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Diskurse und Inklusionsprozesse

Im Dokument Von Honig und Hochschulen (Seite 52-55)

Zum Verhältnis von Gouvernementalität und In- In-klusion

2. Diskurse und Inklusionsprozesse

Zentraler Ausgangspunkt für die weitere Argumentation besteht in der An-nahme, dass generell ein zirkuläres Verhältnis zwischen den Diskursen über einen Inklusionsprozess – so wie hier das Schreiben in Zeitungen über De-pressionen und deren Behandlung in Psychotherapiepraxen und Kliniken – und dem faktisch-empirischen Inklusionsgeschehen selbst – also den tatsäch-lich ablaufenden Therapien – besteht. Auf der einen Seite sind Zeitungsarti-kel über psychologisch-psychiatrische Therapieformen natürlich immer von diesen selbst unterschieden – sie sind i.d.R. selbst noch keine Therapie sei-tens des medizinischen Systems. Gleichzeitig können die in solchen Artikeln enthaltenden semantischen Schemata jedoch die konkreten Inklusionsprakti-ken beeinflussen und strukturieren. Anders gesagt: Beschreibung und Ge-genstand sind zwar nicht unmittelbar deckungsgleich, dennoch können Beschreibungs- und Wahrnehmungsmuster bezüglich des Gegenstandes in den thematisierten Gegenstandsbereich selbst ‚einsickern’ und diesen mit-strukturieren. Dies lässt sich im hier interessierenden Fall in doppelter Hin-sicht verdeutlichen: Wenn Therapien in der Öffentlichkeit als anrüchig gel-ten und die therapiergel-ten Personen stigmatisiert und moralisch herabgewertet werden, so wird dies auch auf den Therapieprozess selbst Einfluss nehmen Sei es in der Form, dass sich viele Menschen abgeschreckt fühlen eine The-rapie zu beginnen, oder aber dass zu Anfang einer TheThe-rapie negative Bilder

und Vorurteile bezüglich der Therapiesituation auf Seiten der PatientInnen durch die TherapeutInnen im Gespräch abgebaut werden müssen. Im letzte-ren Fall werden dann negative, die Therapie blockieletzte-rende Schemata durch therapieförderliche Schemata ersetzt.

Die Systemtheorie erklärt solche zirkulären Verhältnisse, indem sie auf die gemeinsame ‚Realitätsbasis’ von Semantiken/Diskursen einerseits und ihrem sozialstrukturellen bzw. psychischen Gegenstandsbereich andererseits aufmerksam macht (vgl. Luhmann 1980a: 9–72; Ders. 1997: 884f.). Damit soll gesagt werden, dass Semantiken/Diskurse sich in demselben Modus vollziehen, in welchem sich auch die Strukturen von sozialen und psychi-schen Systemen bilden. Semantiken/Diskurse sind demnach immer schon in-nerhalb von sozialen und psychischen Systemen lokalisiert. Bezogen auf so-ziale Systeme, die sich in der Form von Kommunikation konstituieren, heißt dies, dass neben der faktischen Organisation kommunikativer Abläufe, die immer auf Selbstbeobachtung und Selbststeuerung basiert, eben auch kom-munikativ Bilder und Selbstbeschreibungen über die tatsächlich ablaufenden kommunikativen Abläufe produziert und im Umlauf gebracht werden. Das zentrale Argument ist nun, dass eben genau aufgrund dieses Sachverhaltes die bei der Produktion von Bildern und Selbstbeschreibungen zum Einsatz kommenden Schemata auch dazu benutzt werden können, die kommunikati-ven Abläufe selbst zu steuern – die Schemata können zwischen beiden ‚Ebe-nen’ gewissermaßen wandern. Mit „Schemata“ sollen hierbei nichts anderes als diejenigen Regeln gemeint sein, die Weltsachverhalte kategorisieren und als erkennbare Beobachtungsgegenstände konzeptualisieren (vgl. Luhmann 1992: 84f.; Ders. 2004: 190ff.; Ders. 1984: 311ff.). Im ersten Fall der Se-mantik werden die eingesetzten Schemata dazu benutzt, um eine thematische Fremdreferenz zu strukturieren – also um das Bild von etwas anderem zu gestalten. Im zweiten Fall der faktischen Systemstruktur werden sie benutzt, um das selbstreferentielle Operieren des Systems zu orientieren. Um dies an zwei Beispielen zu verdeutlichen: So gab es schon vor der Ausdifferenzie-rung demokratisch funktionierender politischer Systeme, das Schemata der Demokratie. Dennoch war es eben nur als ein semantisches Konzept unter anderen existent und hat eben ‚lediglich’ dazu gedient, ein Bild eines demo-kratischen Staates und den politischen Wunsch diesen herbeizuführen, zu formen. Dennoch war diesem zunächst semantischem Schemata das Potenzi-al inne, konkrete politische Praxen – wie Wahlen, Parlamente, öffentliche Debatten – anzuleiten und zu strukturieren. Oder man denke auch an Bör-sennachrichten, welche zunächst einmal das Marktgeschehen auf den Fi-nanzmärkten beschreiben. Diese Informationen werden dann aber von den

MarktteilnehmerInnen genutzt, um Entscheidungen über Aktieneinkäufe treffen zu können, wodurch die zunächst bloß beschriebene Marktsituation transformiert wird (dieses Beispiel ist angelehnt an Luhmann 1988: 128).

Systemtheoretisch ist daher im Fall von sozialen und psychischen Systemen von einem zirkulären Verhältnis zwischen der Repräsentation einer System-struktur und der repräsentierten SystemSystem-struktur selbst auszugehen und damit die konstitutive Rolle von (Selbst-)beschreibungen hervorzuheben (vgl.

Hahn 2004; Holz 2001: 42ff.; Esposito 2002: 19ff.).

Auf Inklusions- und Exklusionsprozesse – als Teil von Sozialstruktu-ren – bezogen heißt dies, dass Semantik prinzipiell auch „als konstitutiv für die Konstruktion des Ein- oder Auszuschließenden“ (Stäheli 2001: 50) anzu-sehen ist. Denn sie bietet Konzepte wie Individuen im jeweiligen System eingebunden werden bzw. dient dazu, Ausschlüsse zu organisieren und zu legitimieren. Inklusion bzw. Exklusion meint dabei schlicht das Stattfinden bzw. Unterbleiben von Einbindung und Adressierung von psychischen Sys-temen innerhalb und durch soziale Kontexte (vgl. Luhmann 1995a; Ders.

1995b; Göbel/Schmidt 1998). Da auch die von mir untersuchten Zeitungsar-tikel solche Schemata produzieren, ist diesen das Potenzial, konkrete Inklu-sionsprozesse und Systemoperationen in einem gewissen Umfange orientie-ren zu können, anzuerkennen. In dem uns hier interessieorientie-renden Fall heißt dies konkret, dass die Komplementärrollen des medizinischen Systems – also Arzt und Patient bzw. Psychotherapeut und Klient (vgl. Stichweh 2005: 21f.;

Baraldi 1997) – immer auch durch die Bezugnahme auf bzw. Zitation von Diskursen geformt und strukturiert werden. Es macht einfach einen Unter-schied, ob sich die Arzt-Patienten-Interaktion an einem Konzept wie „Götter in weiß“ oder aber an Vorstellungen wie die vom „mündigen Patienten“ ori-entiert. Bohn (2006: 29–47) spricht in diesem Zusammenhang auch von „In-klusions- und Exklusionsfiguren“, welche sowohl in der Semantik – als Be-schreibung, Wunsch, politisches Konzept – als aber auch in der konkreten operativen Praxis – als realer Prozess der Einbindung und Adressierung – auftauchen. Im empirischen Teil der Analyse werden solche Inklusionsfigu-ren herauszuarbeiten sein. Vor dem Hintergrund der konkreten Analyse muss dann auch die hier zunächst theoretisch-abstrakte Feststellung einer Zirkula-rität von Semantik und Struktur am konkreten Fall spezifiziert werden.

Neben diesem sozialstrukturellen Potenzial von Diskursen, müssen diese aber immer auch selbst schon als die Instituierung einer bestimmten (Selbst-)Beobachtungspraxis betrachtet werden. Wenn psychologische Kate-gorien und Beschreibungsmuster auftauchen und massenmedial verbreitet werden, so bedeutet dies zugleich immer auch, das menschliche

Verhaltens-weisen und mentale Zustände auf eine bestimmte Art und Weise kommuni-kativ in Erscheinung treten und gedeutet werden. Was semantische Schemata – wie beispielsweise psychologische Konzepte – also immer schon hervor-bringen, sind spezifische Sichtbarkeiten und Weltbezüge. Vor diesem Hinter-grund wird die Diskursanalytik Michel Foucaults interessant, da sie gerade die Positivität von Diskursen (vgl. Foucault 1981: 182; Ders. 2003: 31) ernst nimmt, ohne sie auf sozialstrukturelle Ursachen und Sachverhalte vorschnell zurückführen zu wollen.8 Vielmehr geht es darum, die Macht und Funkti-onsweise von Diskursen herauszuarbeiten. Die zentrale Fragestellung dabei ist, wie in einem Diskurs ein spezifisches Wissen mit einem „Wahrheits-wert“ (Foucault 1983: 8) geladen wird und auf diese Weise eine gültige Per-spektive produziert wird, die andere PerPer-spektiven und mögliche Zugänge (vorerst) ausschließt. Macht und Wissen sind für Foucault daher miteinander verschränkt, weswegen er Diskurse auch als „Macht/Wissen-Komplexe“

(Foucault 1994: 39) bezeichnet (vgl. Foucault 1976: 45). In Form von kon-kreten Materialanalysen kann auf diese Weise rekonstruiert werden, wie be-stimmte Gegenstände, Fragen, Probleme, Plausibilitäten etc. in unserem Denken und Sprechen auftauchen können (vgl. Foucault 1974: 17ff.; Ders.

1989: 12ff.). Auf unser Thema bezogen heißt dies: Durch welche grundle-genden diskursiven Schemata und Regelstrukturen werden Depressionen und deren Behandlung auf spezifische Weise thematisierbar gemacht? Welche Problematisierungen und Lösungsvorschläge werden bezüglich Depressio-nen aufgeworfen und mit Plausibilität geladen? Und nochmals auf Inklusion gemünzt: Wie sehen die im Diskurs skizzierten Inklusionsfiguren bezüglich psychologisch-medizinischer Behandlung und Therapie aus?

Im Dokument Von Honig und Hochschulen (Seite 52-55)