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Diskurse und ihre Rekonstruktion

Im Dokument Von Honig und Hochschulen (Seite 55-59)

Zum Verhältnis von Gouvernementalität und In- In-klusion

3. Diskurse und ihre Rekonstruktion

Eine wichtige Ergänzung zur systemtheoretischen Konzeption von Semantik besteht gerade in diesem ‚Ernstnehmen’ der Positivität von Semanti-ken/Diskursen innerhalb der Diskursanalytik Foucaults. Nicht zuletzt deshalb sind Foucaults Arbeiten reich an materialen Fallanalysen und

8 Damit wird nicht behauptet, dass es keine sozialstrukturellen Sachverhalte und Ursachen gäbe, welche dazu füh-ren, dass bestimmte Diskurse zu bestimmten Zeitpunkten an Relevanz erlangen oder aber sich ihrem (vorläufi-gen) Ende zuneigen. Die klassisch wissenssoziologische und auch von Luhmann (1980a; 1980b; 1989; 1994) in seinen Semantikanalysen unter Bezug auf Koselleck (1972) eingenommene Fragestellung nach dem Verhältnis von sozialstruktureller Differenzierungsform und semantischem Wissensvorrat wird also nicht komplett ver-neint. Dennoch wird sich zunächst einmal primär für die Ordnung des Diskurses selbst interessiert, um ihn so in seiner immanenten Struktur und Positivität hervortreten zu lassen (vgl. auch Stäheli 1998, 2000: 184–223).

schen Überlegungen. Zwei zentrale und sich in ihrer Perspektive ergänzende Ansatzpunkte stellen dabei die Archäologie und die Genealogie von Diskur-sen dar (vgl. Foucault 1992: 34ff.). Bezeichnet der erstgenante Zugang ein Vorgehen, dass ähnlich wie bei einer archäologischen Ausgrabung den als

„Aussagefeld“ (Foucault 1981: 143; m. Herv.) beschreibbaren Diskurs frei-legen möchte, um so seine internen Regelstrukturen und die Relationen der einzelnen Diskurselemente zueinander sichtbar zu machen, so interessiert sich die Genealogie gerade für die kontingenten Anfänge und mitunter um-kämpften Momente des Einsetzens und Erscheinens von verschiedenen dis-kursiven Ordnungen (vgl. Stäheli/Tellmann 2002: 241ff.; Maasen 1999:

30ff.; Foucault 2001: 23f.). Der hier bei der Analyse der Zeitungsartikel zum Thema Depression verfolgte Ansatz der Archäologie behandelt die vorlie-genden Texte daher auch nicht einfach nur als ein dokumentierendes Zeichen für ihren Gegenstandsbereich. Eine solche Sichtweise würde gerade die Schemata, welche die Perspektive auf den Gegenstandsbereich strukturieren, unsichtbar machen bzw. sie blind selbst benutzen. Gegenüber einer solchen, die Texte als Dokumente behandelnden Sichtweise, versucht die Archäologie diese als Monumente mit eigener empirischer Relevanz und Mächtigkeit zu begreifen und zu ihrer „immanenten Beschreibung“ (Foucault 1981: 15) ü-berzugehen.9 Mit systemtheoretischen Begrifflichkeiten gesprochen ließe sich sagen, dass die Texte zunächst einmal nicht nach ihrer Fremdreferenz befragt werden, sondern in Form einer Beobachtung zweiter Ordnung ge-zeigt werden soll, wie durch den Gebrauch von spezifischen Schemata – also durch spezifische beobachtungsleitende Unterscheidungen und Konzepte – eine eben auch spezifische Perspektive produziert wird.

Eine zentrale diskursanalytische Einsicht besteht dabei darin, dass das

„Wuchern der Diskurse“ (Foucault 1983: 41) immer reguliert, kanalisiert und eingeschränkt wird. Nicht alles was in einer Sprache an Aussagen möglich ist, wird auch tatsächlich gesagt, weshalb Foucault (1981: 41ff.) seine Dis-kursanalytik auch von der Analyse der Sprache unterscheidet. Diskurse sind zwar innerhalb von sprachlichen Regelstrukturen situiert und vollziehen sie zugleich im Prozess der eigenen Realisation, dennoch stellt „die Beschrei-bung der diskursiven Ereignisse“ gegenüber der Sprachanalyse „eine völlig andere Frage: wie kommt es, daß eine bestimmte Aussage erschienen ist und

9 Dennoch lässt Foucault (1981: 72) m.E. keinen Zweifel daran, dass es prinzipiell möglich ist, Diskurse als Do-kumente zu lesen: „Eine solche Geschichte des Referenten ist zweifellos möglich. […] Aber hier handelt es sich nicht darum, den Diskurs zu neutralisieren, aus ihm das Zeichen von etwas anderem zu machen, seine Mächtig-keit zu durchqueren, um auf das zu stoßen, was schweigend diesseits von ihm bleibt; es handelt sich im Gegen-teil darum, ihn in seiner Konsistenz zu erhalten, ihn in der ihm eigenen Komplexität hervortreten zu lassen.“

(vgl. hierzu auch Jäger 2001: 86ff.)

keine andere an ihrer Stelle?“ (Ebd.: 42) Foucault verdeutlicht diesen Unter-schied zwischen sprachlicher Regelstruktur (Grammatik, Wortschatz etc.) und diskursiver Regelstruktur auch wie folgt: „Im Verhältnis zu dem, was in einer natürlichen Sprache hätte ausgesagt werden können, im Verhältnis zu der unbegrenzten Kombinatorik der sprachlichen Elemente, sind die Aussa-gen (wie zahlreich sie auch immer sein möAussa-gen) stets im Defizit.“ (ebd.: 173 m. Hervor.; vgl. auch Bublitz 2003: 54) Diskurse lassen sich daher als spezi-fische Wissensordnungen begreifen, welche eben bestimmte Aussagen mit einem spezifischen Inhalt produzieren und andere ausschließen, obwohl sie sprachlich möglich und korrekt gewesen wären. Butler (1998: 181–230) spricht aufgrund dieser grundlegenden und sich inhaltlich durchschlagenden Selektivität von Diskursen auch davon, dass diese eine „implizite Zensur“

ausüben – sie scheiden einen Bereich des Sag- und Denkbaren von einem Bereich des Nicht-Sagbaren und Nicht-Denkbaren. Diskurse sind gewisser-maßen eine zweite Rahmensetzung innerhalb des größeren und inhaltlich unbestimmteren Rahmens der Sprache.10

Dieser zunächst einmal sehr abstrakt ansetzende Gedankengang lässt sich weiter konkretisieren, indem man die Fragestellung aus der Archäologie des Wissens bezüglich des Letztelementes bzw. der Grundeinheit von Dis-kursen nachgeht. Die Aussage („énoncé“) wird dabei von Foucault – unter gewissem Vorbehalt – als die „elementare Einheit des Diskurses“ (Foucault 1981: 117) verstanden und genau diese gilt es in ihrem Zusammenspiel mit andern Aussagen zu rekonstruieren. Allerdings seien zunächst einmal nur jeweils konkrete Äußerungen („énonciations“) manifest und protokollierbar – wie Texte, Sprechakte, Tabellen etc. Die Äußerung wird dabei als jeweils singulärer und einmaliger Äußerungsakt verstanden, der aufgrund seiner spezifischen Situiertheit nicht wiederholbar ist. „Die Äußerung ist ein Ereig-nis, das sich nicht wiederholt; es hat seine Besonderheit, die festgelegt und datiert ist und die man nicht reduzieren kann.“ (ebd.: 148) Ausgehend von diesen Manifestationen auf der Äußerungsebene müssen die Aussagen er-schlossen werden. Dabei meint der Begriff der Aussage – der hier in

10 Die hier dargestellten Überlegungen zu diskursiven Formationen beziehen sich in starkem Maße auf Foucaults Archäologie des Wissens, in welcher Diskurse v.a. als sprachlich realisierte Diskurse verstanden werden. M.E.

muss dieses Konzept – und wie dies m.E. auch von Foucault in seinen nachfolgenden Werken getan wurde – erweitert werden, da sich Diskurse nicht nur in sprachlichen Performanzen materialisieren können: auch in nicht-sprachlichen Handlungen (wie sexuellen Praktiken, ökonomischen Prozessen), Kleidung, Körpern (Habi-tus etc.) oder aber auch in Architektur können Diskurse als leitende Orientierung zum Einsatz kommen (so auch Laclau 1981: 177ff.; Ders./Mouffe 2006: 143ff.). Welche Funktion vor einem solchen weit gefassten Diskurs-begriff der von Foucault (1978) in Ansätzen entwickelte DispositivDiskurs-begriff, der auf der Unterscheidung zwischen diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken aufruht, noch haben kann, wäre eine daran anschließende und si-cherlich nicht leicht zu beantwortende Frage.

gie zu Luhmanns Schemata-Begriff verstanden werden soll – diejenigen Re-geln und Muster, welche die Oberfläche der Äußerung strukturieren und auf eine bestimmte Art und Weise anordnen. Foucault spricht daher auch von ei-ner „Quasi-Unsichtbarkeit“ (ebd.: 161) der Aussage, da sie „stets in Einhei-ten“ anderer Art – wie Sätze, Propositionen – „eingehüllt“ (ebd.) werde. Im Gegensatz zur Äußerung lassen sich diese generalisierten und generalisie-renden Schemata wiederholen. Sie stellen Modi der Wiederholung bereit und formen somit das soziale Gedächtnis einer Kultur. Es lässt sich dann auch

„von derselben Aussage“ sprechen, „wo mehrere distinkte Äußerungen vor-liegen“ (ebd.: 148), solange eben dieselben wiederholbaren Muster ange-wendet wurden. Entscheidend sind die jeweils zugrunde liegenden und zu-nächst einmal latent bleibenden Schemata. Die Diskursanalyse versucht ge-nau dieses „positive Unbewußte des Wissens“ (Foucault 1971: 11) zu enthül-len – also in unserem Fall die den Zeitungsartikeln zum Thema Depression zugrunde liegenden Aussagen bzw. Schemata transparent zu machen und ih-re Wiederholung bzw. Anwendung in verschiedenen Artikeln zu zeigen.

Fragt man daran anschließend nach der Einheit des Diskurses, was nichts anderes heißt, als die Frage zu stellen, wie sich verschiedene Diskurse voneinander unterscheiden lassen, so muss diese Einheit auf der „Aussagen-ebene“ (Foucault 1981: 133) gesucht werden. Ein Diskurs muss demnach als ein selbstbezügliches „Aussagefeld“ (ebd.: 143) verstanden werden, wobei den Aussagen ein gemeinsames „Formationssystem“ (ebd.: 156) zugrunde liegt. Die Einheit und Identität eines Diskurses lässt sich daher nicht – wie es oft gemacht wird – anhand eines Themas oder den sprechenden Subjekten (ebd.: 48ff.) festmachen. Der Diskursbegriff bezeichnet nicht einfach eine Debatte zu einem Thema. Vielmehr gehen m.a.W. verschiedene Diskurse in eine Debatte ein, um so das Thema auf je unterschiedliche Art und Weise zu

‚framen’.11 Auch ist es eher unwahrscheinlich, dass ein und dasselbe Subjekt – wie ein politischer Akteur – nur einen Diskurs in seinem Sprechen anwen-det. Die von Foucault herausgearbeitete Einheit des Diskurses steht vielmehr quer zu vielen anderen Einheiten – wie die Einheit eines Themas, Buches, Werkes, Autors oder gar einer ganzen Epoche – und macht sich eben an den aufeinander verwiesenen Schemata fest. Bezogen auf die konkrete Analyse hier heißt dies, zunächst einmal nicht schon im Vorhinein davon auszugehen, dass sich alle Texte zum Thema Depression tatsächlich einem Diskurs

11 So unterscheidet beispielsweise Gerhards (2003: 301) verschiedenen Frames, welche sich innerhalb eines Dis-kurses (=öffentliche Debatte zu einem Thema) befinden. M.E. meint zumindest Foucaults Diskursbegriff genau diese Frames, welche eingesetzt werden, um ein Thema auf eine bestimmte Art und Weise zum Thema zu ma-chen.

ordnen lassen – nur weil sie alle etwas zu Depressionen zu sagen haben. Im Ergebnis meiner Analyse hat sich dennoch herausgestellt, dass in den von mir untersuchten Zeitungsartikeln eine starke Homogenität bezüglich der verwendeten Schemata zu verzeichnen ist. Es lässt sich daher ein dominant-hegemonialer Diskurs herausarbeiten, den ich aus noch zu nennenden Grün-den als Professionalisierungsdiskurs bezeichnen möchte, wobei in mindes-tens einem Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (von Lovenberg, 19.5.07)12 auch so etwas wie ein Gegendiskurs festzustellen ist. Aufgrund der spärlichen Datengrundlage ließen sich nur sehr schematische Aussagen über diesen Gegendiskurs treffen, weswegen hier auf eine weitergehende Darstellung verzichtet werden soll. Hierfür müsste weiteres Datenmaterial einbezogen werden.

Im Dokument Von Honig und Hochschulen (Seite 55-59)