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Das Problem des Widerspruchs

Im Dokument Von Honig und Hochschulen (Seite 184-188)

Die (mindestens) acht Probleme der Dialektik

3. Das Problem des Widerspruchs

Auch diese äußerst umstrittene und zentrale Frage stellt sich jenseits des Du-alismus von IdeDu-alismus und MateriDu-alismus. VertreterInnen beider Richtun-gen geben unterschiedliche Antworten auf die Frage, was einen dialektischen Widerspruch als solchen auszeichne. Nimmt man die KritikerInnen einer dia-lektischen Herangehensweise ernst, muss man zudem auf das schwierige Verhältnis einer dialektischen zur klassischen Aristotelischen Logik genauer eingehen. Genau dieser Versuch wird sich als äußerst fruchtbar erweisen und nicht zuletzt kann so (a) eine dialektische von einer nicht-dialektischen Ar-gumentation unterschieden werden, um (b) damit auch die (formalen) Mini-malanforderungen an eine dialektische Theorie genauer bestimmen zu kön-nen.

Charakteristisch für eine dialektische Herangehensweise ist demnach die Abgrenzung zur klassischen Aristotelischen Logik. Die Axiomatisierung der klassischen Logik, die auf Aristoteles zurückzuführen ist, findet sich in den sogenannten drei Denkgesetzen: (1) den Satz der Identität (A = A), der Satz des Widerspruchs [Nicht (A und Nicht-A)] und dem Satz vom ausgeschlos-senen Dritten (A oder Nicht-A). Die Wirkmächtigkeit der Aristotelischen Logik, auf die wir bis heute und aus allen vernünftigen Gründen zurückgrei-fen, wird schnell an einem Beispiel deutlich. Der klassische Lehrbuchsatz

‚Die Rose ist rot’ zeigt die Stärke und Bedeutung der Aristotelischen Logik auf: (1) Die Rose ist rot und kein Pferd (Forderung nach Identität der

Aussa-ge), (2) Es geht nicht, dass eine Rose zugleich und in derselben Hinsicht rot und Nicht-Rot ist, beides zusammen geht nicht (Forderung des ausgeschlos-senen Widerspruchs) und (3) entweder eine rote Rose oder eine Nicht-rote Rose (Forderung des ausgeschlossenen Dritten. Es gibt kein Drittes. Tertium non datur.). Sobald gegen eines der drei Denkgesetze verstoßen wird, haben die anderen ebenfalls keine Gültigkeit mehr. Popper – und im Anschluss dar-an Kuchler – weisen mit aller Nachdrücklichkeit auf diesen Umstdar-and hin.

Das bildet den Hintergrund einer fundamentalen Kritik der Dialektik, wie sie in besonders nachdrücklicher Art und Weise von Popper ausgearbeitet wur-de. Der Standardvorwurf lautet somit: DialektikerInnen verstoßen permanent gegen das Aristotelische Prinzip der Widerspruchsfreiheit und können des-wegen weder eine konsistente Theorie vorlegen noch einen Anspruch auf (Gesellschafts-) Kritik erheben!

Selbstverständlich erhebt eine dialektische Theorie den Anspruch, über die Aristotelischen Denkgesetze hinauszugehen. Beispielsweise kritisiert Hegel den Anspruch der Aristotelischen Logik fundamental. Dass Hegel in seiner scharfen und deutlichen Kritik formaler Logik zeitgebunden argumentierte, versteht sich von selbst.4 In der modernen Mathematik ist das Überschreiten der Aristotelischen Logik mit der Entdeckung drei- oder mehrwertige Sys-teme längst keine Überraschung mehr.5 Die disjunkte zweiwertige Logik, um die in den Sozialwissenschaften heftig gerungen wird, bildet für LogikerIn-nen längst eiLogikerIn-nen Teilbereich, dessen Kritik vor allem im Umgang mit Para-doxien sehr vielfältige und aufschlussreiche Lösungsmöglichkeiten hervor-gebracht hat. In der Untersuchung der Lügnerantinomie6 oder auch in der Analyse des Anfangs der Hegelschen Logik zeichnen sich für die Sozialwis-senschaften produktive Lösungsmöglichkeiten ab. Der problematische

4 Vgl. dazu die Arbeit von Michael Wolff: Der Begriff des Widerspruchs. Eine Studie zur Dialektik Kants und Hegels. Königstein im Taunus 1981, die den Stand formaler Logik zu Hegels Zeit und seine Kritik daran aus-führlich analysiert.

5 Theorien der Vagheit oder der fuzzy logic gehen konstitutiv von einer generellen Mehrwertigkeit aus – die klas-sische aristotelische Entscheidung zwischen ‚wahr’ und ‚falsch’, ‚positiv’ und ‚negativ’ ist hier längst überwun-den. Vgl. R.M. Sainsbury: Paradoxien. Stuttgart 2001. Dennoch sind mit diesen Problemlösungen, obwohl sie in eindeutiger Weise über das aristotelische Widerspruchsverbot hinausgehen, nicht die Lösungskapazitäten ver-bunden, die sich für das Problem der Dialektik als entscheidend erweisen werden. In einer dialektischen Theo-rie, wie sie im Folgenden aus guten Gründen favorisiert wird, spielt der Gedanke an Emanzipation in der ver-söhnten Gesellschaft eine zentrale Rolle. Neben dem formallogischen Umgang mit dem aristotelischen Wider-spruchsverbot ist damit eine semantische Ebene, die bei Adorno auf die ‚versöhnte Gesellschaft’ abzielt, unab-dingbar. In der fuzzy logic oder in den Theorien der Vagheit gibt es nur ‚Bruchteile der Wahrheit’, die mit dem emphatischen Wahrheitsbegriff Adornos schlicht unvereinbar sind.

6 Die Lügnerantinomie in der strikten Fassung lautet: ‚Dieser Satz ist gelogen.’. Was ist von dieser Aussage zu halten? Wahr oder falsch? Mit der aristotelischen Logik ist hier keine Lösungsmöglichkeit verbunden. Vgl. dazu vor allem Heiko Knoll/Jürgen Ristert: Das Prinzip der Dialektik. Studien über strikte Antinomie und kritische Theorie, Münster 2006.

fang der Hegelschen Logik, in dem die Kategorie ‚Sein’ in die Kategorie

‚Nichts’ übergeht und schließlich im ‚Werden’ zusammengezogen wird, läßt sich vor dem Hintergrund einer strikten Antinomie, wie sie u.a. Dieter Wandschneider7 rekonstruiert, nachvollziehen. Wandschneider zeigt auf, wie der Hegelsche Dialektikbegriff nur scheinbar gegen die Aristotelischen Denkgesetze verstößt. Im Weiteren führt ihn die Untersuchung des Anfangs der Hegelschen Logik auf eine konstitutive Gleichzeitigkeit von Äquivalenz und Widerspruch in der Hegelschen Dialektik. Nach der klassischen Logik ist ‚Etwas’ entweder Sein oder Nicht-Sein, beides zusammen geht nicht.

Wandschneider arbeitet heraus, dass Hegel in der Idee des absoluten Seins ebenso sehr das absolute Nichts meint und damit auf eine (semantische) Gleichzeitigkeit abzielt, in der in dieser Hinsicht die Kategorien Sein und Nicht-Sein bei Hegel identisch werden – obwohl sie nach wie vor in einem Widerspruch zueinander stehen. „Man beachte, daß die Synthese nach der hier entwickelten Argumentation nicht in der Verknüpfung entgegengesetz-ter Begriffe, etwa ‚Sein’ und ‚Nichtsein’, besteht, wie es dem Vulgärver-ständnis dialektischer Synthese entspräche, sondern in der Verbindung von Gegensatz und Äquivalenz solcher Begriffe, d.h. von Begriffsverhältnissen in der Form (formal) kontradiktorischer Aussagen.“ (Wandschneider 1997, 136; Hervor. im Orig.)8

Mit der Herausarbeitung der Struktur einer strikten Antinomie9 ist die Mög-lichkeit geschaffen, (a) das Verhältnis der Aristotelischen zu einer dialekti-schen Logik exakter zu bestimmen, um damit (b) formallogisch einwandfrei nachweisen zu können, dass DialektikerInnen eben nicht (ausschließlich) auf den aristotelischen Widerspruchsbegriff zurückgreifen. Poppers und Kuch-lers zentraler Einwand kann somit auf dem Boden der formalen Logik ent-gegnet werden. Zudem ermöglicht die Herausarbeitung strikter Antinomien

7 Dieter Wandschneider: Wandschneider, Dieter: Zur Struktur dialektischer Begriffsentwicklung, In: Wand-schneider, Dieter (Hrsg.): Das Problem der Dialektik, Bonn 1997.

8 Dies führt ihn „…zu der Forderung, beide Kategorien ebensowohl als entgegengesetzt wie als äquivalent zu denken – eine nicht länger absurd erscheinende Konsequenz der ursprünglichen Entgegensetzung beider Kate-gorien. Die Einseitigkeit ihrer strikten Entgegensetzung ist in der Weise zu korrigieren, daß sie auch als bedeu-tungsäquivalent zu fassen sind.“ (Wandschneider 1997, 138; Hervor. im Orig.)

9 Vgl. zur Diskussion um eine strikte Antinomie auch Thomas Kesselring: Die Produktivität der Antinomie. He-gels Dialektik im Lichte der genetischen Erkenntnistheorie und der formalen Logik. Frankfurt am Main 1984 und Thomas Kesselring: Rationale Rekonstruktion der Dialektik im Sinne Hegels, In: Angehrn, Emil (Hrsg.):

Dialektischer Negativismus. Frankfurt am Main 1992. Kesselring charakterisiert strikte Antinomien folgender-maßen: „Eine strikte Antinomie weist also immer zwei sich gegenseitig negierende und zugleich implizierende Seiten (bzw. Bedeutungen) auf. Aufgrund der wechselseitigen Implikation dieser Seiten (bzw. Bedeutungen) entspricht einer Antinomie die ‚Äquivalenz zweier Aussagen, deren eine die Negation der anderen ist’, und nicht nur – wie bei einem einfachen Widerspruch – die Konjunktion entgegengesetzter Aussagen. Strikte Anti-nomien weisen also Merkmale von Tautologien (logischen Äquivalenzen) und zugleich von Widersprüchen auf.“ (Kesselring 1984, 98f)

die Unterscheidung zwischen dem Aristotelischen und einem dialektischen Widerspruchsbegriff, den ich noch kurz etwas genauer betrachten werde.

Wenn Hegel vom Widerspruch als Quelle aller Dialektik ausgeht, meint er damit offensichtlich nicht die Disjunktion, die der klassischen Aristoteli-schen Logik zugrunde liegt. Hegel gibt beispielsweise in den sog. Nürnber-ger Schriften,10 in denen er den Schülern am Nürnberger Ägidiengymnasium das spekulative Denken näher zu bringen versuchte, einen entscheidenden Hinweis auf das Verhältnis zwischen dem ‚gewöhnlichen’ Widerspruchsbeg-riff und dem spekulativ-dialektischen: „Gewöhnlich erscheint das Dialekti-sche so, daß von einem Subjekt zwei entgegengesetzte Prädikate behauptet werden. Das reinere Dialektische besteht darin, daß von einem Prädikat eine Verstandesbestimmung aufgezeigt wird, wie sie an ihr selbst ebenso sehr das Entgegengesetzte ihrer selbst ist, sie sich also in sich aufhebt.“ (Hegel 1808, WW 4, 56, § 170, Hervorhebung im Orig.) Die Rose, die gleichzeitig rot und nicht-rot ist, bildet für Hegel demnach die Grundlage eines ‚gewöhnlichen’

Begriffs des Widerspruchs, vom dem sich sein eigener spekulativer, die ‚rei-nere Dialektik’, grundlegend unterscheidet. Das ‚rei‚rei-nere dialektische’ besteht in der Einführung einer inneren Vermittlung (‚in sich aufhebt’), wie sie in der Struktur einer strikten Antinomie konstitutiv verankert ist.11

Zusammengefasst kann festgehalten werden, dass sich das Grundproblem je-der dialektischen Theorie um die Frage nach dem zugrunde liegenden Wi-derspruchsbegriff handelt – jenseits des idealistischen oder materialistischen Anspruchs. Erledigt man dieses Problem vorschnell mit dem Hinweis darauf, dass die Aristotelische in einer dialektischen Logik ‚aufgehoben’ sei, entgeht der komplexe Widerspruchsbegriff, wie ihn beispielsweise Wandschneider am Anfang der Hegelschen Logik rekonstruiert. Im bloßen Verstoß gegen die Aristotelischen Denkgesetze wird die Produktivität des Widerspruchs zu-nichte gemacht. Kritik (und auf diesen Punkt zielt auch Popper ab) wird da-mit nicht mehr ermöglicht. Dass Poppers Kritik ernstgenommen werden muss, aber gleichzeitig in einer Theorie der Dialektik darüber hinausgegan-gen werden kann, zeigt der Unterschied zwischen Aristotelischen und strikt antinomischen, d.h. dialektischen Widerspruchsbegriff.

10 Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Band 4: Nürnberger und Heidelberger Schrif-ten 1808 – 1817 (WW 4), Frankfurt am Main 1970.

11 Formallogisch führt eine strikte Antinomie über die aristotelische Logik hinaus: (A Nicht-A) und (Nicht-A A). Diese widersprüchliche formallogische Struktur findet sich in der Lügnerantinomie. Wenn A gilt, dann gilt Nicht-A. Zudem kommt noch dazu: Wenn Nicht-A, dann A. Damit werden A und Nicht-A äquivalent. In der aristotelischen Logik ist dies schlicht undenkbar. „Man muss ständig von A auf Nicht-A und von Nicht-A auf A schließen. Das verwirrt die gewohnte Logik. Anders ausgedrückt: Zwei Aussagen stehen in einem stren-gen Gestren-gensatzverhältnis zueinander, aber ihr Wahrheitswert bleibt vom gleichwohl gestren-gensätzlichen (negieren-den) Wahrheitswert der anderen logisch abhängig.“ (Knoll/Ritsert, 28)

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