Vermittlung mit gesellschaftlichen Bedingungen, um die spezi-fischen Aspekte der Realität zu erarbeiten, die für das jeweilige Handeln be-deutsam sind. In einem zweiten Schritt werden also die Handlungsprämissen, die eine Person aus ihren Lebensbedingungen zieht, herausgestellt, um so die Widersprüchlichkeiten von Handlungsmöglichkeiten und Handlungsbehinde-rungen zu verdeutlichen (ebd.: 130f).

Zur Klärung der gesellschaftlichen Bedingungen für Rassismus beziehen sich Osterkamp und Holzkamp vornehmlich auf Miles’ Konzept des institu-tionellen Rassismus. „Dieser [Begriff] läßt sich in zwei Fällen anwenden:

erstens in solchen, in denen Ausschließungspraxen aus einem rassistischen Diskurs entstanden sind und ihn daher voraussetzen, aber nicht mehr aus-drücklich mit ihm gerechtfertigt werden. Zweitens in Fällen, in denen ein explizit rassistischer Diskurs modifiziert wird, so daß der offen rassistische Inhalt eliminiert ist, andere Worte, aber die ursprüngliche Bedeutung trans-portieren. […] Der Begriff ‚institutioneller Rassismus’ bezieht sich also nicht auf Ausschließungspraxen per se, sondern nur auf solche, die durch einen nun abwesenden rassistischen Diskurs gerechtfertigt oder in Gang gesetzt wurden, der mithin durch diese Praxen institutionalisiert worden ist.“ (Miles 2000: 27)

Allerdings stellt Barbara Fried heraus, dass der Begriff des institutionellen Rassismus mit zwei verschiedenen Implikationen verwendet wird: Einerseits bezeichnet er die gesellschaftliche, strukturelle Seite des Phänomens, ande-rerseits wird darunter auch die individuelle, durch ‚normales’ Verhalten vor sich gehende, unbewusste Reproduktion rassistischer Strukturen gefasst (Fried 2002: 134f).

85 Der Kritischen Psychologie als Subjektwissenschaft vom Mensch-Welt-Verhältnis gehen grundsätzlich Gesell-schaftsanalysen voraus, die von anderen wissenschaftlichen Disziplinen geleistet werden müssen.

Durch ausschlussproduzierende Politik wird, mittels politischer Statements, der Gesetzgebung, öffentlichen Sprachgebrauchs und medialer Aufbereitung, die so genannte „Ausländerfeindlichkeit“ oder „Fremdenfeindlichkeit“ pro-duziert und repropro-duziert (Osterkamp 1996a: 9f). Diese in den öffentlichen Diskursen benutzten Begrifflichkeiten sind selbst funktional in dem Sinne, als dass sie als Grund für den Rassismus „das Fremde“ postulieren und Ras-sismus als strukturelles Problem dethematisieren – einen RasRas-sismus, der sich üblicherweise nicht an der Staatsbürgerschaft eines Menschen festmacht, sondern an zugeschriebenen biologischen oder kulturellen, als unveränder-lich angenommenen Merkmalen. Während Holzkamp alle Arten von ‚Min-derheiten’ (Nicht-Weiße, Frauen, Nicht-Heterosexuelle usw.) durch diesen Mechanismus ausgegrenzt sieht und für einen weiten Rassismus-Begriff plä-diert, um deren Gemeinsamkeiten zu betonen (Holzkamp 1995: 25), halte ich es für wichtig, einerseits im Sinne von Stuart Hall Rassismus immer in sei-nem historisch konkreten Zusammenhang zu untersuchen. Es gibt zwar Grundmerkmale, die allen rassistisch strukturierten Gesellschaften gemein sind, aber diese sind so allgemein und abstrakt, dass sie bei einer Analyse nicht behilflich sind. Nur in ihrer historischen Spezifik können verschiedene Formen von Rassismus als Produkte ihrer historischen Verhältnisse erkannt werden (Hall 1994: 127). Andererseits ist eine begriffliche Trennschärfe zwischen den verschiedenen Ausgrenzungsmechanismen aufgrund von zuge-schriebener Ethnie, Geschlecht, etc. unabdingbar. Diese Ausdifferenzierung soll nicht dazu dienen, eine allgemeine Analysierbarkeit zu erschweren oder gar politische Bewegungen zu spalten, sondern die jeweiligen Spezifika ver-schiedener Ausgrenzungsmechanismen, ihre möglichen Überschneidungs-formen und ihre Bedeutungen für individuelles Handeln überhaupt erfassen zu können. Das steht noch nicht in direktem Widerspruch zu Holzkamp, da dieser betont, die Verhältnisse in ihrer historischen Spezifik zu untersuchen.

Aber ein zu weit gefasster Rassismus-Begriff beinhaltet die Gefahr, eben je-ne Spezifika nicht mehr beje-nenje-nen zu könje-nen. Allein Rassismus und Sexis-mus sind in Entstehungsgeschichte, Funktion und Auswirkungen zu hetero-gen, als dass sie legitimerweise unter einen Begriff subsumiert werden könn-ten (was nicht heißt, dass sie sich nicht gegenseitig beeinflussen).

Der institutionelle oder Staatsrassismus dient der Fragmentierung der Bevöl-kerung in sich gegenüberstehende, hierarchisch angeordnete Gruppen, in Mehr- und Minderheiten, wobei jede Gruppe bestimmten Ein- und Aus-schließungsmechanismen unterworfen ist. Diese Strategie – auf staatlicher Ebene betrachtet – besteht nicht unbedingt in bewusst-geplantem Handeln, sondern beinhaltet „eher ein staatliches Gewährenlassen, Aufgreifen,

Zent-rieren verschiedener lokaler Strategien“ und hat zur Folge, dass das Be-wusstsein über die allgemeine Ausbeutung, Abwertung und Unterdrückung sowie der Widerstand dagegen geschwächt werden (Holzkamp 1995: 24f).

Rassismus ist jedoch nur ein Mechanismus für die Ein- und Ausgrenzung be-stimmter Menschengruppen im modernen Staat. Soziale Exklusion beruht auf verschiedenen Konstellationen, von denen man auf unterschiedliche Art betroffen sein kann. Dabei ist Ausgrenzung nicht als absolute, als ein dem Innen entgegengesetztes Außen zu verstehen. Vielmehr impliziert Aus-schluss den EinAus-schluss in bestimmte Formen innerhalb der Gesellschaft.

„Denn die Vorstellung von einem „Innen“ und einem „Außen“ der Gesell-schaft, die im Exklusionsbegriff ebenso mitschwingt wie im deutschen Beg-riff „Ausgrenzung“, lässt sich nur allzu leicht gegen die Ausgeschlossenen einsetzen. Diese gelten dann als außerhalb der Gesellschaft lebend, als asozi-al, und unter der Hand verschiebt sich die Schuldzuweisung auf ihr morali-sches Anderssein. […] Denn die Ausgegrenzten sind Teil der Gesellschaft, auch wenn sie nicht an ihren Möglichkeiten teilhaben.“ (Kronauer 2007: 2f) Exklusion kennzeichnet demnach einen Prozess des Ausschlusses aus der Partizipation an der bürgerlich-demokratischen Gesellschaft und aus den wechselseitigen Abhängigkeiten der gesellschaftlichen Arbeitsteilung. Sie benennt soziale Ungleichheiten, die die Klassenstrukturen ergänzen, aber nicht außer Kraft setzen (ebd.: 3f). Ausgrenzung in der Gesellschaft setzt ei-nen Anspruch auf gesellschaftliche Teilhabe voraus, was eiei-nen wichtigen Unterschied zu rassistischer Ausgrenzung markiert, da MigrantInnen oft die-ser Anspruch selbst schon vorenthalten wird. Trotzdem bleibt auch ihre ‚In-tegration’ in spezielle Gesetzgebungen, in AsylbewerberInnen- und Ab-schiebelager, eine Form von einschließendem Ausschluss.

Der institutionelle oder Staatsrassismus in den gegenwärtigen westlichen Ge-sellschaften zeichnet sich dadurch aus, dass er nicht durch Manipulation oder Machtausübung durchgesetzt wird, sondern auf der Akzeptanz der breiten Mehrheit beruht. Die eigene Aufwertung als Teil der anerkannten Mehrheit ist die „Belohnung“ für die Loyalität und das Tragen der Verhältnisse, wel-che eine bestimmte markierte Minderheit abwerten. Gleichzeitig besteht die Gefahr, selbst in die Minderheit abzurutschen, woraus die subjektive Not-wendigkeit erwächst, sich besonders loyal, angepasst, angemessen usw. zu verhalten und andere, die das – scheinbar – nicht tun, anzuprangern oder ak-tiv auszugrenzen. Der institutionelle Rassismus ist den Menschen also nicht äußerlich entgegengesetzt, sondern „die Subjekte selbst [sind] bereits in den staatlichen Machtstrategien vorgesehen und gemeint“ (Holzkamp 1995: 26).

In dem gegebenen subjektwissenschaftlichen Rahmen gilt es, die subjektiven Gründe für individuelles rassistisches Verhalten herauszuarbeiten und einzu-ordnen. Auf diese Art wird vermieden, rassistisches Verhalten als krankhaft, abnormal, unvernünftig o.ä. zu deuten. Vielmehr bleibt das rassistische Sub-jekt potentielle GesprächspartnerIn als subSub-jektiv begründet handelnde, für ih-re Taten voll verantwortliche bzw. verantwortlich zu machende Person.

Die staatliche oder strukturelle Anrufung des Subjekts (Althusser) ist durch-aus widersprüchlich: Ihm wird abverlangt, ein System zu unterstützen, des-sen potentielles Opfer es selbst werden kann, wenn es nämlich aus der Mehrheitsgesellschaft heraus fällt. Diese Gefahr vergrößert sich auch für die Teile der Bevölkerung, die im Fordismus die Ausweitung sozialer Rechte und Wohlstand für sich in Anspruch nehmen konnten. Auch wenn die Risi-ken sozialstrukturell ungleich verteilt sind, so sind verschärfte Prekarität, Arbeitsplatz- und Anerkennungsverlust keine Randerscheinungen mehr und betreffen in zunehmendem Maße ebenfalls diejenigen, die überhaupt ein Zu-trittsrecht zur Mehrheitsgesellschaft haben. Die Hoffnung auf soziale Rechte, bspw. die Hoffnung einer Leiharbeiterin, doch noch einen festen Arbeitsplatz zu erhalten, ist mit einem Integrationsverständnis (Fleiß etc.) verknüpft, wel-ches gemäß neoliberaler Theorien86 als Voraussetzung für soziale Teilhabe gewertet und von Weißen Deutschen dann umso vehementer von MigrantIn-nen eingeklagt wird, ohne Berücksichtigung derer spezifischer Lebensum-stände (vgl. Kramer/ Speidel 2004: 149ff). Denn die Betroffenheit ersterer

Die staatliche oder strukturelle Anrufung des Subjekts (Althusser) ist durch-aus widersprüchlich: Ihm wird abverlangt, ein System zu unterstützen, des-sen potentielles Opfer es selbst werden kann, wenn es nämlich aus der Mehrheitsgesellschaft heraus fällt. Diese Gefahr vergrößert sich auch für die Teile der Bevölkerung, die im Fordismus die Ausweitung sozialer Rechte und Wohlstand für sich in Anspruch nehmen konnten. Auch wenn die Risi-ken sozialstrukturell ungleich verteilt sind, so sind verschärfte Prekarität, Arbeitsplatz- und Anerkennungsverlust keine Randerscheinungen mehr und betreffen in zunehmendem Maße ebenfalls diejenigen, die überhaupt ein Zu-trittsrecht zur Mehrheitsgesellschaft haben. Die Hoffnung auf soziale Rechte, bspw. die Hoffnung einer Leiharbeiterin, doch noch einen festen Arbeitsplatz zu erhalten, ist mit einem Integrationsverständnis (Fleiß etc.) verknüpft, wel-ches gemäß neoliberaler Theorien86 als Voraussetzung für soziale Teilhabe gewertet und von Weißen Deutschen dann umso vehementer von MigrantIn-nen eingeklagt wird, ohne Berücksichtigung derer spezifischer Lebensum-stände (vgl. Kramer/ Speidel 2004: 149ff). Denn die Betroffenheit ersterer

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